Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 30. Augsburg, 30. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Stand der Dinge in Griechenland.

Hätten Sie (die Redaction?) nicht aus meinen Berichten über die Kairis-Angelegenheit immer das eigentliche punctum saliens, so zu sagen die Seele herausgestrichen, so würde die Allg. Zeitung schon seit Monaten mehr als Ein prophetisches Wort über die Dinge enthalten haben, die Ihnen die heutige Post meldet. Ich sende Ihnen wortgetreue Uebersetzungen der betreffenden Artikel aus der Athena, als dem ältesten und gelesensten der hiesigen Blätter, und aus dem Volksfreund, weil bei der Erzählung von Vorgängen dieser Art viel darauf ankommt, wie die Versionen lauten, die unter den Augen der Theilnehmer und Mitspielenden selbst umlaufen. Sie mögen das für Ihr Blatt Geeignete daraus auswählen. Daran reihe ich den Versuch einer summarischen Darstellung des ganzen Hergangs. - Die Allg. Zeitung hat vielfach darauf aufmerksam gemacht, wie die kirchlichen Intriguen hier zu Lande seit einigen Jahren mit besonderm Eifer betrieben wurden, und hat öfter die Personen genannt, welche sich darin hervorthaten. Ein systematisches Betreiben derselben begann vorzüglich, seitdem zu Ende 1835 der russische Priester Constantin Oekonomos sich anfangs in Nauplia, bald in Athen selbst niederließ; und immer kecker wurde die Reactionspartei, seit es ihr zu Ende 1837 gelang, ihren auserwählten Liebling, Hrn. Glarakis, in die Ministerien des Innern und des Cultus zu bringen. Daß er ein keineswegs unfähiger Mann ist, kann nicht geläugnet werden; und mithin konnte er nicht verfehlen, durch eine gewisse Energie und Ordnung in den Geschäften sich der höchsten Staatsbehörde zu empfehlen - wenn nicht seine Antecedentien unter dem weiland Präsidenten Kapodistrias und der ganz besondere Eifer, mit welchem ein gewisser Theil der Diplomatie über ihn ihr Wohlgefallen aussprach, auf der andern Seite gegründeten Verdacht gegen ihn hätten erregen müssen. Allein leider wurden diese Verdachtsgründe am betreffenden Orte überhört, obgleich die sogenannte Oppositionspresse nicht unterließ, ihn vom ersten Tage an laut als einen Mann zu bezeichnen, der, sey es aus eigenem innern Drange oder in Folge materiellerer Ueberredungsmittel, schlechthin fremden und dem Throne feindlichen Interessen diene. Ich weiß nicht, ob dieß auch in andern Ländern das Schicksal der Oppositionsblätter ist, aber bei uns wenigstens verhält es sich so; die Wahrheit selbst, die sich doch meist aus den mit unterlaufenden Uebertreibungen leicht herausscheiden läßt, wird anstößig dadurch, daß sie von ihnen ausgeht, und ihre Stimme verhallt unbeachtet, wie die des Predigers in der Wüste. Glarakis galt, durch seine Augendienerei und scheinbare Fügsamkeit, bei den Umgebungen des Hofes für den treuesten der Minister, und unter der Aegide seines Namens operirte seine Partei, die erst durch seinen Eintritt ins Ministerium wieder recht ins Leben gerufen wurde, und verfolgte ihre Zwecke - wenn man anders ihre Zwecke nennen darf, was eigentlich die Zwecke eines fremden Einflusses waren, der sich bis dahin vergeblich bemüht hatte, das seit dem Tode des Grafen Kapodistrias verlorene Gewicht selbst durch gewaltsame Mittel, durch die Kolokotronische Conspiration vom Jahr 1833 und durch die Aufstände in Messenien und Akarnanien von 1834 und 1836, wieder zu erringen. Es ist vielleicht nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß damals (1836) Hr. Glarakis als Gouverneur von Patras seine Entlassung erhielt, weil der Verdacht ihn traf, die Insurrection in Akarnanien begünstigt zu haben. Und achtzehn Monate später wurde er Minister! Es ist begreiflich, daß er diese seine Stellung benutzte, nach und nach alle wichtigeren Stellen mit seinen Anhängern zu besetzen. Menschen und Namen, die seit Kapodistrias' Tagen in eine glückliche Vergessenheit gerathen waren, wurden wieder hervorgesucht und kamen wieder zu Amt und Würden. Aber vorzüglich warf sich die Thätigkeit der Partei auf die Geistlichkeit; von der Seite glaubte man die jetzige Ordnung der Dinge am sichersten untergraben zu können, und der erheuchelte Glaubenseifer so wie die scheinbare Verehrung des reinmonarchischen Princips gaben zugleich einen Vorwand, sich der Bildung und Aufklärung, als zu Freigeisterei und Liberalismus führend, nach Möglichkeit zu widersetzen. Die Synode wurde schon 1838 größtentheils aus Bischöfen von der Parteifarbe zusammengesetzt; und mit einem Schrei des Erstaunens sah Griechenland als Präsidenten seiner höchsten geistlichen Stelle den Bischof von Kynuria, der zu Anfang des heiligen Krieges in Konstantinopel die Excommunication des griechischen Aufstandes mit unterzeichnet, und diesen Act nie widerrufen hatte. Man erwartete, wenigstens diesen Mann bei der Erneuerung der Synode im Sommer 1839 entfernt zu sehen; aber der Minister wußte seinen Willen wieder durchzusetzen, und der Bischof Dionysios ist noch heute Präsident. - Endlich nach dem Abgange des Cabinetsraths Brandis, von dem man wußte, daß er sich des Vertrauens Sr. Maj. des Königs erfreue, wuchs die Keckheit und verdoppelte sich die Thätigkeit der Partei. Man hatte seit vier oder fünf Jahren unablässig die Gemüther des Volks für eine große im Jahr 1840 zu erwartende Veränderung zu bearbeiten gesucht. Die sogenannten Prophezeiungen des Agathangelos, ein perfides Büchlein voll Fanatismus und Unsinn, war von den nordisch Gesinnten mit großem Eifer unter dem Volk verbreitet worden; der Untergang der Bayern und Deutschen, die Vereinigung der Nation unter einem blonden und orthodoxen Könige, wurden unter Anderm darin verkündigt. Jetzt legte man es systematisch darauf an, die unwissende und fanatische Menge für die Reinheit und Erhaltung ihres Glaubens besorgt zu machen. Daher, um nur kurz an Bekanntes zu erinnern, die verschiedenen Schriften des Hrn. Oekonomos, die auf fremde Kosten gedruckt wurden, gegen die aufgeklärteren griechischen Geistlichen, einen Pharmakides, Vambas, Kairis, und die Angriffe auf die Unabhängigkeit der griechischen Kirche; daher die unablässigen Verketzerungen der Universität und ihrer Lehrer, und das Zurückhalten der Schlußorganisation der Anstalt; daher selbst - denn so frech und ungescheut mißbrauchte man die vom König übertragene Gewalt - daher die Rundschreiben der Synode und des Hrn. Glarakis, daß die Kirche und die Orthodoxie in Gefahr seyen. An dem armen Kairis - wie ich es Ihnen vor drei Monaten schon geschrieben habe - wollte die Partei ihre Stärke versuchen. Schon sechs Monate vorher verbreitete sie, auf verschiedenen Wegen, beunruhigende Gerüchte unter dem Volk über seine angeblichen Irrlehren; dann, nach dem Abgange seines Freundes Brandis, schlug sie los. Den Erfolg wissen Sie, und wissen, mit welcher Perfidie die Partei auch hier den königlichen Namen zu compromittiren suchte. Denn das verhängnißvolle Jahr 1840 kam ja heran, und zu den Vorbereitungen gehörte vor allen Dingen, den König der unwissenden Menge als einen Irrgläubigen darzustellen, der nicht berufen sey, nach den Prophezeiungen

Stand der Dinge in Griechenland.

Hätten Sie (die Redaction?) nicht aus meinen Berichten über die Kaïris-Angelegenheit immer das eigentliche punctum saliens, so zu sagen die Seele herausgestrichen, so würde die Allg. Zeitung schon seit Monaten mehr als Ein prophetisches Wort über die Dinge enthalten haben, die Ihnen die heutige Post meldet. Ich sende Ihnen wortgetreue Uebersetzungen der betreffenden Artikel aus der Athena, als dem ältesten und gelesensten der hiesigen Blätter, und aus dem Volksfreund, weil bei der Erzählung von Vorgängen dieser Art viel darauf ankommt, wie die Versionen lauten, die unter den Augen der Theilnehmer und Mitspielenden selbst umlaufen. Sie mögen das für Ihr Blatt Geeignete daraus auswählen. Daran reihe ich den Versuch einer summarischen Darstellung des ganzen Hergangs. – Die Allg. Zeitung hat vielfach darauf aufmerksam gemacht, wie die kirchlichen Intriguen hier zu Lande seit einigen Jahren mit besonderm Eifer betrieben wurden, und hat öfter die Personen genannt, welche sich darin hervorthaten. Ein systematisches Betreiben derselben begann vorzüglich, seitdem zu Ende 1835 der russische Priester Constantin Oekonomos sich anfangs in Nauplia, bald in Athen selbst niederließ; und immer kecker wurde die Reactionspartei, seit es ihr zu Ende 1837 gelang, ihren auserwählten Liebling, Hrn. Glarakis, in die Ministerien des Innern und des Cultus zu bringen. Daß er ein keineswegs unfähiger Mann ist, kann nicht geläugnet werden; und mithin konnte er nicht verfehlen, durch eine gewisse Energie und Ordnung in den Geschäften sich der höchsten Staatsbehörde zu empfehlen – wenn nicht seine Antecedentien unter dem weiland Präsidenten Kapodistrias und der ganz besondere Eifer, mit welchem ein gewisser Theil der Diplomatie über ihn ihr Wohlgefallen aussprach, auf der andern Seite gegründeten Verdacht gegen ihn hätten erregen müssen. Allein leider wurden diese Verdachtsgründe am betreffenden Orte überhört, obgleich die sogenannte Oppositionspresse nicht unterließ, ihn vom ersten Tage an laut als einen Mann zu bezeichnen, der, sey es aus eigenem innern Drange oder in Folge materiellerer Ueberredungsmittel, schlechthin fremden und dem Throne feindlichen Interessen diene. Ich weiß nicht, ob dieß auch in andern Ländern das Schicksal der Oppositionsblätter ist, aber bei uns wenigstens verhält es sich so; die Wahrheit selbst, die sich doch meist aus den mit unterlaufenden Uebertreibungen leicht herausscheiden läßt, wird anstößig dadurch, daß sie von ihnen ausgeht, und ihre Stimme verhallt unbeachtet, wie die des Predigers in der Wüste. Glarakis galt, durch seine Augendienerei und scheinbare Fügsamkeit, bei den Umgebungen des Hofes für den treuesten der Minister, und unter der Aegide seines Namens operirte seine Partei, die erst durch seinen Eintritt ins Ministerium wieder recht ins Leben gerufen wurde, und verfolgte ihre Zwecke – wenn man anders ihre Zwecke nennen darf, was eigentlich die Zwecke eines fremden Einflusses waren, der sich bis dahin vergeblich bemüht hatte, das seit dem Tode des Grafen Kapodistrias verlorene Gewicht selbst durch gewaltsame Mittel, durch die Kolokotronische Conspiration vom Jahr 1833 und durch die Aufstände in Messenien und Akarnanien von 1834 und 1836, wieder zu erringen. Es ist vielleicht nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß damals (1836) Hr. Glarakis als Gouverneur von Patras seine Entlassung erhielt, weil der Verdacht ihn traf, die Insurrection in Akarnanien begünstigt zu haben. Und achtzehn Monate später wurde er Minister! Es ist begreiflich, daß er diese seine Stellung benutzte, nach und nach alle wichtigeren Stellen mit seinen Anhängern zu besetzen. Menschen und Namen, die seit Kapodistrias' Tagen in eine glückliche Vergessenheit gerathen waren, wurden wieder hervorgesucht und kamen wieder zu Amt und Würden. Aber vorzüglich warf sich die Thätigkeit der Partei auf die Geistlichkeit; von der Seite glaubte man die jetzige Ordnung der Dinge am sichersten untergraben zu können, und der erheuchelte Glaubenseifer so wie die scheinbare Verehrung des reinmonarchischen Princips gaben zugleich einen Vorwand, sich der Bildung und Aufklärung, als zu Freigeisterei und Liberalismus führend, nach Möglichkeit zu widersetzen. Die Synode wurde schon 1838 größtentheils aus Bischöfen von der Parteifarbe zusammengesetzt; und mit einem Schrei des Erstaunens sah Griechenland als Präsidenten seiner höchsten geistlichen Stelle den Bischof von Kynuria, der zu Anfang des heiligen Krieges in Konstantinopel die Excommunication des griechischen Aufstandes mit unterzeichnet, und diesen Act nie widerrufen hatte. Man erwartete, wenigstens diesen Mann bei der Erneuerung der Synode im Sommer 1839 entfernt zu sehen; aber der Minister wußte seinen Willen wieder durchzusetzen, und der Bischof Dionysios ist noch heute Präsident. – Endlich nach dem Abgange des Cabinetsraths Brandis, von dem man wußte, daß er sich des Vertrauens Sr. Maj. des Königs erfreue, wuchs die Keckheit und verdoppelte sich die Thätigkeit der Partei. Man hatte seit vier oder fünf Jahren unablässig die Gemüther des Volks für eine große im Jahr 1840 zu erwartende Veränderung zu bearbeiten gesucht. Die sogenannten Prophezeiungen des Agathangelos, ein perfides Büchlein voll Fanatismus und Unsinn, war von den nordisch Gesinnten mit großem Eifer unter dem Volk verbreitet worden; der Untergang der Bayern und Deutschen, die Vereinigung der Nation unter einem blonden und orthodoxen Könige, wurden unter Anderm darin verkündigt. Jetzt legte man es systematisch darauf an, die unwissende und fanatische Menge für die Reinheit und Erhaltung ihres Glaubens besorgt zu machen. Daher, um nur kurz an Bekanntes zu erinnern, die verschiedenen Schriften des Hrn. Oekonomos, die auf fremde Kosten gedruckt wurden, gegen die aufgeklärteren griechischen Geistlichen, einen Pharmakides, Vambas, Kaïris, und die Angriffe auf die Unabhängigkeit der griechischen Kirche; daher die unablässigen Verketzerungen der Universität und ihrer Lehrer, und das Zurückhalten der Schlußorganisation der Anstalt; daher selbst – denn so frech und ungescheut mißbrauchte man die vom König übertragene Gewalt – daher die Rundschreiben der Synode und des Hrn. Glarakis, daß die Kirche und die Orthodoxie in Gefahr seyen. An dem armen Kaïris – wie ich es Ihnen vor drei Monaten schon geschrieben habe – wollte die Partei ihre Stärke versuchen. Schon sechs Monate vorher verbreitete sie, auf verschiedenen Wegen, beunruhigende Gerüchte unter dem Volk über seine angeblichen Irrlehren; dann, nach dem Abgange seines Freundes Brandis, schlug sie los. Den Erfolg wissen Sie, und wissen, mit welcher Perfidie die Partei auch hier den königlichen Namen zu compromittiren suchte. Denn das verhängnißvolle Jahr 1840 kam ja heran, und zu den Vorbereitungen gehörte vor allen Dingen, den König der unwissenden Menge als einen Irrgläubigen darzustellen, der nicht berufen sey, nach den Prophezeiungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0009" n="0233"/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Stand der Dinge in Griechenland</hi>.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Athen,</hi> 11 Januar.</dateline>
          <p> Hätten Sie (die Redaction?) nicht aus meinen Berichten über die Kaïris-Angelegenheit immer das eigentliche punctum saliens, so zu sagen die Seele herausgestrichen, so würde die Allg. Zeitung schon seit Monaten mehr als Ein prophetisches Wort über die Dinge enthalten haben, die Ihnen die heutige Post meldet. Ich sende Ihnen wortgetreue Uebersetzungen der betreffenden Artikel aus der Athena, als dem ältesten und gelesensten der hiesigen Blätter, und aus dem Volksfreund, weil bei der Erzählung von Vorgängen dieser Art viel darauf ankommt, wie die Versionen lauten, die unter den Augen der Theilnehmer und Mitspielenden selbst umlaufen. Sie mögen das für Ihr Blatt Geeignete daraus auswählen. Daran reihe ich den Versuch einer summarischen Darstellung des ganzen Hergangs. &#x2013; Die Allg. Zeitung hat vielfach darauf aufmerksam gemacht, wie die kirchlichen Intriguen hier zu Lande seit einigen Jahren mit besonderm Eifer betrieben wurden, und hat öfter die Personen genannt, welche sich darin hervorthaten. Ein systematisches Betreiben derselben begann vorzüglich, seitdem zu Ende 1835 der russische Priester Constantin Oekonomos sich anfangs in Nauplia, bald in Athen selbst niederließ; und immer kecker wurde die Reactionspartei, seit es ihr zu Ende 1837 gelang, ihren auserwählten Liebling, Hrn. Glarakis, in die Ministerien des Innern und des Cultus zu bringen. Daß er ein keineswegs unfähiger Mann ist, kann nicht geläugnet werden; und mithin konnte er nicht verfehlen, durch eine gewisse Energie und Ordnung in den Geschäften sich der höchsten Staatsbehörde zu empfehlen &#x2013; wenn nicht seine Antecedentien unter dem weiland Präsidenten Kapodistrias und der ganz besondere Eifer, mit welchem ein gewisser Theil der Diplomatie über ihn ihr Wohlgefallen aussprach, auf der andern Seite gegründeten Verdacht gegen ihn hätten erregen müssen. Allein leider wurden diese Verdachtsgründe am betreffenden Orte überhört, obgleich die sogenannte Oppositionspresse nicht unterließ, ihn vom ersten Tage an laut als einen Mann zu bezeichnen, der, sey es aus eigenem innern Drange oder in Folge materiellerer Ueberredungsmittel, schlechthin fremden und dem Throne feindlichen Interessen diene. Ich weiß nicht, ob dieß auch in andern Ländern das Schicksal der Oppositionsblätter ist, aber bei uns wenigstens verhält es sich so; die Wahrheit selbst, die sich doch meist aus den mit unterlaufenden Uebertreibungen leicht herausscheiden läßt, wird anstößig dadurch, daß sie von ihnen ausgeht, und ihre Stimme verhallt unbeachtet, wie die des Predigers in der Wüste. Glarakis galt, durch seine Augendienerei und scheinbare Fügsamkeit, bei den Umgebungen des Hofes für den treuesten der Minister, und unter der Aegide seines Namens operirte seine Partei, die erst durch seinen Eintritt ins Ministerium wieder recht ins Leben gerufen wurde, und verfolgte ihre Zwecke &#x2013; wenn man anders <hi rendition="#g">ihre</hi> Zwecke nennen darf, was eigentlich die Zwecke eines fremden Einflusses waren, der sich bis dahin vergeblich bemüht hatte, das seit dem Tode des Grafen Kapodistrias verlorene Gewicht selbst durch gewaltsame Mittel, durch die Kolokotronische Conspiration vom Jahr 1833 und durch die Aufstände in Messenien und Akarnanien von 1834 und 1836, wieder zu erringen. Es ist vielleicht nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß damals (1836) Hr. Glarakis als Gouverneur von Patras seine Entlassung erhielt, weil der Verdacht ihn traf, die Insurrection in Akarnanien begünstigt zu haben. Und achtzehn Monate später wurde er Minister! Es ist begreiflich, daß er diese seine Stellung benutzte, nach und nach alle wichtigeren Stellen mit seinen Anhängern zu besetzen. Menschen und Namen, die seit Kapodistrias' Tagen in eine glückliche Vergessenheit gerathen waren, wurden wieder hervorgesucht und kamen wieder zu Amt und Würden. Aber vorzüglich warf sich die Thätigkeit der Partei auf die Geistlichkeit; von <hi rendition="#g">der</hi> Seite glaubte man die jetzige Ordnung der Dinge am sichersten untergraben zu können, und der erheuchelte Glaubenseifer so wie die scheinbare Verehrung des reinmonarchischen Princips gaben zugleich einen Vorwand, sich der Bildung und Aufklärung, als zu Freigeisterei und Liberalismus führend, nach Möglichkeit zu widersetzen. Die Synode wurde schon 1838 größtentheils aus Bischöfen von der Parteifarbe zusammengesetzt; und mit einem Schrei des Erstaunens sah Griechenland als Präsidenten seiner höchsten geistlichen Stelle den Bischof von Kynuria, der zu Anfang des heiligen Krieges in Konstantinopel die <hi rendition="#g">Excommunication des griechischen Aufstandes mit unterzeichnet</hi>, und diesen Act nie widerrufen hatte. Man erwartete, wenigstens diesen Mann bei der Erneuerung der Synode im Sommer 1839 entfernt zu sehen; aber der Minister wußte seinen Willen wieder durchzusetzen, und der Bischof Dionysios ist noch heute Präsident. &#x2013; Endlich nach dem Abgange des Cabinetsraths Brandis, von dem man wußte, daß er sich des Vertrauens Sr. Maj. des Königs erfreue, wuchs die Keckheit und verdoppelte sich die Thätigkeit der Partei. Man hatte seit vier oder fünf Jahren unablässig die Gemüther des Volks für eine große im Jahr 1840 zu erwartende Veränderung zu bearbeiten gesucht. Die sogenannten Prophezeiungen des Agathangelos, ein perfides Büchlein voll Fanatismus und Unsinn, war von den nordisch Gesinnten mit großem Eifer unter dem Volk verbreitet worden; der Untergang der Bayern und Deutschen, die Vereinigung der Nation unter einem blonden und <hi rendition="#g">orthodoxen</hi> Könige, wurden unter Anderm darin verkündigt. Jetzt legte man es systematisch darauf an, die unwissende und fanatische Menge für die Reinheit und Erhaltung ihres Glaubens besorgt zu machen. Daher, um nur kurz an Bekanntes zu erinnern, die verschiedenen Schriften des Hrn. Oekonomos, die auf fremde Kosten gedruckt wurden, gegen die aufgeklärteren griechischen Geistlichen, einen Pharmakides, Vambas, Kaïris, und die Angriffe auf die Unabhängigkeit der griechischen Kirche; daher die unablässigen Verketzerungen der Universität und ihrer Lehrer, und das Zurückhalten der Schlußorganisation der Anstalt; daher selbst &#x2013; denn so frech und ungescheut mißbrauchte man die vom König übertragene Gewalt &#x2013; daher die Rundschreiben der Synode und des Hrn. Glarakis, daß die Kirche und die Orthodoxie in Gefahr seyen. An dem armen Kaïris &#x2013; wie ich es Ihnen vor drei Monaten schon geschrieben habe &#x2013; wollte die Partei ihre Stärke versuchen. Schon sechs Monate vorher verbreitete sie, auf verschiedenen Wegen, beunruhigende Gerüchte unter dem Volk über seine angeblichen Irrlehren; dann, nach dem Abgange seines Freundes Brandis, schlug sie los. Den Erfolg wissen Sie, und wissen, mit welcher Perfidie die Partei auch hier den königlichen Namen zu compromittiren suchte. Denn das verhängnißvolle Jahr 1840 kam ja heran, und zu den Vorbereitungen gehörte vor allen Dingen, den König der unwissenden Menge als einen Irrgläubigen darzustellen, der nicht berufen sey, nach den Prophezeiungen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233/0009] Stand der Dinge in Griechenland. _ Athen, 11 Januar. Hätten Sie (die Redaction?) nicht aus meinen Berichten über die Kaïris-Angelegenheit immer das eigentliche punctum saliens, so zu sagen die Seele herausgestrichen, so würde die Allg. Zeitung schon seit Monaten mehr als Ein prophetisches Wort über die Dinge enthalten haben, die Ihnen die heutige Post meldet. Ich sende Ihnen wortgetreue Uebersetzungen der betreffenden Artikel aus der Athena, als dem ältesten und gelesensten der hiesigen Blätter, und aus dem Volksfreund, weil bei der Erzählung von Vorgängen dieser Art viel darauf ankommt, wie die Versionen lauten, die unter den Augen der Theilnehmer und Mitspielenden selbst umlaufen. Sie mögen das für Ihr Blatt Geeignete daraus auswählen. Daran reihe ich den Versuch einer summarischen Darstellung des ganzen Hergangs. – Die Allg. Zeitung hat vielfach darauf aufmerksam gemacht, wie die kirchlichen Intriguen hier zu Lande seit einigen Jahren mit besonderm Eifer betrieben wurden, und hat öfter die Personen genannt, welche sich darin hervorthaten. Ein systematisches Betreiben derselben begann vorzüglich, seitdem zu Ende 1835 der russische Priester Constantin Oekonomos sich anfangs in Nauplia, bald in Athen selbst niederließ; und immer kecker wurde die Reactionspartei, seit es ihr zu Ende 1837 gelang, ihren auserwählten Liebling, Hrn. Glarakis, in die Ministerien des Innern und des Cultus zu bringen. Daß er ein keineswegs unfähiger Mann ist, kann nicht geläugnet werden; und mithin konnte er nicht verfehlen, durch eine gewisse Energie und Ordnung in den Geschäften sich der höchsten Staatsbehörde zu empfehlen – wenn nicht seine Antecedentien unter dem weiland Präsidenten Kapodistrias und der ganz besondere Eifer, mit welchem ein gewisser Theil der Diplomatie über ihn ihr Wohlgefallen aussprach, auf der andern Seite gegründeten Verdacht gegen ihn hätten erregen müssen. Allein leider wurden diese Verdachtsgründe am betreffenden Orte überhört, obgleich die sogenannte Oppositionspresse nicht unterließ, ihn vom ersten Tage an laut als einen Mann zu bezeichnen, der, sey es aus eigenem innern Drange oder in Folge materiellerer Ueberredungsmittel, schlechthin fremden und dem Throne feindlichen Interessen diene. Ich weiß nicht, ob dieß auch in andern Ländern das Schicksal der Oppositionsblätter ist, aber bei uns wenigstens verhält es sich so; die Wahrheit selbst, die sich doch meist aus den mit unterlaufenden Uebertreibungen leicht herausscheiden läßt, wird anstößig dadurch, daß sie von ihnen ausgeht, und ihre Stimme verhallt unbeachtet, wie die des Predigers in der Wüste. Glarakis galt, durch seine Augendienerei und scheinbare Fügsamkeit, bei den Umgebungen des Hofes für den treuesten der Minister, und unter der Aegide seines Namens operirte seine Partei, die erst durch seinen Eintritt ins Ministerium wieder recht ins Leben gerufen wurde, und verfolgte ihre Zwecke – wenn man anders ihre Zwecke nennen darf, was eigentlich die Zwecke eines fremden Einflusses waren, der sich bis dahin vergeblich bemüht hatte, das seit dem Tode des Grafen Kapodistrias verlorene Gewicht selbst durch gewaltsame Mittel, durch die Kolokotronische Conspiration vom Jahr 1833 und durch die Aufstände in Messenien und Akarnanien von 1834 und 1836, wieder zu erringen. Es ist vielleicht nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß damals (1836) Hr. Glarakis als Gouverneur von Patras seine Entlassung erhielt, weil der Verdacht ihn traf, die Insurrection in Akarnanien begünstigt zu haben. Und achtzehn Monate später wurde er Minister! Es ist begreiflich, daß er diese seine Stellung benutzte, nach und nach alle wichtigeren Stellen mit seinen Anhängern zu besetzen. Menschen und Namen, die seit Kapodistrias' Tagen in eine glückliche Vergessenheit gerathen waren, wurden wieder hervorgesucht und kamen wieder zu Amt und Würden. Aber vorzüglich warf sich die Thätigkeit der Partei auf die Geistlichkeit; von der Seite glaubte man die jetzige Ordnung der Dinge am sichersten untergraben zu können, und der erheuchelte Glaubenseifer so wie die scheinbare Verehrung des reinmonarchischen Princips gaben zugleich einen Vorwand, sich der Bildung und Aufklärung, als zu Freigeisterei und Liberalismus führend, nach Möglichkeit zu widersetzen. Die Synode wurde schon 1838 größtentheils aus Bischöfen von der Parteifarbe zusammengesetzt; und mit einem Schrei des Erstaunens sah Griechenland als Präsidenten seiner höchsten geistlichen Stelle den Bischof von Kynuria, der zu Anfang des heiligen Krieges in Konstantinopel die Excommunication des griechischen Aufstandes mit unterzeichnet, und diesen Act nie widerrufen hatte. Man erwartete, wenigstens diesen Mann bei der Erneuerung der Synode im Sommer 1839 entfernt zu sehen; aber der Minister wußte seinen Willen wieder durchzusetzen, und der Bischof Dionysios ist noch heute Präsident. – Endlich nach dem Abgange des Cabinetsraths Brandis, von dem man wußte, daß er sich des Vertrauens Sr. Maj. des Königs erfreue, wuchs die Keckheit und verdoppelte sich die Thätigkeit der Partei. Man hatte seit vier oder fünf Jahren unablässig die Gemüther des Volks für eine große im Jahr 1840 zu erwartende Veränderung zu bearbeiten gesucht. Die sogenannten Prophezeiungen des Agathangelos, ein perfides Büchlein voll Fanatismus und Unsinn, war von den nordisch Gesinnten mit großem Eifer unter dem Volk verbreitet worden; der Untergang der Bayern und Deutschen, die Vereinigung der Nation unter einem blonden und orthodoxen Könige, wurden unter Anderm darin verkündigt. Jetzt legte man es systematisch darauf an, die unwissende und fanatische Menge für die Reinheit und Erhaltung ihres Glaubens besorgt zu machen. Daher, um nur kurz an Bekanntes zu erinnern, die verschiedenen Schriften des Hrn. Oekonomos, die auf fremde Kosten gedruckt wurden, gegen die aufgeklärteren griechischen Geistlichen, einen Pharmakides, Vambas, Kaïris, und die Angriffe auf die Unabhängigkeit der griechischen Kirche; daher die unablässigen Verketzerungen der Universität und ihrer Lehrer, und das Zurückhalten der Schlußorganisation der Anstalt; daher selbst – denn so frech und ungescheut mißbrauchte man die vom König übertragene Gewalt – daher die Rundschreiben der Synode und des Hrn. Glarakis, daß die Kirche und die Orthodoxie in Gefahr seyen. An dem armen Kaïris – wie ich es Ihnen vor drei Monaten schon geschrieben habe – wollte die Partei ihre Stärke versuchen. Schon sechs Monate vorher verbreitete sie, auf verschiedenen Wegen, beunruhigende Gerüchte unter dem Volk über seine angeblichen Irrlehren; dann, nach dem Abgange seines Freundes Brandis, schlug sie los. Den Erfolg wissen Sie, und wissen, mit welcher Perfidie die Partei auch hier den königlichen Namen zu compromittiren suchte. Denn das verhängnißvolle Jahr 1840 kam ja heran, und zu den Vorbereitungen gehörte vor allen Dingen, den König der unwissenden Menge als einen Irrgläubigen darzustellen, der nicht berufen sey, nach den Prophezeiungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_030_18400130
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_030_18400130/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 30. Augsburg, 30. Januar 1840, S. 0233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_030_18400130/9>, abgerufen am 03.12.2024.