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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Diethelm schwieg, und lange redete keines der Anwesenden ein Wort. Der Staatsanwalt hielt still die Hand der Fränz, die auf dem Tritt am Fenster saß. Diethelm fragte endlich nach den Gerichtsverhandlungen, von denen er gar nichts mehr gehört, und wie die Sache Reppenberger's ausgegangen sei.

Die ist noch nicht aus, erhielt er zur Antwort, sie ist die letzte Tagesordnung für morgen. Der Schelm hat sich krank gemacht, er hat den Kalk von seinen Gefängnißwänden abgefressen, so daß er ganz schwarz wurde; es ist möglich, daß er sich tödten wollte, es kann aber auch sein, daß er nur seine Untersuchungshaft noch um ein Vierteljahr hinaus zu ziehen hoffte; aber wir haben ihn so hergestellt, daß er morgen vor die Bank der Zwölf Männer kommt, und Sie müssen dabei sein, Schwäher, Sie müssen.

Diethelm preßte die Lippen fest zusammen und träppelte mit den Füßen rasch auf den Boden. Hatte denn der Teufel sein Spiel mit ihm, daß er ihm diese Geschichte aufbewahrte und sie ihm wie einen Fallstrick abermals vor die Füße warf?

Ich muß? Warum muß ich? Wer kann mich zwingen? Ich bin dispensirt. Wer will mich zwingen? sagte er endlich und bebte in allen Gliedern.

Der Staatsanwalt erwiderte, es sei gut, daß das Niemand anders gehört als er; er ließ die Hand der Fränz los und fuhr fort zu berichten, daß der Advocat Rothmann, der Vertheidiger Reppenberger's, darauf bestehen werde, Diethelm auf der Schwurbank zu sehen; lasse er es darauf ankommen, daß der Gerichtshof darüber entscheide, so mache das großes Aufsehen und rühre Altes, Eingeschlummertes wieder auf, das ohnehin sich schon wieder geregt habe, drum sei es am Besten, Diethelm melde sich freiwillig.

Das thu' ich aber nicht, sagte Diethelm aufstehend, ich nehm' meine Fränz mit und reise noch in dieser Stunde nach Buchenberg. Was redet man von mir? Saget's frei heraus.

Mit der größten Behutsamkeit erzählte der Staatsanwalt,

Diethelm schwieg, und lange redete keines der Anwesenden ein Wort. Der Staatsanwalt hielt still die Hand der Fränz, die auf dem Tritt am Fenster saß. Diethelm fragte endlich nach den Gerichtsverhandlungen, von denen er gar nichts mehr gehört, und wie die Sache Reppenberger's ausgegangen sei.

Die ist noch nicht aus, erhielt er zur Antwort, sie ist die letzte Tagesordnung für morgen. Der Schelm hat sich krank gemacht, er hat den Kalk von seinen Gefängnißwänden abgefressen, so daß er ganz schwarz wurde; es ist möglich, daß er sich tödten wollte, es kann aber auch sein, daß er nur seine Untersuchungshaft noch um ein Vierteljahr hinaus zu ziehen hoffte; aber wir haben ihn so hergestellt, daß er morgen vor die Bank der Zwölf Männer kommt, und Sie müssen dabei sein, Schwäher, Sie müssen.

Diethelm preßte die Lippen fest zusammen und träppelte mit den Füßen rasch auf den Boden. Hatte denn der Teufel sein Spiel mit ihm, daß er ihm diese Geschichte aufbewahrte und sie ihm wie einen Fallstrick abermals vor die Füße warf?

Ich muß? Warum muß ich? Wer kann mich zwingen? Ich bin dispensirt. Wer will mich zwingen? sagte er endlich und bebte in allen Gliedern.

Der Staatsanwalt erwiderte, es sei gut, daß das Niemand anders gehört als er; er ließ die Hand der Fränz los und fuhr fort zu berichten, daß der Advocat Rothmann, der Vertheidiger Reppenberger's, darauf bestehen werde, Diethelm auf der Schwurbank zu sehen; lasse er es darauf ankommen, daß der Gerichtshof darüber entscheide, so mache das großes Aufsehen und rühre Altes, Eingeschlummertes wieder auf, das ohnehin sich schon wieder geregt habe, drum sei es am Besten, Diethelm melde sich freiwillig.

Das thu' ich aber nicht, sagte Diethelm aufstehend, ich nehm' meine Fränz mit und reise noch in dieser Stunde nach Buchenberg. Was redet man von mir? Saget's frei heraus.

Mit der größten Behutsamkeit erzählte der Staatsanwalt,

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[0218] Diethelm schwieg, und lange redete keines der Anwesenden ein Wort. Der Staatsanwalt hielt still die Hand der Fränz, die auf dem Tritt am Fenster saß. Diethelm fragte endlich nach den Gerichtsverhandlungen, von denen er gar nichts mehr gehört, und wie die Sache Reppenberger's ausgegangen sei. Die ist noch nicht aus, erhielt er zur Antwort, sie ist die letzte Tagesordnung für morgen. Der Schelm hat sich krank gemacht, er hat den Kalk von seinen Gefängnißwänden abgefressen, so daß er ganz schwarz wurde; es ist möglich, daß er sich tödten wollte, es kann aber auch sein, daß er nur seine Untersuchungshaft noch um ein Vierteljahr hinaus zu ziehen hoffte; aber wir haben ihn so hergestellt, daß er morgen vor die Bank der Zwölf Männer kommt, und Sie müssen dabei sein, Schwäher, Sie müssen. Diethelm preßte die Lippen fest zusammen und träppelte mit den Füßen rasch auf den Boden. Hatte denn der Teufel sein Spiel mit ihm, daß er ihm diese Geschichte aufbewahrte und sie ihm wie einen Fallstrick abermals vor die Füße warf? Ich muß? Warum muß ich? Wer kann mich zwingen? Ich bin dispensirt. Wer will mich zwingen? sagte er endlich und bebte in allen Gliedern. Der Staatsanwalt erwiderte, es sei gut, daß das Niemand anders gehört als er; er ließ die Hand der Fränz los und fuhr fort zu berichten, daß der Advocat Rothmann, der Vertheidiger Reppenberger's, darauf bestehen werde, Diethelm auf der Schwurbank zu sehen; lasse er es darauf ankommen, daß der Gerichtshof darüber entscheide, so mache das großes Aufsehen und rühre Altes, Eingeschlummertes wieder auf, das ohnehin sich schon wieder geregt habe, drum sei es am Besten, Diethelm melde sich freiwillig. Das thu' ich aber nicht, sagte Diethelm aufstehend, ich nehm' meine Fränz mit und reise noch in dieser Stunde nach Buchenberg. Was redet man von mir? Saget's frei heraus. Mit der größten Behutsamkeit erzählte der Staatsanwalt,

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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/218>, abgerufen am 14.05.2024.