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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840.

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rer Bang geschickt worden, weil es sehr viel schöne Lie¬
der kann; die ganze Familie gehört zu dem Singgeschlecht
die sich ernährt mit Kräutersuchen für die Apotheken in
der Umgegend, und im Frühjahr mit Erdbeeren- und
Heidelbeerensuchen. Das Kind war zwei Tage bei mir,
es schlief im Vorzimmer; so ein allerliebst Kind kannst
Du Dir gar nicht denken, auch von Schönheit; ich
nahms mit hinaus, da hats mich neue Wege geführt,
wo ich noch gar nicht gewesen war, ich sagte, wir wol¬
len einmal gradaus gehen es mag in Weg kommen
was will, so gings Berg auf Berg ab bis wir hinter
die Brunnenleitung in den Wald am See kamen, und
ich war muthwillig übermäßig, bis ich mich endlich,
überrascht weil ich rückwärts ging, in einem Sumpf be¬
fand. --

Was mich am meisten ergötzt ist die Kenntniß al¬
ler Kräuter und Wurzeln die das Kind hat, ohne
doch je gelernt zu haben, es ist eine traditionelle Bota¬
nik die aber so vollständig ist und mit so viel histori¬
schen Belegen versehen, und zu so manchen Vergleichen
führt daß wohl auf diese Weise ein groß Theil Got¬
tesphilosophie auch in den unstudierten Bauern über¬
geht. Ich grub viel Wurzeln aus, die wußte das
Kind alle zu nennen, und jedes verdorrte Hülschen das

rer Bang geſchickt worden, weil es ſehr viel ſchöne Lie¬
der kann; die ganze Familie gehört zu dem Singgeſchlecht
die ſich ernährt mit Kräuterſuchen für die Apotheken in
der Umgegend, und im Frühjahr mit Erdbeeren- und
Heidelbeerenſuchen. Das Kind war zwei Tage bei mir,
es ſchlief im Vorzimmer; ſo ein allerliebſt Kind kannſt
Du Dir gar nicht denken, auch von Schönheit; ich
nahms mit hinaus, da hats mich neue Wege geführt,
wo ich noch gar nicht geweſen war, ich ſagte, wir wol¬
len einmal gradaus gehen es mag in Weg kommen
was will, ſo gings Berg auf Berg ab bis wir hinter
die Brunnenleitung in den Wald am See kamen, und
ich war muthwillig übermäßig, bis ich mich endlich,
überraſcht weil ich rückwärts ging, in einem Sumpf be¬
fand. —

Was mich am meiſten ergötzt iſt die Kenntniß al¬
ler Kräuter und Wurzeln die das Kind hat, ohne
doch je gelernt zu haben, es iſt eine traditionelle Bota¬
nik die aber ſo vollſtändig iſt und mit ſo viel hiſtori¬
ſchen Belegen verſehen, und zu ſo manchen Vergleichen
führt daß wohl auf dieſe Weiſe ein groß Theil Got¬
tesphiloſophie auch in den unſtudierten Bauern über¬
geht. Ich grub viel Wurzeln aus, die wußte das
Kind alle zu nennen, und jedes verdorrte Hülschen das

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[148/0162] rer Bang geſchickt worden, weil es ſehr viel ſchöne Lie¬ der kann; die ganze Familie gehört zu dem Singgeſchlecht die ſich ernährt mit Kräuterſuchen für die Apotheken in der Umgegend, und im Frühjahr mit Erdbeeren- und Heidelbeerenſuchen. Das Kind war zwei Tage bei mir, es ſchlief im Vorzimmer; ſo ein allerliebſt Kind kannſt Du Dir gar nicht denken, auch von Schönheit; ich nahms mit hinaus, da hats mich neue Wege geführt, wo ich noch gar nicht geweſen war, ich ſagte, wir wol¬ len einmal gradaus gehen es mag in Weg kommen was will, ſo gings Berg auf Berg ab bis wir hinter die Brunnenleitung in den Wald am See kamen, und ich war muthwillig übermäßig, bis ich mich endlich, überraſcht weil ich rückwärts ging, in einem Sumpf be¬ fand. — Was mich am meiſten ergötzt iſt die Kenntniß al¬ ler Kräuter und Wurzeln die das Kind hat, ohne doch je gelernt zu haben, es iſt eine traditionelle Bota¬ nik die aber ſo vollſtändig iſt und mit ſo viel hiſtori¬ ſchen Belegen verſehen, und zu ſo manchen Vergleichen führt daß wohl auf dieſe Weiſe ein groß Theil Got¬ tesphiloſophie auch in den unſtudierten Bauern über¬ geht. Ich grub viel Wurzeln aus, die wußte das Kind alle zu nennen, und jedes verdorrte Hülschen das

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/162>, abgerufen am 18.05.2024.