Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

und ich ihm Essen hingestellt hab', hab' ich mich immer zu ihm setzen müssen, und beim Tisch hab' ich nie aufstehen dürfen, und wenn was gefehlt hat, hat er immer gesagt: lieber kein Salz auf dem Tisch, als daß du mir fehlst. Ach Gott! Wir haben doch so gut mit einander gelebt, und wenn's auch manchmal ein bisle uneben gangen ist, es giebt doch kein' bessere Ehe auf der Welt, und alle Adern hätt' sich Eins fürs Andere aufschneiden lassen.

Fränz hörte das immer geduldig an und ermahnte nur die Mutter, das Essen nicht kalt werden zu lassen.

Fränz trauerte auch aufrichtig um das Schicksal des Vaters, aber sie konnte diese immerwährende Trauer nicht aushalten und sehnte sich nach Zerstreuung, sie wollte von keinem Zweifel mehr wissen, daß dem Vater etwas geschehen könne, und sprach oft davon, daß sie gar nicht mehr in das Dorf zurückkehren wollten; wenn der Vater frei sei, müsst er mit ihnen in der Stadt bleiben. Martha wollte nichts davon hören, und Fränz suchte ihr alle Schauer zu erregen, die man erleben müsse, wenn man in einem Hause wohne, wo früher ein Mensch verbrannt sei.

Wo nur der Paßauf hin ist? fragte Martha ablenkend, und Fränz erwiderte:

Ihr könnt Euch darauf verlassen, der ist mit dem alten Schäferle, wie er zum Verhör in der Stadt gewesen ist.

Hast du den Munde in der Hauptstadt nicht gesehen? fragte die Mutter wieder.

Freilich, erzählte Fränz, er ist, wenn er nicht auf die Wacht gemußt hat, jeden Tag und jeden Tag in den Rautenkranz kommen, er thut noch immer so narret mit mir.

Martha erzählte nun, daß der Vater ihr den Munde zum Mann bestimmt habe, aber Fränz wehrte sich dagegen, daß sie das "Opferlamm" sein solle; wenn sie einen Mann nehme, so nehme sie ihn für sich und für Niemand anders. Sie ließ sich nicht dazu herbei, zu erklären, was sie mit dem Opferlamm gemeint habe, sie behauptete, das sei nur Redens-

und ich ihm Essen hingestellt hab', hab' ich mich immer zu ihm setzen müssen, und beim Tisch hab' ich nie aufstehen dürfen, und wenn was gefehlt hat, hat er immer gesagt: lieber kein Salz auf dem Tisch, als daß du mir fehlst. Ach Gott! Wir haben doch so gut mit einander gelebt, und wenn's auch manchmal ein bisle uneben gangen ist, es giebt doch kein' bessere Ehe auf der Welt, und alle Adern hätt' sich Eins fürs Andere aufschneiden lassen.

Fränz hörte das immer geduldig an und ermahnte nur die Mutter, das Essen nicht kalt werden zu lassen.

Fränz trauerte auch aufrichtig um das Schicksal des Vaters, aber sie konnte diese immerwährende Trauer nicht aushalten und sehnte sich nach Zerstreuung, sie wollte von keinem Zweifel mehr wissen, daß dem Vater etwas geschehen könne, und sprach oft davon, daß sie gar nicht mehr in das Dorf zurückkehren wollten; wenn der Vater frei sei, müsst er mit ihnen in der Stadt bleiben. Martha wollte nichts davon hören, und Fränz suchte ihr alle Schauer zu erregen, die man erleben müsse, wenn man in einem Hause wohne, wo früher ein Mensch verbrannt sei.

Wo nur der Paßauf hin ist? fragte Martha ablenkend, und Fränz erwiderte:

Ihr könnt Euch darauf verlassen, der ist mit dem alten Schäferle, wie er zum Verhör in der Stadt gewesen ist.

Hast du den Munde in der Hauptstadt nicht gesehen? fragte die Mutter wieder.

Freilich, erzählte Fränz, er ist, wenn er nicht auf die Wacht gemußt hat, jeden Tag und jeden Tag in den Rautenkranz kommen, er thut noch immer so narret mit mir.

Martha erzählte nun, daß der Vater ihr den Munde zum Mann bestimmt habe, aber Fränz wehrte sich dagegen, daß sie das „Opferlamm“ sein solle; wenn sie einen Mann nehme, so nehme sie ihn für sich und für Niemand anders. Sie ließ sich nicht dazu herbei, zu erklären, was sie mit dem Opferlamm gemeint habe, sie behauptete, das sei nur Redens-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="20">
        <p><pb facs="#f0140"/>
und ich ihm Essen hingestellt hab', hab' ich mich immer zu ihm setzen müssen, und                beim Tisch hab' ich nie aufstehen dürfen, und wenn was gefehlt hat, hat er immer                gesagt: lieber kein Salz auf dem Tisch, als daß du mir fehlst. Ach Gott! Wir haben                doch so gut mit einander gelebt, und wenn's auch manchmal ein bisle uneben gangen                ist, es giebt doch kein' bessere Ehe auf der Welt, und alle Adern hätt' sich Eins                fürs Andere aufschneiden lassen.</p><lb/>
        <p>Fränz hörte das immer geduldig an und ermahnte nur die Mutter, das Essen nicht kalt                werden zu lassen.</p><lb/>
        <p>Fränz trauerte auch aufrichtig um das Schicksal des Vaters, aber sie konnte diese                immerwährende Trauer nicht aushalten und sehnte sich nach Zerstreuung, sie wollte von                keinem Zweifel mehr wissen, daß dem Vater etwas geschehen könne, und sprach oft                davon, daß sie gar nicht mehr in das Dorf zurückkehren wollten; wenn der Vater frei                sei, müsst er mit ihnen in der Stadt bleiben. Martha wollte nichts davon hören, und                Fränz suchte ihr alle Schauer zu erregen, die man erleben müsse, wenn man in einem                Hause wohne, wo früher ein Mensch verbrannt sei.</p><lb/>
        <p>Wo nur der Paßauf hin ist? fragte Martha ablenkend, und Fränz erwiderte:</p><lb/>
        <p>Ihr könnt Euch darauf verlassen, der ist mit dem alten Schäferle, wie er zum Verhör                in der Stadt gewesen ist.</p><lb/>
        <p>Hast du den Munde in der Hauptstadt nicht gesehen? fragte die Mutter wieder.</p><lb/>
        <p>Freilich, erzählte Fränz, er ist, wenn er nicht auf die Wacht gemußt hat, jeden Tag                und jeden Tag in den Rautenkranz kommen, er thut noch immer so narret mit mir.</p><lb/>
        <p>Martha erzählte nun, daß der Vater ihr den Munde zum Mann bestimmt habe, aber Fränz                wehrte sich dagegen, daß sie das &#x201E;Opferlamm&#x201C; sein solle; wenn sie einen Mann nehme,                so nehme sie ihn für sich und für Niemand anders. Sie ließ sich nicht dazu herbei, zu                erklären, was sie mit dem Opferlamm gemeint habe, sie behauptete, das sei nur                Redens-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] und ich ihm Essen hingestellt hab', hab' ich mich immer zu ihm setzen müssen, und beim Tisch hab' ich nie aufstehen dürfen, und wenn was gefehlt hat, hat er immer gesagt: lieber kein Salz auf dem Tisch, als daß du mir fehlst. Ach Gott! Wir haben doch so gut mit einander gelebt, und wenn's auch manchmal ein bisle uneben gangen ist, es giebt doch kein' bessere Ehe auf der Welt, und alle Adern hätt' sich Eins fürs Andere aufschneiden lassen. Fränz hörte das immer geduldig an und ermahnte nur die Mutter, das Essen nicht kalt werden zu lassen. Fränz trauerte auch aufrichtig um das Schicksal des Vaters, aber sie konnte diese immerwährende Trauer nicht aushalten und sehnte sich nach Zerstreuung, sie wollte von keinem Zweifel mehr wissen, daß dem Vater etwas geschehen könne, und sprach oft davon, daß sie gar nicht mehr in das Dorf zurückkehren wollten; wenn der Vater frei sei, müsst er mit ihnen in der Stadt bleiben. Martha wollte nichts davon hören, und Fränz suchte ihr alle Schauer zu erregen, die man erleben müsse, wenn man in einem Hause wohne, wo früher ein Mensch verbrannt sei. Wo nur der Paßauf hin ist? fragte Martha ablenkend, und Fränz erwiderte: Ihr könnt Euch darauf verlassen, der ist mit dem alten Schäferle, wie er zum Verhör in der Stadt gewesen ist. Hast du den Munde in der Hauptstadt nicht gesehen? fragte die Mutter wieder. Freilich, erzählte Fränz, er ist, wenn er nicht auf die Wacht gemußt hat, jeden Tag und jeden Tag in den Rautenkranz kommen, er thut noch immer so narret mit mir. Martha erzählte nun, daß der Vater ihr den Munde zum Mann bestimmt habe, aber Fränz wehrte sich dagegen, daß sie das „Opferlamm“ sein solle; wenn sie einen Mann nehme, so nehme sie ihn für sich und für Niemand anders. Sie ließ sich nicht dazu herbei, zu erklären, was sie mit dem Opferlamm gemeint habe, sie behauptete, das sei nur Redens-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/140
Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/140>, abgerufen am 21.11.2024.