Aston, Louise: Aus dem Leben einer Frau. Hamburg, 1847.durch den geistigen Ausdruck, der bei'm Sprechen ihre Züge verklärte; und ihre Worte klangen so einfach und innig, ein Evangelium des Herzens. Es war eine liebenswürdige Eigenthümlichkeit der Oburn, mit den fremdesten Menschen, sobald sie mit sicherem Blick einen geistig verwandten Zug in ihnen entdeckt, so vertraut umzugehen, als sei sie längst mit ihnen befreundet, ohne die Furcht, dies off'ne Entgegenkommen könne mißverstanden werden. So sah sie auch hier den ihr gegenübersitzenden Mann traulich an, und sprach, während sie das Buch fortlegte und einige Geisblattblüthen zerpflückte: "Ich las eben in der Indiana, und bin von der lebenswahren Schilderung der Leidenschaft und des Schmerzes so ergriffen, daß ich heute nicht weiter lesen kann." "Im Glücke, gnädige Frau," entgegnete Stein, "muß man ein solches Buch nicht lesen, so schön es auch sein mag. Sie begehen damit ein Unrecht an sich selbst! Eine edle Natur muß ein reines, ungetrübtes Glück genießen; und wie ein gerechtes Geschick den Schmerz und die Trauer von ihr fern halten würde, so durch den geistigen Ausdruck, der bei'm Sprechen ihre Züge verklärte; und ihre Worte klangen so einfach und innig, ein Evangelium des Herzens. Es war eine liebenswürdige Eigenthümlichkeit der Oburn, mit den fremdesten Menschen, sobald sie mit sicherem Blick einen geistig verwandten Zug in ihnen entdeckt, so vertraut umzugehen, als sei sie längst mit ihnen befreundet, ohne die Furcht, dies off'ne Entgegenkommen könne mißverstanden werden. So sah sie auch hier den ihr gegenübersitzenden Mann traulich an, und sprach, während sie das Buch fortlegte und einige Geisblattblüthen zerpflückte: „Ich las eben in der Indiana, und bin von der lebenswahren Schilderung der Leidenschaft und des Schmerzes so ergriffen, daß ich heute nicht weiter lesen kann.“ „Im Glücke, gnädige Frau,“ entgegnete Stein, „muß man ein solches Buch nicht lesen, so schön es auch sein mag. Sie begehen damit ein Unrecht an sich selbst! Eine edle Natur muß ein reines, ungetrübtes Glück genießen; und wie ein gerechtes Geschick den Schmerz und die Trauer von ihr fern halten würde, so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0085" n="73"/> durch den geistigen Ausdruck, der bei'm Sprechen ihre Züge verklärte; und ihre Worte klangen so einfach und innig, ein Evangelium des Herzens.</p> <p> Es war eine liebenswürdige Eigenthümlichkeit der Oburn, mit den fremdesten Menschen, sobald sie mit sicherem Blick einen geistig verwandten Zug in ihnen entdeckt, so vertraut umzugehen, als sei sie längst mit ihnen befreundet, ohne die Furcht, dies off'ne Entgegenkommen könne mißverstanden werden. So sah sie auch hier den ihr gegenübersitzenden Mann traulich an, und sprach, während sie das Buch fortlegte und einige Geisblattblüthen zerpflückte: „Ich las eben in der <hi rendition="#g">Indiana</hi>, und bin von der lebenswahren Schilderung der Leidenschaft und des Schmerzes so ergriffen, daß ich heute nicht weiter lesen kann.“</p> <p> „Im Glücke, gnädige Frau,“ entgegnete Stein, „muß man ein solches Buch nicht lesen, so schön es auch sein mag. Sie begehen damit ein Unrecht an sich selbst! Eine edle Natur muß ein reines, ungetrübtes Glück genießen; und wie ein gerechtes Geschick den Schmerz und die Trauer von ihr fern halten würde, so </p> </div> </body> </text> </TEI> [73/0085]
durch den geistigen Ausdruck, der bei'm Sprechen ihre Züge verklärte; und ihre Worte klangen so einfach und innig, ein Evangelium des Herzens.
Es war eine liebenswürdige Eigenthümlichkeit der Oburn, mit den fremdesten Menschen, sobald sie mit sicherem Blick einen geistig verwandten Zug in ihnen entdeckt, so vertraut umzugehen, als sei sie längst mit ihnen befreundet, ohne die Furcht, dies off'ne Entgegenkommen könne mißverstanden werden. So sah sie auch hier den ihr gegenübersitzenden Mann traulich an, und sprach, während sie das Buch fortlegte und einige Geisblattblüthen zerpflückte: „Ich las eben in der Indiana, und bin von der lebenswahren Schilderung der Leidenschaft und des Schmerzes so ergriffen, daß ich heute nicht weiter lesen kann.“
„Im Glücke, gnädige Frau,“ entgegnete Stein, „muß man ein solches Buch nicht lesen, so schön es auch sein mag. Sie begehen damit ein Unrecht an sich selbst! Eine edle Natur muß ein reines, ungetrübtes Glück genießen; und wie ein gerechtes Geschick den Schmerz und die Trauer von ihr fern halten würde, so
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