Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.Th. IV. Sect. III. Num. XII. Pantel Trappens lehr und schrifften. [Spaltenumbruch]
tin in allen ständen/ welche aber/ wie schon ge-dacht/ niemand erkennen/ und in sich warneh- men kan/ er werde denn erstlich in ein pur lauter nichtiges kind resolviret, denn in solchem nichti- gem kinde (als wir seyn sollen und seyn müssen/) gewinnet Christus eine gestalt/ und machet denn das nichtige mägdlein die seele zu etwas/ wel- ches etwas als das Göttliche neue/ darinn die seele GOtt wider erkennet/ doch ein Nicht blei- bet in der seelen/ also daß sie sich des neuen we- sens nicht erhebet/ sondern in der äussersten nie- drigkeit oder nichtigkeit verbleibet/ welches/ lieber mensch/ der Schrifft zeugniß nach/ ge- heimnissen seyn. Darum/ onatürlicher mensch/ sey gebeten und zugleich hertzlich gewarnet für dem fleischlichen urtheil über eines menschen gewissen/ das CHristo in allem und mit al- len die ehr (dem sie allein gebühret) gibt/ da- mit du nicht in das schröckliche urtheil des er- schröcklichen GOttes fallen mögest/ denn das amt des richtrrs ist gar nicht des buchsta- bens/ sondern des Heil. Geistes/ der richtet die welt und straffet sie: Wo aber der sein un- mittelbares amt nichtführet: wie kan dann ei- ner richten? und wie will sein richten bestehen? Und wie kan er wissen/ was die H. Schrifft er- fodert! Jch wiederhole nochmaln/ daß denje- nigen/ so Weigelianer insgemein genant wer- den/ (welche aber für dem abgöttischen namen/ so wol als einem fleischlichen abgott durch GOttes gnaden wolwerden bewahret werden/ also daß sie in prüfung der gaben solten auff menschen fallen/ und einen menschen zum haupt erwehlen) nie ins hertz kommen/ die H. Schrifft/ das rechte wahrhafftige Apostolische predigamt/ die H. Sacramenta/ die H. Ge- meine GOttes zu verachten/ zu verwerffen und gäntzlich auffzuheben: Sondern das ist die ei- gentliche meinung/ daß kein äusserliches ohne das rechte innerliche/ keine heilsame wissen- schafft oder lehr ohn ein heiliges leben und wan- del/ (denn das ist der rechte Antichristische un- grund/ daß einer heilsam lehre könte/ ob er nicht selber heilig und gerecht lebet/ dawider doch die H. Schrifft klärlich zeuget/ auch Johann Arndt in seinem Christenthum Lib. I. cap. 38. als ein beschuldigter Weigelianer bestättiget: ehe dieser abgott ausgemustertwerden wird/ ist die Babel gar nicht zu heilen/) und niemand einen Christen ohne CHRISTUS allein machen könne/ denn ein Christ ist eine neue lebendige creatur/ welche ohne CHRISTO dem einigen leben und seinem lebendigmachenden geist nicht wer- den kan: darum wem CHRISTUS von seinem leben oder geist nicht mit- theilet/ der ist und bleibet lebendig todt/ und alle seine wercke mit allem Gottesdienst sind todte unfruchtbare wercke der finster- nis/ so nichts anders als eitel zorn/ ungnade/ straffen und plagen erregen. Wann einer gleich alle H. Schrifft weiß/ und darnach sei- ner vermeinten religion nach auff das aller- schönste reden/ disputiren/ schwatzen und pre- digen kan/ so redet doch nur eine thönende schel- le mit der andern aus dem todten buchstaben/ ja ein todter oder natürlicher mensch will dem andern vom geist sagen/ den er selber in der krafft und würckung nicht hat/ so führet ein blinder den andern/ und verfehlen beyde des rechten we- [Spaltenumbruch] ges/ so da ist CHristus alles in allen. Olie- ber mensch/ steinerne kirchen/ steinerne Priester/ und eine steinerne gemeine hat keine gemein- schafft mit CHristo/ sondern es muß alles neu inwendig rein sey/ das ihm gefällt. Wolte GOtt/ du möchtest/ lieber mensch/ ein Christli- ches hertze sehen können/ wie hertzlich gut dassel- be es mit dir meinet/ du würdest schon anders reden. Siehe CHristum und die Phariseer samt dem Jüdischen volck an/ und glaube/ daß die- ser Christus noch in seinem heiligen leibe die liebe ist/ so wird er anfahen das natur-feuer in dir zu dämpfen und dich zu seinem gliede zu bereiten. Mein mensch/ es schätze sich keiner selber/ weni- ger rühme er sichs/ daß er das kleinod in voll- kommenheit so gäntzlich erlanget/ daß er auch von aller schwachheit befreyet wäre: nein/ ein solcher mensch wäre ein ertzlügner/ sintemal er wider sein wissen und gewissen zeugen würde: Sondern ein jeder rühme sich CHristi/ daß er durch ihn gnade erlanget/ alldieweil er ihn auff seinem irrwege ergriffen/ und von seinem geist ihm zum neuen leben mitgetheilet habe/ in wel- cher krafft des kindlichen geistes er laufft/ daß er die vollkommenheit erlangen mö- ge. Jn welchem neuem lauff des geistes ein je- des glied CHristi/ schmertzlich/ peinlich und über alle maas hoch schädlich noch empfin- det/ die im fleisch sich regende lust und böse eigene begierde/ die für augen schwebende ärgerliche welt mit ihren öffentlichen sünden/ schanden und laster-kram/ samt den feurigen pfeilen des bößwichts. Dahero er denselben allen in der krafft des aus CHristo erlangten geistes wiederstrebet/ und gerne wolte helffen/ in und durch CHristi krafft das sünden-reich zu zerstören/ die welt durch ein neues leben in CHristo zu überwinden/ und den höllischen lö- wen in allen und mit allen abbruch zu thun/ damit dername GOttes nicht möge gelästert/ sondern in der rechten heiligung der seelen ge- heiliget/ das reich CHristi nicht gäntzlich in dem menschen zerstöret/ sondern erhalten/ er- weitert/ und dadurch der äusserliche Gottes- dienst dem lebendigen GOtt wieder gefällig ge- macht werden möge/ weil der gütige GOtt al- so innerlich und äusserlich seinen heiligen guten willen haben/ und in dem menschen wieder zu würcken und zu regieren anheben würde. Wel- chen willen GOttes in sich die glieder des lei- bes CHristi gerne geschehen lassen/ und in kei- nem wider GOttes willen/ CHristi exempel und des H. Geistes regierung zu leben/ sondern GOtt in allem gelassen oder gehorsam zu seyn/ in hertzlichem seufftzen wünschen und bitten. Das ist/ mein lieber mensch/ die meinung und gar keine andere/ darum laß doch den dir ge- machten dunst/ als wären die leute ärger als der teuffel selbst/ fahren/ und traue doch ohne prüfen nicht so leichtlich dem falschen lügen- geist: Sondern die ihr nach der schrifft urthei- len und richten wollet/ forschet recht als kinder ohne vorgefaste gedancken/ opinionen und erstu- dirte meinungen in der schrifft/ mit innerlicher bitte um dieerleuchtung des H. Geistes/ und kommt darauff/ und last uns mit einander in der liebe und sanfftmuth reden/ so wird sich al- les geben. Denn ein wahrer Christ und ein natürlicher gelehrter mensch können sich so we- nig verstehen/ als himmel und erden in einan- der
Th. IV. Sect. III. Num. XII. Pantel Trappens lehr und ſchrifften. [Spaltenumbruch]
tin in allen ſtaͤnden/ welche aber/ wie ſchon ge-dacht/ niemand erkennen/ und in ſich warneh- men kan/ er werde denn erſtlich in ein pur lauter nichtiges kind reſolviret, denn in ſolchem nichti- gem kinde (als wir ſeyn ſollen und ſeyn muͤſſen/) gewinnet Chriſtus eine geſtalt/ und machet deñ das nichtige maͤgdlein die ſeele zu etwas/ wel- ches etwas als das Goͤttliche neue/ darinn die ſeele GOtt wider erkennet/ doch ein Nicht blei- bet in der ſeelen/ alſo daß ſie ſich des neuen we- ſens nicht erhebet/ ſondern in der aͤuſſerſten nie- drigkeit oder nichtigkeit verbleibet/ welches/ lieber menſch/ der Schrifft zeugniß nach/ ge- heimniſſen ſeyn. Darum/ onatuͤrlicher menſch/ ſey gebeten und zugleich hertzlich gewarnet fuͤr dem fleiſchlichen urtheil uͤber eines menſchen gewiſſen/ das CHriſto in allem und mit al- len die ehr (dem ſie allein gebuͤhret) gibt/ da- mit du nicht in das ſchroͤckliche urtheil des er- ſchroͤcklichen GOttes fallen moͤgeſt/ denn das amt des richtrrs iſt gar nicht des buchſta- bens/ ſondern des Heil. Geiſtes/ der richtet die welt und ſtraffet ſie: Wo aber der ſein un- mittelbares amt nichtfuͤhret: wie kan dann ei- ner richten? und wie will ſein richten beſtehen? Und wie kan er wiſſen/ was die H. Schrifft er- fodert! Jch wiederhole nochmaln/ daß denje- nigen/ ſo Weigelianer insgemein genant wer- den/ (welche aber fuͤr dem abgoͤttiſchen namen/ ſo wol als einem fleiſchlichen abgott durch GOttes gnaden wolwerden bewahret werden/ alſo daß ſie in pruͤfung der gaben ſolten auff menſchen fallen/ und einen menſchen zum haupt erwehlen) nie ins hertz kommen/ die H. Schrifft/ das rechte wahrhafftige Apoſtoliſche predigamt/ die H. Sacramenta/ die H. Ge- meine GOttes zu verachten/ zu verwerffen und gaͤntzlich auffzuheben: Sondern das iſt die ei- gentliche meinung/ daß kein aͤuſſerliches ohne das rechte innerliche/ keine heilſame wiſſen- ſchafft oder lehr ohn ein heiliges leben und wan- del/ (denn das iſt der rechte Antichriſtiſche un- grund/ daß einer heilſam lehrē koͤnte/ ob er nicht ſelber heilig und gerecht lebet/ dawider doch die H. Schrifft klaͤrlich zeuget/ auch Johann Arndt in ſeinem Chriſtenthum Lib. I. cap. 38. als ein beſchuldigter Weigelianer beſtaͤttiget: ehe dieſer abgott ausgemuſtertwerden wird/ iſt die Babel gar nicht zu heilen/) und niemand einen Chriſten ohne CHRISTUS allein machen koͤnne/ denn ein Chriſt iſt eine neue lebendige creatur/ welche ohne CHRISTO dem einigen leben und ſeinem lebendigmachenden geiſt nicht wer- den kan: darum wem CHRISTUS von ſeinem leben oder geiſt nicht mit- theilet/ der iſt und bleibet lebendig todt/ und alle ſeine wercke mit allem Gottesdienſt ſind todte unfruchtbare wercke der finſter- nis/ ſo nichts anders als eitel zorn/ ungnade/ ſtraffen und plagen erregen. Wann einer gleich alle H. Schrifft weiß/ und darnach ſei- ner vermeinten religion nach auff das aller- ſchoͤnſte reden/ diſputiren/ ſchwatzen und pre- digen kan/ ſo redet doch nur eine thoͤnende ſchel- le mit der andern aus dem todten buchſtaben/ ja ein todter oder natuͤrlicher menſch will dem andeꝛn vom geiſt ſagen/ den er ſelber in der krafft und wuͤrckung nicht hat/ ſo fuͤhret ein blinder den andern/ und verfehlen beyde des rechten we- [Spaltenumbruch] ges/ ſo da iſt CHriſtus alles in allen. Olie- ber menſch/ ſteinerne kirchen/ ſteinerne Prieſter/ und eine ſteinerne gemeine hat keine gemein- ſchafft mit CHriſto/ ſondern es muß alles neu inwendig rein ſey/ das ihm gefaͤllt. Wolte GOtt/ du moͤchteſt/ lieber menſch/ ein Chriſtli- ches hertze ſehen koͤnnen/ wie hertzlich gut daſſel- be es mit dir meinet/ du wuͤrdeſt ſchon anders reden. Siehe CHriſtum und die Phariſeer ſamt dem Juͤdiſchen volck an/ und glaube/ daß die- ſer Chꝛiſtus noch in ſeinem heiligen leibe die liebe iſt/ ſo wird er anfahen das natur-feuer in dir zu daͤmpfen und dich zu ſeinem gliede zu bereiten. Mein menſch/ es ſchaͤtze ſich keiner ſelber/ weni- ger ruͤhme er ſichs/ daß er das kleinod in voll- kommenheit ſo gaͤntzlich erlanget/ daß er auch von aller ſchwachheit befreyet waͤre: nein/ ein ſolcher menſch waͤre ein ertzluͤgner/ ſintemal er wider ſein wiſſen und gewiſſen zeugen wuͤrde: Sondern ein jeder ruͤhme ſich CHriſti/ daß er durch ihn gnade erlanget/ alldieweil er ihn auff ſeinem irꝛwege ergriffen/ und von ſeinem geiſt ihm zum neuen leben mitgetheilet habe/ in wel- cher krafft des kindlichen geiſtes er laufft/ daß er die vollkommenheit erlangen moͤ- ge. Jn welchem neuem lauff des geiſtes ein je- des glied CHriſti/ ſchmertzlich/ peinlich und uͤber alle maas hoch ſchaͤdlich noch empfin- det/ die im fleiſch ſich regende luſt und boͤſe eigene begierde/ die fuͤr augen ſchwebende aͤrgerliche welt mit ihren oͤffentlichen ſuͤnden/ ſchanden und laſter-kram/ ſamt den feurigen pfeilen des boͤßwichts. Dahero er denſelben allen in der krafft des aus CHriſto erlangten geiſtes wiederſtrebet/ und gerne wolte helffen/ in und durch CHriſti krafft das ſuͤnden-reich zu zerſtoͤren/ die welt durch ein neues leben in CHriſto zu uͤberwinden/ und den hoͤlliſchen loͤ- wen in allen und mit allen abbruch zu thun/ damit dername GOttes nicht moͤge gelaͤſtert/ ſondern in der rechten heiligung der ſeelen ge- heiliget/ das reich CHriſti nicht gaͤntzlich in dem menſchen zerſtoͤret/ ſondern erhalten/ er- weitert/ und dadurch der aͤuſſerliche Gottes- dienſt dem lebendigen GOtt wieder gefaͤllig ge- macht werden moͤge/ weil der guͤtige GOtt al- ſo innerlich und aͤuſſerlich ſeinen heiligen guten willen haben/ und in dem menſchen wieder zu wuͤꝛcken und zu regieren anheben wuͤrde. Wel- chen willen GOttes in ſich die glieder des lei- bes CHriſti gerne geſchehen laſſen/ und in kei- nem wider GOttes willen/ CHriſti exempel und des H. Geiſtes regierung zu leben/ ſondern GOtt in allem gelaſſen oder gehorſam zu ſeyn/ in hertzlichem ſeufftzen wuͤnſchen und bitten. Das iſt/ mein lieber menſch/ die meinung und gar keine andere/ darum laß doch den dir ge- machten dunſt/ als waͤren die leute aͤrger als der teuffel ſelbſt/ fahren/ und traue doch ohne pruͤfen nicht ſo leichtlich dem falſchen luͤgen- geiſt: Sondern die ihr nach der ſchrifft urthei- len und richten wollet/ forſchet recht als kinder ohne voꝛgefaſte gedancken/ opinionen und eꝛſtu- dirte meinungen in der ſchrifft/ mit innerlicher bitte um dieerleuchtung des H. Geiſtes/ und kommt darauff/ und laſt uns mit einander in der liebe und ſanfftmuth reden/ ſo wird ſich al- les geben. Denn ein wahrer Chriſt und ein natuͤrlicher gelehrter menſch koͤnnen ſich ſo we- nig verſtehen/ als himmel und erden in einan- der
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Th. IV. Sect. III. Num. XII. Pantel Trappens lehr und ſchrifften.
tin in allen ſtaͤnden/ welche aber/ wie ſchon ge-
dacht/ niemand erkennen/ und in ſich warneh-
men kan/ er werde denn erſtlich in ein pur lauter
nichtiges kind reſolviret, denn in ſolchem nichti-
gem kinde (als wir ſeyn ſollen und ſeyn muͤſſen/)
gewinnet Chriſtus eine geſtalt/ und machet deñ
das nichtige maͤgdlein die ſeele zu etwas/ wel-
ches etwas als das Goͤttliche neue/ darinn die
ſeele GOtt wider erkennet/ doch ein Nicht blei-
bet in der ſeelen/ alſo daß ſie ſich des neuen we-
ſens nicht erhebet/ ſondern in der aͤuſſerſten nie-
drigkeit oder nichtigkeit verbleibet/ welches/
lieber menſch/ der Schrifft zeugniß nach/ ge-
heimniſſen ſeyn. Darum/ onatuͤrlicher menſch/
ſey gebeten und zugleich hertzlich gewarnet fuͤr
dem fleiſchlichen urtheil uͤber eines menſchen
gewiſſen/ das CHriſto in allem und mit al-
len die ehr (dem ſie allein gebuͤhret) gibt/ da-
mit du nicht in das ſchroͤckliche urtheil des er-
ſchroͤcklichen GOttes fallen moͤgeſt/ denn das
amt des richtrrs iſt gar nicht des buchſta-
bens/ ſondern des Heil. Geiſtes/ der richtet
die welt und ſtraffet ſie: Wo aber der ſein un-
mittelbares amt nichtfuͤhret: wie kan dann ei-
ner richten? und wie will ſein richten beſtehen?
Und wie kan er wiſſen/ was die H. Schrifft er-
fodert! Jch wiederhole nochmaln/ daß denje-
nigen/ ſo Weigelianer insgemein genant wer-
den/ (welche aber fuͤr dem abgoͤttiſchen namen/
ſo wol als einem fleiſchlichen abgott durch
GOttes gnaden wolwerden bewahret werden/
alſo daß ſie in pruͤfung der gaben ſolten auff
menſchen fallen/ und einen menſchen zum haupt
erwehlen) nie ins hertz kommen/ die H.
Schrifft/ das rechte wahrhafftige Apoſtoliſche
predigamt/ die H. Sacramenta/ die H. Ge-
meine GOttes zu verachten/ zu verwerffen und
gaͤntzlich auffzuheben: Sondern das iſt die ei-
gentliche meinung/ daß kein aͤuſſerliches ohne
das rechte innerliche/ keine heilſame wiſſen-
ſchafft oder lehr ohn ein heiliges leben und wan-
del/ (denn das iſt der rechte Antichriſtiſche un-
grund/ daß einer heilſam lehrē koͤnte/ ob er nicht
ſelber heilig und gerecht lebet/ dawider doch die
H. Schrifft klaͤrlich zeuget/ auch Johann
Arndt in ſeinem Chriſtenthum Lib. I. cap. 38.
als ein beſchuldigter Weigelianer beſtaͤttiget:
ehe dieſer abgott ausgemuſtertwerden wird/ iſt
die Babel gar nicht zu heilen/) und niemand
einen Chriſten ohne CHRISTUS
allein machen koͤnne/ denn ein Chriſt iſt
eine neue lebendige creatur/ welche ohne
CHRISTO dem einigen leben und
ſeinem lebendigmachenden geiſt nicht wer-
den kan: darum wem CHRISTUS
von ſeinem leben oder geiſt nicht mit-
theilet/ der iſt und bleibet lebendig todt/
und alle ſeine wercke mit allem Gottesdienſt
ſind todte unfruchtbare wercke der finſter-
nis/ ſo nichts anders als eitel zorn/ ungnade/
ſtraffen und plagen erregen. Wann einer
gleich alle H. Schrifft weiß/ und darnach ſei-
ner vermeinten religion nach auff das aller-
ſchoͤnſte reden/ diſputiren/ ſchwatzen und pre-
digen kan/ ſo redet doch nur eine thoͤnende ſchel-
le mit der andern aus dem todten buchſtaben/
ja ein todter oder natuͤrlicher menſch will dem
andeꝛn vom geiſt ſagen/ den er ſelber in der krafft
und wuͤrckung nicht hat/ ſo fuͤhret ein blinder
den andern/ und verfehlen beyde des rechten we-
ges/ ſo da iſt CHriſtus alles in allen. Olie-
ber menſch/ ſteinerne kirchen/ ſteinerne Prieſter/
und eine ſteinerne gemeine hat keine gemein-
ſchafft mit CHriſto/ ſondern es muß alles neu
inwendig rein ſey/ das ihm gefaͤllt. Wolte
GOtt/ du moͤchteſt/ lieber menſch/ ein Chriſtli-
ches hertze ſehen koͤnnen/ wie hertzlich gut daſſel-
be es mit dir meinet/ du wuͤrdeſt ſchon anders
reden. Siehe CHriſtum und die Phariſeer ſamt
dem Juͤdiſchen volck an/ und glaube/ daß die-
ſer Chꝛiſtus noch in ſeinem heiligen leibe die liebe
iſt/ ſo wird er anfahen das natur-feuer in dir zu
daͤmpfen und dich zu ſeinem gliede zu bereiten.
Mein menſch/ es ſchaͤtze ſich keiner ſelber/ weni-
ger ruͤhme er ſichs/ daß er das kleinod in voll-
kommenheit ſo gaͤntzlich erlanget/ daß er auch
von aller ſchwachheit befreyet waͤre: nein/ ein
ſolcher menſch waͤre ein ertzluͤgner/ ſintemal er
wider ſein wiſſen und gewiſſen zeugen wuͤrde:
Sondern ein jeder ruͤhme ſich CHriſti/ daß er
durch ihn gnade erlanget/ alldieweil er ihn auff
ſeinem irꝛwege ergriffen/ und von ſeinem geiſt
ihm zum neuen leben mitgetheilet habe/ in wel-
cher krafft des kindlichen geiſtes er laufft/
daß er die vollkommenheit erlangen moͤ-
ge. Jn welchem neuem lauff des geiſtes ein je-
des glied CHriſti/ ſchmertzlich/ peinlich und
uͤber alle maas hoch ſchaͤdlich noch empfin-
det/ die im fleiſch ſich regende luſt und boͤſe
eigene begierde/ die fuͤr augen ſchwebende
aͤrgerliche welt mit ihren oͤffentlichen ſuͤnden/
ſchanden und laſter-kram/ ſamt den feurigen
pfeilen des boͤßwichts. Dahero er denſelben
allen in der krafft des aus CHriſto erlangten
geiſtes wiederſtrebet/ und gerne wolte helffen/
in und durch CHriſti krafft das ſuͤnden-reich
zu zerſtoͤren/ die welt durch ein neues leben in
CHriſto zu uͤberwinden/ und den hoͤlliſchen loͤ-
wen in allen und mit allen abbruch zu thun/
damit dername GOttes nicht moͤge gelaͤſtert/
ſondern in der rechten heiligung der ſeelen ge-
heiliget/ das reich CHriſti nicht gaͤntzlich in
dem menſchen zerſtoͤret/ ſondern erhalten/ er-
weitert/ und dadurch der aͤuſſerliche Gottes-
dienſt dem lebendigen GOtt wieder gefaͤllig ge-
macht werden moͤge/ weil der guͤtige GOtt al-
ſo innerlich und aͤuſſerlich ſeinen heiligen guten
willen haben/ und in dem menſchen wieder zu
wuͤꝛcken und zu regieren anheben wuͤrde. Wel-
chen willen GOttes in ſich die glieder des lei-
bes CHriſti gerne geſchehen laſſen/ und in kei-
nem wider GOttes willen/ CHriſti exempel
und des H. Geiſtes regierung zu leben/ ſondern
GOtt in allem gelaſſen oder gehorſam zu ſeyn/
in hertzlichem ſeufftzen wuͤnſchen und bitten.
Das iſt/ mein lieber menſch/ die meinung und
gar keine andere/ darum laß doch den dir ge-
machten dunſt/ als waͤren die leute aͤrger als
der teuffel ſelbſt/ fahren/ und traue doch ohne
pruͤfen nicht ſo leichtlich dem falſchen luͤgen-
geiſt: Sondern die ihr nach der ſchrifft urthei-
len und richten wollet/ forſchet recht als kinder
ohne voꝛgefaſte gedancken/ opinionen und eꝛſtu-
dirte meinungen in der ſchrifft/ mit innerlicher
bitte um dieerleuchtung des H. Geiſtes/ und
kommt darauff/ und laſt uns mit einander in
der liebe und ſanfftmuth reden/ ſo wird ſich al-
les geben. Denn ein wahrer Chriſt und ein
natuͤrlicher gelehrter menſch koͤnnen ſich ſo we-
nig verſtehen/ als himmel und erden in einan-
der
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Zitationshilfe: | Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/947>, abgerufen am 16.07.2024. |