Allgemeine Zeitung. Nr. 41. Augsburg, 10. Februar 1840.den Hoffnungen auf die Zukunft Italiens, und suchte zwischen den zu eifrigen Lobrednern und eben so eifrigen Tadlern dieses schönen Landes in seinem Urtheil die Mitte einzuhalten. Der gelehrte Berichterstatter sprach über Italien in eben demselben liberalen Geiste, mit welchem er die französischen und englischen Zustände bei Gelegenheit früherer Reisen, wie zur Genüge bekannt, beurtheilt hat. Er zeichnete lebendig, genau, in festen Umrissen, doch mehr äußerlich, so wie sich die Gestalten an der Oberfläche darstellen, als in die Tiefe eindringend, ihren Kern, ihren Gehalt, ihre Bedeutung erfassend; er gab ein Gemälde voll Licht und Schatten, voller Effecte, auf dem jedoch die dunkle Farbe des Tadels reichlicher hinfloß als die helle des Lobes. Besonders scharf wurde ein sittliches Gebrechen hervorgehoben, welches sich im häuslichen Leben der Italiener bekanntlich hier und da vorfindet, so wie die Einseitigkeit und Hohlheit des Adels und ganz besonders der gänzliche Verfall der erhabenen, altitalienischen Musik. Gleichwohl erkennt Hr. v. Raumer an, daß Italien, Alles in Allem gerechnet, im Vergleich mit dem siebenzehnten Jahrhundert, bemerkenswerthe und beträchtliche Fortschritte gemacht habe. Wir gestehen, daß uns diese Anerkennung um so mehr erfreut hat, als es seit einiger Zeit - selbst mit Unterstützung sehr gewichtvoller Stimmen - allgemeiner Ton zu werden scheint, die südlichen Länder Europa's sammt und sonders als in "argem Verfall" und der höhern Aufmerksamkeit unwerth darzustellen. Zu den einzelnen italienischen Staaten übergehend, gedenkt Hr. v. Raumer Neapels und Siciliens gar nicht besonders, aus Gründen, welche uns nicht einleuchten wollen; nur beiläufig wird eines beklagenswerthen, traurigen Versuchs erwähnt, in diesem südlichen Königreich das französische Centralisationswesen einzurichten. Dem Kirchenstaat werden ungünstige Aussichten gestellt, die sogar sein Bestehen als zweifelhaft erscheinen lassen; obwohl ausgezeichnete, um das Wohl ihrer Unterthanen eifrigst bemühte Päpste in neuerer Zeit das Staatsruder geführt hätten, so genüge doch der bloße gute Wille nicht, um auch eine gute und glückliche Regierung herzustellen; im Kirchenstaat das Regiment ausschließlich durch Geistliche führen zu lassen, sey eben so fehlerhaft als in sogenannten Militärstaaten alle höhern Stellen und Aemter durch Officiere zu besetzen. Das bürgerfreundlich regierte Toscana zehre noch am alten Ruhm und Glanz, der erloschen sey. Piemont wird ein junger, frischer, aufstrebender Staat genannt, der nicht bloß in der Vergangenheit lebe und sich um sie abhärme, sondern auch in der Gegenwart fortschreite, wirke und schaffe, und einer größern Zukunft entgegengehe. Das lombardisch-venetianische Königreich erfreue sich reger, allseitiger Fortschritte, und diese segensreichen Wirkungen der österreichischen Verwaltung fänden auch im ganzen Lande, bei Volk und Adel, immer größere Anerkennung. Ueberhaupt werde die öffentliche Stimmung in Italien mehr und mehr Oesterreich geneigt. Hr. v. Raumer hat zu vier verschiedenenmalen im lombardisch-venetianischen Königreich verweilt, und jedesmal nicht bloß neue Verbesserungen in fast allen Zuständen, sondern auch einen der Regierung günstigerern Geist im Volk angetroffen. Besonders in der neuesten Zeit sey in dieser Hinsicht die glücklichste Wendung zu erkennen. Oesterreich befördere die national-italienische Entwicklung aus allen Kräften, und derselben stehe in Wirklichkeit fast kein Hinderniß entgegen, das aus der Fremde stamme. Oder solle man etwa als solches das deutsche Kaiserhaus betrachten, welches das italienische Königreich regiere? Mit nichten; auch in Neapel regiere kein neapolitanisches, in Spanien kein spanisches, in England kein englisches, in Preußen kein preußisches, in Rußland kein russisches, in Schweden, Belgien, Schließlich gedenken wir noch einer Saite des italienischen Volkslebens, welche Hr. v. Raumer in einer Weise berührt und anschlägt, in die wir unmöglich mit einstimmen können. Wir meinen die großen historischen Erinnerungen der Italiener, mit welchen sie sich wappnen gegen die Anmaßungen, den Hochmuth, den Spott, die Geringschätzung, das Mitleid aller Fremden und alles Fremden. Jener geheimnißvolle, wunderbare Zug im Charakter nicht vom Glück begünstigter Völker, jene Allen bis zu den Niedrigsten in ihnen gemeinsame, instinctartige Eigenthümlichkeit ist dem gelehrten Geschichtsforscher entgangen. Hr. v. Raumer, anerkennend, daß die Italiener vor allen neuern europäischen Völkern bis zum sechzehnten Jahrhundert die reichste, großartigste Geschichte hatten - im Innern blühten ja zugleich politisches Leben, Kunst und Wissenschaft, nach außen hin gründeten einzelne Städte Italiens große Reiche, und noch heute ist in der Levante ein freilich corrumpirtes Italienisch die Sprache in Handel und Verkehr - rügt an ihnen, daß sie immerfort auf diese ihre Geschichte und alte Zeiten zurückwiesen, sich daran labten und ergötzten; an diesem eiteln Thun offenbare sich das Unbedeutende und Nichtige im heutigen Italien, denn frische, lebenskräftige Völker und Staaten hätten zu viel mit der Entwicklung in der Gegenwart und mit ihrer Zukunft zu thun, um der Vergangenheit eine so große Aufmerksamkeit und Liebe zuwenden zu können; - ihm habe sich, erzählt Hr. v. Raumer, in Italien oftmals der Gedanke aufgedrungen, es sey vorzuziehen, ein Volk habe gar keine Geschichte als eine große Vergangenheit. Aber wenn die italienischen Zustände im Allgemeinen ungünstig und schlimm zu nennen sind, kann an wirksame Verbesserungen gedacht werden, ehe das Bewußtseyn davon wach und lebendig geworden ist? Kann Jemand ein Uebel verbessern und abwenden, ehe er von demselben Kenntniß und Einsicht erlangt hat? Und nun beweist gerade das auflebende, heiße, liebende Umfassen größerer Tage in einem Volke, daß dieses das Bewußtseyn von der kleinern, zurückstehenden Gegenwart gewonnen hat; es zeigt sich in demselben also zugleich das erwachende Bedürfniß nach Reformen den Hoffnungen auf die Zukunft Italiens, und suchte zwischen den zu eifrigen Lobrednern und eben so eifrigen Tadlern dieses schönen Landes in seinem Urtheil die Mitte einzuhalten. Der gelehrte Berichterstatter sprach über Italien in eben demselben liberalen Geiste, mit welchem er die französischen und englischen Zustände bei Gelegenheit früherer Reisen, wie zur Genüge bekannt, beurtheilt hat. Er zeichnete lebendig, genau, in festen Umrissen, doch mehr äußerlich, so wie sich die Gestalten an der Oberfläche darstellen, als in die Tiefe eindringend, ihren Kern, ihren Gehalt, ihre Bedeutung erfassend; er gab ein Gemälde voll Licht und Schatten, voller Effecte, auf dem jedoch die dunkle Farbe des Tadels reichlicher hinfloß als die helle des Lobes. Besonders scharf wurde ein sittliches Gebrechen hervorgehoben, welches sich im häuslichen Leben der Italiener bekanntlich hier und da vorfindet, so wie die Einseitigkeit und Hohlheit des Adels und ganz besonders der gänzliche Verfall der erhabenen, altitalienischen Musik. Gleichwohl erkennt Hr. v. Raumer an, daß Italien, Alles in Allem gerechnet, im Vergleich mit dem siebenzehnten Jahrhundert, bemerkenswerthe und beträchtliche Fortschritte gemacht habe. Wir gestehen, daß uns diese Anerkennung um so mehr erfreut hat, als es seit einiger Zeit – selbst mit Unterstützung sehr gewichtvoller Stimmen – allgemeiner Ton zu werden scheint, die südlichen Länder Europa's sammt und sonders als in „argem Verfall“ und der höhern Aufmerksamkeit unwerth darzustellen. Zu den einzelnen italienischen Staaten übergehend, gedenkt Hr. v. Raumer Neapels und Siciliens gar nicht besonders, aus Gründen, welche uns nicht einleuchten wollen; nur beiläufig wird eines beklagenswerthen, traurigen Versuchs erwähnt, in diesem südlichen Königreich das französische Centralisationswesen einzurichten. Dem Kirchenstaat werden ungünstige Aussichten gestellt, die sogar sein Bestehen als zweifelhaft erscheinen lassen; obwohl ausgezeichnete, um das Wohl ihrer Unterthanen eifrigst bemühte Päpste in neuerer Zeit das Staatsruder geführt hätten, so genüge doch der bloße gute Wille nicht, um auch eine gute und glückliche Regierung herzustellen; im Kirchenstaat das Regiment ausschließlich durch Geistliche führen zu lassen, sey eben so fehlerhaft als in sogenannten Militärstaaten alle höhern Stellen und Aemter durch Officiere zu besetzen. Das bürgerfreundlich regierte Toscana zehre noch am alten Ruhm und Glanz, der erloschen sey. Piemont wird ein junger, frischer, aufstrebender Staat genannt, der nicht bloß in der Vergangenheit lebe und sich um sie abhärme, sondern auch in der Gegenwart fortschreite, wirke und schaffe, und einer größern Zukunft entgegengehe. Das lombardisch-venetianische Königreich erfreue sich reger, allseitiger Fortschritte, und diese segensreichen Wirkungen der österreichischen Verwaltung fänden auch im ganzen Lande, bei Volk und Adel, immer größere Anerkennung. Ueberhaupt werde die öffentliche Stimmung in Italien mehr und mehr Oesterreich geneigt. Hr. v. Raumer hat zu vier verschiedenenmalen im lombardisch-venetianischen Königreich verweilt, und jedesmal nicht bloß neue Verbesserungen in fast allen Zuständen, sondern auch einen der Regierung günstigerern Geist im Volk angetroffen. Besonders in der neuesten Zeit sey in dieser Hinsicht die glücklichste Wendung zu erkennen. Oesterreich befördere die national-italienische Entwicklung aus allen Kräften, und derselben stehe in Wirklichkeit fast kein Hinderniß entgegen, das aus der Fremde stamme. Oder solle man etwa als solches das deutsche Kaiserhaus betrachten, welches das italienische Königreich regiere? Mit nichten; auch in Neapel regiere kein neapolitanisches, in Spanien kein spanisches, in England kein englisches, in Preußen kein preußisches, in Rußland kein russisches, in Schweden, Belgien, Schließlich gedenken wir noch einer Saite des italienischen Volkslebens, welche Hr. v. Raumer in einer Weise berührt und anschlägt, in die wir unmöglich mit einstimmen können. Wir meinen die großen historischen Erinnerungen der Italiener, mit welchen sie sich wappnen gegen die Anmaßungen, den Hochmuth, den Spott, die Geringschätzung, das Mitleid aller Fremden und alles Fremden. Jener geheimnißvolle, wunderbare Zug im Charakter nicht vom Glück begünstigter Völker, jene Allen bis zu den Niedrigsten in ihnen gemeinsame, instinctartige Eigenthümlichkeit ist dem gelehrten Geschichtsforscher entgangen. Hr. v. Raumer, anerkennend, daß die Italiener vor allen neuern europäischen Völkern bis zum sechzehnten Jahrhundert die reichste, großartigste Geschichte hatten – im Innern blühten ja zugleich politisches Leben, Kunst und Wissenschaft, nach außen hin gründeten einzelne Städte Italiens große Reiche, und noch heute ist in der Levante ein freilich corrumpirtes Italienisch die Sprache in Handel und Verkehr – rügt an ihnen, daß sie immerfort auf diese ihre Geschichte und alte Zeiten zurückwiesen, sich daran labten und ergötzten; an diesem eiteln Thun offenbare sich das Unbedeutende und Nichtige im heutigen Italien, denn frische, lebenskräftige Völker und Staaten hätten zu viel mit der Entwicklung in der Gegenwart und mit ihrer Zukunft zu thun, um der Vergangenheit eine so große Aufmerksamkeit und Liebe zuwenden zu können; – ihm habe sich, erzählt Hr. v. Raumer, in Italien oftmals der Gedanke aufgedrungen, es sey vorzuziehen, ein Volk habe gar keine Geschichte als eine große Vergangenheit. Aber wenn die italienischen Zustände im Allgemeinen ungünstig und schlimm zu nennen sind, kann an wirksame Verbesserungen gedacht werden, ehe das Bewußtseyn davon wach und lebendig geworden ist? Kann Jemand ein Uebel verbessern und abwenden, ehe er von demselben Kenntniß und Einsicht erlangt hat? Und nun beweist gerade das auflebende, heiße, liebende Umfassen größerer Tage in einem Volke, daß dieses das Bewußtseyn von der kleinern, zurückstehenden Gegenwart gewonnen hat; es zeigt sich in demselben also zugleich das erwachende Bedürfniß nach Reformen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="0323"/> den Hoffnungen auf die Zukunft Italiens, und suchte zwischen den zu eifrigen Lobrednern und eben so eifrigen Tadlern dieses schönen Landes in seinem Urtheil die Mitte einzuhalten. Der gelehrte Berichterstatter sprach über Italien in eben demselben liberalen Geiste, mit welchem er die französischen und englischen Zustände bei Gelegenheit früherer Reisen, wie zur Genüge bekannt, beurtheilt hat. Er zeichnete lebendig, genau, in festen Umrissen, doch mehr äußerlich, so wie sich die Gestalten an der Oberfläche darstellen, als in die Tiefe eindringend, ihren Kern, ihren Gehalt, ihre Bedeutung erfassend; er gab ein Gemälde voll Licht und Schatten, voller Effecte, auf dem jedoch die dunkle Farbe des Tadels reichlicher hinfloß als die helle des Lobes. Besonders scharf wurde ein sittliches Gebrechen hervorgehoben, welches sich im häuslichen Leben der Italiener bekanntlich hier und da vorfindet, so wie die Einseitigkeit und Hohlheit des Adels und ganz besonders der gänzliche Verfall der erhabenen, altitalienischen Musik. Gleichwohl erkennt Hr. v. Raumer an, daß Italien, Alles in Allem gerechnet, im Vergleich mit dem siebenzehnten Jahrhundert, bemerkenswerthe und beträchtliche Fortschritte gemacht habe. Wir gestehen, daß uns diese Anerkennung um so mehr erfreut hat, als es seit einiger Zeit – selbst mit Unterstützung sehr gewichtvoller Stimmen – allgemeiner Ton zu werden scheint, die südlichen Länder Europa's sammt und sonders als in „argem Verfall“ und der höhern Aufmerksamkeit unwerth darzustellen.</p><lb/> <p>Zu den einzelnen italienischen Staaten übergehend, gedenkt Hr. v. Raumer Neapels und Siciliens gar nicht besonders, aus Gründen, welche uns nicht einleuchten wollen; nur beiläufig wird eines beklagenswerthen, traurigen Versuchs erwähnt, in diesem südlichen Königreich das französische Centralisationswesen einzurichten. Dem Kirchenstaat werden ungünstige Aussichten gestellt, die sogar sein Bestehen als zweifelhaft erscheinen lassen; obwohl ausgezeichnete, um das Wohl ihrer Unterthanen eifrigst bemühte Päpste in neuerer Zeit das Staatsruder geführt hätten, so genüge doch der bloße gute Wille nicht, um auch eine gute und glückliche Regierung herzustellen; im Kirchenstaat das Regiment ausschließlich durch Geistliche führen zu lassen, sey eben so fehlerhaft als in sogenannten Militärstaaten alle höhern Stellen und Aemter durch Officiere zu besetzen. Das bürgerfreundlich regierte Toscana zehre noch am alten Ruhm und Glanz, der erloschen sey. Piemont wird ein junger, frischer, aufstrebender Staat genannt, der nicht bloß in der Vergangenheit lebe und sich um sie abhärme, sondern auch in der Gegenwart fortschreite, wirke und schaffe, und einer größern Zukunft entgegengehe. Das lombardisch-venetianische Königreich erfreue sich reger, allseitiger Fortschritte, und diese segensreichen Wirkungen der österreichischen Verwaltung fänden auch im ganzen Lande, bei Volk und Adel, immer größere Anerkennung. Ueberhaupt werde die öffentliche Stimmung in Italien mehr und mehr Oesterreich geneigt. Hr. v. Raumer hat zu vier verschiedenenmalen im lombardisch-venetianischen Königreich verweilt, und jedesmal nicht bloß neue Verbesserungen in fast allen Zuständen, sondern auch einen der Regierung günstigerern Geist im Volk angetroffen. Besonders in der neuesten Zeit sey in dieser Hinsicht die glücklichste Wendung zu erkennen. Oesterreich befördere die national-italienische Entwicklung aus allen Kräften, und derselben stehe in Wirklichkeit fast kein Hinderniß entgegen, das aus der Fremde stamme. Oder solle man etwa als solches das deutsche Kaiserhaus betrachten, welches das italienische Königreich regiere? Mit nichten; auch in Neapel regiere kein neapolitanisches, in Spanien kein spanisches, in England kein englisches, in Preußen kein preußisches, in Rußland kein russisches, in Schweden, Belgien,<lb/> Griechenland kein eingebornes Herrschergeschlecht; fast scheine ein Naturgesetz obzuwalten, welches fremde Häuser auf die Throne berufe. Hr. v. Raumer ließ es an wohlwollenden Seitenblicken auf Preußen und andere Staaten nicht fehlen; der Journalismus aber erfuhr – wie mich dünkt mit Unrecht, denn er ist an vielem Uebel, das ihm vorgeworfen wird, nicht Schuld – von ihm wiederholt eine unfreundliche Begegnung. Gewiß kann man Hrn. v. Raumers Ansicht nur beipflichten, daß für Italien in französisch-revolutionärem Geiste keine Wiedergeburt zu erwarten stehe, und daß es zu beklagen seyn würde, wenn das Zustandekommen der äußern Einheit Italiens auf Kosten der Mannichfaltigkeit, des Reichthums und der Gediegenheit der innern Entwicklung und des ganzen italienischen Lebens geschähe. Jeder Italiener solle vielmehr die Wiedergeburt seines Vaterlandes an sich selber beginnen. Doch hätten die französisch-revolutionären Einflüsse bereits außerordentlich, zumal im Kern und in der Elite der Nation, nachgelassen, obschon sie noch immerfort durch französische Litteratur und Journalistik genährt würden. Die Zukunft gestalte sich auch in dieser Hinsicht hoffnungsreicher; die Zeit sey nicht mehr, wo der Italiener etwa nach dem ersten besten österreichischen Lieutenant oder Beamten alle Deutschen jenseits der Alpen beurtheilte, er habe längst aufgehört uns für Barbaren zu halten (geschah das nicht schon zu den Zeiten Macchiavelli's?) und widme unserer Litteratur und ganzen Entwicklung immer größere Aufmerksamkeit; es stehe zu erwarten, daß der Einfluß der deutschen und englischen Litteratur der französischen die Wagschale halten werde.</p><lb/> <p>Schließlich gedenken wir noch einer Saite des italienischen Volkslebens, welche Hr. v. Raumer in einer Weise berührt und anschlägt, in die wir unmöglich mit einstimmen können. Wir meinen die großen historischen Erinnerungen der Italiener, mit welchen sie sich wappnen gegen die Anmaßungen, den Hochmuth, den Spott, die Geringschätzung, das Mitleid aller Fremden und alles Fremden. Jener geheimnißvolle, wunderbare Zug im Charakter nicht vom Glück begünstigter Völker, jene Allen bis zu den Niedrigsten in ihnen gemeinsame, instinctartige Eigenthümlichkeit ist dem gelehrten Geschichtsforscher entgangen. Hr. v. Raumer, anerkennend, daß die Italiener vor allen neuern europäischen Völkern bis zum sechzehnten Jahrhundert die reichste, großartigste Geschichte hatten – im Innern blühten ja zugleich politisches Leben, Kunst und Wissenschaft, nach außen hin gründeten einzelne Städte Italiens große Reiche, und noch heute ist in der Levante ein freilich corrumpirtes Italienisch die Sprache in Handel und Verkehr – rügt an ihnen, daß sie immerfort auf diese ihre Geschichte und alte Zeiten zurückwiesen, sich daran labten und ergötzten; an diesem eiteln Thun offenbare sich das Unbedeutende und Nichtige im heutigen Italien, denn frische, lebenskräftige Völker und Staaten hätten zu viel mit der Entwicklung in der Gegenwart und mit ihrer Zukunft zu thun, um der Vergangenheit eine so große Aufmerksamkeit und Liebe zuwenden zu können; – ihm habe sich, erzählt Hr. v. Raumer, in Italien oftmals der Gedanke aufgedrungen, es sey vorzuziehen, ein Volk habe gar keine Geschichte als eine große Vergangenheit. Aber wenn die italienischen Zustände im Allgemeinen ungünstig und schlimm zu nennen sind, kann an wirksame Verbesserungen gedacht werden, ehe das Bewußtseyn davon wach und lebendig geworden ist? Kann Jemand ein Uebel verbessern und abwenden, ehe er von demselben Kenntniß und Einsicht erlangt hat? Und nun beweist gerade das auflebende, heiße, liebende Umfassen größerer Tage in einem Volke, daß dieses das Bewußtseyn von der kleinern, zurückstehenden Gegenwart gewonnen hat; es zeigt sich in demselben also zugleich das erwachende Bedürfniß nach Reformen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0323/0010]
den Hoffnungen auf die Zukunft Italiens, und suchte zwischen den zu eifrigen Lobrednern und eben so eifrigen Tadlern dieses schönen Landes in seinem Urtheil die Mitte einzuhalten. Der gelehrte Berichterstatter sprach über Italien in eben demselben liberalen Geiste, mit welchem er die französischen und englischen Zustände bei Gelegenheit früherer Reisen, wie zur Genüge bekannt, beurtheilt hat. Er zeichnete lebendig, genau, in festen Umrissen, doch mehr äußerlich, so wie sich die Gestalten an der Oberfläche darstellen, als in die Tiefe eindringend, ihren Kern, ihren Gehalt, ihre Bedeutung erfassend; er gab ein Gemälde voll Licht und Schatten, voller Effecte, auf dem jedoch die dunkle Farbe des Tadels reichlicher hinfloß als die helle des Lobes. Besonders scharf wurde ein sittliches Gebrechen hervorgehoben, welches sich im häuslichen Leben der Italiener bekanntlich hier und da vorfindet, so wie die Einseitigkeit und Hohlheit des Adels und ganz besonders der gänzliche Verfall der erhabenen, altitalienischen Musik. Gleichwohl erkennt Hr. v. Raumer an, daß Italien, Alles in Allem gerechnet, im Vergleich mit dem siebenzehnten Jahrhundert, bemerkenswerthe und beträchtliche Fortschritte gemacht habe. Wir gestehen, daß uns diese Anerkennung um so mehr erfreut hat, als es seit einiger Zeit – selbst mit Unterstützung sehr gewichtvoller Stimmen – allgemeiner Ton zu werden scheint, die südlichen Länder Europa's sammt und sonders als in „argem Verfall“ und der höhern Aufmerksamkeit unwerth darzustellen.
Zu den einzelnen italienischen Staaten übergehend, gedenkt Hr. v. Raumer Neapels und Siciliens gar nicht besonders, aus Gründen, welche uns nicht einleuchten wollen; nur beiläufig wird eines beklagenswerthen, traurigen Versuchs erwähnt, in diesem südlichen Königreich das französische Centralisationswesen einzurichten. Dem Kirchenstaat werden ungünstige Aussichten gestellt, die sogar sein Bestehen als zweifelhaft erscheinen lassen; obwohl ausgezeichnete, um das Wohl ihrer Unterthanen eifrigst bemühte Päpste in neuerer Zeit das Staatsruder geführt hätten, so genüge doch der bloße gute Wille nicht, um auch eine gute und glückliche Regierung herzustellen; im Kirchenstaat das Regiment ausschließlich durch Geistliche führen zu lassen, sey eben so fehlerhaft als in sogenannten Militärstaaten alle höhern Stellen und Aemter durch Officiere zu besetzen. Das bürgerfreundlich regierte Toscana zehre noch am alten Ruhm und Glanz, der erloschen sey. Piemont wird ein junger, frischer, aufstrebender Staat genannt, der nicht bloß in der Vergangenheit lebe und sich um sie abhärme, sondern auch in der Gegenwart fortschreite, wirke und schaffe, und einer größern Zukunft entgegengehe. Das lombardisch-venetianische Königreich erfreue sich reger, allseitiger Fortschritte, und diese segensreichen Wirkungen der österreichischen Verwaltung fänden auch im ganzen Lande, bei Volk und Adel, immer größere Anerkennung. Ueberhaupt werde die öffentliche Stimmung in Italien mehr und mehr Oesterreich geneigt. Hr. v. Raumer hat zu vier verschiedenenmalen im lombardisch-venetianischen Königreich verweilt, und jedesmal nicht bloß neue Verbesserungen in fast allen Zuständen, sondern auch einen der Regierung günstigerern Geist im Volk angetroffen. Besonders in der neuesten Zeit sey in dieser Hinsicht die glücklichste Wendung zu erkennen. Oesterreich befördere die national-italienische Entwicklung aus allen Kräften, und derselben stehe in Wirklichkeit fast kein Hinderniß entgegen, das aus der Fremde stamme. Oder solle man etwa als solches das deutsche Kaiserhaus betrachten, welches das italienische Königreich regiere? Mit nichten; auch in Neapel regiere kein neapolitanisches, in Spanien kein spanisches, in England kein englisches, in Preußen kein preußisches, in Rußland kein russisches, in Schweden, Belgien,
Griechenland kein eingebornes Herrschergeschlecht; fast scheine ein Naturgesetz obzuwalten, welches fremde Häuser auf die Throne berufe. Hr. v. Raumer ließ es an wohlwollenden Seitenblicken auf Preußen und andere Staaten nicht fehlen; der Journalismus aber erfuhr – wie mich dünkt mit Unrecht, denn er ist an vielem Uebel, das ihm vorgeworfen wird, nicht Schuld – von ihm wiederholt eine unfreundliche Begegnung. Gewiß kann man Hrn. v. Raumers Ansicht nur beipflichten, daß für Italien in französisch-revolutionärem Geiste keine Wiedergeburt zu erwarten stehe, und daß es zu beklagen seyn würde, wenn das Zustandekommen der äußern Einheit Italiens auf Kosten der Mannichfaltigkeit, des Reichthums und der Gediegenheit der innern Entwicklung und des ganzen italienischen Lebens geschähe. Jeder Italiener solle vielmehr die Wiedergeburt seines Vaterlandes an sich selber beginnen. Doch hätten die französisch-revolutionären Einflüsse bereits außerordentlich, zumal im Kern und in der Elite der Nation, nachgelassen, obschon sie noch immerfort durch französische Litteratur und Journalistik genährt würden. Die Zukunft gestalte sich auch in dieser Hinsicht hoffnungsreicher; die Zeit sey nicht mehr, wo der Italiener etwa nach dem ersten besten österreichischen Lieutenant oder Beamten alle Deutschen jenseits der Alpen beurtheilte, er habe längst aufgehört uns für Barbaren zu halten (geschah das nicht schon zu den Zeiten Macchiavelli's?) und widme unserer Litteratur und ganzen Entwicklung immer größere Aufmerksamkeit; es stehe zu erwarten, daß der Einfluß der deutschen und englischen Litteratur der französischen die Wagschale halten werde.
Schließlich gedenken wir noch einer Saite des italienischen Volkslebens, welche Hr. v. Raumer in einer Weise berührt und anschlägt, in die wir unmöglich mit einstimmen können. Wir meinen die großen historischen Erinnerungen der Italiener, mit welchen sie sich wappnen gegen die Anmaßungen, den Hochmuth, den Spott, die Geringschätzung, das Mitleid aller Fremden und alles Fremden. Jener geheimnißvolle, wunderbare Zug im Charakter nicht vom Glück begünstigter Völker, jene Allen bis zu den Niedrigsten in ihnen gemeinsame, instinctartige Eigenthümlichkeit ist dem gelehrten Geschichtsforscher entgangen. Hr. v. Raumer, anerkennend, daß die Italiener vor allen neuern europäischen Völkern bis zum sechzehnten Jahrhundert die reichste, großartigste Geschichte hatten – im Innern blühten ja zugleich politisches Leben, Kunst und Wissenschaft, nach außen hin gründeten einzelne Städte Italiens große Reiche, und noch heute ist in der Levante ein freilich corrumpirtes Italienisch die Sprache in Handel und Verkehr – rügt an ihnen, daß sie immerfort auf diese ihre Geschichte und alte Zeiten zurückwiesen, sich daran labten und ergötzten; an diesem eiteln Thun offenbare sich das Unbedeutende und Nichtige im heutigen Italien, denn frische, lebenskräftige Völker und Staaten hätten zu viel mit der Entwicklung in der Gegenwart und mit ihrer Zukunft zu thun, um der Vergangenheit eine so große Aufmerksamkeit und Liebe zuwenden zu können; – ihm habe sich, erzählt Hr. v. Raumer, in Italien oftmals der Gedanke aufgedrungen, es sey vorzuziehen, ein Volk habe gar keine Geschichte als eine große Vergangenheit. Aber wenn die italienischen Zustände im Allgemeinen ungünstig und schlimm zu nennen sind, kann an wirksame Verbesserungen gedacht werden, ehe das Bewußtseyn davon wach und lebendig geworden ist? Kann Jemand ein Uebel verbessern und abwenden, ehe er von demselben Kenntniß und Einsicht erlangt hat? Und nun beweist gerade das auflebende, heiße, liebende Umfassen größerer Tage in einem Volke, daß dieses das Bewußtseyn von der kleinern, zurückstehenden Gegenwart gewonnen hat; es zeigt sich in demselben also zugleich das erwachende Bedürfniß nach Reformen
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