Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu empfangen, zu sterben . . . Er weinte aufs Neue um sein verlorenes Leben; über ihm tönte der wehklagende Grabgesang, ein schriller Drommetenton verwandelte sich in die Klagestimme seiner Martha und ein anderer in die seiner Fränz . . . Und die sind verloren auf ewig, und du wirst nicht gleich getödtet, du mußt Wochen und Monate lang, ja vielleicht deine ganze Lebenszeit auf deinen schandvollen Tod warten. Mußt du das ertragen in Gefangenschaft und Elend, warum kannst du es nicht auch in Freiheit und Ehre? . . . Diethelm richtete sich auf, und als jetzt von einer anderen Thurmseite der Choral erscholl, sang er die Töne laut mit, und seine Stimme tönte so voll, fast wie Posaunenschall. Er sang so laut am Fenster, daß er nicht hörte, wie das Schloß hinter ihm knarrte, die Thür sich öffnete und der Gefangenwärter eintrat, ihn zum Verhör abzuholen. Um dieselbe Zeit war Martha in der Stadt angekommen; sie ging mit fest zusammengepreßtem Munde und thränenlosem Auge umher, das Schicksal ihres Mannes, der Tod ihrer Tochter, der sie nun nicht einmal eine eisige Scholle auf die Bahre werfen konnte, der gräßliche Tod des treuen Knechtes, das Verbrennen des Hauses, in dem sie so viele Jahre Freud' und Leid verlebt, Alles das bestürmte ihr Herz und machte sie dumpf und verwirrt. Ihrer Bitte, auch eingesperrt zu werden, hatte man nicht willfahrt, und sie lief wie ein verirrtes, verstoßenes Bettelkind in den Straßen umher, als müßte sie Jemand finden, der ihr den Weg aus dem Wirrwarr heimwärts zeigte. Es dämmerte, in den Häusern wurden da und dort Lichter entzündet. Ach! Da wohnen überall Menschen, die daheim sind und wissen, wen sie haben. Martha fuhr vor Schreck zusammen, denn es sprang etwas an ihr herauf, und sie erkannte bald den vor Freude bellenden Paßauf. Ach du bist's, sagte sie, den Hund streichelnd, gelt, armes Thierle, es geht dir auch wie mir, du weißt auch zu empfangen, zu sterben . . . Er weinte aufs Neue um sein verlorenes Leben; über ihm tönte der wehklagende Grabgesang, ein schriller Drommetenton verwandelte sich in die Klagestimme seiner Martha und ein anderer in die seiner Fränz . . . Und die sind verloren auf ewig, und du wirst nicht gleich getödtet, du mußt Wochen und Monate lang, ja vielleicht deine ganze Lebenszeit auf deinen schandvollen Tod warten. Mußt du das ertragen in Gefangenschaft und Elend, warum kannst du es nicht auch in Freiheit und Ehre? . . . Diethelm richtete sich auf, und als jetzt von einer anderen Thurmseite der Choral erscholl, sang er die Töne laut mit, und seine Stimme tönte so voll, fast wie Posaunenschall. Er sang so laut am Fenster, daß er nicht hörte, wie das Schloß hinter ihm knarrte, die Thür sich öffnete und der Gefangenwärter eintrat, ihn zum Verhör abzuholen. Um dieselbe Zeit war Martha in der Stadt angekommen; sie ging mit fest zusammengepreßtem Munde und thränenlosem Auge umher, das Schicksal ihres Mannes, der Tod ihrer Tochter, der sie nun nicht einmal eine eisige Scholle auf die Bahre werfen konnte, der gräßliche Tod des treuen Knechtes, das Verbrennen des Hauses, in dem sie so viele Jahre Freud' und Leid verlebt, Alles das bestürmte ihr Herz und machte sie dumpf und verwirrt. Ihrer Bitte, auch eingesperrt zu werden, hatte man nicht willfahrt, und sie lief wie ein verirrtes, verstoßenes Bettelkind in den Straßen umher, als müßte sie Jemand finden, der ihr den Weg aus dem Wirrwarr heimwärts zeigte. Es dämmerte, in den Häusern wurden da und dort Lichter entzündet. Ach! Da wohnen überall Menschen, die daheim sind und wissen, wen sie haben. Martha fuhr vor Schreck zusammen, denn es sprang etwas an ihr herauf, und sie erkannte bald den vor Freude bellenden Paßauf. Ach du bist's, sagte sie, den Hund streichelnd, gelt, armes Thierle, es geht dir auch wie mir, du weißt auch <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="17"> <p><pb facs="#f0122"/> zu empfangen, zu sterben . . . Er weinte aufs Neue um sein verlorenes Leben; über ihm tönte der wehklagende Grabgesang, ein schriller Drommetenton verwandelte sich in die Klagestimme seiner Martha und ein anderer in die seiner Fränz . . . Und die sind verloren auf ewig, und du wirst nicht gleich getödtet, du mußt Wochen und Monate lang, ja vielleicht deine ganze Lebenszeit auf deinen schandvollen Tod warten. Mußt du das ertragen in Gefangenschaft und Elend, warum kannst du es nicht auch in Freiheit und Ehre? . . . Diethelm richtete sich auf, und als jetzt von einer anderen Thurmseite der Choral erscholl, sang er die Töne laut mit, und seine Stimme tönte so voll, fast wie Posaunenschall. Er sang so laut am Fenster, daß er nicht hörte, wie das Schloß hinter ihm knarrte, die Thür sich öffnete und der Gefangenwärter eintrat, ihn zum Verhör abzuholen.</p><lb/> <p>Um dieselbe Zeit war Martha in der Stadt angekommen; sie ging mit fest zusammengepreßtem Munde und thränenlosem Auge umher, das Schicksal ihres Mannes, der Tod ihrer Tochter, der sie nun nicht einmal eine eisige Scholle auf die Bahre werfen konnte, der gräßliche Tod des treuen Knechtes, das Verbrennen des Hauses, in dem sie so viele Jahre Freud' und Leid verlebt, Alles das bestürmte ihr Herz und machte sie dumpf und verwirrt. Ihrer Bitte, auch eingesperrt zu werden, hatte man nicht willfahrt, und sie lief wie ein verirrtes, verstoßenes Bettelkind in den Straßen umher, als müßte sie Jemand finden, der ihr den Weg aus dem Wirrwarr heimwärts zeigte. Es dämmerte, in den Häusern wurden da und dort Lichter entzündet. Ach! Da wohnen überall Menschen, die daheim sind und wissen, wen sie haben. Martha fuhr vor Schreck zusammen, denn es sprang etwas an ihr herauf, und sie erkannte bald den vor Freude bellenden Paßauf.</p><lb/> <p>Ach du bist's, sagte sie, den Hund streichelnd, gelt, armes Thierle, es geht dir auch wie mir, du weißt auch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0122]
zu empfangen, zu sterben . . . Er weinte aufs Neue um sein verlorenes Leben; über ihm tönte der wehklagende Grabgesang, ein schriller Drommetenton verwandelte sich in die Klagestimme seiner Martha und ein anderer in die seiner Fränz . . . Und die sind verloren auf ewig, und du wirst nicht gleich getödtet, du mußt Wochen und Monate lang, ja vielleicht deine ganze Lebenszeit auf deinen schandvollen Tod warten. Mußt du das ertragen in Gefangenschaft und Elend, warum kannst du es nicht auch in Freiheit und Ehre? . . . Diethelm richtete sich auf, und als jetzt von einer anderen Thurmseite der Choral erscholl, sang er die Töne laut mit, und seine Stimme tönte so voll, fast wie Posaunenschall. Er sang so laut am Fenster, daß er nicht hörte, wie das Schloß hinter ihm knarrte, die Thür sich öffnete und der Gefangenwärter eintrat, ihn zum Verhör abzuholen.
Um dieselbe Zeit war Martha in der Stadt angekommen; sie ging mit fest zusammengepreßtem Munde und thränenlosem Auge umher, das Schicksal ihres Mannes, der Tod ihrer Tochter, der sie nun nicht einmal eine eisige Scholle auf die Bahre werfen konnte, der gräßliche Tod des treuen Knechtes, das Verbrennen des Hauses, in dem sie so viele Jahre Freud' und Leid verlebt, Alles das bestürmte ihr Herz und machte sie dumpf und verwirrt. Ihrer Bitte, auch eingesperrt zu werden, hatte man nicht willfahrt, und sie lief wie ein verirrtes, verstoßenes Bettelkind in den Straßen umher, als müßte sie Jemand finden, der ihr den Weg aus dem Wirrwarr heimwärts zeigte. Es dämmerte, in den Häusern wurden da und dort Lichter entzündet. Ach! Da wohnen überall Menschen, die daheim sind und wissen, wen sie haben. Martha fuhr vor Schreck zusammen, denn es sprang etwas an ihr herauf, und sie erkannte bald den vor Freude bellenden Paßauf.
Ach du bist's, sagte sie, den Hund streichelnd, gelt, armes Thierle, es geht dir auch wie mir, du weißt auch
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