Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.schneidendem Spott erklärte er seiner Frau, daß er nicht, wie sie, kein Herz für die ihm angehörige Familie habe. So verkehrt es auch war, daß Diethelm seiner Frau ein Verhältniß zum Vorwurf machte, das doch nur um seinetwillen eingetreten war, so wirkte dies doch so erbitternd auf Martha, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, mit hervorgequollenen Augen, mit knirschenden Zähnen und zitternd gekrallten Fingern auf Diethelm eindrang, als wollte sie ihn in Stücke zerreißen. Diethelm stand starr und regungslos bei diesem Anblicke. So hatte er sich nie gedacht, daß seine Frau werden könne. Als sie nun ihm ganz nahe war, verzerrten sich ihre Mienen zur grimmigsten Fratze; aber sie legte nicht Hand an ihn, sondern stieß nur einen unarticulirten Schrei höchster Verachtung aus und verließ die Stube. Von jenem Tage an und gerade aus dem Ausbruch von so mächtigen Zorn- und Haßgedanken war eine seltsame und doch wieder so leicht erklärliche Einkehr in den Gemüthern der beiden Ehegatten vorgegangen. Diethelm erkannte und sprach es aus, daß er seiner Frau Unrecht gethan, da sie vollberechtigt sei, in der Verwendung ihres Besitzthums darein zu reden. Er erklärte ihr nun die Hülflosigkeit seiner Angehörigen, und wie er sich schämen müßte, selber im Ueberflusse zu leben, während seine Nächsten darbten. Auch Martha erkannte dies und daß sie ungerecht gegen ihren Mann gewesen, aber ausdrücklich bekennen konnte sie das nicht, obgleich sie oftmals auf Diethelm's Gutherzigkeit zu sprechen kam und dabei das zum Verzweifeln karge Wesen ihres verstorbenen Mannes erwähnte. Sie schickte nun selbst, so oft sich Gelegenheit gab, Allerlei nach Letzweiler, und Diethelm, nun vollkommen gedeckt, wollte allen seinen Angehörigen gründlich aushelfen. Ein wirklich ungewöhnlich mächtiger Familiensinn, dabei aber auch die Lust, frei und offen über ein großes Besitzthum zu verfügen, und vor Allem die Ehre und der Ruhm, der ihm dadurch ward, ließen ihn fast keine Grenzen mehr kennen. schneidendem Spott erklärte er seiner Frau, daß er nicht, wie sie, kein Herz für die ihm angehörige Familie habe. So verkehrt es auch war, daß Diethelm seiner Frau ein Verhältniß zum Vorwurf machte, das doch nur um seinetwillen eingetreten war, so wirkte dies doch so erbitternd auf Martha, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, mit hervorgequollenen Augen, mit knirschenden Zähnen und zitternd gekrallten Fingern auf Diethelm eindrang, als wollte sie ihn in Stücke zerreißen. Diethelm stand starr und regungslos bei diesem Anblicke. So hatte er sich nie gedacht, daß seine Frau werden könne. Als sie nun ihm ganz nahe war, verzerrten sich ihre Mienen zur grimmigsten Fratze; aber sie legte nicht Hand an ihn, sondern stieß nur einen unarticulirten Schrei höchster Verachtung aus und verließ die Stube. Von jenem Tage an und gerade aus dem Ausbruch von so mächtigen Zorn- und Haßgedanken war eine seltsame und doch wieder so leicht erklärliche Einkehr in den Gemüthern der beiden Ehegatten vorgegangen. Diethelm erkannte und sprach es aus, daß er seiner Frau Unrecht gethan, da sie vollberechtigt sei, in der Verwendung ihres Besitzthums darein zu reden. Er erklärte ihr nun die Hülflosigkeit seiner Angehörigen, und wie er sich schämen müßte, selber im Ueberflusse zu leben, während seine Nächsten darbten. Auch Martha erkannte dies und daß sie ungerecht gegen ihren Mann gewesen, aber ausdrücklich bekennen konnte sie das nicht, obgleich sie oftmals auf Diethelm's Gutherzigkeit zu sprechen kam und dabei das zum Verzweifeln karge Wesen ihres verstorbenen Mannes erwähnte. Sie schickte nun selbst, so oft sich Gelegenheit gab, Allerlei nach Letzweiler, und Diethelm, nun vollkommen gedeckt, wollte allen seinen Angehörigen gründlich aushelfen. Ein wirklich ungewöhnlich mächtiger Familiensinn, dabei aber auch die Lust, frei und offen über ein großes Besitzthum zu verfügen, und vor Allem die Ehre und der Ruhm, der ihm dadurch ward, ließen ihn fast keine Grenzen mehr kennen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0046"/> schneidendem Spott erklärte er seiner Frau, daß er nicht, wie sie, kein Herz für die ihm angehörige Familie habe.</p><lb/> <p>So verkehrt es auch war, daß Diethelm seiner Frau ein Verhältniß zum Vorwurf machte, das doch nur um seinetwillen eingetreten war, so wirkte dies doch so erbitternd auf Martha, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, mit hervorgequollenen Augen, mit knirschenden Zähnen und zitternd gekrallten Fingern auf Diethelm eindrang, als wollte sie ihn in Stücke zerreißen. Diethelm stand starr und regungslos bei diesem Anblicke. So hatte er sich nie gedacht, daß seine Frau werden könne. Als sie nun ihm ganz nahe war, verzerrten sich ihre Mienen zur grimmigsten Fratze; aber sie legte nicht Hand an ihn, sondern stieß nur einen unarticulirten Schrei höchster Verachtung aus und verließ die Stube.</p><lb/> <p>Von jenem Tage an und gerade aus dem Ausbruch von so mächtigen Zorn- und Haßgedanken war eine seltsame und doch wieder so leicht erklärliche Einkehr in den Gemüthern der beiden Ehegatten vorgegangen. Diethelm erkannte und sprach es aus, daß er seiner Frau Unrecht gethan, da sie vollberechtigt sei, in der Verwendung ihres Besitzthums darein zu reden. Er erklärte ihr nun die Hülflosigkeit seiner Angehörigen, und wie er sich schämen müßte, selber im Ueberflusse zu leben, während seine Nächsten darbten. Auch Martha erkannte dies und daß sie ungerecht gegen ihren Mann gewesen, aber ausdrücklich bekennen konnte sie das nicht, obgleich sie oftmals auf Diethelm's Gutherzigkeit zu sprechen kam und dabei das zum Verzweifeln karge Wesen ihres verstorbenen Mannes erwähnte. Sie schickte nun selbst, so oft sich Gelegenheit gab, Allerlei nach Letzweiler, und Diethelm, nun vollkommen gedeckt, wollte allen seinen Angehörigen gründlich aushelfen. Ein wirklich ungewöhnlich mächtiger Familiensinn, dabei aber auch die Lust, frei und offen über ein großes Besitzthum zu verfügen, und vor Allem die Ehre und der Ruhm, der ihm dadurch ward, ließen ihn fast keine Grenzen mehr kennen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
schneidendem Spott erklärte er seiner Frau, daß er nicht, wie sie, kein Herz für die ihm angehörige Familie habe.
So verkehrt es auch war, daß Diethelm seiner Frau ein Verhältniß zum Vorwurf machte, das doch nur um seinetwillen eingetreten war, so wirkte dies doch so erbitternd auf Martha, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, mit hervorgequollenen Augen, mit knirschenden Zähnen und zitternd gekrallten Fingern auf Diethelm eindrang, als wollte sie ihn in Stücke zerreißen. Diethelm stand starr und regungslos bei diesem Anblicke. So hatte er sich nie gedacht, daß seine Frau werden könne. Als sie nun ihm ganz nahe war, verzerrten sich ihre Mienen zur grimmigsten Fratze; aber sie legte nicht Hand an ihn, sondern stieß nur einen unarticulirten Schrei höchster Verachtung aus und verließ die Stube.
Von jenem Tage an und gerade aus dem Ausbruch von so mächtigen Zorn- und Haßgedanken war eine seltsame und doch wieder so leicht erklärliche Einkehr in den Gemüthern der beiden Ehegatten vorgegangen. Diethelm erkannte und sprach es aus, daß er seiner Frau Unrecht gethan, da sie vollberechtigt sei, in der Verwendung ihres Besitzthums darein zu reden. Er erklärte ihr nun die Hülflosigkeit seiner Angehörigen, und wie er sich schämen müßte, selber im Ueberflusse zu leben, während seine Nächsten darbten. Auch Martha erkannte dies und daß sie ungerecht gegen ihren Mann gewesen, aber ausdrücklich bekennen konnte sie das nicht, obgleich sie oftmals auf Diethelm's Gutherzigkeit zu sprechen kam und dabei das zum Verzweifeln karge Wesen ihres verstorbenen Mannes erwähnte. Sie schickte nun selbst, so oft sich Gelegenheit gab, Allerlei nach Letzweiler, und Diethelm, nun vollkommen gedeckt, wollte allen seinen Angehörigen gründlich aushelfen. Ein wirklich ungewöhnlich mächtiger Familiensinn, dabei aber auch die Lust, frei und offen über ein großes Besitzthum zu verfügen, und vor Allem die Ehre und der Ruhm, der ihm dadurch ward, ließen ihn fast keine Grenzen mehr kennen.
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