Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Diethelm war entschlossen, wenn das Zögern noch länger dauerte, lieber allein abzureisen, ohnehin war ja der Zweck erreicht, daß das ganze Dorf seine Abreise wußte. Als er aber vor die Thür kam, wo ihm ein Wind so stark entgegen wehte, daß es ihm den Athem benahm und er sich umwenden mußte, spürte er plötzlich einen heftigen Schmerz im Oberarm von dem Bisse Medard's, den er fast ganz vergessen hatte. Mit Mühe arbeitete er sich sturmentgegen nach der Schmiede, und als er dort ankam, rief er dem Schmied zu: Nimm dich in Acht vor dem zuderhändigen Rappen, der beißt. Weißt kein Mittel gegen einen Pferdebiß? Laß einmal sehen, erwiderte der Schmied. Es ist jetzt schon heil, beschwichtigte Diethelm, in Furcht sich zu verrathen, aber für's Zukünftige könntest du mir ein Mittel geben. Da wendest du dich am Besten an den alten Schäferle, der hilft dir, daß es in einer Stunde vorbei ist. Diethelm versprach dies vorkommenden Falles zu thun. Während er am Feuer stehend den Schmerz verbiß, kam ein Trupp Männer und Burschen wild lärmend nach der Schmiede, so daß Diethelm erbebte. Komm, Schmied, hieß es nun, es ist Befehl vom Amt da, daß wir mit dem Bahnschlitten 'naus müssen, der Postwagen kann nicht durch. Sollen wir gleich die Rappen da einspannen? Diethelm wehrte ab, und es gelang ihm, seine halb gegrifften Pferde zu behalten. Der Trupp eilte nach dem Spritzenhäuschen, wo der Bahnschlitten stand. Im ganzen Dorfe war jetzt eine wunderliche Aufregung. Die Nachricht, daß man von aller Welt abgeschnitten sei, durchdrang alle Häuser, und die Menschen, die sonst nie daran dachten, daß anderswo auch noch Leute wohnen, thaten auf einmal, als ob sie allstündliche Verbindung nach außen hätten und gar nicht leben könnten ohne deren ungestörten Bestand. Ueberall in den verschneiten Gassen sah man mit dem Winde Diethelm war entschlossen, wenn das Zögern noch länger dauerte, lieber allein abzureisen, ohnehin war ja der Zweck erreicht, daß das ganze Dorf seine Abreise wußte. Als er aber vor die Thür kam, wo ihm ein Wind so stark entgegen wehte, daß es ihm den Athem benahm und er sich umwenden mußte, spürte er plötzlich einen heftigen Schmerz im Oberarm von dem Bisse Medard's, den er fast ganz vergessen hatte. Mit Mühe arbeitete er sich sturmentgegen nach der Schmiede, und als er dort ankam, rief er dem Schmied zu: Nimm dich in Acht vor dem zuderhändigen Rappen, der beißt. Weißt kein Mittel gegen einen Pferdebiß? Laß einmal sehen, erwiderte der Schmied. Es ist jetzt schon heil, beschwichtigte Diethelm, in Furcht sich zu verrathen, aber für's Zukünftige könntest du mir ein Mittel geben. Da wendest du dich am Besten an den alten Schäferle, der hilft dir, daß es in einer Stunde vorbei ist. Diethelm versprach dies vorkommenden Falles zu thun. Während er am Feuer stehend den Schmerz verbiß, kam ein Trupp Männer und Burschen wild lärmend nach der Schmiede, so daß Diethelm erbebte. Komm, Schmied, hieß es nun, es ist Befehl vom Amt da, daß wir mit dem Bahnschlitten 'naus müssen, der Postwagen kann nicht durch. Sollen wir gleich die Rappen da einspannen? Diethelm wehrte ab, und es gelang ihm, seine halb gegrifften Pferde zu behalten. Der Trupp eilte nach dem Spritzenhäuschen, wo der Bahnschlitten stand. Im ganzen Dorfe war jetzt eine wunderliche Aufregung. Die Nachricht, daß man von aller Welt abgeschnitten sei, durchdrang alle Häuser, und die Menschen, die sonst nie daran dachten, daß anderswo auch noch Leute wohnen, thaten auf einmal, als ob sie allstündliche Verbindung nach außen hätten und gar nicht leben könnten ohne deren ungestörten Bestand. Ueberall in den verschneiten Gassen sah man mit dem Winde <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="15"> <pb facs="#f0104"/> <p>Diethelm war entschlossen, wenn das Zögern noch länger dauerte, lieber allein abzureisen, ohnehin war ja der Zweck erreicht, daß das ganze Dorf seine Abreise wußte. Als er aber vor die Thür kam, wo ihm ein Wind so stark entgegen wehte, daß es ihm den Athem benahm und er sich umwenden mußte, spürte er plötzlich einen heftigen Schmerz im Oberarm von dem Bisse Medard's, den er fast ganz vergessen hatte. Mit Mühe arbeitete er sich sturmentgegen nach der Schmiede, und als er dort ankam, rief er dem Schmied zu:</p><lb/> <p>Nimm dich in Acht vor dem zuderhändigen Rappen, der beißt. Weißt kein Mittel gegen einen Pferdebiß?</p><lb/> <p>Laß einmal sehen, erwiderte der Schmied<choice><sic>,</sic><corr>.</corr></choice></p><lb/> <p>Es ist jetzt schon heil, beschwichtigte Diethelm, in Furcht sich zu verrathen, aber für's Zukünftige könntest du mir ein Mittel geben.</p><lb/> <p>Da wendest du dich am Besten an den alten Schäferle, der hilft dir, daß es in einer Stunde vorbei ist.</p><lb/> <p>Diethelm versprach dies vorkommenden Falles zu thun. Während er am Feuer stehend den Schmerz verbiß, kam ein Trupp Männer und Burschen wild lärmend nach der Schmiede, so daß Diethelm erbebte.</p><lb/> <p>Komm, Schmied, hieß es nun, es ist Befehl vom Amt da, daß wir mit dem Bahnschlitten 'naus müssen, der Postwagen kann nicht durch. Sollen wir gleich die Rappen da einspannen?</p><lb/> <p>Diethelm wehrte ab, und es gelang ihm, seine halb gegrifften Pferde zu behalten. Der Trupp eilte nach dem Spritzenhäuschen, wo der Bahnschlitten stand.</p><lb/> <p>Im ganzen Dorfe war jetzt eine wunderliche Aufregung. Die Nachricht, daß man von aller Welt abgeschnitten sei, durchdrang alle Häuser, und die Menschen, die sonst nie daran dachten, daß anderswo auch noch Leute wohnen, thaten auf einmal, als ob sie allstündliche Verbindung nach außen hätten und gar nicht leben könnten ohne deren ungestörten Bestand. Ueberall in den verschneiten Gassen sah man mit dem Winde<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0104]
Diethelm war entschlossen, wenn das Zögern noch länger dauerte, lieber allein abzureisen, ohnehin war ja der Zweck erreicht, daß das ganze Dorf seine Abreise wußte. Als er aber vor die Thür kam, wo ihm ein Wind so stark entgegen wehte, daß es ihm den Athem benahm und er sich umwenden mußte, spürte er plötzlich einen heftigen Schmerz im Oberarm von dem Bisse Medard's, den er fast ganz vergessen hatte. Mit Mühe arbeitete er sich sturmentgegen nach der Schmiede, und als er dort ankam, rief er dem Schmied zu:
Nimm dich in Acht vor dem zuderhändigen Rappen, der beißt. Weißt kein Mittel gegen einen Pferdebiß?
Laß einmal sehen, erwiderte der Schmied.
Es ist jetzt schon heil, beschwichtigte Diethelm, in Furcht sich zu verrathen, aber für's Zukünftige könntest du mir ein Mittel geben.
Da wendest du dich am Besten an den alten Schäferle, der hilft dir, daß es in einer Stunde vorbei ist.
Diethelm versprach dies vorkommenden Falles zu thun. Während er am Feuer stehend den Schmerz verbiß, kam ein Trupp Männer und Burschen wild lärmend nach der Schmiede, so daß Diethelm erbebte.
Komm, Schmied, hieß es nun, es ist Befehl vom Amt da, daß wir mit dem Bahnschlitten 'naus müssen, der Postwagen kann nicht durch. Sollen wir gleich die Rappen da einspannen?
Diethelm wehrte ab, und es gelang ihm, seine halb gegrifften Pferde zu behalten. Der Trupp eilte nach dem Spritzenhäuschen, wo der Bahnschlitten stand.
Im ganzen Dorfe war jetzt eine wunderliche Aufregung. Die Nachricht, daß man von aller Welt abgeschnitten sei, durchdrang alle Häuser, und die Menschen, die sonst nie daran dachten, daß anderswo auch noch Leute wohnen, thaten auf einmal, als ob sie allstündliche Verbindung nach außen hätten und gar nicht leben könnten ohne deren ungestörten Bestand. Ueberall in den verschneiten Gassen sah man mit dem Winde
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/104 |
Zitationshilfe: | Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/104>, abgerufen am 16.02.2025. |