Hütte von zwei Bettelkindern, wie traurig es sei daß die nun die Mooshütte verlassen müßten um in den stolzen Palast zu ziehen, und dann war mir bang er könne die Gegend verstecken, und nichts deucht mir schö¬ ner als wenn die Natur, ihre Launen zärtlich durchflech¬ ten kann wo der Mensch etwas einrichtet; sollte das nicht im Gefühl, im Gedanken auch sein? -- sollte Poesie nicht so vertraut mit der Natur sein wie mit der Schwester, und ihr auch einen Theil der Sorge überlassen dürfen? -- so daß sie manchmal ihre gehei¬ ligten Gesetze ganz aufgäb aus Liebe zur Natur, und alle sittlichen Fesseln sprengt und ihr sich in die Arme stürzt voll heißem Drang ungehindert nur an ihrer Brust zu athmen. Ich weiß wohl daß die Form der schöne untadelhafte Leib ist der Poesie, in welchen der Menschengeist sie erzeugt: aber sollte es denn nicht auch eine unmittelbare Offenbarung der Poesie geben die vielleicht tiefer schauerlicher ins Mark eindringt ohne feste Grenzen der Form? -- die da schneller und na¬ türlicher in den Geist eingreift, vielleicht auch bewußtlo¬ ser, aber schaffend, erzeugend, wieder eine Geistesnatur? -- Giebts nicht einen Moment in der Poesie wo der Geist sich vergißt und dahin wallt wie der Quell dem der Fels sich aufthut? daß der nun hinströmt im
Hütte von zwei Bettelkindern, wie traurig es ſei daß die nun die Mooshütte verlaſſen müßten um in den ſtolzen Palaſt zu ziehen, und dann war mir bang er könne die Gegend verſtecken, und nichts deucht mir ſchö¬ ner als wenn die Natur, ihre Launen zärtlich durchflech¬ ten kann wo der Menſch etwas einrichtet; ſollte das nicht im Gefühl, im Gedanken auch ſein? — ſollte Poeſie nicht ſo vertraut mit der Natur ſein wie mit der Schweſter, und ihr auch einen Theil der Sorge überlaſſen dürfen? — ſo daß ſie manchmal ihre gehei¬ ligten Geſetze ganz aufgäb aus Liebe zur Natur, und alle ſittlichen Feſſeln ſprengt und ihr ſich in die Arme ſtürzt voll heißem Drang ungehindert nur an ihrer Bruſt zu athmen. Ich weiß wohl daß die Form der ſchöne untadelhafte Leib iſt der Poeſie, in welchen der Menſchengeiſt ſie erzeugt: aber ſollte es denn nicht auch eine unmittelbare Offenbarung der Poeſie geben die vielleicht tiefer ſchauerlicher ins Mark eindringt ohne feſte Grenzen der Form? — die da ſchneller und na¬ türlicher in den Geiſt eingreift, vielleicht auch bewußtlo¬ ſer, aber ſchaffend, erzeugend, wieder eine Geiſtesnatur? — Giebts nicht einen Moment in der Poeſie wo der Geiſt ſich vergißt und dahin wallt wie der Quell dem der Fels ſich aufthut? daß der nun hinſtrömt im
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Hütte von zwei Bettelkindern, wie traurig es ſei daß
die nun die Mooshütte verlaſſen müßten um in den
ſtolzen Palaſt zu ziehen, und dann war mir bang er
könne die Gegend verſtecken, und nichts deucht mir ſchö¬
ner als wenn die Natur, ihre Launen zärtlich durchflech¬
ten kann wo der Menſch etwas einrichtet; ſollte das
nicht im Gefühl, im Gedanken auch ſein? — ſollte
Poeſie nicht ſo vertraut mit der Natur ſein wie mit
der Schweſter, und ihr auch einen Theil der Sorge
überlaſſen dürfen? — ſo daß ſie manchmal ihre gehei¬
ligten Geſetze ganz aufgäb aus Liebe zur Natur, und
alle ſittlichen Feſſeln ſprengt und ihr ſich in die Arme
ſtürzt voll heißem Drang ungehindert nur an ihrer
Bruſt zu athmen. Ich weiß wohl daß die Form der
ſchöne untadelhafte Leib iſt der Poeſie, in welchen der
Menſchengeiſt ſie erzeugt: aber ſollte es denn nicht auch
eine unmittelbare Offenbarung der Poeſie geben die
vielleicht tiefer ſchauerlicher ins Mark eindringt ohne
feſte Grenzen der Form? — die da ſchneller und na¬
türlicher in den Geiſt eingreift, vielleicht auch bewußtlo¬
ſer, aber ſchaffend, erzeugend, wieder eine Geiſtesnatur?
— Giebts nicht einen Moment in der Poeſie wo der
Geiſt ſich vergißt und dahin wallt wie der Quell dem
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/104>, abgerufen am 24.11.2024.
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