Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Unkraut wuchern, nichts Neues mehr abzugewinnen weiß, wird er entweder sich wiederholen und ewig dieselben Heirathsgeschichten mit kleinen Veränderungen auftischen, oder er fühlt sich versucht, fremde Culturpflanzen einzuführen, unbildlich gesprochen Stimmungen, Gefühle, Conflicte und Anschauungen aus anderen Kreisen in die bäuerlichen einzuschwärzen. Er lockert, ohne es selbst zu merken, die traditionelle Gebundenheit seiner Charaktere, die ihm selbst unheimlich wird, und indem er die Culturbedingungen, die das bäuerliche Leben einengen, gleichsam nur als das äußere Gewand bestehen läßt, da es doch nirgens so wahr wie hier ist, daß Kleider Leute machen, stattet er seine Figuren mit all jener Freiheit aus, zu der die Menschen nur durch überlegene Bildung und Kenntniß der Welt gelangen können. Diethelm von Buchenberg dagegen ist zugleich ein treues Culturbild im strengsten Sinne der Dorfgeschichte und ein Charakterbild von einer Schärfe und Feinheit, einem Reichthum individueller Züge, wie wir wenig Aehnliches aus höheren Kreisen der Gesellschaft besitzen. Wäre es dem Dichter möglich gewesen, neben die tiefen Schatten auch eine lichtere Gestalt zu stellen, ohne die Einheit seiner Composition zu gefährden, so würde man in diesem Werk gleichsam einen Kanon aller Dorfnovellistik haben, welcher für Höhen und Tiefen und die behagliche Mitte dieser ländlichen Welt den überall zutreffenden Maßstab gäbe. Denn auch die Fäden, die zu andern bürgerlichen Zuständen hinüberleiten, sind kunstreich eingewoben, und somit das Gefühl der Grenzen deutlich wach erhalten. In der Darstellung aber waltet ein so kräftiges Gleichmaß, eben so entfernt von tendenziöser Rhetorik wie von allzu niederländischer Breite, daß auch in dieser Hinsicht unsere Novelle als ein wahres Muster ihrer Gattung bezeichnet werden darf. Unkraut wuchern, nichts Neues mehr abzugewinnen weiß, wird er entweder sich wiederholen und ewig dieselben Heirathsgeschichten mit kleinen Veränderungen auftischen, oder er fühlt sich versucht, fremde Culturpflanzen einzuführen, unbildlich gesprochen Stimmungen, Gefühle, Conflicte und Anschauungen aus anderen Kreisen in die bäuerlichen einzuschwärzen. Er lockert, ohne es selbst zu merken, die traditionelle Gebundenheit seiner Charaktere, die ihm selbst unheimlich wird, und indem er die Culturbedingungen, die das bäuerliche Leben einengen, gleichsam nur als das äußere Gewand bestehen läßt, da es doch nirgens so wahr wie hier ist, daß Kleider Leute machen, stattet er seine Figuren mit all jener Freiheit aus, zu der die Menschen nur durch überlegene Bildung und Kenntniß der Welt gelangen können. Diethelm von Buchenberg dagegen ist zugleich ein treues Culturbild im strengsten Sinne der Dorfgeschichte und ein Charakterbild von einer Schärfe und Feinheit, einem Reichthum individueller Züge, wie wir wenig Aehnliches aus höheren Kreisen der Gesellschaft besitzen. Wäre es dem Dichter möglich gewesen, neben die tiefen Schatten auch eine lichtere Gestalt zu stellen, ohne die Einheit seiner Composition zu gefährden, so würde man in diesem Werk gleichsam einen Kanon aller Dorfnovellistik haben, welcher für Höhen und Tiefen und die behagliche Mitte dieser ländlichen Welt den überall zutreffenden Maßstab gäbe. Denn auch die Fäden, die zu andern bürgerlichen Zuständen hinüberleiten, sind kunstreich eingewoben, und somit das Gefühl der Grenzen deutlich wach erhalten. In der Darstellung aber waltet ein so kräftiges Gleichmaß, eben so entfernt von tendenziöser Rhetorik wie von allzu niederländischer Breite, daß auch in dieser Hinsicht unsere Novelle als ein wahres Muster ihrer Gattung bezeichnet werden darf. <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0006"/> Unkraut wuchern, nichts Neues mehr abzugewinnen weiß, wird er entweder sich wiederholen und ewig dieselben Heirathsgeschichten mit kleinen Veränderungen auftischen, oder er fühlt sich versucht, fremde Culturpflanzen einzuführen, unbildlich gesprochen Stimmungen, Gefühle, Conflicte und Anschauungen aus anderen Kreisen in die bäuerlichen einzuschwärzen. Er lockert, ohne es selbst zu merken, die traditionelle Gebundenheit seiner Charaktere, die ihm selbst unheimlich wird, und indem er die Culturbedingungen, die das bäuerliche Leben einengen, gleichsam nur als das äußere Gewand bestehen läßt, da es doch nirgens so wahr wie hier ist, daß Kleider Leute machen, stattet er seine Figuren mit all jener Freiheit aus, zu der die Menschen nur durch überlegene Bildung und Kenntniß der Welt gelangen können.</p><lb/> <p>Diethelm von Buchenberg dagegen ist zugleich ein treues Culturbild im strengsten Sinne der Dorfgeschichte und ein Charakterbild von einer Schärfe und Feinheit, einem Reichthum individueller Züge, wie wir wenig Aehnliches aus höheren Kreisen der Gesellschaft besitzen. 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Unkraut wuchern, nichts Neues mehr abzugewinnen weiß, wird er entweder sich wiederholen und ewig dieselben Heirathsgeschichten mit kleinen Veränderungen auftischen, oder er fühlt sich versucht, fremde Culturpflanzen einzuführen, unbildlich gesprochen Stimmungen, Gefühle, Conflicte und Anschauungen aus anderen Kreisen in die bäuerlichen einzuschwärzen. Er lockert, ohne es selbst zu merken, die traditionelle Gebundenheit seiner Charaktere, die ihm selbst unheimlich wird, und indem er die Culturbedingungen, die das bäuerliche Leben einengen, gleichsam nur als das äußere Gewand bestehen läßt, da es doch nirgens so wahr wie hier ist, daß Kleider Leute machen, stattet er seine Figuren mit all jener Freiheit aus, zu der die Menschen nur durch überlegene Bildung und Kenntniß der Welt gelangen können.
Diethelm von Buchenberg dagegen ist zugleich ein treues Culturbild im strengsten Sinne der Dorfgeschichte und ein Charakterbild von einer Schärfe und Feinheit, einem Reichthum individueller Züge, wie wir wenig Aehnliches aus höheren Kreisen der Gesellschaft besitzen. Wäre es dem Dichter möglich gewesen, neben die tiefen Schatten auch eine lichtere Gestalt zu stellen, ohne die Einheit seiner Composition zu gefährden, so würde man in diesem Werk gleichsam einen Kanon aller Dorfnovellistik haben, welcher für Höhen und Tiefen und die behagliche Mitte dieser ländlichen Welt den überall zutreffenden Maßstab gäbe. Denn auch die Fäden, die zu andern bürgerlichen Zuständen hinüberleiten, sind kunstreich eingewoben, und somit das Gefühl der Grenzen deutlich wach erhalten. In der Darstellung aber waltet ein so kräftiges Gleichmaß, eben so entfernt von tendenziöser Rhetorik wie von allzu niederländischer Breite, daß auch in dieser Hinsicht unsere Novelle als ein wahres Muster ihrer Gattung bezeichnet werden darf.
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