Allgemeine Zeitung. Nr. 4. Augsburg, 4. Januar 1840.
Auch Italien wird nur dadurch wichtig, wem seine Hegemonie zufallen wird - Oesterreich oder Frankreich. Jenes behauptet sie unter günstigeren Umständen als einst die Hohenstauffen, dieses wird aber stets am politischen Princip der Einheit mehr als der Freiheit einen mächtigen Verbündeten finden. Vielleicht wird Einheit durch Zollverträge eingeleitet. Ueber den Orient verweisen wir auf die Schrift selbst, die mit folgenden Worten schließt: "Die Theilnahme für den Principienstreit in Europa steht mit der Theilnahme für den Streit der Interessen im umgekehrten Verhältniß. Das sicherste Mittel, die eine zu schwächen, ist die andere; eine von beiden wird aber immer rege seyn. Die Discussionen über innere Politik, der Verfassungsstreit, selbst die religiösen Wirren hören auf, die Regierungen wie die Völker ausschließlich zu beschäftigen, wenn die großen Fragen des Interesses, des Kriegs und der Allianzen an der Tagesordnung sind. So wie aber die Aufmerksamkeit auf die auswärtige Politik abnimmt, zieht auch nothwendig wieder die innere alle Theilnahme auf sich, und der Principienstreit gewinnt neuen Boden. "Die Erheblichkeit dieses Bedenkens kann keiner Regierung entgehen, die von innern Wirren mehr zu fürchten als zu hoffen hat. Die Macht aber, die davon am wenigsten besorgen darf, wird vom Abwarten in der orientalischen Frage den meisten Vortheil ziehen. "Unser letztes Bedenken ist: Wenn wir gegenwärtig im Zeitalter der Transactionen leben, so wird nach dem natürlichen Lauf der Dinge doch an einem bestimmten Zeitpunkt die Methode wieder wechseln. Die jüngere Generation, an die diplomatische Vormundschaft in einem langen Frieden gewöhnt, hat kaum mehr eine Vorstellung von dem, was die ältere Generation erlebt hat; aber eben diese Verjährung, die Gleichgültigkeit gegen die Segnungen des Friedens, die Langeweile, das leichtsinnige und muthwillige Herbeiwünschen großer Ereignisse, die Unbekanntschaft mit all' den Schrecken, welche sie zu begleiten pflegen, bereiten ein neues Zeitalter der Ueberraschungen vor. Je länger es sich verzögert, jemehr die ältere, in großem Unglück geprüfte und darum dem Frieden von oben her durch die diplomatischen Transactionen, von unten her durch die materiellen Interessen geneigte Generation ausstirbt, um so mehr wird die elektrische Spannung in der Luft dieser Zeit sich steigern. Dann wird der gewinnen, der überrascht, und der verlieren, der sich überraschen läßt. Vorbedacht, Consolidirung natürlicher Allianzen, naturgemäße Förderung aller verwandten Interessen dürfte sehr empfehlenswerth seyn. Wer etwa einen Aufschwung, eine Vermehrung und eine Coalition feindlicher Mächte sich über den Kopf wachsen ließe, und dabei phlegmatisch, leichtsinnig oder allzu mißtrauisch die verwandten Interessen an sich zu ziehen und mit den natürlichen Alliirten sich zu umschanzen versäumte, oder mit einer hier oder dorthin schwankenden Politik das Vertrauen hier und dort, und überall die Zeit verlöre, würde die Versäumniß zu bereuen Gelegenheit finden. Wenn auch alle Bewegung in den Völkern erstürbe und das revolutionäre Princip je als ausgetilgt angesehen werden könnte, so würde um so gewisser die Initiative irgend einer großen neuen Bewegung von irgend einer kühnen, genialen oder wohlberechneten und der stärksten Allianz versicherten Cabinetspolitik ausgehen, denn es steht geschrieben, daß der ewige Frieden nicht hienieden, sondern nur jenseits gehofft werden darf." Wir fügen den Auszügen aus diesem vom deutschen Standpunkt ausgegangenen Werke zum Schluß die Bemerkung bei, daß die großen in der Geschichte hingestellten Wahrheiten auch in unsern Tagen nur zu oft mißkannt werden. Die Lebensfähigkeit des Staats hat ihren organischen Verlauf, und aller Balsam, mit welchem die Mumie begossen wird, ruft das Leben so wenig zurück, als eine Scheinverfassung die entschwundene Kraft. Indem wir die Größe der Schwierigkeiten vollkommen anerkennen, welche sich einer gründlichen, Allen genügenden Lösung der orientalischen Frage entgegenstellen, erlauben wir uns die Frage: Geht nicht am Glauben christlicher Völker an ihre Regierungen, an diesem kostbaren Grundstock, durch die Hinhaltung dessen, mit welchem sich der Begriff der Barbarei -- Gewaltsamkeit und Erbfeindschaft -- verbindet, mehr verloren, als dadurch gewonnen wird, daß man mit Lösung eines Knotens, welcher doch demnächst gelöst werden muß, zögert? Die öffentliche Meinung hat bereits manchen Sieg, und auf dem in Frage stehenden Boden zwar nur einen halben, dennoch aber sehr bedeutenden Sieg errungen, und wie sie die europäische Pentarchie gerichtet hat, wird sie auch hier vielleicht nicht verfehlen, den rechten Fleck zu treffen. Frankreich. Paris, 25 Dec. Unsere Boulevards bieten in dieser bewegten Zeit der Jahresrechnungen und der Neujahrsgeschenke ein äußerst anziehendes Schauspiel dar. Nichts ist glänzender, kostbarer und kostspieliger als die Art und Weise, wie jetzt die Kaufläden und Lager ausgestattet sind; ich kann aber diesen Luxus nicht bewundern, ohne an den gezwungenen Beitrag zu denken, den jeder Käufer steuert. Ich will Andern überlassen, von dem Schmuck und dem Werth der eigentlichen Waaren und Spielereien zu berichten, vergönnen Sie mir heute nur von einigen Kunstgegenständen zu sprechen, die mich auf meinem Gang in diesen letzten Tagen häufig gefesselt haben. Bei den Bilder- und Kupferstichhändlern ist ein Weiberkopf unter dem Namen Urania ausgehängt, der in Zeichnung und Stich zu den schönsten Kunstwerken gehört, die mir jemals vorgekommen sind. Sie kennen das große Frescogemälde, das der Meister von Urbino im Jahr 1511 unter dem Titel "der Paruaß" ausgeführt hat, ein ganzes Epos. Die Urania ist diesem Gemälde entlehnt. Um einen reizenden, sinnigen Weiberkopf mit erhabener, poetischer Stirne windet sich ein weißes Tuch, das die natürliche Helle des Lichts noch zu vermehren scheint. Die rückwärts gebundenen Haare fallen über die Schultern herab; der übrige Anzug ist der einer jungen Chaldäerin, schmucklos, aber durch seinen einfachen Wurf der Schönheit dienend, und im Uebrigen im Einklang mit dem anmuthigen Ernste, der auf den Zügen des Bildes ruht. Der Künstler, der den Stich nach Raphaels großer Schöpfung gefertigt, ist Forster, eine reiche Gewähr für seinen Kunstwerth. Neben diesem himmlischen Kopfe, der von göttlichem Ausdruck strahlt, erblickt man zwei andere weibliche Köpfe, die zwar im Charakter unendlich verschieden, gleichwohl aber voll Reiz sind: zwei Blumenhändlerinnen; die eine ist ein Landmädchen, bescheiden, lieblich, naiv, arm und unschuldig, von Destouches. Das Gegenstück ist von Court: eine "civilisirte" Rosenverkäuferin, wie wir sie alle hundertmal und hundertfältig in Paris, auf den Boulevards, auf den öffentlichen Spaziergängen gesehen haben. In der nämlichen Ausstellung fanden wir den "Rückzug", von Horace Vernet, in der beliebten schwarzen Manier von Jazet gestochen. Die "Retraite" ist eine kleine afrikanische Kriegsscene, wie sie dermalen jeden Tag vorkommen mögen. Ein prächtiger Beduine, den Vernet heute so wahrhaft schildert, anstatt der Grenadiere der alten Garde, die nachgerade seltener werden, zieht sich vor den ihn verfolgenden Zuaven und französischen
Auch Italien wird nur dadurch wichtig, wem seine Hegemonie zufallen wird – Oesterreich oder Frankreich. Jenes behauptet sie unter günstigeren Umständen als einst die Hohenstauffen, dieses wird aber stets am politischen Princip der Einheit mehr als der Freiheit einen mächtigen Verbündeten finden. Vielleicht wird Einheit durch Zollverträge eingeleitet. Ueber den Orient verweisen wir auf die Schrift selbst, die mit folgenden Worten schließt: „Die Theilnahme für den Principienstreit in Europa steht mit der Theilnahme für den Streit der Interessen im umgekehrten Verhältniß. Das sicherste Mittel, die eine zu schwächen, ist die andere; eine von beiden wird aber immer rege seyn. Die Discussionen über innere Politik, der Verfassungsstreit, selbst die religiösen Wirren hören auf, die Regierungen wie die Völker ausschließlich zu beschäftigen, wenn die großen Fragen des Interesses, des Kriegs und der Allianzen an der Tagesordnung sind. So wie aber die Aufmerksamkeit auf die auswärtige Politik abnimmt, zieht auch nothwendig wieder die innere alle Theilnahme auf sich, und der Principienstreit gewinnt neuen Boden. „Die Erheblichkeit dieses Bedenkens kann keiner Regierung entgehen, die von innern Wirren mehr zu fürchten als zu hoffen hat. Die Macht aber, die davon am wenigsten besorgen darf, wird vom Abwarten in der orientalischen Frage den meisten Vortheil ziehen. „Unser letztes Bedenken ist: Wenn wir gegenwärtig im Zeitalter der Transactionen leben, so wird nach dem natürlichen Lauf der Dinge doch an einem bestimmten Zeitpunkt die Methode wieder wechseln. Die jüngere Generation, an die diplomatische Vormundschaft in einem langen Frieden gewöhnt, hat kaum mehr eine Vorstellung von dem, was die ältere Generation erlebt hat; aber eben diese Verjährung, die Gleichgültigkeit gegen die Segnungen des Friedens, die Langeweile, das leichtsinnige und muthwillige Herbeiwünschen großer Ereignisse, die Unbekanntschaft mit all' den Schrecken, welche sie zu begleiten pflegen, bereiten ein neues Zeitalter der Ueberraschungen vor. Je länger es sich verzögert, jemehr die ältere, in großem Unglück geprüfte und darum dem Frieden von oben her durch die diplomatischen Transactionen, von unten her durch die materiellen Interessen geneigte Generation ausstirbt, um so mehr wird die elektrische Spannung in der Luft dieser Zeit sich steigern. Dann wird der gewinnen, der überrascht, und der verlieren, der sich überraschen läßt. Vorbedacht, Consolidirung natürlicher Allianzen, naturgemäße Förderung aller verwandten Interessen dürfte sehr empfehlenswerth seyn. Wer etwa einen Aufschwung, eine Vermehrung und eine Coalition feindlicher Mächte sich über den Kopf wachsen ließe, und dabei phlegmatisch, leichtsinnig oder allzu mißtrauisch die verwandten Interessen an sich zu ziehen und mit den natürlichen Alliirten sich zu umschanzen versäumte, oder mit einer hier oder dorthin schwankenden Politik das Vertrauen hier und dort, und überall die Zeit verlöre, würde die Versäumniß zu bereuen Gelegenheit finden. Wenn auch alle Bewegung in den Völkern erstürbe und das revolutionäre Princip je als ausgetilgt angesehen werden könnte, so würde um so gewisser die Initiative irgend einer großen neuen Bewegung von irgend einer kühnen, genialen oder wohlberechneten und der stärksten Allianz versicherten Cabinetspolitik ausgehen, denn es steht geschrieben, daß der ewige Frieden nicht hienieden, sondern nur jenseits gehofft werden darf.“ Wir fügen den Auszügen aus diesem vom deutschen Standpunkt ausgegangenen Werke zum Schluß die Bemerkung bei, daß die großen in der Geschichte hingestellten Wahrheiten auch in unsern Tagen nur zu oft mißkannt werden. Die Lebensfähigkeit des Staats hat ihren organischen Verlauf, und aller Balsam, mit welchem die Mumie begossen wird, ruft das Leben so wenig zurück, als eine Scheinverfassung die entschwundene Kraft. Indem wir die Größe der Schwierigkeiten vollkommen anerkennen, welche sich einer gründlichen, Allen genügenden Lösung der orientalischen Frage entgegenstellen, erlauben wir uns die Frage: Geht nicht am Glauben christlicher Völker an ihre Regierungen, an diesem kostbaren Grundstock, durch die Hinhaltung dessen, mit welchem sich der Begriff der Barbarei — Gewaltsamkeit und Erbfeindschaft — verbindet, mehr verloren, als dadurch gewonnen wird, daß man mit Lösung eines Knotens, welcher doch demnächst gelöst werden muß, zögert? Die öffentliche Meinung hat bereits manchen Sieg, und auf dem in Frage stehenden Boden zwar nur einen halben, dennoch aber sehr bedeutenden Sieg errungen, und wie sie die europäische Pentarchie gerichtet hat, wird sie auch hier vielleicht nicht verfehlen, den rechten Fleck zu treffen. Frankreich. Paris, 25 Dec. Unsere Boulevards bieten in dieser bewegten Zeit der Jahresrechnungen und der Neujahrsgeschenke ein äußerst anziehendes Schauspiel dar. Nichts ist glänzender, kostbarer und kostspieliger als die Art und Weise, wie jetzt die Kaufläden und Lager ausgestattet sind; ich kann aber diesen Luxus nicht bewundern, ohne an den gezwungenen Beitrag zu denken, den jeder Käufer steuert. Ich will Andern überlassen, von dem Schmuck und dem Werth der eigentlichen Waaren und Spielereien zu berichten, vergönnen Sie mir heute nur von einigen Kunstgegenständen zu sprechen, die mich auf meinem Gang in diesen letzten Tagen häufig gefesselt haben. Bei den Bilder- und Kupferstichhändlern ist ein Weiberkopf unter dem Namen Urania ausgehängt, der in Zeichnung und Stich zu den schönsten Kunstwerken gehört, die mir jemals vorgekommen sind. Sie kennen das große Frescogemälde, das der Meister von Urbino im Jahr 1511 unter dem Titel „der Paruaß“ ausgeführt hat, ein ganzes Epos. Die Urania ist diesem Gemälde entlehnt. Um einen reizenden, sinnigen Weiberkopf mit erhabener, poetischer Stirne windet sich ein weißes Tuch, das die natürliche Helle des Lichts noch zu vermehren scheint. Die rückwärts gebundenen Haare fallen über die Schultern herab; der übrige Anzug ist der einer jungen Chaldäerin, schmucklos, aber durch seinen einfachen Wurf der Schönheit dienend, und im Uebrigen im Einklang mit dem anmuthigen Ernste, der auf den Zügen des Bildes ruht. Der Künstler, der den Stich nach Raphaels großer Schöpfung gefertigt, ist Forster, eine reiche Gewähr für seinen Kunstwerth. Neben diesem himmlischen Kopfe, der von göttlichem Ausdruck strahlt, erblickt man zwei andere weibliche Köpfe, die zwar im Charakter unendlich verschieden, gleichwohl aber voll Reiz sind: zwei Blumenhändlerinnen; die eine ist ein Landmädchen, bescheiden, lieblich, naiv, arm und unschuldig, von Destouches. Das Gegenstück ist von Court: eine „civilisirte“ Rosenverkäuferin, wie wir sie alle hundertmal und hundertfältig in Paris, auf den Boulevards, auf den öffentlichen Spaziergängen gesehen haben. In der nämlichen Ausstellung fanden wir den „Rückzug“, von Horace Vernet, in der beliebten schwarzen Manier von Jazet gestochen. Die „Retraite“ ist eine kleine afrikanische Kriegsscene, wie sie dermalen jeden Tag vorkommen mögen. Ein prächtiger Beduine, den Vernet heute so wahrhaft schildert, anstatt der Grenadiere der alten Garde, die nachgerade seltener werden, zieht sich vor den ihn verfolgenden Zuaven und französischen <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="0027"/><lb/> jeder fremden Macht Einfluß ertheilen, aber keiner erhalten wird.</p><lb/> <p>Auch <hi rendition="#g">Italien</hi> wird nur dadurch wichtig, wem seine Hegemonie zufallen wird – Oesterreich oder Frankreich. 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Die jüngere Generation, an die diplomatische Vormundschaft in einem langen Frieden gewöhnt, hat kaum mehr eine Vorstellung von dem, was die ältere Generation erlebt hat; aber eben diese Verjährung, die Gleichgültigkeit gegen die Segnungen des Friedens, die Langeweile, das leichtsinnige und muthwillige Herbeiwünschen großer Ereignisse, die Unbekanntschaft mit all' den Schrecken, welche sie zu begleiten pflegen, bereiten ein neues Zeitalter der Ueberraschungen vor. Je länger es sich verzögert, jemehr die ältere, in großem Unglück geprüfte und darum dem Frieden von oben her durch die diplomatischen Transactionen, von unten her durch die materiellen Interessen geneigte Generation ausstirbt, um so mehr wird die elektrische Spannung in der Luft dieser Zeit sich steigern. Dann wird der gewinnen, der überrascht, und der verlieren, der sich überraschen läßt. Vorbedacht, Consolidirung natürlicher Allianzen, naturgemäße Förderung aller verwandten Interessen dürfte sehr empfehlenswerth seyn. Wer etwa einen Aufschwung, eine Vermehrung und eine Coalition feindlicher Mächte sich über den Kopf wachsen ließe, und dabei phlegmatisch, leichtsinnig oder allzu mißtrauisch die verwandten Interessen an sich zu ziehen und mit den natürlichen Alliirten sich zu umschanzen versäumte, oder mit einer hier oder dorthin schwankenden Politik das Vertrauen hier und dort, und überall die Zeit verlöre, würde die Versäumniß zu bereuen Gelegenheit finden. Wenn auch alle Bewegung in den Völkern erstürbe und das revolutionäre Princip je als ausgetilgt angesehen werden könnte, so würde um so gewisser die Initiative irgend einer großen neuen Bewegung von irgend einer kühnen, genialen oder wohlberechneten und der stärksten Allianz versicherten Cabinetspolitik ausgehen, denn es steht geschrieben, daß der ewige Frieden nicht hienieden, sondern nur jenseits gehofft werden darf.“</p><lb/> <p>Wir fügen den Auszügen aus diesem vom deutschen Standpunkt ausgegangenen Werke zum Schluß die Bemerkung bei, daß die großen in der Geschichte hingestellten Wahrheiten auch in unsern Tagen nur zu oft mißkannt werden. Die Lebensfähigkeit des Staats hat ihren organischen Verlauf, und aller Balsam, mit welchem die Mumie begossen wird, ruft das Leben so wenig zurück, als eine Scheinverfassung die entschwundene Kraft. Indem wir die Größe der Schwierigkeiten vollkommen anerkennen, welche sich einer gründlichen, Allen genügenden Lösung der orientalischen Frage entgegenstellen, erlauben wir uns die Frage: Geht nicht am Glauben christlicher Völker an ihre Regierungen, an diesem kostbaren Grundstock, durch die Hinhaltung dessen, mit welchem sich der Begriff der Barbarei — Gewaltsamkeit und Erbfeindschaft — verbindet, mehr verloren, als dadurch gewonnen wird, daß man mit Lösung eines Knotens, welcher doch demnächst gelöst werden muß, zögert? 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Ich will Andern überlassen, von dem Schmuck und dem Werth der eigentlichen Waaren und Spielereien zu berichten, vergönnen Sie mir heute nur von einigen Kunstgegenständen zu sprechen, die mich auf meinem Gang in diesen letzten Tagen häufig gefesselt haben. Bei den Bilder- und Kupferstichhändlern ist ein Weiberkopf unter dem Namen Urania ausgehängt, der in Zeichnung und Stich zu den schönsten Kunstwerken gehört, die mir jemals vorgekommen sind. Sie kennen das große Frescogemälde, das der Meister von Urbino im Jahr 1511 unter dem Titel „der Paruaß“ ausgeführt hat, ein ganzes Epos. Die Urania ist diesem Gemälde entlehnt. Um einen reizenden, sinnigen Weiberkopf mit erhabener, poetischer Stirne windet sich ein weißes Tuch, das die natürliche Helle des Lichts noch zu vermehren scheint. Die rückwärts gebundenen Haare fallen über die Schultern herab; der übrige Anzug ist der einer jungen Chaldäerin, schmucklos, aber durch seinen einfachen Wurf der Schönheit dienend, und im Uebrigen im Einklang mit dem anmuthigen Ernste, der auf den Zügen des Bildes ruht. Der Künstler, der den Stich nach Raphaels großer Schöpfung gefertigt, ist Forster, eine reiche Gewähr für seinen Kunstwerth. Neben diesem himmlischen Kopfe, der von göttlichem Ausdruck strahlt, erblickt man zwei andere weibliche Köpfe, die zwar im Charakter unendlich verschieden, gleichwohl aber voll Reiz sind: zwei Blumenhändlerinnen; die eine ist ein Landmädchen, bescheiden, lieblich, naiv, arm und unschuldig, von Destouches. Das Gegenstück ist von Court: eine „civilisirte“ Rosenverkäuferin, wie wir sie alle hundertmal und hundertfältig in Paris, auf den Boulevards, auf den öffentlichen Spaziergängen gesehen haben. In der nämlichen Ausstellung fanden wir den „Rückzug“, von Horace Vernet, in der beliebten schwarzen Manier von Jazet gestochen. Die „Retraite“ ist eine kleine afrikanische Kriegsscene, wie sie dermalen jeden Tag vorkommen mögen. Ein prächtiger Beduine, den Vernet heute so wahrhaft schildert, anstatt der Grenadiere der alten Garde, die nachgerade seltener werden, zieht sich vor den ihn verfolgenden Zuaven und französischen<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0027/0010]
jeder fremden Macht Einfluß ertheilen, aber keiner erhalten wird.
Auch Italien wird nur dadurch wichtig, wem seine Hegemonie zufallen wird – Oesterreich oder Frankreich. Jenes behauptet sie unter günstigeren Umständen als einst die Hohenstauffen, dieses wird aber stets am politischen Princip der Einheit mehr als der Freiheit einen mächtigen Verbündeten finden. Vielleicht wird Einheit durch Zollverträge eingeleitet.
Ueber den Orient verweisen wir auf die Schrift selbst, die mit folgenden Worten schließt:
„Die Theilnahme für den Principienstreit in Europa steht mit der Theilnahme für den Streit der Interessen im umgekehrten Verhältniß. Das sicherste Mittel, die eine zu schwächen, ist die andere; eine von beiden wird aber immer rege seyn. Die Discussionen über innere Politik, der Verfassungsstreit, selbst die religiösen Wirren hören auf, die Regierungen wie die Völker ausschließlich zu beschäftigen, wenn die großen Fragen des Interesses, des Kriegs und der Allianzen an der Tagesordnung sind. So wie aber die Aufmerksamkeit auf die auswärtige Politik abnimmt, zieht auch nothwendig wieder die innere alle Theilnahme auf sich, und der Principienstreit gewinnt neuen Boden.
„Die Erheblichkeit dieses Bedenkens kann keiner Regierung entgehen, die von innern Wirren mehr zu fürchten als zu hoffen hat. Die Macht aber, die davon am wenigsten besorgen darf, wird vom Abwarten in der orientalischen Frage den meisten Vortheil ziehen.
„Unser letztes Bedenken ist: Wenn wir gegenwärtig im Zeitalter der Transactionen leben, so wird nach dem natürlichen Lauf der Dinge doch an einem bestimmten Zeitpunkt die Methode wieder wechseln. Die jüngere Generation, an die diplomatische Vormundschaft in einem langen Frieden gewöhnt, hat kaum mehr eine Vorstellung von dem, was die ältere Generation erlebt hat; aber eben diese Verjährung, die Gleichgültigkeit gegen die Segnungen des Friedens, die Langeweile, das leichtsinnige und muthwillige Herbeiwünschen großer Ereignisse, die Unbekanntschaft mit all' den Schrecken, welche sie zu begleiten pflegen, bereiten ein neues Zeitalter der Ueberraschungen vor. Je länger es sich verzögert, jemehr die ältere, in großem Unglück geprüfte und darum dem Frieden von oben her durch die diplomatischen Transactionen, von unten her durch die materiellen Interessen geneigte Generation ausstirbt, um so mehr wird die elektrische Spannung in der Luft dieser Zeit sich steigern. Dann wird der gewinnen, der überrascht, und der verlieren, der sich überraschen läßt. Vorbedacht, Consolidirung natürlicher Allianzen, naturgemäße Förderung aller verwandten Interessen dürfte sehr empfehlenswerth seyn. Wer etwa einen Aufschwung, eine Vermehrung und eine Coalition feindlicher Mächte sich über den Kopf wachsen ließe, und dabei phlegmatisch, leichtsinnig oder allzu mißtrauisch die verwandten Interessen an sich zu ziehen und mit den natürlichen Alliirten sich zu umschanzen versäumte, oder mit einer hier oder dorthin schwankenden Politik das Vertrauen hier und dort, und überall die Zeit verlöre, würde die Versäumniß zu bereuen Gelegenheit finden. Wenn auch alle Bewegung in den Völkern erstürbe und das revolutionäre Princip je als ausgetilgt angesehen werden könnte, so würde um so gewisser die Initiative irgend einer großen neuen Bewegung von irgend einer kühnen, genialen oder wohlberechneten und der stärksten Allianz versicherten Cabinetspolitik ausgehen, denn es steht geschrieben, daß der ewige Frieden nicht hienieden, sondern nur jenseits gehofft werden darf.“
Wir fügen den Auszügen aus diesem vom deutschen Standpunkt ausgegangenen Werke zum Schluß die Bemerkung bei, daß die großen in der Geschichte hingestellten Wahrheiten auch in unsern Tagen nur zu oft mißkannt werden. Die Lebensfähigkeit des Staats hat ihren organischen Verlauf, und aller Balsam, mit welchem die Mumie begossen wird, ruft das Leben so wenig zurück, als eine Scheinverfassung die entschwundene Kraft. Indem wir die Größe der Schwierigkeiten vollkommen anerkennen, welche sich einer gründlichen, Allen genügenden Lösung der orientalischen Frage entgegenstellen, erlauben wir uns die Frage: Geht nicht am Glauben christlicher Völker an ihre Regierungen, an diesem kostbaren Grundstock, durch die Hinhaltung dessen, mit welchem sich der Begriff der Barbarei — Gewaltsamkeit und Erbfeindschaft — verbindet, mehr verloren, als dadurch gewonnen wird, daß man mit Lösung eines Knotens, welcher doch demnächst gelöst werden muß, zögert? Die öffentliche Meinung hat bereits manchen Sieg, und auf dem in Frage stehenden Boden zwar nur einen halben, dennoch aber sehr bedeutenden Sieg errungen, und wie sie die europäische Pentarchie gerichtet hat, wird sie auch hier vielleicht nicht verfehlen, den rechten Fleck zu treffen.
Frankreich.
= Paris, 25 Dec. Unsere Boulevards bieten in dieser bewegten Zeit der Jahresrechnungen und der Neujahrsgeschenke ein äußerst anziehendes Schauspiel dar. Nichts ist glänzender, kostbarer und kostspieliger als die Art und Weise, wie jetzt die Kaufläden und Lager ausgestattet sind; ich kann aber diesen Luxus nicht bewundern, ohne an den gezwungenen Beitrag zu denken, den jeder Käufer steuert. Ich will Andern überlassen, von dem Schmuck und dem Werth der eigentlichen Waaren und Spielereien zu berichten, vergönnen Sie mir heute nur von einigen Kunstgegenständen zu sprechen, die mich auf meinem Gang in diesen letzten Tagen häufig gefesselt haben. Bei den Bilder- und Kupferstichhändlern ist ein Weiberkopf unter dem Namen Urania ausgehängt, der in Zeichnung und Stich zu den schönsten Kunstwerken gehört, die mir jemals vorgekommen sind. Sie kennen das große Frescogemälde, das der Meister von Urbino im Jahr 1511 unter dem Titel „der Paruaß“ ausgeführt hat, ein ganzes Epos. Die Urania ist diesem Gemälde entlehnt. Um einen reizenden, sinnigen Weiberkopf mit erhabener, poetischer Stirne windet sich ein weißes Tuch, das die natürliche Helle des Lichts noch zu vermehren scheint. Die rückwärts gebundenen Haare fallen über die Schultern herab; der übrige Anzug ist der einer jungen Chaldäerin, schmucklos, aber durch seinen einfachen Wurf der Schönheit dienend, und im Uebrigen im Einklang mit dem anmuthigen Ernste, der auf den Zügen des Bildes ruht. Der Künstler, der den Stich nach Raphaels großer Schöpfung gefertigt, ist Forster, eine reiche Gewähr für seinen Kunstwerth. Neben diesem himmlischen Kopfe, der von göttlichem Ausdruck strahlt, erblickt man zwei andere weibliche Köpfe, die zwar im Charakter unendlich verschieden, gleichwohl aber voll Reiz sind: zwei Blumenhändlerinnen; die eine ist ein Landmädchen, bescheiden, lieblich, naiv, arm und unschuldig, von Destouches. Das Gegenstück ist von Court: eine „civilisirte“ Rosenverkäuferin, wie wir sie alle hundertmal und hundertfältig in Paris, auf den Boulevards, auf den öffentlichen Spaziergängen gesehen haben. In der nämlichen Ausstellung fanden wir den „Rückzug“, von Horace Vernet, in der beliebten schwarzen Manier von Jazet gestochen. Die „Retraite“ ist eine kleine afrikanische Kriegsscene, wie sie dermalen jeden Tag vorkommen mögen. Ein prächtiger Beduine, den Vernet heute so wahrhaft schildert, anstatt der Grenadiere der alten Garde, die nachgerade seltener werden, zieht sich vor den ihn verfolgenden Zuaven und französischen
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