Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Augsburg, 7. Januar 1840.Die Hadschuten. Auf dem Küstengebirge zwischen Algier und Scherschel steht ein einsames Monument in Pyramidenform von bedeutendem Umfang und neunzig Fuß Höhe. Die Araber nennen es Kubbar-el-Rummiah, d. h. "Grabmal der Christin", und erzählen darüber vielerlei wunderliche Sagen. Der Staub einer edeln christlichen Fürstin soll unter der dunkeln Granitmasse ruhen, neben dem Sarg auch von schimmerndem Gold und Silber ein unermeßlicher Schatz, den, wie die Marabuts erklären, nur ein Christ heben kann. Vor einigen Jahrhunderten ließ ein Dey dort Nachgrabungen veranstalten, deren Spuren man noch jetzt sieht. Die Araber der Gegend aber erzählen: gleich bei den ersten Hammerschlägen der Arbeiter sey auf der Höhe der Pyramide ein gespenstiges Weib erschienen und habe mit dem Schrei "Alula! Alula! Rette deine Schätze!" furchtbare Bundesgenossen herbeigerufen. Gestachelte Fliegen, so groß wie Ratten, von gräulichem Ansehen, entstiegen dem schwarzen Sumpfgewässer des nahen Sees Alula und zwangen die Schatzgräber durch ihre Stiche zur eiligen Flucht. Seitdem sind alle Versuche, das Monument zu erbrechen, vergeblich gewesen. Einige Archäologen halten das Kabbar-el-Rummiah für das Grabmal der numidischen Könige, andere für das Monument, welches, Marmol zufolge, der Spanierin Cava in jener Gegend errichtet worden. Das Kubbar-el-Rummiah zeigt übrigens keine Inschrift, die über seinen Ursprung irgend eine Andeutung gäbe, und aus seinen wunderlichen Formen läßt sich seine frühere Bestimmung nicht errathen. In einsamer Wildniß, ohne Ruinenreste in seiner Nähe, ragt dieses räthselhafte Vermächtniß einer räthselvollen Zeit über die weite Gegend und spiegelt seine Steinmasse südlich im See Alula, auf der Nordseite in den anrollenden Wogen des Mittelmeers. Um das Kubbar-el-Rummiah herum liegen die meisten Duars der Hadschuten, welche übrigens das ganze große Gebiet von dem linken Ufer der Chiffa bis in die Umgegend von Scherschel zu ihren Weideplätzen und ihrem Feldbau benützen. Dem Seefahrer ist jene steinerne Pyramide ein Warnungszeichen, daß er zur Zeit der Stürme sich weit von dieser Küste halte, wo ihm im Fall eines Schiffsbruchs nur ein grausamer Tod von Barbarenhänden erwartet. Die Hadschuten, dieser berüchtigtste Räuber- und Mörderstamm der Regentschaft Algier, sind arabischen Ursprungs und in Sitten, Sprache und Sinnesart ihren kriegerischen Altvordern aus dem Osten treu geblieben. Sie lieben im Gegensatz zu den übrigen Stämmen der Metidscha den Wechsel ihrer Wohnplätze und die Nomadengewohnheiten, bewegen sich aber nur in einem gewissen Bezirke, wo die Natur ihnen so viele Vertheidigungsmittel und Schlupfwinkel gegeben hat. El-Hadschut ist ihr arabischer Stammname, sonst ohne besondere Bedeutung. Der Uthan oder das Stammgebiet, welches sie bewohnen, heißt El-Sebt. Sie bezahlten dem Dey ihren Tribut mit den Waffen, das heißt, sie waren unter den Reitern des Aga's eingeschrieben, und als solche verpflichtet, jedem Ruf ins Feld pünktliche Folge zu leisten, sonst aber blieben sie von jeder Geldabgabe befreit. War irgend eine Expedition gegen einen rebellischen Stamm zu unternehmen, so eilte der Aga mit einigen Türken nach der Ebene, versammelte seine arabischen Reiter, namentlich die trefflich berittenen Hadschuten, und überfiel mit diesem Kriegshaufen die Duars derjenigen Stämme, welche den Tribut zu bezahlen sich weigerten oder dem Dey sonst Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben hatten. Nie griffen die andern Araberstämme, deren Gebiet der Aga durchzog, für ihre bedrohten Brüder zu den Waffen. Die gegenseitige Eifersucht der Scheikhs und Kaids sah mit Freuden die Demüthigung des Nachbarstammes, und die Türken hatten ein leichtes Spiel, während bei den heutigen Expeditionen in das Innere alles flüchtet und zu den Waffen greift. Seit der Einnahme Algiers durch die Franzosen haben die Hadschuten den Siegern gegenüber stets eine feindselige Haltung behauptet, und nur ein einzigesmal, unter der Verwaltung des Generals Voirol, stellte ein förmlicher Friede mit ihnen auf eine kurze Zeit die Ruhe in der Ebene Metidscha her. Nach dem Schluß des Vertrags an der Tafna befahl Abd-El-Kader den Hadschuten, die seine Autorität anerkannten, die französischen Niederlassungen nicht mehr zu beunruhigen. Diese gehorchten einige Monate; bald aber drückte sie das Verbot, und sie begannen wieder von Zeit zu Zeit einige Raubzüge, welche der Emir, damals vor Ain-Maadi zurückgehalten, ungestraft ließ. Fast bei jedem Gefecht zwischen den Franzosen und den Eingebornen standen die Hadschuten an der Spitze der letztern. Ihre flüchtige Reiterei wechselte mit den französischen Tirailleurs immer die ersten Schüsse, und ihre Scheikhs führten bei den Berathungen der Stammhäuptlinge das erste Wort. Als der Marschall Bourmont nach der Eroberung Algiers einen Ausflug nach Belida unternahm, traf er zum erstenmal auf die Hadschuten, welche seine Colonne auf dem Rückmarsch tiraillirend bis unter die Mauern von Algier begleiteten. Marschall Clauzel fand, als er nach Medeah zog, die Hadschuten bei Buffarik gelagert. Er trieb sie ohne Mühe vor sich her, aber ein Detaschement von 60 Kanonieren, welche man unklugerweise ohne Cavalleriebedeckung nach der ferme modele abschickte, wurde von den Hadschuten und andern Arabern bis auf den letzten Mann zusammengehauen. Das Schreckenssystem des Herzogs von Rovigo, Clauzels Nachfolger, die Hinrichtung der Scheikhs Mesaud und El-Aribi erbitterte die Hadschuten nur, statt sie zu ängstigen, und gräuliche Repressalien wurden von ihnen an den unglücklichen Europäern verübt, welche einzeln auf den Vorposten in ihre Hände fielen. Dieser einzige Stamm, der damals noch kaum 600 Reiter ins Feld zu stellen vermochte, verbreitete den französischen Heeren gegenüber einen solchen Schrecken unter den andern friedlichen Araberstämmen der Metidscha, daß diese bald schwankend wurden, ob es nicht vortheilhafter für sie sey, sich, statt des Bündnisses mit den Franzosen, unter die Protection der Hadschuten zu stellen, deren Ueberfälle sie mehr fürchteten, als die Drohungen des Gouverneurs in Algier. Der Uthan Beni-Khalil, der wichtigste der Umgegend, wurde zuerst erschüttert. Die Araber dieses Bezirks ließen ihren von den Franzosen eingesetzten Kaid Buscid-ben-Chaua am 9 Sept. 1833 auf dem Markt bei Buffarik von den Hadschuten ermorden, ohne ihn zu vertheidigen. Acht Monate nach diesem Vorfall wurde endlich eine ernste Expedition gegen den Räuberstamm unternommen. General Bro überschritt am 18 Mai 1834 mit einer Colonne die Chiffa und erbeutete im Wald Khorasa, wohin die Hadschuten sich mit ihrem Eigenthum geflüchtet hatten, zahlreiche Heerden, welche jene seit Jahren ihren arabischen Nachbarn gestohlen hatten. Tags darauf sandten die Hadschuten einen Unterhändler an den General Bro, versprachen ihre Unterwerfung und erkannten den von den Franzosen ernannten Kuider-ben-Rebeha, Die Hadschuten. Auf dem Küstengebirge zwischen Algier und Scherschel steht ein einsames Monument in Pyramidenform von bedeutendem Umfang und neunzig Fuß Höhe. Die Araber nennen es Kubbar-el-Rummiah, d. h. „Grabmal der Christin“, und erzählen darüber vielerlei wunderliche Sagen. Der Staub einer edeln christlichen Fürstin soll unter der dunkeln Granitmasse ruhen, neben dem Sarg auch von schimmerndem Gold und Silber ein unermeßlicher Schatz, den, wie die Marabuts erklären, nur ein Christ heben kann. Vor einigen Jahrhunderten ließ ein Dey dort Nachgrabungen veranstalten, deren Spuren man noch jetzt sieht. Die Araber der Gegend aber erzählen: gleich bei den ersten Hammerschlägen der Arbeiter sey auf der Höhe der Pyramide ein gespenstiges Weib erschienen und habe mit dem Schrei „Alula! Alula! Rette deine Schätze!“ furchtbare Bundesgenossen herbeigerufen. Gestachelte Fliegen, so groß wie Ratten, von gräulichem Ansehen, entstiegen dem schwarzen Sumpfgewässer des nahen Sees Alula und zwangen die Schatzgräber durch ihre Stiche zur eiligen Flucht. Seitdem sind alle Versuche, das Monument zu erbrechen, vergeblich gewesen. Einige Archäologen halten das Kabbar-el-Rummiah für das Grabmal der numidischen Könige, andere für das Monument, welches, Marmol zufolge, der Spanierin Cava in jener Gegend errichtet worden. Das Kubbar-el-Rummiah zeigt übrigens keine Inschrift, die über seinen Ursprung irgend eine Andeutung gäbe, und aus seinen wunderlichen Formen läßt sich seine frühere Bestimmung nicht errathen. In einsamer Wildniß, ohne Ruinenreste in seiner Nähe, ragt dieses räthselhafte Vermächtniß einer räthselvollen Zeit über die weite Gegend und spiegelt seine Steinmasse südlich im See Alula, auf der Nordseite in den anrollenden Wogen des Mittelmeers. Um das Kubbar-el-Rummiah herum liegen die meisten Duars der Hadschuten, welche übrigens das ganze große Gebiet von dem linken Ufer der Chiffa bis in die Umgegend von Scherschel zu ihren Weideplätzen und ihrem Feldbau benützen. Dem Seefahrer ist jene steinerne Pyramide ein Warnungszeichen, daß er zur Zeit der Stürme sich weit von dieser Küste halte, wo ihm im Fall eines Schiffsbruchs nur ein grausamer Tod von Barbarenhänden erwartet. Die Hadschuten, dieser berüchtigtste Räuber- und Mörderstamm der Regentschaft Algier, sind arabischen Ursprungs und in Sitten, Sprache und Sinnesart ihren kriegerischen Altvordern aus dem Osten treu geblieben. Sie lieben im Gegensatz zu den übrigen Stämmen der Metidscha den Wechsel ihrer Wohnplätze und die Nomadengewohnheiten, bewegen sich aber nur in einem gewissen Bezirke, wo die Natur ihnen so viele Vertheidigungsmittel und Schlupfwinkel gegeben hat. El-Hadschut ist ihr arabischer Stammname, sonst ohne besondere Bedeutung. Der Uthan oder das Stammgebiet, welches sie bewohnen, heißt El-Sebt. Sie bezahlten dem Dey ihren Tribut mit den Waffen, das heißt, sie waren unter den Reitern des Aga's eingeschrieben, und als solche verpflichtet, jedem Ruf ins Feld pünktliche Folge zu leisten, sonst aber blieben sie von jeder Geldabgabe befreit. War irgend eine Expedition gegen einen rebellischen Stamm zu unternehmen, so eilte der Aga mit einigen Türken nach der Ebene, versammelte seine arabischen Reiter, namentlich die trefflich berittenen Hadschuten, und überfiel mit diesem Kriegshaufen die Duars derjenigen Stämme, welche den Tribut zu bezahlen sich weigerten oder dem Dey sonst Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben hatten. Nie griffen die andern Araberstämme, deren Gebiet der Aga durchzog, für ihre bedrohten Brüder zu den Waffen. Die gegenseitige Eifersucht der Scheikhs und Kaids sah mit Freuden die Demüthigung des Nachbarstammes, und die Türken hatten ein leichtes Spiel, während bei den heutigen Expeditionen in das Innere alles flüchtet und zu den Waffen greift. Seit der Einnahme Algiers durch die Franzosen haben die Hadschuten den Siegern gegenüber stets eine feindselige Haltung behauptet, und nur ein einzigesmal, unter der Verwaltung des Generals Voirol, stellte ein förmlicher Friede mit ihnen auf eine kurze Zeit die Ruhe in der Ebene Metidscha her. Nach dem Schluß des Vertrags an der Tafna befahl Abd-El-Kader den Hadschuten, die seine Autorität anerkannten, die französischen Niederlassungen nicht mehr zu beunruhigen. Diese gehorchten einige Monate; bald aber drückte sie das Verbot, und sie begannen wieder von Zeit zu Zeit einige Raubzüge, welche der Emir, damals vor Ain-Maadi zurückgehalten, ungestraft ließ. Fast bei jedem Gefecht zwischen den Franzosen und den Eingebornen standen die Hadschuten an der Spitze der letztern. Ihre flüchtige Reiterei wechselte mit den französischen Tirailleurs immer die ersten Schüsse, und ihre Scheikhs führten bei den Berathungen der Stammhäuptlinge das erste Wort. Als der Marschall Bourmont nach der Eroberung Algiers einen Ausflug nach Belida unternahm, traf er zum erstenmal auf die Hadschuten, welche seine Colonne auf dem Rückmarsch tiraillirend bis unter die Mauern von Algier begleiteten. Marschall Clauzel fand, als er nach Medeah zog, die Hadschuten bei Buffarik gelagert. Er trieb sie ohne Mühe vor sich her, aber ein Detaschement von 60 Kanonieren, welche man unklugerweise ohne Cavalleriebedeckung nach der ferme modèle abschickte, wurde von den Hadschuten und andern Arabern bis auf den letzten Mann zusammengehauen. Das Schreckenssystem des Herzogs von Rovigo, Clauzels Nachfolger, die Hinrichtung der Scheikhs Mesaud und El-Aribi erbitterte die Hadschuten nur, statt sie zu ängstigen, und gräuliche Repressalien wurden von ihnen an den unglücklichen Europäern verübt, welche einzeln auf den Vorposten in ihre Hände fielen. Dieser einzige Stamm, der damals noch kaum 600 Reiter ins Feld zu stellen vermochte, verbreitete den französischen Heeren gegenüber einen solchen Schrecken unter den andern friedlichen Araberstämmen der Metidscha, daß diese bald schwankend wurden, ob es nicht vortheilhafter für sie sey, sich, statt des Bündnisses mit den Franzosen, unter die Protection der Hadschuten zu stellen, deren Ueberfälle sie mehr fürchteten, als die Drohungen des Gouverneurs in Algier. Der Uthan Beni-Khalil, der wichtigste der Umgegend, wurde zuerst erschüttert. Die Araber dieses Bezirks ließen ihren von den Franzosen eingesetzten Kaid Buscid-ben-Chaua am 9 Sept. 1833 auf dem Markt bei Buffarik von den Hadschuten ermorden, ohne ihn zu vertheidigen. Acht Monate nach diesem Vorfall wurde endlich eine ernste Expedition gegen den Räuberstamm unternommen. General Brò überschritt am 18 Mai 1834 mit einer Colonne die Chiffa und erbeutete im Wald Khorasa, wohin die Hadschuten sich mit ihrem Eigenthum geflüchtet hatten, zahlreiche Heerden, welche jene seit Jahren ihren arabischen Nachbarn gestohlen hatten. Tags darauf sandten die Hadschuten einen Unterhändler an den General Brò, versprachen ihre Unterwerfung und erkannten den von den Franzosen ernannten Kuider-ben-Rebeha, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0009" n="0049"/> </div> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Hadschuten</hi>.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <p>Auf dem Küstengebirge zwischen Algier und Scherschel steht ein einsames Monument in Pyramidenform von bedeutendem Umfang und neunzig Fuß Höhe. Die Araber nennen es Kubbar-el-Rummiah, d. h. „Grabmal der Christin“, und erzählen darüber vielerlei wunderliche Sagen. Der Staub einer edeln christlichen Fürstin soll unter der dunkeln Granitmasse ruhen, neben dem Sarg auch von schimmerndem Gold und Silber ein unermeßlicher Schatz, den, wie die Marabuts erklären, nur ein Christ heben kann. Vor einigen Jahrhunderten ließ ein Dey dort Nachgrabungen veranstalten, deren Spuren man noch jetzt sieht. Die Araber der Gegend aber erzählen: gleich bei den ersten Hammerschlägen der Arbeiter sey auf der Höhe der Pyramide ein gespenstiges Weib erschienen und habe mit dem Schrei „Alula! Alula! Rette deine Schätze!“ furchtbare Bundesgenossen herbeigerufen. Gestachelte Fliegen, so groß wie Ratten, von gräulichem Ansehen, entstiegen dem schwarzen Sumpfgewässer des nahen Sees Alula und zwangen die Schatzgräber durch ihre Stiche zur eiligen Flucht. Seitdem sind alle Versuche, das Monument zu erbrechen, vergeblich gewesen. Einige Archäologen halten das Kabbar-el-Rummiah für das Grabmal der numidischen Könige, andere für das Monument, welches, Marmol zufolge, der Spanierin Cava in jener Gegend errichtet worden. Das Kubbar-el-Rummiah zeigt übrigens keine Inschrift, die über seinen Ursprung irgend eine Andeutung gäbe, und aus seinen wunderlichen Formen läßt sich seine frühere Bestimmung nicht errathen. In einsamer Wildniß, ohne Ruinenreste in seiner Nähe, ragt dieses räthselhafte Vermächtniß einer räthselvollen Zeit über die weite Gegend und spiegelt seine Steinmasse südlich im See Alula, auf der Nordseite in den anrollenden Wogen des Mittelmeers.</p><lb/> <p>Um das Kubbar-el-Rummiah herum liegen die meisten Duars der Hadschuten, welche übrigens das ganze große Gebiet von dem linken Ufer der Chiffa bis in die Umgegend von Scherschel zu ihren Weideplätzen und ihrem Feldbau benützen. Dem Seefahrer ist jene steinerne Pyramide ein Warnungszeichen, daß er zur Zeit der Stürme sich weit von dieser Küste halte, wo ihm im Fall eines Schiffsbruchs nur ein grausamer Tod von Barbarenhänden erwartet. Die Hadschuten, dieser berüchtigtste Räuber- und Mörderstamm der Regentschaft Algier, sind arabischen Ursprungs und in Sitten, Sprache und Sinnesart ihren kriegerischen Altvordern aus dem Osten treu geblieben. Sie lieben im Gegensatz zu den übrigen Stämmen der Metidscha den Wechsel ihrer Wohnplätze und die Nomadengewohnheiten, bewegen sich aber nur in einem gewissen Bezirke, wo die Natur ihnen so viele Vertheidigungsmittel und Schlupfwinkel gegeben hat. El-Hadschut ist ihr arabischer Stammname, sonst ohne besondere Bedeutung. Der Uthan oder das Stammgebiet, welches sie bewohnen, heißt El-Sebt. Sie bezahlten dem Dey ihren Tribut mit den Waffen, das heißt, sie waren unter den Reitern des Aga's eingeschrieben, und als solche verpflichtet, jedem Ruf ins Feld pünktliche Folge zu leisten, sonst aber blieben sie von jeder Geldabgabe befreit. War irgend eine Expedition gegen einen rebellischen Stamm zu unternehmen, so eilte der Aga mit einigen Türken nach der Ebene, versammelte seine arabischen Reiter, namentlich die trefflich berittenen Hadschuten, und überfiel mit diesem Kriegshaufen die Duars derjenigen Stämme, welche den Tribut zu bezahlen sich weigerten oder dem Dey sonst Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben hatten. Nie griffen die andern Araberstämme, deren Gebiet der Aga durchzog, für ihre bedrohten Brüder zu den Waffen. Die gegenseitige Eifersucht der Scheikhs und Kaids sah mit Freuden die Demüthigung des Nachbarstammes, und die Türken hatten ein leichtes Spiel, während bei den heutigen Expeditionen in das Innere alles flüchtet und zu den Waffen greift.</p><lb/> <p>Seit der Einnahme Algiers durch die Franzosen haben die Hadschuten den Siegern gegenüber stets eine feindselige Haltung behauptet, und nur ein einzigesmal, unter der Verwaltung des Generals Voirol, stellte ein förmlicher Friede mit ihnen auf eine kurze Zeit die Ruhe in der Ebene Metidscha her. Nach dem Schluß des Vertrags an der Tafna befahl Abd-El-Kader den Hadschuten, die seine Autorität anerkannten, die französischen Niederlassungen nicht mehr zu beunruhigen. Diese gehorchten einige Monate; bald aber drückte sie das Verbot, und sie begannen wieder von Zeit zu Zeit einige Raubzüge, welche der Emir, damals vor Ain-Maadi zurückgehalten, ungestraft ließ.</p><lb/> <p>Fast bei jedem Gefecht zwischen den Franzosen und den Eingebornen standen die Hadschuten an der Spitze der letztern. Ihre flüchtige Reiterei wechselte mit den französischen Tirailleurs immer die ersten Schüsse, und ihre Scheikhs führten bei den Berathungen der Stammhäuptlinge das erste Wort. Als der Marschall Bourmont nach der Eroberung Algiers einen Ausflug nach Belida unternahm, traf er zum erstenmal auf die Hadschuten, welche seine Colonne auf dem Rückmarsch tiraillirend bis unter die Mauern von Algier begleiteten. Marschall Clauzel fand, als er nach Medeah zog, die Hadschuten bei Buffarik gelagert. Er trieb sie ohne Mühe vor sich her, aber ein Detaschement von 60 Kanonieren, welche man unklugerweise ohne Cavalleriebedeckung nach der ferme modèle abschickte, wurde von den Hadschuten und andern Arabern bis auf den letzten Mann zusammengehauen. Das Schreckenssystem des Herzogs von Rovigo, Clauzels Nachfolger, die Hinrichtung der Scheikhs Mesaud und El-Aribi erbitterte die Hadschuten nur, statt sie zu ängstigen, und gräuliche Repressalien wurden von ihnen an den unglücklichen Europäern verübt, welche einzeln auf den Vorposten in ihre Hände fielen. Dieser einzige Stamm, der damals noch kaum 600 Reiter ins Feld zu stellen vermochte, verbreitete den französischen Heeren gegenüber einen solchen Schrecken unter den andern friedlichen Araberstämmen der Metidscha, daß diese bald schwankend wurden, ob es nicht vortheilhafter für sie sey, sich, statt des Bündnisses mit den Franzosen, unter die Protection der Hadschuten zu stellen, deren Ueberfälle sie mehr fürchteten, als die Drohungen des Gouverneurs in Algier. Der Uthan Beni-Khalil, der wichtigste der Umgegend, wurde zuerst erschüttert. Die Araber dieses Bezirks ließen ihren von den Franzosen eingesetzten Kaid Buscid-ben-Chaua am 9 Sept. 1833 auf dem Markt bei Buffarik von den Hadschuten ermorden, ohne ihn zu vertheidigen. Acht Monate nach diesem Vorfall wurde endlich eine ernste Expedition gegen den Räuberstamm unternommen. General Brò überschritt am 18 Mai 1834 mit einer Colonne die Chiffa und erbeutete im Wald Khorasa, wohin die Hadschuten sich mit ihrem Eigenthum geflüchtet hatten, zahlreiche Heerden, welche jene seit Jahren ihren arabischen Nachbarn gestohlen hatten. Tags darauf sandten die Hadschuten einen Unterhändler an den General Brò, versprachen ihre Unterwerfung und erkannten den von den Franzosen ernannten Kuider-ben-Rebeha,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0049/0009]
Die Hadschuten.
_ Auf dem Küstengebirge zwischen Algier und Scherschel steht ein einsames Monument in Pyramidenform von bedeutendem Umfang und neunzig Fuß Höhe. Die Araber nennen es Kubbar-el-Rummiah, d. h. „Grabmal der Christin“, und erzählen darüber vielerlei wunderliche Sagen. Der Staub einer edeln christlichen Fürstin soll unter der dunkeln Granitmasse ruhen, neben dem Sarg auch von schimmerndem Gold und Silber ein unermeßlicher Schatz, den, wie die Marabuts erklären, nur ein Christ heben kann. Vor einigen Jahrhunderten ließ ein Dey dort Nachgrabungen veranstalten, deren Spuren man noch jetzt sieht. Die Araber der Gegend aber erzählen: gleich bei den ersten Hammerschlägen der Arbeiter sey auf der Höhe der Pyramide ein gespenstiges Weib erschienen und habe mit dem Schrei „Alula! Alula! Rette deine Schätze!“ furchtbare Bundesgenossen herbeigerufen. Gestachelte Fliegen, so groß wie Ratten, von gräulichem Ansehen, entstiegen dem schwarzen Sumpfgewässer des nahen Sees Alula und zwangen die Schatzgräber durch ihre Stiche zur eiligen Flucht. Seitdem sind alle Versuche, das Monument zu erbrechen, vergeblich gewesen. Einige Archäologen halten das Kabbar-el-Rummiah für das Grabmal der numidischen Könige, andere für das Monument, welches, Marmol zufolge, der Spanierin Cava in jener Gegend errichtet worden. Das Kubbar-el-Rummiah zeigt übrigens keine Inschrift, die über seinen Ursprung irgend eine Andeutung gäbe, und aus seinen wunderlichen Formen läßt sich seine frühere Bestimmung nicht errathen. In einsamer Wildniß, ohne Ruinenreste in seiner Nähe, ragt dieses räthselhafte Vermächtniß einer räthselvollen Zeit über die weite Gegend und spiegelt seine Steinmasse südlich im See Alula, auf der Nordseite in den anrollenden Wogen des Mittelmeers.
Um das Kubbar-el-Rummiah herum liegen die meisten Duars der Hadschuten, welche übrigens das ganze große Gebiet von dem linken Ufer der Chiffa bis in die Umgegend von Scherschel zu ihren Weideplätzen und ihrem Feldbau benützen. Dem Seefahrer ist jene steinerne Pyramide ein Warnungszeichen, daß er zur Zeit der Stürme sich weit von dieser Küste halte, wo ihm im Fall eines Schiffsbruchs nur ein grausamer Tod von Barbarenhänden erwartet. Die Hadschuten, dieser berüchtigtste Räuber- und Mörderstamm der Regentschaft Algier, sind arabischen Ursprungs und in Sitten, Sprache und Sinnesart ihren kriegerischen Altvordern aus dem Osten treu geblieben. Sie lieben im Gegensatz zu den übrigen Stämmen der Metidscha den Wechsel ihrer Wohnplätze und die Nomadengewohnheiten, bewegen sich aber nur in einem gewissen Bezirke, wo die Natur ihnen so viele Vertheidigungsmittel und Schlupfwinkel gegeben hat. El-Hadschut ist ihr arabischer Stammname, sonst ohne besondere Bedeutung. Der Uthan oder das Stammgebiet, welches sie bewohnen, heißt El-Sebt. Sie bezahlten dem Dey ihren Tribut mit den Waffen, das heißt, sie waren unter den Reitern des Aga's eingeschrieben, und als solche verpflichtet, jedem Ruf ins Feld pünktliche Folge zu leisten, sonst aber blieben sie von jeder Geldabgabe befreit. War irgend eine Expedition gegen einen rebellischen Stamm zu unternehmen, so eilte der Aga mit einigen Türken nach der Ebene, versammelte seine arabischen Reiter, namentlich die trefflich berittenen Hadschuten, und überfiel mit diesem Kriegshaufen die Duars derjenigen Stämme, welche den Tribut zu bezahlen sich weigerten oder dem Dey sonst Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben hatten. Nie griffen die andern Araberstämme, deren Gebiet der Aga durchzog, für ihre bedrohten Brüder zu den Waffen. Die gegenseitige Eifersucht der Scheikhs und Kaids sah mit Freuden die Demüthigung des Nachbarstammes, und die Türken hatten ein leichtes Spiel, während bei den heutigen Expeditionen in das Innere alles flüchtet und zu den Waffen greift.
Seit der Einnahme Algiers durch die Franzosen haben die Hadschuten den Siegern gegenüber stets eine feindselige Haltung behauptet, und nur ein einzigesmal, unter der Verwaltung des Generals Voirol, stellte ein förmlicher Friede mit ihnen auf eine kurze Zeit die Ruhe in der Ebene Metidscha her. Nach dem Schluß des Vertrags an der Tafna befahl Abd-El-Kader den Hadschuten, die seine Autorität anerkannten, die französischen Niederlassungen nicht mehr zu beunruhigen. Diese gehorchten einige Monate; bald aber drückte sie das Verbot, und sie begannen wieder von Zeit zu Zeit einige Raubzüge, welche der Emir, damals vor Ain-Maadi zurückgehalten, ungestraft ließ.
Fast bei jedem Gefecht zwischen den Franzosen und den Eingebornen standen die Hadschuten an der Spitze der letztern. Ihre flüchtige Reiterei wechselte mit den französischen Tirailleurs immer die ersten Schüsse, und ihre Scheikhs führten bei den Berathungen der Stammhäuptlinge das erste Wort. Als der Marschall Bourmont nach der Eroberung Algiers einen Ausflug nach Belida unternahm, traf er zum erstenmal auf die Hadschuten, welche seine Colonne auf dem Rückmarsch tiraillirend bis unter die Mauern von Algier begleiteten. Marschall Clauzel fand, als er nach Medeah zog, die Hadschuten bei Buffarik gelagert. Er trieb sie ohne Mühe vor sich her, aber ein Detaschement von 60 Kanonieren, welche man unklugerweise ohne Cavalleriebedeckung nach der ferme modèle abschickte, wurde von den Hadschuten und andern Arabern bis auf den letzten Mann zusammengehauen. Das Schreckenssystem des Herzogs von Rovigo, Clauzels Nachfolger, die Hinrichtung der Scheikhs Mesaud und El-Aribi erbitterte die Hadschuten nur, statt sie zu ängstigen, und gräuliche Repressalien wurden von ihnen an den unglücklichen Europäern verübt, welche einzeln auf den Vorposten in ihre Hände fielen. Dieser einzige Stamm, der damals noch kaum 600 Reiter ins Feld zu stellen vermochte, verbreitete den französischen Heeren gegenüber einen solchen Schrecken unter den andern friedlichen Araberstämmen der Metidscha, daß diese bald schwankend wurden, ob es nicht vortheilhafter für sie sey, sich, statt des Bündnisses mit den Franzosen, unter die Protection der Hadschuten zu stellen, deren Ueberfälle sie mehr fürchteten, als die Drohungen des Gouverneurs in Algier. Der Uthan Beni-Khalil, der wichtigste der Umgegend, wurde zuerst erschüttert. Die Araber dieses Bezirks ließen ihren von den Franzosen eingesetzten Kaid Buscid-ben-Chaua am 9 Sept. 1833 auf dem Markt bei Buffarik von den Hadschuten ermorden, ohne ihn zu vertheidigen. Acht Monate nach diesem Vorfall wurde endlich eine ernste Expedition gegen den Räuberstamm unternommen. General Brò überschritt am 18 Mai 1834 mit einer Colonne die Chiffa und erbeutete im Wald Khorasa, wohin die Hadschuten sich mit ihrem Eigenthum geflüchtet hatten, zahlreiche Heerden, welche jene seit Jahren ihren arabischen Nachbarn gestohlen hatten. Tags darauf sandten die Hadschuten einen Unterhändler an den General Brò, versprachen ihre Unterwerfung und erkannten den von den Franzosen ernannten Kuider-ben-Rebeha,
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