Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.listigen Gesichte, war ehemals selbst wohlhabend gewesen, hatte sich im Schafhandel "verspeculirt" und war jetzig der gewandteste Unterhändler. Dieser wollte sich an die Seite Diethelm's drängen; er bot ihm eine Prise aus seiner großen birkenrindenen Dose und wollte ihm allerlei mittheilen, aber Diethelm vertröstete ihn mit herrischer Miene auf später und zog den Schultheiß von Rettinghausen, einen mehr ebenbürtigen Genossen, an sich, und so trat er in die Wirthsstube, wo jetzt im halben Morgen schon voller Mittag gehalten wurde; denn an langer Tafel und an Seitentischen saßen Männer und Frauen und erlabten sich an Sauerkraut und Speck und gedeihlichem Unterländer Wein, und was sie nicht aufspeis'ten, wickelten sie in ein daneben gelegtes Papier und steckten es zu sich. Da und dort war auch der Tisch zu einer Rechentafel geworden, und mit Kreide wurde der Erlös zusammengerechnet, denn es war schon Mehreres verkauft. Mancher vollgestopfte Mund nickte Diethelm zu, und manche Hand legte die Gabel weg und streckte sich ihm entgegen. Je später der Markt, je schöner die Leut', rief ein Weißkopf Diethelm zu. Kommst spät. Bist alleine oder hast die Frau bei dir? Ist das zimpfere Mädle dein' Fränz? (Franziska). Solche und viele andere Anreden bestürmten Diethelm von allen Seiten, und manche Gabel deutete nach ihm, und mancher Kopf drehte sich um, denn die, die ihn kannten, zeigten ihn den Fremden und eine Weile war alle Aufmerksamkeit nach ihm gerichtet. Erregte der Duft der Speisen einen ungeahnten Hunger, so gab dieses allgemeine Ansehen eine andere Sättigung. Eine Kellnerin fragte Diethelm nach altem Brauche, was er befehle; aber die Wirthin, die eben durch die Stube ging, schnitt ihr das Wort ab und sagte: Der Herr Diethelm sitzt in die Herrenstube, der Advocat Rothmann sind auch schon drüben und unterhalten sich mit der Fränz. listigen Gesichte, war ehemals selbst wohlhabend gewesen, hatte sich im Schafhandel „verspeculirt“ und war jetzig der gewandteste Unterhändler. Dieser wollte sich an die Seite Diethelm's drängen; er bot ihm eine Prise aus seiner großen birkenrindenen Dose und wollte ihm allerlei mittheilen, aber Diethelm vertröstete ihn mit herrischer Miene auf später und zog den Schultheiß von Rettinghausen, einen mehr ebenbürtigen Genossen, an sich, und so trat er in die Wirthsstube, wo jetzt im halben Morgen schon voller Mittag gehalten wurde; denn an langer Tafel und an Seitentischen saßen Männer und Frauen und erlabten sich an Sauerkraut und Speck und gedeihlichem Unterländer Wein, und was sie nicht aufspeis'ten, wickelten sie in ein daneben gelegtes Papier und steckten es zu sich. Da und dort war auch der Tisch zu einer Rechentafel geworden, und mit Kreide wurde der Erlös zusammengerechnet, denn es war schon Mehreres verkauft. Mancher vollgestopfte Mund nickte Diethelm zu, und manche Hand legte die Gabel weg und streckte sich ihm entgegen. Je später der Markt, je schöner die Leut', rief ein Weißkopf Diethelm zu. Kommst spät. Bist alleine oder hast die Frau bei dir? Ist das zimpfere Mädle dein' Fränz? (Franziska). Solche und viele andere Anreden bestürmten Diethelm von allen Seiten, und manche Gabel deutete nach ihm, und mancher Kopf drehte sich um, denn die, die ihn kannten, zeigten ihn den Fremden und eine Weile war alle Aufmerksamkeit nach ihm gerichtet. Erregte der Duft der Speisen einen ungeahnten Hunger, so gab dieses allgemeine Ansehen eine andere Sättigung. Eine Kellnerin fragte Diethelm nach altem Brauche, was er befehle; aber die Wirthin, die eben durch die Stube ging, schnitt ihr das Wort ab und sagte: Der Herr Diethelm sitzt in die Herrenstube, der Advocat Rothmann sind auch schon drüben und unterhalten sich mit der Fränz. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0011"/> listigen Gesichte, war ehemals selbst wohlhabend gewesen, hatte sich im Schafhandel „verspeculirt“ und war jetzig der gewandteste Unterhändler. Dieser wollte sich an die Seite Diethelm's drängen; er bot ihm eine Prise aus seiner großen birkenrindenen Dose und wollte ihm allerlei mittheilen, aber Diethelm vertröstete ihn mit herrischer Miene auf später und zog den Schultheiß von Rettinghausen, einen mehr ebenbürtigen Genossen, an sich, und so trat er in die Wirthsstube, wo jetzt im halben Morgen schon voller Mittag gehalten wurde; denn an langer Tafel und an Seitentischen saßen Männer und Frauen und erlabten sich an Sauerkraut und Speck und gedeihlichem Unterländer Wein, und was sie nicht aufspeis'ten, wickelten sie in ein daneben gelegtes Papier und steckten es zu sich. Da und dort war auch der Tisch zu einer Rechentafel geworden, und mit Kreide wurde der Erlös zusammengerechnet, denn es war schon Mehreres verkauft. 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Je später der Markt, je schöner die Leut', rief ein Weißkopf Diethelm zu.
Kommst spät.
Bist alleine oder hast die Frau bei dir?
Ist das zimpfere Mädle dein' Fränz? (Franziska).
Solche und viele andere Anreden bestürmten Diethelm von allen Seiten, und manche Gabel deutete nach ihm, und mancher Kopf drehte sich um, denn die, die ihn kannten, zeigten ihn den Fremden und eine Weile war alle Aufmerksamkeit nach ihm gerichtet. Erregte der Duft der Speisen einen ungeahnten Hunger, so gab dieses allgemeine Ansehen eine andere Sättigung. Eine Kellnerin fragte Diethelm nach altem Brauche, was er befehle; aber die Wirthin, die eben durch die Stube ging, schnitt ihr das Wort ab und sagte:
Der Herr Diethelm sitzt in die Herrenstube, der Advocat Rothmann sind auch schon drüben und unterhalten sich mit der Fränz.
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