Allgemeine Zeitung. Nr. 13. Augsburg, 13. Januar 1840.
Vor den Specialassisen in Monmouth ward am 4 Jan. das Verfolgungsverfahren gegen John Frost mit Abhörung der letzten Belastungszeugen geschlossen, und am 6 sollte das Vertheidigungsverfahren, d. h. das Plaidoyer der Rechtsräthe des Angeschuldigten beginnen. Ob derselbe Entlastungszeugen stellen würde, war zweifelhaft. Die Grand Jury erklärte wieder eine Anzahl Gefangener wegen "Aufruhrs" in Anklagestand versetzt, und erledigte damit ihre Aufgabe. Der Petty Jury ward auf das Gesuch ihres Vormanns (foreman) von den Richtern gestattet, am 4 Abends und am folgenden Tag (Sonntag) "frische Luft zu schöpfen" und mit ihren Familien zu verkehren. Da es dem Sir F. Pullock gelungen ist, zu Gunsten seines Clienten Frost den neulich erwähnten Präliminarpunkt in Betreff der Formgültigkeit der Anklage reservirt zu erhalten, so zweifelt man nicht, daß die definitive Entscheidung über denselben sich bis zur Vermählung der Königin hinausziehen werde, wo dann, im Falle seiner Verurtheilung, nach aller Wahrscheinlichkeit Begnadigung eintreten dürfte, es müßten denn neuere Bewegungen der Chartisten die Statuirung eines Exempels unerläßlich machen. Daß man solche Bewegungen, und zwar eine allgemeine Chartistenerhebung fürchtet, beweist ein Tagsbefehl, den der Generalmajor Sir C. Napier unterm 29 Dec. von seinem Hauptquartier Nottingham aus an die Truppen des nördlichen Militärbezirks von England erlassen hat. Frankreich. Paris, 7 Jan. Das Journal de Paris behauptet, der König habe erklärt, er habe im Sinn, sich am Tauftage seines Enkels, des Grafen v. Paris, krönen zu lassen. Briefe aus Cambrai melden, dem Univers zufolge, den Tod des Bischofs von Cambrai. Hingegen hat sich die Nachricht von dem Hinscheiden des Bischofs von Metz nicht bestätigt, wiewohl derselbe bedenklich krank darnieder liegt. In der Sitzung der Pairskammer am 6 Jan. hielt, bei der Adressediscussion wie wir schon erwähnten, Hr. v. Noailles eine sehr umständliche Rede, deren wesentlicher Inhalt aus der Antwort des Ministers des öffentlichen Unterrichts, Hrn. Villemain, hervorgeht. Hr. Villemain sagte unter Anderm: "Zwischen der Türkei und einer gewandten, unermüdlichen, in ihren Hülfsquellen wie in ihren Hoffnungen unbeschränkten Macht war ein Krieg ausgebrochen. Oesterreich und England, welche die dem ottomanischen Reiche drohende Gefahr einsahen, intervenirten, um zu bewirken, daß Rußland still halte, und die Türkei nicht allzu tief sinke. Welche Macht war es, welches Cabinet, das sich dieser Intervention entgegen zeigte, und das sich damals nicht bloß von England, für welches man uns eine Vorliebe zuschreibt, sondern auch von dem staatsklugen Oesterreich trennte? Die französische Politik von 1829, das damalige Cabinet der Tuilerien war es, das sich weigerte, die vermittelnden Mächte zu unterstützen. Es war der vor 1830 abgeschlossene Tractat von Adrianopel, der von der Restauration begünstigte Tractat, welcher die Türkei schwächte und die weitern Absichten bestärkte, die eine große Macht von nun an mit eben so viel Geduld als Energie vorbereitete. . . Man sagt, daß 1833 ein französischer Botschafter drei Tage zu spät in Konstantinopel angekommen sey. Inzwischen folgte der Ankunft jenes Botschafters eine kräftige Mittheilung, sie forderte die Entfernung einer fremden Flotte, die Sie als drohend für jenes Reich ansahen, das man vertheidigen und beschützen muß, obgleich man es freilich schon dadurch, daß man es vertheidigt, exponirt. Es war nicht eine Nachlässigkeit unserer Diplomatie, eine Verzögerung unseres Botschafters, welche den Tractat von Hunkiar-Skelessi herbeiführte; und es ist nicht die französische Politik, die dadurch am meisten überrascht und verletzt wurde. Man muß diesen Vorwurf anderswohin richten, gegen eine andere Macht, deren Wachsamkeit einen Augenblick überrascht worden seyn mochte. Wenn Sie aber dieser Macht eine so furchtbare Gewandtheit zuschreiben, wie können Sie sich dann wundern, daß Frankreich, das darin weniger ein unmittelbares Interesse erkannte, und durch die Entfernung mehr gehindert war, weniger Thätigkeit entwickelte als jene Macht, die dennoch ebenfalls überrascht und überholt ward? Die französische Regierung machte wenigstens diesen weit mehr gegen England als gegen Frankreich gerichteten Tractat sogleich zum Gegenstand einer Beschwerde, welcher die Zeit Bedeutung ertheilen sollte. . . Ich habe gesagt, daß Frankreich, weit entfernt den Tractat von Adrianopel zu verhindern, ihn begünstigt, daß die Politik jener Zeit sich darin von der österreichischen und englischen Politik getrennt habe; ich habe aber nicht gehört, daß Frankreich damals als Preis dieses Opfers die Chance gewonnen habe, das wieder zu bekommen was ihm die Restauration entzogen oder vielmehr, was es zur Zeit der Restauration verloren hatte. (Sehr gut!) . . . Was ist denn neuerer Zeit gegen den Willen, gegen das Interesse, ohne die Mitwirkung Frankreichs Großes geschehen? Sie sprechen anklagend von einem verlängerten status quo, Sie beschweren sich darüber, daß große Fragen ihre Lösung nicht erhalten; Sie beschweren sich, daß unermeßliche Streitkräfte, bereit aufeinander zu stoßen, gewissermaßen suspendirt bleiben. Glauben Sie, daß gerade diese Unbeweglichkeit nicht der Beweis einer, wenigstens negativen Thätigkeit ist? Wenn die Aufrechterhaltung des Friedens das erste Interesse
Vor den Specialassisen in Monmouth ward am 4 Jan. das Verfolgungsverfahren gegen John Frost mit Abhörung der letzten Belastungszeugen geschlossen, und am 6 sollte das Vertheidigungsverfahren, d. h. das Plaidoyer der Rechtsräthe des Angeschuldigten beginnen. Ob derselbe Entlastungszeugen stellen würde, war zweifelhaft. Die Grand Jury erklärte wieder eine Anzahl Gefangener wegen „Aufruhrs“ in Anklagestand versetzt, und erledigte damit ihre Aufgabe. Der Petty Jury ward auf das Gesuch ihres Vormanns (foreman) von den Richtern gestattet, am 4 Abends und am folgenden Tag (Sonntag) „frische Luft zu schöpfen“ und mit ihren Familien zu verkehren. Da es dem Sir F. Pullock gelungen ist, zu Gunsten seines Clienten Frost den neulich erwähnten Präliminarpunkt in Betreff der Formgültigkeit der Anklage reservirt zu erhalten, so zweifelt man nicht, daß die definitive Entscheidung über denselben sich bis zur Vermählung der Königin hinausziehen werde, wo dann, im Falle seiner Verurtheilung, nach aller Wahrscheinlichkeit Begnadigung eintreten dürfte, es müßten denn neuere Bewegungen der Chartisten die Statuirung eines Exempels unerläßlich machen. Daß man solche Bewegungen, und zwar eine allgemeine Chartistenerhebung fürchtet, beweist ein Tagsbefehl, den der Generalmajor Sir C. Napier unterm 29 Dec. von seinem Hauptquartier Nottingham aus an die Truppen des nördlichen Militärbezirks von England erlassen hat. Frankreich. Paris, 7 Jan. Das Journal de Paris behauptet, der König habe erklärt, er habe im Sinn, sich am Tauftage seines Enkels, des Grafen v. Paris, krönen zu lassen. Briefe aus Cambrai melden, dem Univers zufolge, den Tod des Bischofs von Cambrai. Hingegen hat sich die Nachricht von dem Hinscheiden des Bischofs von Metz nicht bestätigt, wiewohl derselbe bedenklich krank darnieder liegt. In der Sitzung der Pairskammer am 6 Jan. hielt, bei der Adressediscussion wie wir schon erwähnten, Hr. v. Noailles eine sehr umständliche Rede, deren wesentlicher Inhalt aus der Antwort des Ministers des öffentlichen Unterrichts, Hrn. Villemain, hervorgeht. Hr. Villemain sagte unter Anderm: „Zwischen der Türkei und einer gewandten, unermüdlichen, in ihren Hülfsquellen wie in ihren Hoffnungen unbeschränkten Macht war ein Krieg ausgebrochen. Oesterreich und England, welche die dem ottomanischen Reiche drohende Gefahr einsahen, intervenirten, um zu bewirken, daß Rußland still halte, und die Türkei nicht allzu tief sinke. Welche Macht war es, welches Cabinet, das sich dieser Intervention entgegen zeigte, und das sich damals nicht bloß von England, für welches man uns eine Vorliebe zuschreibt, sondern auch von dem staatsklugen Oesterreich trennte? Die französische Politik von 1829, das damalige Cabinet der Tuilerien war es, das sich weigerte, die vermittelnden Mächte zu unterstützen. Es war der vor 1830 abgeschlossene Tractat von Adrianopel, der von der Restauration begünstigte Tractat, welcher die Türkei schwächte und die weitern Absichten bestärkte, die eine große Macht von nun an mit eben so viel Geduld als Energie vorbereitete. . . Man sagt, daß 1833 ein französischer Botschafter drei Tage zu spät in Konstantinopel angekommen sey. Inzwischen folgte der Ankunft jenes Botschafters eine kräftige Mittheilung, sie forderte die Entfernung einer fremden Flotte, die Sie als drohend für jenes Reich ansahen, das man vertheidigen und beschützen muß, obgleich man es freilich schon dadurch, daß man es vertheidigt, exponirt. Es war nicht eine Nachlässigkeit unserer Diplomatie, eine Verzögerung unseres Botschafters, welche den Tractat von Hunkiar-Skelessi herbeiführte; und es ist nicht die französische Politik, die dadurch am meisten überrascht und verletzt wurde. Man muß diesen Vorwurf anderswohin richten, gegen eine andere Macht, deren Wachsamkeit einen Augenblick überrascht worden seyn mochte. Wenn Sie aber dieser Macht eine so furchtbare Gewandtheit zuschreiben, wie können Sie sich dann wundern, daß Frankreich, das darin weniger ein unmittelbares Interesse erkannte, und durch die Entfernung mehr gehindert war, weniger Thätigkeit entwickelte als jene Macht, die dennoch ebenfalls überrascht und überholt ward? Die französische Regierung machte wenigstens diesen weit mehr gegen England als gegen Frankreich gerichteten Tractat sogleich zum Gegenstand einer Beschwerde, welcher die Zeit Bedeutung ertheilen sollte. . . Ich habe gesagt, daß Frankreich, weit entfernt den Tractat von Adrianopel zu verhindern, ihn begünstigt, daß die Politik jener Zeit sich darin von der österreichischen und englischen Politik getrennt habe; ich habe aber nicht gehört, daß Frankreich damals als Preis dieses Opfers die Chance gewonnen habe, das wieder zu bekommen was ihm die Restauration entzogen oder vielmehr, was es zur Zeit der Restauration verloren hatte. (Sehr gut!) . . . Was ist denn neuerer Zeit gegen den Willen, gegen das Interesse, ohne die Mitwirkung Frankreichs Großes geschehen? Sie sprechen anklagend von einem verlängerten status quo, Sie beschweren sich darüber, daß große Fragen ihre Lösung nicht erhalten; Sie beschweren sich, daß unermeßliche Streitkräfte, bereit aufeinander zu stoßen, gewissermaßen suspendirt bleiben. Glauben Sie, daß gerade diese Unbeweglichkeit nicht der Beweis einer, wenigstens negativen Thätigkeit ist? 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Indeß meinte er mit einem Irish bull: „Lord Melbourne sollte allerdings etwas schneller vorwärts schlendern (jog on a little faster.)“ Hr. Leader, das junge radicale Mitglied für Westminster, wurde mit dem Toast: „Leader und das Ballot“ zum Sprechen aufgerufen. Er äußerte in Bezug auf die Chartisten: „Lassen Sie uns nicht zu hart seyn gegen unsere chartistischen Landsleute. Während wir ihre Blindheit beklagen und ihre Gewaltthätigkeit verdammen, lassen Sie uns ihnen zugleich einige Sympathie zeigen, denn die Schuld liegt nicht ausschließlich auf <hi rendition="#g">ihrer</hi> Seite. Was insbesondere die irregeführten Menschen betrifft, die jetzt vor Gericht stehen, so hoff' und glaub' ich, daß ihr Blut nicht wird vergossen werden. Nicht bloß die Menschlichkeit, sondern auch die Staatsklugheit verbietet es; denn gewiß es würde unter den jetzigen Umständen höchst unweise seyn, auf dem politischen Schaffot Blut fließen zu lassen.“ Dr. Bowring sprach für volle Handelsfreiheit. – Bei einem conservativen Diner in Coleraine hielt Edward Litton Esq. eine heftige Rede gegen das Ministerium, dem er sklavische Abhängigkeit von dem „Landesverräther“ O'Connell vorwarf. – Bei einem großen Tory-Meeting in Lancaster am 30 Dec. bemerkte man unter den Anwesenden einen Enkel des Feldmarschalls Blücher.</p><lb/> <p>Vor den Specialassisen in Monmouth ward am 4 Jan. das Verfolgungsverfahren gegen John Frost mit Abhörung der letzten Belastungszeugen geschlossen, und am 6 sollte das Vertheidigungsverfahren, d. h. das Plaidoyer der Rechtsräthe des Angeschuldigten beginnen. Ob derselbe Entlastungszeugen stellen würde, war zweifelhaft. Die Grand Jury erklärte wieder eine Anzahl Gefangener wegen „Aufruhrs“ in Anklagestand versetzt, und erledigte damit ihre Aufgabe. Der Petty Jury ward auf das Gesuch ihres Vormanns (foreman) von den Richtern gestattet, am 4 Abends und am folgenden Tag (Sonntag) „frische Luft zu schöpfen“ und mit ihren Familien zu verkehren. Da es dem Sir F. Pullock gelungen ist, zu Gunsten seines Clienten Frost den neulich erwähnten Präliminarpunkt in Betreff der Formgültigkeit der Anklage reservirt zu erhalten, so zweifelt man nicht, daß die definitive Entscheidung über denselben sich bis zur Vermählung der Königin hinausziehen werde, wo dann, im Falle seiner Verurtheilung, nach aller Wahrscheinlichkeit Begnadigung eintreten dürfte, es müßten denn neuere Bewegungen der Chartisten die Statuirung eines Exempels unerläßlich machen. Daß man solche Bewegungen, und zwar eine allgemeine Chartistenerhebung fürchtet, beweist ein Tagsbefehl, den der Generalmajor Sir C. 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Welche Macht war es, welches Cabinet, das sich dieser Intervention entgegen zeigte, und das sich damals nicht bloß von England, für welches man uns eine Vorliebe zuschreibt, sondern auch von dem staatsklugen Oesterreich trennte? Die französische Politik von 1829, das damalige Cabinet der Tuilerien war es, das sich weigerte, die vermittelnden Mächte zu unterstützen. Es war der <hi rendition="#g">vor</hi> 1830 abgeschlossene Tractat von Adrianopel, der von der <hi rendition="#g">Restauration</hi> begünstigte Tractat, welcher die Türkei schwächte und die weitern Absichten bestärkte, die eine große Macht von nun an mit eben so viel Geduld als Energie vorbereitete. . . Man sagt, daß 1833 ein französischer Botschafter drei Tage zu spät in Konstantinopel angekommen sey. Inzwischen folgte der Ankunft jenes Botschafters eine kräftige Mittheilung, sie forderte die Entfernung einer fremden Flotte, die Sie als drohend für jenes Reich ansahen, das man vertheidigen und beschützen muß, obgleich man es freilich schon dadurch, daß man es vertheidigt, exponirt. Es war nicht eine Nachlässigkeit unserer Diplomatie, eine Verzögerung unseres Botschafters, welche den Tractat von Hunkiar-Skelessi herbeiführte; und es ist nicht die französische Politik, die dadurch am meisten überrascht und verletzt wurde. Man muß diesen Vorwurf anderswohin richten, gegen eine andere Macht, deren Wachsamkeit einen Augenblick überrascht worden seyn mochte. Wenn Sie aber dieser Macht eine so furchtbare Gewandtheit zuschreiben, wie können Sie sich dann wundern, daß Frankreich, das darin weniger ein unmittelbares Interesse erkannte, und durch die Entfernung mehr gehindert war, weniger Thätigkeit entwickelte als jene Macht, die dennoch ebenfalls überrascht und überholt ward? Die französische Regierung machte wenigstens diesen weit mehr gegen England als gegen Frankreich gerichteten Tractat sogleich zum Gegenstand einer Beschwerde, welcher die Zeit Bedeutung ertheilen sollte. . . Ich habe gesagt, daß Frankreich, weit entfernt den Tractat von Adrianopel zu verhindern, ihn begünstigt, daß die Politik jener Zeit sich darin von der österreichischen und englischen Politik getrennt habe; ich habe aber nicht gehört, daß Frankreich damals als Preis dieses Opfers die Chance gewonnen habe, das wieder zu bekommen was ihm die Restauration entzogen oder vielmehr, was es zur Zeit der Restauration verloren hatte. (Sehr gut!) . . . Was ist denn neuerer Zeit gegen den Willen, gegen das Interesse, ohne die Mitwirkung Frankreichs Großes geschehen? Sie sprechen anklagend von einem verlängerten status quo, Sie beschweren sich darüber, daß große Fragen ihre Lösung nicht erhalten; Sie beschweren sich, daß unermeßliche Streitkräfte, bereit aufeinander zu stoßen, gewissermaßen suspendirt bleiben. Glauben Sie, daß gerade diese Unbeweglichkeit nicht der Beweis einer, wenigstens negativen Thätigkeit ist? Wenn die Aufrechterhaltung des Friedens das erste Interesse<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098/0002]
bleibe, aber ebendarum beklage ich alle die Abscheulichkeiten, die in ihrem Namen gesagt und gethan werden.“ (Zuruf.) Hr. Villiers ließ sich dann gegen die Korngesetze vernehmen, auf deren Abschaffung, respective Modificirung er in letzter Session die bekannte Motion stellte. Diesen Gesetzen und dem jetzigen Geldumlauf (Villiers neigt sich in dieser Hinsicht zu Th. Attwoods Ansichten) gab er den dermaligen beklagenswerthen Zustand des Landes schuld. Das P. M. Obrist Anson hielt den Ministern eine warme Vertheidigungsrede. Die einzige Hoffnung der Tories, sagte er, sey, die Regierung zu einer Parlamentsauflösung zu treiben, aber auch da würden sie eine Niederlage erleiden, falls nicht etwa die Chartisten verblendet genug seyen, sich auf die Seite der Tories zu schlagen. Indeß meinte er mit einem Irish bull: „Lord Melbourne sollte allerdings etwas schneller vorwärts schlendern (jog on a little faster.)“ Hr. Leader, das junge radicale Mitglied für Westminster, wurde mit dem Toast: „Leader und das Ballot“ zum Sprechen aufgerufen. Er äußerte in Bezug auf die Chartisten: „Lassen Sie uns nicht zu hart seyn gegen unsere chartistischen Landsleute. Während wir ihre Blindheit beklagen und ihre Gewaltthätigkeit verdammen, lassen Sie uns ihnen zugleich einige Sympathie zeigen, denn die Schuld liegt nicht ausschließlich auf ihrer Seite. Was insbesondere die irregeführten Menschen betrifft, die jetzt vor Gericht stehen, so hoff' und glaub' ich, daß ihr Blut nicht wird vergossen werden. Nicht bloß die Menschlichkeit, sondern auch die Staatsklugheit verbietet es; denn gewiß es würde unter den jetzigen Umständen höchst unweise seyn, auf dem politischen Schaffot Blut fließen zu lassen.“ Dr. Bowring sprach für volle Handelsfreiheit. – Bei einem conservativen Diner in Coleraine hielt Edward Litton Esq. eine heftige Rede gegen das Ministerium, dem er sklavische Abhängigkeit von dem „Landesverräther“ O'Connell vorwarf. – Bei einem großen Tory-Meeting in Lancaster am 30 Dec. bemerkte man unter den Anwesenden einen Enkel des Feldmarschalls Blücher.
Vor den Specialassisen in Monmouth ward am 4 Jan. das Verfolgungsverfahren gegen John Frost mit Abhörung der letzten Belastungszeugen geschlossen, und am 6 sollte das Vertheidigungsverfahren, d. h. das Plaidoyer der Rechtsräthe des Angeschuldigten beginnen. Ob derselbe Entlastungszeugen stellen würde, war zweifelhaft. Die Grand Jury erklärte wieder eine Anzahl Gefangener wegen „Aufruhrs“ in Anklagestand versetzt, und erledigte damit ihre Aufgabe. Der Petty Jury ward auf das Gesuch ihres Vormanns (foreman) von den Richtern gestattet, am 4 Abends und am folgenden Tag (Sonntag) „frische Luft zu schöpfen“ und mit ihren Familien zu verkehren. Da es dem Sir F. Pullock gelungen ist, zu Gunsten seines Clienten Frost den neulich erwähnten Präliminarpunkt in Betreff der Formgültigkeit der Anklage reservirt zu erhalten, so zweifelt man nicht, daß die definitive Entscheidung über denselben sich bis zur Vermählung der Königin hinausziehen werde, wo dann, im Falle seiner Verurtheilung, nach aller Wahrscheinlichkeit Begnadigung eintreten dürfte, es müßten denn neuere Bewegungen der Chartisten die Statuirung eines Exempels unerläßlich machen. Daß man solche Bewegungen, und zwar eine allgemeine Chartistenerhebung fürchtet, beweist ein Tagsbefehl, den der Generalmajor Sir C. Napier unterm 29 Dec. von seinem Hauptquartier Nottingham aus an die Truppen des nördlichen Militärbezirks von England erlassen hat.
Frankreich.
Paris, 7 Jan.
Das Journal de Paris behauptet, der König habe erklärt, er habe im Sinn, sich am Tauftage seines Enkels, des Grafen v. Paris, krönen zu lassen.
Briefe aus Cambrai melden, dem Univers zufolge, den Tod des Bischofs von Cambrai. Hingegen hat sich die Nachricht von dem Hinscheiden des Bischofs von Metz nicht bestätigt, wiewohl derselbe bedenklich krank darnieder liegt.
In der Sitzung der Pairskammer am 6 Jan. hielt, bei der Adressediscussion wie wir schon erwähnten, Hr. v. Noailles eine sehr umständliche Rede, deren wesentlicher Inhalt aus der Antwort des Ministers des öffentlichen Unterrichts, Hrn. Villemain, hervorgeht. Hr. Villemain sagte unter Anderm: „Zwischen der Türkei und einer gewandten, unermüdlichen, in ihren Hülfsquellen wie in ihren Hoffnungen unbeschränkten Macht war ein Krieg ausgebrochen. Oesterreich und England, welche die dem ottomanischen Reiche drohende Gefahr einsahen, intervenirten, um zu bewirken, daß Rußland still halte, und die Türkei nicht allzu tief sinke. Welche Macht war es, welches Cabinet, das sich dieser Intervention entgegen zeigte, und das sich damals nicht bloß von England, für welches man uns eine Vorliebe zuschreibt, sondern auch von dem staatsklugen Oesterreich trennte? Die französische Politik von 1829, das damalige Cabinet der Tuilerien war es, das sich weigerte, die vermittelnden Mächte zu unterstützen. Es war der vor 1830 abgeschlossene Tractat von Adrianopel, der von der Restauration begünstigte Tractat, welcher die Türkei schwächte und die weitern Absichten bestärkte, die eine große Macht von nun an mit eben so viel Geduld als Energie vorbereitete. . . Man sagt, daß 1833 ein französischer Botschafter drei Tage zu spät in Konstantinopel angekommen sey. Inzwischen folgte der Ankunft jenes Botschafters eine kräftige Mittheilung, sie forderte die Entfernung einer fremden Flotte, die Sie als drohend für jenes Reich ansahen, das man vertheidigen und beschützen muß, obgleich man es freilich schon dadurch, daß man es vertheidigt, exponirt. Es war nicht eine Nachlässigkeit unserer Diplomatie, eine Verzögerung unseres Botschafters, welche den Tractat von Hunkiar-Skelessi herbeiführte; und es ist nicht die französische Politik, die dadurch am meisten überrascht und verletzt wurde. Man muß diesen Vorwurf anderswohin richten, gegen eine andere Macht, deren Wachsamkeit einen Augenblick überrascht worden seyn mochte. Wenn Sie aber dieser Macht eine so furchtbare Gewandtheit zuschreiben, wie können Sie sich dann wundern, daß Frankreich, das darin weniger ein unmittelbares Interesse erkannte, und durch die Entfernung mehr gehindert war, weniger Thätigkeit entwickelte als jene Macht, die dennoch ebenfalls überrascht und überholt ward? Die französische Regierung machte wenigstens diesen weit mehr gegen England als gegen Frankreich gerichteten Tractat sogleich zum Gegenstand einer Beschwerde, welcher die Zeit Bedeutung ertheilen sollte. . . Ich habe gesagt, daß Frankreich, weit entfernt den Tractat von Adrianopel zu verhindern, ihn begünstigt, daß die Politik jener Zeit sich darin von der österreichischen und englischen Politik getrennt habe; ich habe aber nicht gehört, daß Frankreich damals als Preis dieses Opfers die Chance gewonnen habe, das wieder zu bekommen was ihm die Restauration entzogen oder vielmehr, was es zur Zeit der Restauration verloren hatte. (Sehr gut!) . . . Was ist denn neuerer Zeit gegen den Willen, gegen das Interesse, ohne die Mitwirkung Frankreichs Großes geschehen? Sie sprechen anklagend von einem verlängerten status quo, Sie beschweren sich darüber, daß große Fragen ihre Lösung nicht erhalten; Sie beschweren sich, daß unermeßliche Streitkräfte, bereit aufeinander zu stoßen, gewissermaßen suspendirt bleiben. Glauben Sie, daß gerade diese Unbeweglichkeit nicht der Beweis einer, wenigstens negativen Thätigkeit ist? Wenn die Aufrechterhaltung des Friedens das erste Interesse
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