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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840.

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hen durch sein Erzeugen? -- und was lassen wir weni¬
ger zu als daß er sich frei bewege, und das geht schon
so von Ewigkeit zu Ewigkeit daß er uns mit den un¬
würdigen Ketten in den Ohren klirrt, und wir fürchten
uns vor diesem Klirren und halten die Ohren zu, und
ein reines Hervortreten des Geistes würde die Welt um¬
stürzen, ja! aber wie himmlisch würde sie aus ihren eig¬
nen Trümmern aufblühen! -- Ist Furcht nicht ein bö¬
ser Dämon? -- Furcht vor dem Irren ist Menschen¬
furcht; horchten wir auf die Kinderstimme in der Brust
dann würde die Furcht vergehen, -- ist Irren Irrthum?
-- kanns nicht bloß freies Wandlen sein? -- Versuch
in einer urtheilüberschwingenden Sphäre sich zu bewe¬
gen? -- ist Urtheil nicht ein Schlachtmesser mit dem wir
die neugeborne Geistesfrucht im Leib des Irrthums töd¬
ten? -- hats einer so weit gebracht im Geist, daß er
wie der kühne Gemsjäger ohne Schwindel über die
Spalten und Schluchten setze, mit treffendem Sprung
mit Leidenschaft das Wild ereilend? -- Was ist doch Lei¬
denschaft?-- ist es nicht jene ungeübte Kraft die sinnlich
ausbricht und sich üben will! -- seis die Spur der
Gemse die der Jäger verfolgt wenn nicht jener weißen
Hindin mit goldnem Geweih, die lockend tausend Um¬
wege macht ihn ins Dickicht zu leiten, wo im Eingang

hen durch ſein Erzeugen? — und was laſſen wir weni¬
ger zu als daß er ſich frei bewege, und das geht ſchon
ſo von Ewigkeit zu Ewigkeit daß er uns mit den un¬
würdigen Ketten in den Ohren klirrt, und wir fürchten
uns vor dieſem Klirren und halten die Ohren zu, und
ein reines Hervortreten des Geiſtes würde die Welt um¬
ſtürzen, ja! aber wie himmliſch würde ſie aus ihren eig¬
nen Trümmern aufblühen! — Iſt Furcht nicht ein bö¬
ſer Dämon? — Furcht vor dem Irren iſt Menſchen¬
furcht; horchten wir auf die Kinderſtimme in der Bruſt
dann würde die Furcht vergehen, — iſt Irren Irrthum?
— kanns nicht bloß freies Wandlen ſein? — Verſuch
in einer urtheilüberſchwingenden Sphäre ſich zu bewe¬
gen? — iſt Urtheil nicht ein Schlachtmeſſer mit dem wir
die neugeborne Geiſtesfrucht im Leib des Irrthums töd¬
ten? — hats einer ſo weit gebracht im Geiſt, daß er
wie der kühne Gemsjäger ohne Schwindel über die
Spalten und Schluchten ſetze, mit treffendem Sprung
mit Leidenſchaft das Wild ereilend? — Was iſt doch Lei¬
denſchaft?— iſt es nicht jene ungeübte Kraft die ſinnlich
ausbricht und ſich üben will! — ſeis die Spur der
Gemſe die der Jäger verfolgt wenn nicht jener weißen
Hindin mit goldnem Geweih, die lockend tauſend Um¬
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[86/0100] hen durch ſein Erzeugen? — und was laſſen wir weni¬ ger zu als daß er ſich frei bewege, und das geht ſchon ſo von Ewigkeit zu Ewigkeit daß er uns mit den un¬ würdigen Ketten in den Ohren klirrt, und wir fürchten uns vor dieſem Klirren und halten die Ohren zu, und ein reines Hervortreten des Geiſtes würde die Welt um¬ ſtürzen, ja! aber wie himmliſch würde ſie aus ihren eig¬ nen Trümmern aufblühen! — Iſt Furcht nicht ein bö¬ ſer Dämon? — Furcht vor dem Irren iſt Menſchen¬ furcht; horchten wir auf die Kinderſtimme in der Bruſt dann würde die Furcht vergehen, — iſt Irren Irrthum? — kanns nicht bloß freies Wandlen ſein? — Verſuch in einer urtheilüberſchwingenden Sphäre ſich zu bewe¬ gen? — iſt Urtheil nicht ein Schlachtmeſſer mit dem wir die neugeborne Geiſtesfrucht im Leib des Irrthums töd¬ ten? — hats einer ſo weit gebracht im Geiſt, daß er wie der kühne Gemsjäger ohne Schwindel über die Spalten und Schluchten ſetze, mit treffendem Sprung mit Leidenſchaft das Wild ereilend? — Was iſt doch Lei¬ denſchaft?— iſt es nicht jene ungeübte Kraft die ſinnlich ausbricht und ſich üben will! — ſeis die Spur der Gemſe die der Jäger verfolgt wenn nicht jener weißen Hindin mit goldnem Geweih, die lockend tauſend Um¬ wege macht ihn ins Dickicht zu leiten, wo im Eingang

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/100>, abgerufen am 18.05.2024.