Allgemeine Zeitung. Nr. 34. Augsburg, 3. Februar 1840.Cormenin und dem Charivari getödtet wurde. Wenigstens bezeichnet heute der Courrier de Paris die Opposition, die der Constitutionnel dagegen eröffnet, für ein beinahe gewisses Anzeichen von dem Fall des Gesetzes, oder wenigstens von dessen theilweiser Verwerfung. Der Constitutionnel, so oft ihm auch manchmal besondere Mittheilungen eine gewisse höhere und diplomatische Haltung geben, ist doch im Ganzen noch das alte Journal der Epiciers, und wenn er gegen den Hof in solchen Fragen eine entschiedene Haltung annimmt, so bedeutet das nicht nur, daß das linke Centrum seiner Meinung ist, sondern auch die Bourgeoisie von Paris, d. h. die Nationalgarde in ihren eigentlichsten Elementen. Der Hof könnte so leicht um sein Geld, das Cabinet um sein Rentengesetz und Hr. Passy um sein Portefeuille kommen. - Ein ironischer Artikel des Commerce über die von Guizot herausgegebene französische Ausgabe von Washington enthält das Geheimniß der Gunst, die vor einiger Zeit Hr. Guizot in den Tuilerien wieder erwarb, die man aber vielfältig in ihren muthmaßlichen Wirkungen übertrieben hatte. Seine Einleitung erklärt nämlich den großen Amerikaner für den ursprünglichen Erfinder des Juste-Milieu und gibt zu verstehen, daß der französische Anwender dieses Systems seit 1830 Frankreichs Washington sey. Paris, 26 Jan. Die französischen Politiker lassen sich, in Betreff ihrer Stellung zum Ausland, in mehrere Classen theilen: 1) wahre Revolutionäre, mit Ausschluß des tobenden Haufens gemeiner Bonapartisten, die gedankenlos sind und sich nicht über das Renommiren emporheben. Diese wollen nicht daß Frankreich sich mit irgend einer politischen Macht eng alliire; sie wollen die Allianz mit den Völkern gegen die Fürsten wie sie sagen, das heißt, eine demokratisch-demagogische Propaganda. Sie empfinden den Anklang, welchen sie im Zeitgeiste finden, in dem Mangel an Liebe zwischen Unterthanen und Regierungen, dem Aufhören aller väterlichen wie aller ritterlichen Verhältnisse, der Abgestorbenheit der Begriffe Landesvater wie Feudalherr, der Isolirung, der Trotzigkeit der Gesinnungen. Eine Fürstenallianz schwächt, ihnen zufolge, die revolutionäre Kraft Frankreichs; aber sie sind gar nicht abgeneigt, jede Allianz zu benutzen, wenn sie ihnen angeboten wird als Keim der Zwietracht zwischen den Mächten. Wenn sie an die Rheingränze denken, sind sie russisch gesinnt; wenn sie an Konstantinopel denken, sind sie englisch gesinnt. Deutsch werden sie seyn, wenn Deutschland in ihre Propaganda eingeht. Sie benutzen den Katholicismus wider absolute protestantische Mächte, den Protestantismus wider absolute katholische Mächte; doch gibt es unter ihnen Minoritäten, welche auf die Allianz des positiven Christenthums dringen. Sie sind Freunde des Pascha's von Aegypten, Freunde der Colonie Algier, ganz besonders freundlich gesinnt sind sie für Italien und Spanien im revolutionärsten Sinne. Ihr größter Haß ist gegen Ludwig Philipp gerichtet. - 2) Oppositionsmänner und Tiers-Parti, wollen durchaus die englische Allianz, nicht aus allgemeinen Interessen, sondern wegen ihrer Stellung. Sie befürchten nämlich zwei Reactionen - die legitimistische wie die propagandische - und sehen in den sie umgebenden Repräsentativsystemen einen Anhaltspunkt wider die drei großen absolutistischen Mächte Rußland, Preußen und Oesterreich, hoffend auf constitutionellen Halt im constitutionellen Deutschland, Belgien und Spanien. Der Bund Englands mit den absolutistischen Mächten ist während der Revolution und des Kaiserthums ihren constitutionellen Systemen zu Schaden geworden, und sie wollen dieses nun verhindern. Sie sind unter sich sehr getheilt über Algier und Aegypten; Vielen ist Algier eine Schwächung Frankreichs und ein Dorn im Fuße; gern opferten sie den Pascha von Aegypten der englischen Allianz zu Liebe auf. So wie aber England sich mit Rußland und Oesterreich eint, dringen sie auf Krieg, um sich nicht durch die Revolutionäre und Bonapartisten wie während der Revolution und des Kaiserthums überrumpeln zu lassen. Der Tiers-Parti übrigens schlösse sich in diesem Falle der Regierung näher an als die Opposition. In allen Kriegsfällen übrigens (wenn die Regierung sich nicht mehr kräftigt wie bisher) würde die Revolutionspartei gewaltig erstarken. - 3) Juste-Milieu und purer Dynasticismus. Dieser war sehr lau englisch gesinnt und hätte sich gern an Oesterreich angeschlossen, im reinsten Sinne des status quo und aus Besorgniß für die Zukunft. Sein Charakter ist Hinhalten, Zögern, und endlich was sich nicht mehr vermeiden noch umgehen läßt Acceptiren; es ist ein Bund der Schwäche mit der Gewandtheit, der Feinheit mit dem Egoismus. Hauptziel im Innern ist Schwächung der Parlamentsparteien, Darlegung ihrer Unmacht und in dieser Hinsicht Malice, entschiedene Abneigung gegen Selbstständigkeit der Geister und der Talente, Favorisirung einer geschickten, gescheidten Mittelmäßigkeit, Dünnheit des Genie's und Durchtriebenheit eines schlauen aber secundären Verstandes. Man schwankt zwischen Rußland und England, weil die persönlichen Rücksichten nichts Permanentes haben, sondern wie die Wetterfahne nach dem Wetter sich drehen, ohne Wind und Wetter zu machen. Algier wollte man nicht - man muß es acceptiren; Aegypten wünschte man nicht - man ist gezwungen den Pascha zu stützen. In Spanien wünscht man die Niederlage der Revolutionäre und befürchtet alle Unruhen in der Schweiz und gegen die französischen Gränzen. Geist dieser Partei ist Besorglichkeit und Wohlleben. - 4) Legitimisten, träumen eine russische Allianz und die Rheingränze. - Uebrigens lebt in allen Parteien die Spannung gegen England, wegen der Antipathie zwischen englischen und französischen Charakteren: der Engländer brutal wegwerfend, der Franzose leichtsinnig sich überhebend. Der Egoismus der Engländer ist aus Härte zusammengebacken, der der Franzosen aus Beweglichkeit. Niederlande. Aus dem Haag, 27 Jan. Die Mitglieder der zweiten Kammer der Generalstaaten sind zum großen Theil nach ihren Heimathsorten abgereist, um daselbst die Wiedereinberufung abzuwarten. Dieselbe wird erfolgen, sobald die Regierung ihre Antworten auf die Bedenken und Wünsche der Kammer, bezüglich der Revision des Staatsgrundgesetzes, erlassen hat; die Bedenken der Abtheilungen der Kammer betreffen natürlich die von der Regierung vorgelegten fünf Gesetzesentwürfe. Die öffentlichen Blätter fahren indessen fort, über die Revision des Staatsgrundgesetzes in langen Artikeln zu polemisiren. Das "Handelsblad" spricht sich im Geiste der Opposition der zweiten Kammer der Generalstaaten aus; der "Avondbode" ist gemäßigter und ruft: "Eile mit Weile," wogegen es dem "Arnhem'schen Courant" um eine Radicalreform zu thun ist. Dessen ungeachtet erklärte neulich das letztere Blatt, daß das Volk nicht im Stande sey, über die Revision des Grundgesetzes abzuurtheilen, es müsse sich auf seine Repräsentanten verlassen, diese allein seyen urtheilsfähig. Wolle aber das Volk Adressen, in Bezug auf die Revision des Staatsgrundgesetzes, abfassen, so möge es vor Allem verlangen: directe Wahlen, ministerielle Verantwortlichkeit, jährliche vollständige und öffentliche Darlegung des Finanzzustandes und Gleichheit vor dem Gesetz. Man bleibt auf die Entschließung der Regierung gespannt. Haag, 23 Jan. Aus den officiellen holländischen und luxemburgischen Blättern werden Sie bereits die neuen Anordnungen Cormenin und dem Charivari getödtet wurde. Wenigstens bezeichnet heute der Courrier de Paris die Opposition, die der Constitutionnel dagegen eröffnet, für ein beinahe gewisses Anzeichen von dem Fall des Gesetzes, oder wenigstens von dessen theilweiser Verwerfung. Der Constitutionnel, so oft ihm auch manchmal besondere Mittheilungen eine gewisse höhere und diplomatische Haltung geben, ist doch im Ganzen noch das alte Journal der Epiciers, und wenn er gegen den Hof in solchen Fragen eine entschiedene Haltung annimmt, so bedeutet das nicht nur, daß das linke Centrum seiner Meinung ist, sondern auch die Bourgeoisie von Paris, d. h. die Nationalgarde in ihren eigentlichsten Elementen. Der Hof könnte so leicht um sein Geld, das Cabinet um sein Rentengesetz und Hr. Passy um sein Portefeuille kommen. – Ein ironischer Artikel des Commerce über die von Guizot herausgegebene französische Ausgabe von Washington enthält das Geheimniß der Gunst, die vor einiger Zeit Hr. Guizot in den Tuilerien wieder erwarb, die man aber vielfältig in ihren muthmaßlichen Wirkungen übertrieben hatte. Seine Einleitung erklärt nämlich den großen Amerikaner für den ursprünglichen Erfinder des Juste-Milieu und gibt zu verstehen, daß der französische Anwender dieses Systems seit 1830 Frankreichs Washington sey. Paris, 26 Jan. Die französischen Politiker lassen sich, in Betreff ihrer Stellung zum Ausland, in mehrere Classen theilen: 1) wahre Revolutionäre, mit Ausschluß des tobenden Haufens gemeiner Bonapartisten, die gedankenlos sind und sich nicht über das Rénommiren emporheben. Diese wollen nicht daß Frankreich sich mit irgend einer politischen Macht eng alliire; sie wollen die Allianz mit den Völkern gegen die Fürsten wie sie sagen, das heißt, eine demokratisch-demagogische Propaganda. Sie empfinden den Anklang, welchen sie im Zeitgeiste finden, in dem Mangel an Liebe zwischen Unterthanen und Regierungen, dem Aufhören aller väterlichen wie aller ritterlichen Verhältnisse, der Abgestorbenheit der Begriffe Landesvater wie Feudalherr, der Isolirung, der Trotzigkeit der Gesinnungen. Eine Fürstenallianz schwächt, ihnen zufolge, die revolutionäre Kraft Frankreichs; aber sie sind gar nicht abgeneigt, jede Allianz zu benutzen, wenn sie ihnen angeboten wird als Keim der Zwietracht zwischen den Mächten. Wenn sie an die Rheingränze denken, sind sie russisch gesinnt; wenn sie an Konstantinopel denken, sind sie englisch gesinnt. Deutsch werden sie seyn, wenn Deutschland in ihre Propaganda eingeht. Sie benutzen den Katholicismus wider absolute protestantische Mächte, den Protestantismus wider absolute katholische Mächte; doch gibt es unter ihnen Minoritäten, welche auf die Allianz des positiven Christenthums dringen. Sie sind Freunde des Pascha's von Aegypten, Freunde der Colonie Algier, ganz besonders freundlich gesinnt sind sie für Italien und Spanien im revolutionärsten Sinne. Ihr größter Haß ist gegen Ludwig Philipp gerichtet. – 2) Oppositionsmänner und Tiers-Parti, wollen durchaus die englische Allianz, nicht aus allgemeinen Interessen, sondern wegen ihrer Stellung. Sie befürchten nämlich zwei Reactionen – die legitimistische wie die propagandische – und sehen in den sie umgebenden Repräsentativsystemen einen Anhaltspunkt wider die drei großen absolutistischen Mächte Rußland, Preußen und Oesterreich, hoffend auf constitutionellen Halt im constitutionellen Deutschland, Belgien und Spanien. Der Bund Englands mit den absolutistischen Mächten ist während der Revolution und des Kaiserthums ihren constitutionellen Systemen zu Schaden geworden, und sie wollen dieses nun verhindern. Sie sind unter sich sehr getheilt über Algier und Aegypten; Vielen ist Algier eine Schwächung Frankreichs und ein Dorn im Fuße; gern opferten sie den Pascha von Aegypten der englischen Allianz zu Liebe auf. So wie aber England sich mit Rußland und Oesterreich eint, dringen sie auf Krieg, um sich nicht durch die Revolutionäre und Bonapartisten wie während der Revolution und des Kaiserthums überrumpeln zu lassen. Der Tiers-Parti übrigens schlösse sich in diesem Falle der Regierung näher an als die Opposition. In allen Kriegsfällen übrigens (wenn die Regierung sich nicht mehr kräftigt wie bisher) würde die Revolutionspartei gewaltig erstarken. – 3) Juste-Milieu und purer Dynasticismus. Dieser war sehr lau englisch gesinnt und hätte sich gern an Oesterreich angeschlossen, im reinsten Sinne des status quo und aus Besorgniß für die Zukunft. Sein Charakter ist Hinhalten, Zögern, und endlich was sich nicht mehr vermeiden noch umgehen läßt Acceptiren; es ist ein Bund der Schwäche mit der Gewandtheit, der Feinheit mit dem Egoismus. Hauptziel im Innern ist Schwächung der Parlamentsparteien, Darlegung ihrer Unmacht und in dieser Hinsicht Malice, entschiedene Abneigung gegen Selbstständigkeit der Geister und der Talente, Favorisirung einer geschickten, gescheidten Mittelmäßigkeit, Dünnheit des Genie's und Durchtriebenheit eines schlauen aber secundären Verstandes. Man schwankt zwischen Rußland und England, weil die persönlichen Rücksichten nichts Permanentes haben, sondern wie die Wetterfahne nach dem Wetter sich drehen, ohne Wind und Wetter zu machen. Algier wollte man nicht – man muß es acceptiren; Aegypten wünschte man nicht – man ist gezwungen den Pascha zu stützen. In Spanien wünscht man die Niederlage der Revolutionäre und befürchtet alle Unruhen in der Schweiz und gegen die französischen Gränzen. Geist dieser Partei ist Besorglichkeit und Wohlleben. – 4) Legitimisten, träumen eine russische Allianz und die Rheingränze. – Uebrigens lebt in allen Parteien die Spannung gegen England, wegen der Antipathie zwischen englischen und französischen Charakteren: der Engländer brutal wegwerfend, der Franzose leichtsinnig sich überhebend. Der Egoismus der Engländer ist aus Härte zusammengebacken, der der Franzosen aus Beweglichkeit. Niederlande. Aus dem Haag, 27 Jan. Die Mitglieder der zweiten Kammer der Generalstaaten sind zum großen Theil nach ihren Heimathsorten abgereist, um daselbst die Wiedereinberufung abzuwarten. Dieselbe wird erfolgen, sobald die Regierung ihre Antworten auf die Bedenken und Wünsche der Kammer, bezüglich der Revision des Staatsgrundgesetzes, erlassen hat; die Bedenken der Abtheilungen der Kammer betreffen natürlich die von der Regierung vorgelegten fünf Gesetzesentwürfe. Die öffentlichen Blätter fahren indessen fort, über die Revision des Staatsgrundgesetzes in langen Artikeln zu polemisiren. Das „Handelsblad“ spricht sich im Geiste der Opposition der zweiten Kammer der Generalstaaten aus; der „Avondbode“ ist gemäßigter und ruft: „Eile mit Weile,“ wogegen es dem „Arnhem'schen Courant“ um eine Radicalreform zu thun ist. Dessen ungeachtet erklärte neulich das letztere Blatt, daß das Volk nicht im Stande sey, über die Revision des Grundgesetzes abzuurtheilen, es müsse sich auf seine Repräsentanten verlassen, diese allein seyen urtheilsfähig. Wolle aber das Volk Adressen, in Bezug auf die Revision des Staatsgrundgesetzes, abfassen, so möge es vor Allem verlangen: directe Wahlen, ministerielle Verantwortlichkeit, jährliche vollständige und öffentliche Darlegung des Finanzzustandes und Gleichheit vor dem Gesetz. Man bleibt auf die Entschließung der Regierung gespannt. Haag, 23 Jan. Aus den officiellen holländischen und luxemburgischen Blättern werden Sie bereits die neuen Anordnungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0004" n="0268"/> Cormenin und dem Charivari getödtet wurde. 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Guizot in den Tuilerien wieder erwarb, die man aber vielfältig in ihren muthmaßlichen Wirkungen übertrieben hatte. Seine Einleitung erklärt nämlich den großen Amerikaner für den ursprünglichen Erfinder des Juste-Milieu und gibt zu verstehen, daß der französische Anwender dieses Systems seit 1830 Frankreichs Washington sey.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 26 Jan.</dateline> <p> Die französischen Politiker lassen sich, in Betreff ihrer Stellung zum Ausland, in mehrere Classen theilen: 1) <hi rendition="#g">wahre Revolutionäre</hi>, mit Ausschluß des tobenden Haufens gemeiner Bonapartisten, die gedankenlos sind und sich nicht über das Rénommiren emporheben. 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Sie benutzen den Katholicismus wider absolute protestantische Mächte, den Protestantismus wider absolute katholische Mächte; doch gibt es unter ihnen Minoritäten, welche auf die Allianz des positiven Christenthums dringen. Sie sind Freunde des Pascha's von Aegypten, Freunde der Colonie Algier, ganz besonders freundlich gesinnt sind sie für Italien und Spanien im revolutionärsten Sinne. Ihr größter Haß ist gegen Ludwig Philipp gerichtet. – 2) <hi rendition="#g">Oppositionsmänner und Tiers</hi>-<hi rendition="#g">Parti</hi>, wollen durchaus die englische Allianz, nicht aus allgemeinen Interessen, sondern wegen ihrer Stellung. Sie befürchten nämlich zwei Reactionen – die legitimistische wie die propagandische – und sehen in den sie umgebenden Repräsentativsystemen einen Anhaltspunkt wider die drei großen absolutistischen Mächte Rußland, Preußen und Oesterreich, hoffend auf constitutionellen Halt im constitutionellen Deutschland, Belgien und Spanien. 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In Spanien wünscht man die Niederlage der Revolutionäre und befürchtet alle Unruhen in der Schweiz und gegen die französischen Gränzen. Geist dieser Partei ist Besorglichkeit und Wohlleben. – 4) <hi rendition="#g">Legitimisten</hi>, träumen eine russische Allianz und die Rheingränze. – Uebrigens lebt in allen Parteien die Spannung gegen England, wegen der Antipathie zwischen englischen und französischen Charakteren: der Engländer brutal wegwerfend, der Franzose leichtsinnig sich überhebend. 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Das „Handelsblad“ spricht sich im Geiste der Opposition der zweiten Kammer der Generalstaaten aus; der „Avondbode“ ist gemäßigter und ruft: „Eile mit Weile,“ wogegen es dem „Arnhem'schen Courant“ um eine Radicalreform zu thun ist. Dessen ungeachtet erklärte neulich das letztere Blatt, daß das Volk nicht im Stande sey, über die Revision des Grundgesetzes abzuurtheilen, es müsse sich auf seine Repräsentanten verlassen, diese allein seyen urtheilsfähig. Wolle aber das Volk Adressen, in Bezug auf die Revision des Staatsgrundgesetzes, abfassen, so möge es vor Allem verlangen: directe Wahlen, ministerielle Verantwortlichkeit, jährliche vollständige und öffentliche Darlegung des Finanzzustandes und Gleichheit vor dem Gesetz. 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_ Paris, 26 Jan. Die französischen Politiker lassen sich, in Betreff ihrer Stellung zum Ausland, in mehrere Classen theilen: 1) wahre Revolutionäre, mit Ausschluß des tobenden Haufens gemeiner Bonapartisten, die gedankenlos sind und sich nicht über das Rénommiren emporheben. Diese wollen nicht daß Frankreich sich mit irgend einer politischen Macht eng alliire; sie wollen die Allianz mit den Völkern gegen die Fürsten wie sie sagen, das heißt, eine demokratisch-demagogische Propaganda. Sie empfinden den Anklang, welchen sie im Zeitgeiste finden, in dem Mangel an Liebe zwischen Unterthanen und Regierungen, dem Aufhören aller väterlichen wie aller ritterlichen Verhältnisse, der Abgestorbenheit der Begriffe Landesvater wie Feudalherr, der Isolirung, der Trotzigkeit der Gesinnungen. Eine Fürstenallianz schwächt, ihnen zufolge, die revolutionäre Kraft Frankreichs; aber sie sind gar nicht abgeneigt, jede Allianz zu benutzen, wenn sie ihnen angeboten wird als Keim der Zwietracht zwischen den Mächten. Wenn sie an die Rheingränze denken, sind sie russisch gesinnt; wenn sie an Konstantinopel denken, sind sie englisch gesinnt. Deutsch werden sie seyn, wenn Deutschland in ihre Propaganda eingeht. Sie benutzen den Katholicismus wider absolute protestantische Mächte, den Protestantismus wider absolute katholische Mächte; doch gibt es unter ihnen Minoritäten, welche auf die Allianz des positiven Christenthums dringen. Sie sind Freunde des Pascha's von Aegypten, Freunde der Colonie Algier, ganz besonders freundlich gesinnt sind sie für Italien und Spanien im revolutionärsten Sinne. Ihr größter Haß ist gegen Ludwig Philipp gerichtet. – 2) Oppositionsmänner und Tiers-Parti, wollen durchaus die englische Allianz, nicht aus allgemeinen Interessen, sondern wegen ihrer Stellung. Sie befürchten nämlich zwei Reactionen – die legitimistische wie die propagandische – und sehen in den sie umgebenden Repräsentativsystemen einen Anhaltspunkt wider die drei großen absolutistischen Mächte Rußland, Preußen und Oesterreich, hoffend auf constitutionellen Halt im constitutionellen Deutschland, Belgien und Spanien. Der Bund Englands mit den absolutistischen Mächten ist während der Revolution und des Kaiserthums ihren constitutionellen Systemen zu Schaden geworden, und sie wollen dieses nun verhindern. Sie sind unter sich sehr getheilt über Algier und Aegypten; Vielen ist Algier eine Schwächung Frankreichs und ein Dorn im Fuße; gern opferten sie den Pascha von Aegypten der englischen Allianz zu Liebe auf. So wie aber England sich mit Rußland und Oesterreich eint, dringen sie auf Krieg, um sich nicht durch die Revolutionäre und Bonapartisten wie während der Revolution und des Kaiserthums überrumpeln zu lassen. Der Tiers-Parti übrigens schlösse sich in diesem Falle der Regierung näher an als die Opposition. In allen Kriegsfällen übrigens (wenn die Regierung sich nicht mehr kräftigt wie bisher) würde die Revolutionspartei gewaltig erstarken. – 3) Juste-Milieu und purer Dynasticismus. Dieser war sehr lau englisch gesinnt und hätte sich gern an Oesterreich angeschlossen, im reinsten Sinne des status quo und aus Besorgniß für die Zukunft. Sein Charakter ist Hinhalten, Zögern, und endlich was sich nicht mehr vermeiden noch umgehen läßt Acceptiren; es ist ein Bund der Schwäche mit der Gewandtheit, der Feinheit mit dem Egoismus. Hauptziel im Innern ist Schwächung der Parlamentsparteien, Darlegung ihrer Unmacht und in dieser Hinsicht Malice, entschiedene Abneigung gegen Selbstständigkeit der Geister und der Talente, Favorisirung einer geschickten, gescheidten Mittelmäßigkeit, Dünnheit des Genie's und Durchtriebenheit eines schlauen aber secundären Verstandes. Man schwankt zwischen Rußland und England, weil die persönlichen Rücksichten nichts Permanentes haben, sondern wie die Wetterfahne nach dem Wetter sich drehen, ohne Wind und Wetter zu machen. Algier wollte man nicht – man muß es acceptiren; Aegypten wünschte man nicht – man ist gezwungen den Pascha zu stützen. In Spanien wünscht man die Niederlage der Revolutionäre und befürchtet alle Unruhen in der Schweiz und gegen die französischen Gränzen. Geist dieser Partei ist Besorglichkeit und Wohlleben. – 4) Legitimisten, träumen eine russische Allianz und die Rheingränze. – Uebrigens lebt in allen Parteien die Spannung gegen England, wegen der Antipathie zwischen englischen und französischen Charakteren: der Engländer brutal wegwerfend, der Franzose leichtsinnig sich überhebend. Der Egoismus der Engländer ist aus Härte zusammengebacken, der der Franzosen aus Beweglichkeit.
Niederlande.
_ Aus dem Haag, 27 Jan. Die Mitglieder der zweiten Kammer der Generalstaaten sind zum großen Theil nach ihren Heimathsorten abgereist, um daselbst die Wiedereinberufung abzuwarten. Dieselbe wird erfolgen, sobald die Regierung ihre Antworten auf die Bedenken und Wünsche der Kammer, bezüglich der Revision des Staatsgrundgesetzes, erlassen hat; die Bedenken der Abtheilungen der Kammer betreffen natürlich die von der Regierung vorgelegten fünf Gesetzesentwürfe. Die öffentlichen Blätter fahren indessen fort, über die Revision des Staatsgrundgesetzes in langen Artikeln zu polemisiren. Das „Handelsblad“ spricht sich im Geiste der Opposition der zweiten Kammer der Generalstaaten aus; der „Avondbode“ ist gemäßigter und ruft: „Eile mit Weile,“ wogegen es dem „Arnhem'schen Courant“ um eine Radicalreform zu thun ist. Dessen ungeachtet erklärte neulich das letztere Blatt, daß das Volk nicht im Stande sey, über die Revision des Grundgesetzes abzuurtheilen, es müsse sich auf seine Repräsentanten verlassen, diese allein seyen urtheilsfähig. Wolle aber das Volk Adressen, in Bezug auf die Revision des Staatsgrundgesetzes, abfassen, so möge es vor Allem verlangen: directe Wahlen, ministerielle Verantwortlichkeit, jährliche vollständige und öffentliche Darlegung des Finanzzustandes und Gleichheit vor dem Gesetz. Man bleibt auf die Entschließung der Regierung gespannt.
_ Haag, 23 Jan. Aus den officiellen holländischen und luxemburgischen Blättern werden Sie bereits die neuen Anordnungen
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