Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

doch nicht so daheim 'rumlaufen wollen? Bei rechtschaffenen Bauersleuten ist's immer so gewesen: wenn man heim kommt, zieht man seine Werktagskleider an und legt die guten ordentlich in den Schrank. Aus dem Weg! Darfst mir nichts anrühren. Fahr in der Welt herum oder zum Teufel, wohin du magst!

Der Zorn gegen den Vater ging, wie schon so oft, auch diesmal an dem Kind aus; denn einerseits hatte Martha nicht den vollen Muth gegen ihren Mann, andererseits wußte sie, daß eine Kränkung der Fränz ihm doppelt wehe thue. Fränz wollte laut aufweinen, aber Diethelm beschwichtigte sie und sagte:

Die Mutter hat Recht, ganz Recht hat sie, aber heut ist eine Ausnahme, heut kommen noch viele Leut', und da darf man nicht so verhudelt 'rumlaufen.

Und ich? ich kann das Aschenputtel sein? frug die Mutter.

Du mußt dich auch besser anthun. Wie gefällt dir das Manteltuch? Frau, du wirst dein' Freud' haben an dem Marktgang, sagte Diethelm mit zutraulicher Stimme, während er klein Holz häckelte, eine Aufmerksamkeit, die er seit den ersten Jahren der Ehe nicht mehr gehabt hatte.

Der Hausfriede war nun nothdürftig hergestellt, und Diethelm mußte bei Tische thun, als ob er noch nirgends gespeis't habe; er würgte jeden Bissen mit Mühe hinab, und sein ganzes Heimwesen erschien ihm auf einmal so düster. Wie war's draußen in der Welt so hell und freundlich und Alles so zuvorkommend, und hier mußte er immer thun, als ob er das Gnadenbrod esse. Die freie Stimmung, die er aus der Ferne mitbrachte, war plötzlich gefängnißdumpf, und als er wieder hinabkam und seine Halbkutsche sah, meinte er, er müsse gleich wieder anspannen und fort, immer weiter; auf der kalten Herberge, im Stern, in der Post, überall war's viel besser, sonniger und luftiger.

Wagen an Wagen kamen angefahren, Heerden hielten

doch nicht so daheim 'rumlaufen wollen? Bei rechtschaffenen Bauersleuten ist's immer so gewesen: wenn man heim kommt, zieht man seine Werktagskleider an und legt die guten ordentlich in den Schrank. Aus dem Weg! Darfst mir nichts anrühren. Fahr in der Welt herum oder zum Teufel, wohin du magst!

Der Zorn gegen den Vater ging, wie schon so oft, auch diesmal an dem Kind aus; denn einerseits hatte Martha nicht den vollen Muth gegen ihren Mann, andererseits wußte sie, daß eine Kränkung der Fränz ihm doppelt wehe thue. Fränz wollte laut aufweinen, aber Diethelm beschwichtigte sie und sagte:

Die Mutter hat Recht, ganz Recht hat sie, aber heut ist eine Ausnahme, heut kommen noch viele Leut', und da darf man nicht so verhudelt 'rumlaufen.

Und ich? ich kann das Aschenputtel sein? frug die Mutter.

Du mußt dich auch besser anthun. Wie gefällt dir das Manteltuch? Frau, du wirst dein' Freud' haben an dem Marktgang, sagte Diethelm mit zutraulicher Stimme, während er klein Holz häckelte, eine Aufmerksamkeit, die er seit den ersten Jahren der Ehe nicht mehr gehabt hatte.

Der Hausfriede war nun nothdürftig hergestellt, und Diethelm mußte bei Tische thun, als ob er noch nirgends gespeis't habe; er würgte jeden Bissen mit Mühe hinab, und sein ganzes Heimwesen erschien ihm auf einmal so düster. Wie war's draußen in der Welt so hell und freundlich und Alles so zuvorkommend, und hier mußte er immer thun, als ob er das Gnadenbrod esse. Die freie Stimmung, die er aus der Ferne mitbrachte, war plötzlich gefängnißdumpf, und als er wieder hinabkam und seine Halbkutsche sah, meinte er, er müsse gleich wieder anspannen und fort, immer weiter; auf der kalten Herberge, im Stern, in der Post, überall war's viel besser, sonniger und luftiger.

Wagen an Wagen kamen angefahren, Heerden hielten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="8">
        <p><pb facs="#f0057"/>
doch nicht so daheim 'rumlaufen wollen? Bei rechtschaffenen                Bauersleuten ist's immer so gewesen: wenn man heim kommt, zieht man seine                Werktagskleider an und legt die guten ordentlich in den Schrank. Aus dem Weg! Darfst                mir nichts anrühren. Fahr in der Welt herum oder zum Teufel, wohin du magst!</p><lb/>
        <p>Der Zorn gegen den Vater ging, wie schon so oft, auch diesmal an dem Kind aus; denn                einerseits hatte Martha nicht den vollen Muth gegen ihren Mann, andererseits wußte                sie, daß eine Kränkung der Fränz ihm doppelt wehe thue. Fränz wollte laut aufweinen,                aber Diethelm beschwichtigte sie und sagte:</p><lb/>
        <p>Die Mutter hat Recht, ganz Recht hat sie, aber heut ist eine Ausnahme, heut kommen                noch viele Leut', und da darf man nicht so verhudelt 'rumlaufen.</p><lb/>
        <p>Und ich? ich kann das Aschenputtel sein? frug die Mutter.</p><lb/>
        <p>Du mußt dich auch besser anthun. Wie gefällt dir das Manteltuch? Frau, du wirst dein'                Freud' haben an dem Marktgang, sagte Diethelm mit zutraulicher Stimme, während er                klein Holz häckelte, eine Aufmerksamkeit, die er seit den ersten Jahren der Ehe nicht                mehr gehabt hatte.</p><lb/>
        <p>Der Hausfriede war nun nothdürftig hergestellt, und Diethelm mußte bei Tische thun,                als ob er noch nirgends gespeis't habe; er würgte jeden Bissen mit Mühe hinab, und                sein ganzes Heimwesen erschien ihm auf einmal so düster. Wie war's draußen in der                Welt so hell und freundlich und Alles so zuvorkommend, und hier mußte er immer thun,                als ob er das Gnadenbrod esse. Die freie Stimmung, die er aus der Ferne mitbrachte,                war plötzlich gefängnißdumpf, und als er wieder hinabkam und seine Halbkutsche sah,                meinte er, er müsse gleich wieder anspannen und fort, immer weiter; auf der kalten                Herberge, im Stern, in der Post, überall war's viel besser, sonniger und                luftiger.</p><lb/>
        <p>Wagen an Wagen kamen angefahren, Heerden hielten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] doch nicht so daheim 'rumlaufen wollen? Bei rechtschaffenen Bauersleuten ist's immer so gewesen: wenn man heim kommt, zieht man seine Werktagskleider an und legt die guten ordentlich in den Schrank. Aus dem Weg! Darfst mir nichts anrühren. Fahr in der Welt herum oder zum Teufel, wohin du magst! Der Zorn gegen den Vater ging, wie schon so oft, auch diesmal an dem Kind aus; denn einerseits hatte Martha nicht den vollen Muth gegen ihren Mann, andererseits wußte sie, daß eine Kränkung der Fränz ihm doppelt wehe thue. Fränz wollte laut aufweinen, aber Diethelm beschwichtigte sie und sagte: Die Mutter hat Recht, ganz Recht hat sie, aber heut ist eine Ausnahme, heut kommen noch viele Leut', und da darf man nicht so verhudelt 'rumlaufen. Und ich? ich kann das Aschenputtel sein? frug die Mutter. Du mußt dich auch besser anthun. Wie gefällt dir das Manteltuch? Frau, du wirst dein' Freud' haben an dem Marktgang, sagte Diethelm mit zutraulicher Stimme, während er klein Holz häckelte, eine Aufmerksamkeit, die er seit den ersten Jahren der Ehe nicht mehr gehabt hatte. Der Hausfriede war nun nothdürftig hergestellt, und Diethelm mußte bei Tische thun, als ob er noch nirgends gespeis't habe; er würgte jeden Bissen mit Mühe hinab, und sein ganzes Heimwesen erschien ihm auf einmal so düster. Wie war's draußen in der Welt so hell und freundlich und Alles so zuvorkommend, und hier mußte er immer thun, als ob er das Gnadenbrod esse. Die freie Stimmung, die er aus der Ferne mitbrachte, war plötzlich gefängnißdumpf, und als er wieder hinabkam und seine Halbkutsche sah, meinte er, er müsse gleich wieder anspannen und fort, immer weiter; auf der kalten Herberge, im Stern, in der Post, überall war's viel besser, sonniger und luftiger. Wagen an Wagen kamen angefahren, Heerden hielten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/57
Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/57>, abgerufen am 23.11.2024.