Allgemeine Zeitung. Nr. 23. Augsburg, 23. Januar 1840.
Erinnern Sie sich jenes Zustandes, da noch Athen, Konstantinopel und Alexandrien unbestritten innerhalb der Gränzen des türkischen Reichs lagen; vergessen Sie jener Oasencultur, die Sie in dem gastlichen Hause Ihres Consuls und einzelner fränkischen Familien fanden, und welche der natürlichen Bevölkerung des türkischen Reichs eben so wenig angehörte, als die ehemalige deutsche Bildung im Elsaß Frankreich; vergegenwärtigen Sie sich jene leider barbarischen Zustände, worin alle Nationen unter dem Scepter des Sultans krankten oder gar sich wohlbefanden, Armenier, Juden, Araber, Griechen und andere, und wenn Sie bloß Ihrer Einbildung folgen müssen, denken Sie sich diese Zustände mit jeder Art von Uncultur, Aberglauben, Armseligkeit inficirt und bar jeder geistigen Regung und Bestrebung, die jenseits der Gränzen einer mißverstandenen, verdorbenen, von ursprünglicher Göttlichkeit mehr und mehr unter den Menschen hinabgesunkenen Religion hinauslag. In diesem Reich fing Mahmud, fing Mehemed Ali sein Civilisationsgeschäft an, lange ehe Griechenland befreit war, lange ehe König Otto den griechischen Boden betreten hatte, um in dieser Einen Gemeinschaft, [i]n dem edlen Zweck der Erziehung und Bildung des Volks, ein Rivale des Großtürken und des ägyptischen Pascha's zu seyn. Wollte man nach Verhältniß der Zeit urtheilen, so wäre es ungerecht von Griechenland zu fordern, was Aegypten und die Türkei in einer längern Periode nicht geleistet haben. Und dennoch würde König Otto und würden die Griechen des Königreichs eben so wenig sich selbst als Europa genug thun, wenn sie nicht den Pascha und den Sultan in kurzer Zeit weit hinter sich zurückließen. Ist das geschehen? Urtheilen sie selbst. Womit hat Sultan Mahmud angefangen? Damit, daß er den Janitscharen die Köpfe abschlug. Die Janitscharen waren seine türkischen Krieger. Statt deren brauchte er neue, europäische, und alle seine Civilisationsbestrebungen richteten sich vorläufig auf fränkische Beinkleider, fränkische Waffen und fränkisches Exercitium seiner neuen Miliz. (Wir halten die Beinkleider für viel wichtiger, als der Name glauben macht, zumal seitdem uns ein Capitän der ägyptisch gewordenen türkischen Flotte augenscheinlich bewies, wie leicht der eine Fuß in dem gemeinschaftlichen Sack der beiden Beine hängen bleibt, was oben im Mast leicht ein "Impedimento" wird.) Es waren aber alle sogenannten Reformen nur darauf berechnet, eine bessere Armee zu schaffen. Für die Cultur des Volks geschah entweder nichts, oder was geschah, war ohne Wirkung und ohne Rücksicht auf die verschiedenen höchst wesentlichen Bestandtheile der Bevölkerung der Türkei. Mehemed Ali fuhr ungefähr in derselben Spur. Mit der Barbarei der Mamelukenermordung fing er an, und auch seine Bestrebungen richteten sich alle auf die Erschaffung einer neuen militärischen Macht zu Lande und zur See. Alle seine Schulen richteten sich auf diesen Zweck, und wir sehen hier wie dort den Islamismus seinem Princip treu bleiben. Von einer Bildung des Volks, von einer Benutzung der so reichen arabischen Litteratur für die neue Generation ist auch hier nicht die Rede; ja nicht einmal davon, die wahre Bevölkerung Aegyptens und Syriens, die arabische, als das Volk anzuerkennen. Die Araber sind selbst unter Mehemed Ali nur die Unterworfenen des türkischen Herrschers und seiner türkischen Beamten. Täuschen wir uns nicht, so wird die Nothwendigkeit auch hier helfen. Doch wird vielleicht die Wiederbelebung der arabischen Cultur nicht von Aegypten selbst ausgehen. Frankreich wird, nach einer glücklichen Leidenschaft, in Algier den Weg einschlagen, den die Bildung von Mehemed Ali vergeblich erwartet und fordert. Und will England mit gleichen Waffen kämpfen, so muß es und wird es auf seiner von arabischer Bevölkerung bewohnten Insel Malta eine Pflanzschule für arabische Cultur oder vielmehr für europäische Cultur zum Besten des Orients und seiner selbst errichten. Es würde für England nicht schwer seyn, Malta zur Schule für jeden Araber zu machen, der sich europäische Bildung aneignen will, wie es Athen bereits für die Griechen des türkischen Reichs ist. Und wird England den Einfluß, den es dadurch gewänne, und der schwerlich ein Aequivalent der Kosten nur Eines Linienschiffes fordert, verkennen? Wir hätten wohl Algier als einen vierten Herd der Verbreitung europäischer Cultur im ehemaligen Bereich der türkischen Herrschaft nennen sollen. Doch ist uns bis jetzt der Gang und Fortschritt der Bestrebungen Frankreichs zu wenig bekannt geworden, und wir können nicht sagen, ob eine wahre Bildung in Algier unter Ludwig Philipp größere Fortschritte gemacht, als in Aegypten unter Mehemed Ali oder in der Türkei unter Sultan Mahmud. Mahmud starb, ehe er sein Werk vollendet hatte. Der junge Sultan hat jüngst eine Proclamation erlassen, in der er Sicherheit der Person, der Ehre und des Eigenthums, Oeffentlichkeit der Gerichte, geregelte Vertheilung der Abgaben und gesetzliche, von Willkür befreite Aushebung des Militärs verheißt. Wer die Türkei kennt, der weiß, wie weit dieß alles von der wirklichen Ausführung entfernt ist. Und wenn es nun ausgeführt ist, was ist es dann Außerordentliches? Alle diese Verheißungen sind in Europa längst ausgeführt; und unter allen Staaten, die halb oder ganz von der Türkei sich abgelöst haben, allein in Griechenland. Gesetzliche Sicherheit der Person und des Eigenthums, Oeffentlichkeit der Gerichte, geregelte Conscription, geregelte Vertheilung der Abgaben sind Begriffe, die dort schon längst praktisch geworden und mit dem Bewußtseyn des Volks sich identificirt haben. Freilich ist das System der Abgabenerhebung mit vielen Schwierigkeiten und nothwendigen Uebeln verbunden; allein auch so wie es ist, und wie es die griechische Regierung überkommen hat, ist es jetzt ein durchaus geregeltes, von Willkür der Regierung befreites. Wer aber kennt nicht die Schwierigkeit der Umwandlung einer Zehntenabgabe in Grundsteuer, die Griechenland freilich noch nicht hat ausführen können, und welche der Sultan, wenn wir die Verheißung recht verstehen, so leichthin verspricht! Außer jenen Fortschritten aber, die Griechenland längst schon gemacht - welch ein unermeßlicher Unterschied zwischen dem Culturzustand des Königreichs Griechenland und dem jener andern Staaten? Wenn eine frühere Cultur irgendwo wieder ins Leben getreten ist, hat sie immer eine Wirkung hervorgebracht, und sich mit einer Kraft manifestirt, wie der Trieb des Frühlings, der auf die lange Ruhe des Winters folgt. Was haben denn die aus der Türkei sich ausscheidenden Nationen zu
Erinnern Sie sich jenes Zustandes, da noch Athen, Konstantinopel und Alexandrien unbestritten innerhalb der Gränzen des türkischen Reichs lagen; vergessen Sie jener Oasencultur, die Sie in dem gastlichen Hause Ihres Consuls und einzelner fränkischen Familien fanden, und welche der natürlichen Bevölkerung des türkischen Reichs eben so wenig angehörte, als die ehemalige deutsche Bildung im Elsaß Frankreich; vergegenwärtigen Sie sich jene leider barbarischen Zustände, worin alle Nationen unter dem Scepter des Sultans krankten oder gar sich wohlbefanden, Armenier, Juden, Araber, Griechen und andere, und wenn Sie bloß Ihrer Einbildung folgen müssen, denken Sie sich diese Zustände mit jeder Art von Uncultur, Aberglauben, Armseligkeit inficirt und bar jeder geistigen Regung und Bestrebung, die jenseits der Gränzen einer mißverstandenen, verdorbenen, von ursprünglicher Göttlichkeit mehr und mehr unter den Menschen hinabgesunkenen Religion hinauslag. In diesem Reich fing Mahmud, fing Mehemed Ali sein Civilisationsgeschäft an, lange ehe Griechenland befreit war, lange ehe König Otto den griechischen Boden betreten hatte, um in dieser Einen Gemeinschaft, [i]n dem edlen Zweck der Erziehung und Bildung des Volks, ein Rivale des Großtürken und des ägyptischen Pascha's zu seyn. Wollte man nach Verhältniß der Zeit urtheilen, so wäre es ungerecht von Griechenland zu fordern, was Aegypten und die Türkei in einer längern Periode nicht geleistet haben. Und dennoch würde König Otto und würden die Griechen des Königreichs eben so wenig sich selbst als Europa genug thun, wenn sie nicht den Pascha und den Sultan in kurzer Zeit weit hinter sich zurückließen. Ist das geschehen? Urtheilen sie selbst. Womit hat Sultan Mahmud angefangen? Damit, daß er den Janitscharen die Köpfe abschlug. Die Janitscharen waren seine türkischen Krieger. Statt deren brauchte er neue, europäische, und alle seine Civilisationsbestrebungen richteten sich vorläufig auf fränkische Beinkleider, fränkische Waffen und fränkisches Exercitium seiner neuen Miliz. (Wir halten die Beinkleider für viel wichtiger, als der Name glauben macht, zumal seitdem uns ein Capitän der ägyptisch gewordenen türkischen Flotte augenscheinlich bewies, wie leicht der eine Fuß in dem gemeinschaftlichen Sack der beiden Beine hängen bleibt, was oben im Mast leicht ein „Impedimento“ wird.) Es waren aber alle sogenannten Reformen nur darauf berechnet, eine bessere Armee zu schaffen. Für die Cultur des Volks geschah entweder nichts, oder was geschah, war ohne Wirkung und ohne Rücksicht auf die verschiedenen höchst wesentlichen Bestandtheile der Bevölkerung der Türkei. Mehemed Ali fuhr ungefähr in derselben Spur. Mit der Barbarei der Mamelukenermordung fing er an, und auch seine Bestrebungen richteten sich alle auf die Erschaffung einer neuen militärischen Macht zu Lande und zur See. Alle seine Schulen richteten sich auf diesen Zweck, und wir sehen hier wie dort den Islamismus seinem Princip treu bleiben. Von einer Bildung des Volks, von einer Benutzung der so reichen arabischen Litteratur für die neue Generation ist auch hier nicht die Rede; ja nicht einmal davon, die wahre Bevölkerung Aegyptens und Syriens, die arabische, als das Volk anzuerkennen. Die Araber sind selbst unter Mehemed Ali nur die Unterworfenen des türkischen Herrschers und seiner türkischen Beamten. Täuschen wir uns nicht, so wird die Nothwendigkeit auch hier helfen. Doch wird vielleicht die Wiederbelebung der arabischen Cultur nicht von Aegypten selbst ausgehen. Frankreich wird, nach einer glücklichen Leidenschaft, in Algier den Weg einschlagen, den die Bildung von Mehemed Ali vergeblich erwartet und fordert. Und will England mit gleichen Waffen kämpfen, so muß es und wird es auf seiner von arabischer Bevölkerung bewohnten Insel Malta eine Pflanzschule für arabische Cultur oder vielmehr für europäische Cultur zum Besten des Orients und seiner selbst errichten. Es würde für England nicht schwer seyn, Malta zur Schule für jeden Araber zu machen, der sich europäische Bildung aneignen will, wie es Athen bereits für die Griechen des türkischen Reichs ist. Und wird England den Einfluß, den es dadurch gewänne, und der schwerlich ein Aequivalent der Kosten nur Eines Linienschiffes fordert, verkennen? Wir hätten wohl Algier als einen vierten Herd der Verbreitung europäischer Cultur im ehemaligen Bereich der türkischen Herrschaft nennen sollen. Doch ist uns bis jetzt der Gang und Fortschritt der Bestrebungen Frankreichs zu wenig bekannt geworden, und wir können nicht sagen, ob eine wahre Bildung in Algier unter Ludwig Philipp größere Fortschritte gemacht, als in Aegypten unter Mehemed Ali oder in der Türkei unter Sultan Mahmud. Mahmud starb, ehe er sein Werk vollendet hatte. Der junge Sultan hat jüngst eine Proclamation erlassen, in der er Sicherheit der Person, der Ehre und des Eigenthums, Oeffentlichkeit der Gerichte, geregelte Vertheilung der Abgaben und gesetzliche, von Willkür befreite Aushebung des Militärs verheißt. Wer die Türkei kennt, der weiß, wie weit dieß alles von der wirklichen Ausführung entfernt ist. Und wenn es nun ausgeführt ist, was ist es dann Außerordentliches? Alle diese Verheißungen sind in Europa längst ausgeführt; und unter allen Staaten, die halb oder ganz von der Türkei sich abgelöst haben, allein in Griechenland. Gesetzliche Sicherheit der Person und des Eigenthums, Oeffentlichkeit der Gerichte, geregelte Conscription, geregelte Vertheilung der Abgaben sind Begriffe, die dort schon längst praktisch geworden und mit dem Bewußtseyn des Volks sich identificirt haben. Freilich ist das System der Abgabenerhebung mit vielen Schwierigkeiten und nothwendigen Uebeln verbunden; allein auch so wie es ist, und wie es die griechische Regierung überkommen hat, ist es jetzt ein durchaus geregeltes, von Willkür der Regierung befreites. Wer aber kennt nicht die Schwierigkeit der Umwandlung einer Zehntenabgabe in Grundsteuer, die Griechenland freilich noch nicht hat ausführen können, und welche der Sultan, wenn wir die Verheißung recht verstehen, so leichthin verspricht! Außer jenen Fortschritten aber, die Griechenland längst schon gemacht – welch ein unermeßlicher Unterschied zwischen dem Culturzustand des Königreichs Griechenland und dem jener andern Staaten? Wenn eine frühere Cultur irgendwo wieder ins Leben getreten ist, hat sie immer eine Wirkung hervorgebracht, und sich mit einer Kraft manifestirt, wie der Trieb des Frühlings, der auf die lange Ruhe des Winters folgt. Was haben denn die aus der Türkei sich ausscheidenden Nationen zu <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="0178"/><lb/> Land vorzeitlicher Cultur kennen zu lernen. Hier, gleichsam auf der Scheide zwischen Gegenwart und Vergangenheit, von wo ich mit mehr Ruhe, mit größerer Befreiung von Vorurtheil zurückblicke auf jene drei Hauptstädte, auf jenen dreifachen Herd neuerer Bildung, welche sich so sicher, wie auf die Nacht der Tag folgt, über den Orient verbreiten wird, hier will ich mich mahnen an eine frühere Schuld. Ueber den kommenden Tag will ich Ihnen Meldung thun, und will Ihnen mit aller Wahrhaftigkeit, welche die Geschichte, und welche die <hi rendition="#g">Würde</hi> einer „Zeitung“ fordert, Nachricht geben, wo die Morgenröthe der Bildung und Gesittung am schönsten erscheint, und will nicht verschweigen, welche Nebel auch da noch das kommende Licht verhüllen.</p><lb/> <p>Erinnern Sie sich jenes Zustandes, da noch Athen, Konstantinopel und Alexandrien unbestritten innerhalb der Gränzen des türkischen Reichs lagen; vergessen Sie jener Oasencultur, die Sie in dem gastlichen Hause Ihres Consuls und einzelner fränkischen Familien fanden, und welche der natürlichen Bevölkerung des türkischen Reichs eben so wenig angehörte, als die ehemalige deutsche Bildung im Elsaß Frankreich; vergegenwärtigen Sie sich jene leider barbarischen Zustände, worin alle Nationen unter dem Scepter des Sultans krankten oder gar sich wohlbefanden, Armenier, Juden, Araber, Griechen und andere, und wenn Sie bloß Ihrer Einbildung folgen müssen, denken Sie sich diese Zustände mit jeder Art von Uncultur, Aberglauben, Armseligkeit inficirt und bar jeder geistigen Regung und Bestrebung, die jenseits der Gränzen einer mißverstandenen, verdorbenen, von ursprünglicher Göttlichkeit mehr und mehr <hi rendition="#g">unter</hi> den Menschen hinabgesunkenen Religion hinauslag. In diesem Reich fing Mahmud, fing Mehemed Ali sein Civilisationsgeschäft an, lange ehe Griechenland befreit war, lange ehe König Otto den griechischen Boden betreten hatte, um in dieser Einen Gemeinschaft, <supplied>i</supplied>n dem edlen Zweck der Erziehung und Bildung des Volks, ein Rivale des Großtürken und des ägyptischen Pascha's zu seyn. Wollte man nach Verhältniß der Zeit urtheilen, so wäre es ungerecht von Griechenland zu fordern, was Aegypten und die Türkei in einer längern Periode nicht geleistet haben. Und dennoch würde König Otto und würden die Griechen des Königreichs eben so wenig sich selbst als Europa genug thun, wenn sie nicht den Pascha und den Sultan in kurzer Zeit weit hinter sich zurückließen. Ist das geschehen? Urtheilen sie selbst. Womit hat <hi rendition="#g">Sultan Mahmud</hi> angefangen? Damit, daß er den Janitscharen die Köpfe abschlug. Die Janitscharen waren seine türkischen Krieger. Statt deren brauchte er neue, europäische, und alle seine Civilisationsbestrebungen richteten sich vorläufig auf fränkische Beinkleider, fränkische Waffen und fränkisches Exercitium seiner neuen Miliz. (Wir halten die Beinkleider für viel wichtiger, als der Name glauben macht, zumal seitdem uns ein Capitän der ägyptisch gewordenen türkischen Flotte augenscheinlich bewies, wie leicht der eine Fuß in dem gemeinschaftlichen Sack der beiden Beine hängen bleibt, was oben im Mast leicht ein „Impedimento“ wird.) Es waren aber alle sogenannten Reformen nur darauf berechnet, eine bessere <hi rendition="#g">Armee</hi> zu schaffen. Für die <hi rendition="#g">Cultur des Volks</hi> geschah entweder nichts, oder was geschah, war ohne Wirkung und ohne Rücksicht auf die verschiedenen höchst wesentlichen Bestandtheile der Bevölkerung der Türkei. <hi rendition="#g">Mehemed Ali</hi> fuhr ungefähr in derselben Spur. Mit der Barbarei der Mamelukenermordung fing er an, und auch seine Bestrebungen richteten sich alle auf die Erschaffung einer neuen militärischen Macht zu Lande und zur See. Alle seine Schulen richteten sich auf diesen Zweck, und wir sehen hier wie dort den Islamismus seinem Princip treu bleiben. <hi rendition="#g">Von einer Bildung des Volks</hi>, <hi rendition="#g">von einer Benutzung der so reichen arabischen Litteratur für die neue Generation ist auch hier nicht die Rede</hi>; ja nicht einmal davon, die wahre Bevölkerung Aegyptens und Syriens, die arabische, als das Volk anzuerkennen. Die Araber sind selbst unter Mehemed Ali nur die <hi rendition="#g">Unterworfenen</hi> des <hi rendition="#g">türkischen</hi> Herrschers und seiner türkischen Beamten. Täuschen wir uns nicht, so wird die Nothwendigkeit auch hier helfen. Doch wird vielleicht die Wiederbelebung der arabischen Cultur nicht von Aegypten selbst ausgehen. Frankreich wird, nach einer glücklichen Leidenschaft, in Algier den Weg einschlagen, den die Bildung von Mehemed Ali vergeblich erwartet und fordert. Und will England mit gleichen Waffen kämpfen, so muß es und wird es auf seiner von arabischer Bevölkerung bewohnten Insel <hi rendition="#g">Malta eine Pflanzschule für arabische Cultur</hi> oder vielmehr für europäische Cultur zum Besten des Orients und seiner selbst errichten. Es würde für England nicht schwer seyn, Malta zur Schule für jeden Araber zu machen, der sich europäische Bildung aneignen will, wie es Athen bereits für die Griechen des türkischen Reichs ist. Und wird England den Einfluß, den es dadurch gewänne, und der schwerlich ein Aequivalent der Kosten nur Eines Linienschiffes fordert, verkennen? Wir hätten wohl Algier als einen vierten Herd der Verbreitung europäischer Cultur im ehemaligen Bereich der türkischen Herrschaft nennen sollen. Doch ist uns bis jetzt der Gang und Fortschritt der Bestrebungen Frankreichs zu wenig bekannt geworden, und wir können nicht sagen, ob eine wahre Bildung in Algier unter Ludwig Philipp größere Fortschritte gemacht, als in Aegypten unter Mehemed Ali oder in der Türkei unter Sultan Mahmud.</p><lb/> <p>Mahmud starb, ehe er sein Werk vollendet hatte. Der junge Sultan hat jüngst eine Proclamation erlassen, in der er Sicherheit der Person, der Ehre und des Eigenthums, Oeffentlichkeit der Gerichte, geregelte Vertheilung der Abgaben und gesetzliche, von Willkür befreite Aushebung des Militärs verheißt. Wer die Türkei kennt, der weiß, wie weit dieß alles <hi rendition="#g">von der wirklichen Ausführung entfernt ist</hi>. Und wenn es nun ausgeführt ist, was ist es dann Außerordentliches? Alle diese Verheißungen sind in Europa längst ausgeführt; und unter allen Staaten, die halb oder ganz von der Türkei sich abgelöst haben, <hi rendition="#g">allein in Griechenland</hi>. Gesetzliche Sicherheit der Person und des Eigenthums, Oeffentlichkeit der Gerichte, geregelte Conscription, geregelte Vertheilung der Abgaben sind Begriffe, die dort schon längst praktisch geworden und mit dem Bewußtseyn des Volks sich identificirt haben. Freilich ist das System der Abgabenerhebung mit vielen Schwierigkeiten und nothwendigen Uebeln verbunden; allein auch so wie es ist, und wie es die griechische Regierung überkommen hat, ist es jetzt ein durchaus geregeltes, von Willkür der Regierung befreites. Wer aber kennt nicht die Schwierigkeit der Umwandlung einer Zehntenabgabe in Grundsteuer, die Griechenland freilich noch nicht hat ausführen können, und welche der Sultan, wenn wir die Verheißung recht verstehen, so leichthin verspricht! Außer jenen Fortschritten aber, die Griechenland längst schon gemacht – welch ein unermeßlicher Unterschied zwischen dem Culturzustand des Königreichs Griechenland und dem jener andern Staaten? Wenn eine frühere Cultur irgendwo wieder ins Leben getreten ist, hat sie immer eine Wirkung hervorgebracht, und sich mit einer Kraft manifestirt, wie der Trieb des Frühlings, der auf die lange Ruhe des Winters folgt. Was haben denn die aus der Türkei sich ausscheidenden Nationen zu<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0178/0010]
Land vorzeitlicher Cultur kennen zu lernen. Hier, gleichsam auf der Scheide zwischen Gegenwart und Vergangenheit, von wo ich mit mehr Ruhe, mit größerer Befreiung von Vorurtheil zurückblicke auf jene drei Hauptstädte, auf jenen dreifachen Herd neuerer Bildung, welche sich so sicher, wie auf die Nacht der Tag folgt, über den Orient verbreiten wird, hier will ich mich mahnen an eine frühere Schuld. Ueber den kommenden Tag will ich Ihnen Meldung thun, und will Ihnen mit aller Wahrhaftigkeit, welche die Geschichte, und welche die Würde einer „Zeitung“ fordert, Nachricht geben, wo die Morgenröthe der Bildung und Gesittung am schönsten erscheint, und will nicht verschweigen, welche Nebel auch da noch das kommende Licht verhüllen.
Erinnern Sie sich jenes Zustandes, da noch Athen, Konstantinopel und Alexandrien unbestritten innerhalb der Gränzen des türkischen Reichs lagen; vergessen Sie jener Oasencultur, die Sie in dem gastlichen Hause Ihres Consuls und einzelner fränkischen Familien fanden, und welche der natürlichen Bevölkerung des türkischen Reichs eben so wenig angehörte, als die ehemalige deutsche Bildung im Elsaß Frankreich; vergegenwärtigen Sie sich jene leider barbarischen Zustände, worin alle Nationen unter dem Scepter des Sultans krankten oder gar sich wohlbefanden, Armenier, Juden, Araber, Griechen und andere, und wenn Sie bloß Ihrer Einbildung folgen müssen, denken Sie sich diese Zustände mit jeder Art von Uncultur, Aberglauben, Armseligkeit inficirt und bar jeder geistigen Regung und Bestrebung, die jenseits der Gränzen einer mißverstandenen, verdorbenen, von ursprünglicher Göttlichkeit mehr und mehr unter den Menschen hinabgesunkenen Religion hinauslag. In diesem Reich fing Mahmud, fing Mehemed Ali sein Civilisationsgeschäft an, lange ehe Griechenland befreit war, lange ehe König Otto den griechischen Boden betreten hatte, um in dieser Einen Gemeinschaft, in dem edlen Zweck der Erziehung und Bildung des Volks, ein Rivale des Großtürken und des ägyptischen Pascha's zu seyn. Wollte man nach Verhältniß der Zeit urtheilen, so wäre es ungerecht von Griechenland zu fordern, was Aegypten und die Türkei in einer längern Periode nicht geleistet haben. Und dennoch würde König Otto und würden die Griechen des Königreichs eben so wenig sich selbst als Europa genug thun, wenn sie nicht den Pascha und den Sultan in kurzer Zeit weit hinter sich zurückließen. Ist das geschehen? Urtheilen sie selbst. Womit hat Sultan Mahmud angefangen? Damit, daß er den Janitscharen die Köpfe abschlug. Die Janitscharen waren seine türkischen Krieger. Statt deren brauchte er neue, europäische, und alle seine Civilisationsbestrebungen richteten sich vorläufig auf fränkische Beinkleider, fränkische Waffen und fränkisches Exercitium seiner neuen Miliz. (Wir halten die Beinkleider für viel wichtiger, als der Name glauben macht, zumal seitdem uns ein Capitän der ägyptisch gewordenen türkischen Flotte augenscheinlich bewies, wie leicht der eine Fuß in dem gemeinschaftlichen Sack der beiden Beine hängen bleibt, was oben im Mast leicht ein „Impedimento“ wird.) Es waren aber alle sogenannten Reformen nur darauf berechnet, eine bessere Armee zu schaffen. Für die Cultur des Volks geschah entweder nichts, oder was geschah, war ohne Wirkung und ohne Rücksicht auf die verschiedenen höchst wesentlichen Bestandtheile der Bevölkerung der Türkei. Mehemed Ali fuhr ungefähr in derselben Spur. Mit der Barbarei der Mamelukenermordung fing er an, und auch seine Bestrebungen richteten sich alle auf die Erschaffung einer neuen militärischen Macht zu Lande und zur See. Alle seine Schulen richteten sich auf diesen Zweck, und wir sehen hier wie dort den Islamismus seinem Princip treu bleiben. Von einer Bildung des Volks, von einer Benutzung der so reichen arabischen Litteratur für die neue Generation ist auch hier nicht die Rede; ja nicht einmal davon, die wahre Bevölkerung Aegyptens und Syriens, die arabische, als das Volk anzuerkennen. Die Araber sind selbst unter Mehemed Ali nur die Unterworfenen des türkischen Herrschers und seiner türkischen Beamten. Täuschen wir uns nicht, so wird die Nothwendigkeit auch hier helfen. Doch wird vielleicht die Wiederbelebung der arabischen Cultur nicht von Aegypten selbst ausgehen. Frankreich wird, nach einer glücklichen Leidenschaft, in Algier den Weg einschlagen, den die Bildung von Mehemed Ali vergeblich erwartet und fordert. Und will England mit gleichen Waffen kämpfen, so muß es und wird es auf seiner von arabischer Bevölkerung bewohnten Insel Malta eine Pflanzschule für arabische Cultur oder vielmehr für europäische Cultur zum Besten des Orients und seiner selbst errichten. Es würde für England nicht schwer seyn, Malta zur Schule für jeden Araber zu machen, der sich europäische Bildung aneignen will, wie es Athen bereits für die Griechen des türkischen Reichs ist. Und wird England den Einfluß, den es dadurch gewänne, und der schwerlich ein Aequivalent der Kosten nur Eines Linienschiffes fordert, verkennen? Wir hätten wohl Algier als einen vierten Herd der Verbreitung europäischer Cultur im ehemaligen Bereich der türkischen Herrschaft nennen sollen. Doch ist uns bis jetzt der Gang und Fortschritt der Bestrebungen Frankreichs zu wenig bekannt geworden, und wir können nicht sagen, ob eine wahre Bildung in Algier unter Ludwig Philipp größere Fortschritte gemacht, als in Aegypten unter Mehemed Ali oder in der Türkei unter Sultan Mahmud.
Mahmud starb, ehe er sein Werk vollendet hatte. Der junge Sultan hat jüngst eine Proclamation erlassen, in der er Sicherheit der Person, der Ehre und des Eigenthums, Oeffentlichkeit der Gerichte, geregelte Vertheilung der Abgaben und gesetzliche, von Willkür befreite Aushebung des Militärs verheißt. Wer die Türkei kennt, der weiß, wie weit dieß alles von der wirklichen Ausführung entfernt ist. Und wenn es nun ausgeführt ist, was ist es dann Außerordentliches? Alle diese Verheißungen sind in Europa längst ausgeführt; und unter allen Staaten, die halb oder ganz von der Türkei sich abgelöst haben, allein in Griechenland. Gesetzliche Sicherheit der Person und des Eigenthums, Oeffentlichkeit der Gerichte, geregelte Conscription, geregelte Vertheilung der Abgaben sind Begriffe, die dort schon längst praktisch geworden und mit dem Bewußtseyn des Volks sich identificirt haben. Freilich ist das System der Abgabenerhebung mit vielen Schwierigkeiten und nothwendigen Uebeln verbunden; allein auch so wie es ist, und wie es die griechische Regierung überkommen hat, ist es jetzt ein durchaus geregeltes, von Willkür der Regierung befreites. Wer aber kennt nicht die Schwierigkeit der Umwandlung einer Zehntenabgabe in Grundsteuer, die Griechenland freilich noch nicht hat ausführen können, und welche der Sultan, wenn wir die Verheißung recht verstehen, so leichthin verspricht! Außer jenen Fortschritten aber, die Griechenland längst schon gemacht – welch ein unermeßlicher Unterschied zwischen dem Culturzustand des Königreichs Griechenland und dem jener andern Staaten? Wenn eine frühere Cultur irgendwo wieder ins Leben getreten ist, hat sie immer eine Wirkung hervorgebracht, und sich mit einer Kraft manifestirt, wie der Trieb des Frühlings, der auf die lange Ruhe des Winters folgt. Was haben denn die aus der Türkei sich ausscheidenden Nationen zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |