Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 41. Augsburg, 10. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Zug durch die Wüste nach Schendi, und Aufenthalt daselbst.

(Beschluß.)

Bei Gelegenheit des Gegenbesuches, den ich am 20 Mai dem Kascheff abstattete, hatten wir Mu ßeMetemma im Detail zu betrachten, das ziemlich so groß als Dongola, und gleich ihm nur aus getrockneten Erdziegeln aufgebaut ist, aber im Ganzen ein noch viel elenderes Ansehen hat. Das Wüthen des Defterdar-Bey's, der hier an 6000 Menschen, Schuldige wie Unschuldige, spießen und niedersäbeln, oder in die Flammen der brennenden Häuser werfen ließ, und dadurch Metemma wie Schendi fast entvölkerte, zeigt leider noch seine traurigen Folgen. Allen Weibern und Mädchen, die verschont wurden, ließ er das Sklavenzeichen aufbrennen, und sandte sie nach Kairo. Doch befahl Mehemed Ali, bei der ersten davon erhaltenen Nachricht, sie frei zurückkehren zu lassen und verwies dem Defterdar seine Grausamkeit so streng, als es ihm damals möglich war. Der hiesige Kascheff konnte uns die beste Auskunft über diese Begebenheiten ertheilen, da er als junger Mann mit dem Defterdar hieher kam, und seit der Zeit seinen jetzigen Posten weit länger bekleidet hat, als es sonst unter dem ägyptischen Gouvernement üblich ist. Er schien uns ein ehrlicher, und folglich auch ein armer Mann, der wenig Bequemlichkeiten des Lebens kannte, und uns in seiner kümmerlichen Behausung nur mit Zuckerwasser zu regaliren im Stande war. Er suchte den Defterdar, dessen Grausamkeit er nicht läugnen konnte, doch dadurch zu entschuldigen, daß er auch auf das heftigste von den Einwohnern dazu gereizt worden sey. Denn nachdem er Schendi, eine damals sehr blühende und viel Handel treibende Stadt, als Racheopfer für Ismael Pascha's Tod verwüstet hatte, verkündete er dem übrigen Lande eine allgemeine Amnestie, und begab sich zu dem Schech von Metemma als Gast. Nach einem großen Versöhnungsmahle, welches dort stattgefunden, näherte sich ihm einer der Eingebornen, mit dem Anschein als wenn er ihn um etwas bitten wolle. Kaum hatte sich aber der Defterdar freundlich zu ihm gewandt, als der resolute Neger, einem nebenstehenden Soldaten des Schechs die Lanze aus der Hand reißend, den Defterdar damit so heftig unter der Schulter durchstieß, daß der Schaft abbrach, und der Getroffene noch mit dem Eisen in der Wunde auf die Bodenmatte niederstürzte, wo er mehrere Minuten besinnungslos liegen blieb. Der Thäter ward nicht gespießt und gemartert, wie gewöhnlich erzählt wird, sondern sogleich vom Gefolge des Defterdars in Stücken gehauen. Das folgende Trauerspiel aber war eben so gräßlich als unsinnig, da es um eines Schuldigen willen alle Einwohner der Stadt vertilgte. Auch der Schech und alle in seinem Hause anwesenden Gäste wurden niedergemacht. Es ist wahrlich zu verwundern, daß nach allen diesen Gräueln die Gegend sich während der fünfzehn Jahre, die seitdem vergangen, noch in soweit wieder hat aufraffen und von neuem bevölkern können, als es wirklich der Fall ist, so daß man jetzt schon wieder viele Tausend Einwohner hier zählt, welche mancherlei Gewerbe treiben. Unter Anderm verfertigt man in dieser Stadt ein schön hochroth gefärbtes Baumwollenzeug, eine grobe Art grauer Leinwand, und sehr zierliche Matten und andere Gegenstände aus Palmblättern. Straußenfedern wurden uns in großer Menge zu einem Spottgeld angeboten, und ich habe später sehr bedauert, aus Nachlässigkeit nicht mehr davon eingekauft zu haben. *)*)

Abends brachen wir unsere Zelte ab und fuhren mit dem Kascheff den Nil nördlich hinab, nach dem zwei Stunden entfernten, auf dem entgegengesetzten Ufer liegenden Schendi, das auf Hrn. Rüppells, wie andern Karten unrichtig als Metemma gerade gegenüber, und noch südlicher als dieses liegend, verzeichnet ist. Korschud Pascha, der Generalgouverneur vom ganzen Sudan, welcher in der Regenzeit hier einige Monate zuzubringen pflegt, hat sich zu diesem Behufe, eine Viertelstunde von der Stadt und dicht am Fluß, einen weitläufigen Palast aus Lehm erbauen lassen, der mir jetzt zur Wohnung angewiesen wurde. Weder die äußern Mauern des Gebäudes noch das Innere der Gemächer waren geweißt, alle Fußböden rohe Erde, welche man fünf- bis sechsmal des Tages begießt die Divans selbst nur aus Lehm errichtet, worauf Matten und Teppiche gelegt werden, die Zimmerdecken rohe Holzsparren, und darüber ein dickes Geflecht aus Palmrinde gelegt, auf welches der Estrich der obern Dachterrasse gepappt ist, die Fenster bloße Holzgitter mit Läden aus ungehobelten, lose an einander gehefteten Brettstücken, die zwischen sich immer breite Spalten durchblicken lassen. Doch waren die Zimmer sämmtlich von stattlichen Dimensionen, sehr hoch, luftig, und daher verhältnißmäßig kühl. Dieß ist durchgängig des Landes Sitte, jeder wohnt so, und nur der Umfang und die Größe der Räume zeigt die Reichern und Vornehmern an. Die Nacht schläft man gewöhnlich außerhalb des Hauses im Freien auf einem Teppich, was wir nachahmten und sehr angenehm fanden. Das Geschrei der Pelikane und großer Frösche ertönte dabei die ganze Nacht hindurch wie aus einer Judenschule. Der Fluß ist überhaupt hier mit vielem Geflügel belebt, und namentlich sieht man wilde Gänse und Enten in großer Quantität.

Als ich früh, noch vor Sonnenaufgang, mich badete, während mehrere Weiber daneben ihre Wäsche klopften, machte man mir Zeichen, daß sich ein Krokodil nahe. Wirklich sah ich das Thier, ungefähr in der Entfernung von zwanzig Schritten, einigemal den Kopf aus dem Wasser heben. Es war aber nur ein kleines Exemplar, dem ich zu weichen nicht für nöthig fand. Mein Dragoman holte einige Araber herbei, die sich im Kreise um mich herstellten und fortwährend mit Stöcken in das Wasser schlugen, was mir Zeit gab, mein Bad ruhig zu beenden, ohne daß sich das Krokodil wieder blicken ließ. Der Kascheff tadelte dennoch meine Sorglosigkeit, und führte zur Bekräftigung die folgende fast unglaubliche Anekdote an. Einige der Anwesenden von seinem Gefolge wollten zwar die Wahrheit derselben verbürgen, indeß, wahr oder unwahr, ist sie doch von der Art, daß sie in einer neuen Ausgabe von Münchhausens Werken sehr wohl mit aufgenommen werden könnte. "Es ist noch nicht lange her," begann der Kascheff, "daß ein Mann aus Berber sich hier niederließ, den wir Alle gekannt haben. Eines Morgens führte er ein Pferd zum Tränken an den Nil, band den Strick, an dem er es hielt, um seinen Arm, und kniete, während das Thier seinen Durst löschte, zum Gebete nieder. In dem Augenblick wie er mit dem Gesicht auf dem Boden liegt, fegt ihn ein Krokodil, nach der gewöhnlichen Art seines Angriffs, mit seinem Schweif in das Wasser und

*) Das Pfund zu einem Franken, welches schon in Kairo 50 und mehr kostet.
Zug durch die Wüste nach Schendi, und Aufenthalt daselbst.

(Beschluß.)

Bei Gelegenheit des Gegenbesuches, den ich am 20 Mai dem Kascheff abstattete, hatten wir Mu ßeMetemma im Detail zu betrachten, das ziemlich so groß als Dongola, und gleich ihm nur aus getrockneten Erdziegeln aufgebaut ist, aber im Ganzen ein noch viel elenderes Ansehen hat. Das Wüthen des Defterdar-Bey's, der hier an 6000 Menschen, Schuldige wie Unschuldige, spießen und niedersäbeln, oder in die Flammen der brennenden Häuser werfen ließ, und dadurch Metemma wie Schendi fast entvölkerte, zeigt leider noch seine traurigen Folgen. Allen Weibern und Mädchen, die verschont wurden, ließ er das Sklavenzeichen aufbrennen, und sandte sie nach Kairo. Doch befahl Mehemed Ali, bei der ersten davon erhaltenen Nachricht, sie frei zurückkehren zu lassen und verwies dem Defterdar seine Grausamkeit so streng, als es ihm damals möglich war. Der hiesige Kascheff konnte uns die beste Auskunft über diese Begebenheiten ertheilen, da er als junger Mann mit dem Defterdar hieher kam, und seit der Zeit seinen jetzigen Posten weit länger bekleidet hat, als es sonst unter dem ägyptischen Gouvernement üblich ist. Er schien uns ein ehrlicher, und folglich auch ein armer Mann, der wenig Bequemlichkeiten des Lebens kannte, und uns in seiner kümmerlichen Behausung nur mit Zuckerwasser zu regaliren im Stande war. Er suchte den Defterdar, dessen Grausamkeit er nicht läugnen konnte, doch dadurch zu entschuldigen, daß er auch auf das heftigste von den Einwohnern dazu gereizt worden sey. Denn nachdem er Schendi, eine damals sehr blühende und viel Handel treibende Stadt, als Racheopfer für Ismael Pascha's Tod verwüstet hatte, verkündete er dem übrigen Lande eine allgemeine Amnestie, und begab sich zu dem Schech von Metemma als Gast. Nach einem großen Versöhnungsmahle, welches dort stattgefunden, näherte sich ihm einer der Eingebornen, mit dem Anschein als wenn er ihn um etwas bitten wolle. Kaum hatte sich aber der Defterdar freundlich zu ihm gewandt, als der resolute Neger, einem nebenstehenden Soldaten des Schechs die Lanze aus der Hand reißend, den Defterdar damit so heftig unter der Schulter durchstieß, daß der Schaft abbrach, und der Getroffene noch mit dem Eisen in der Wunde auf die Bodenmatte niederstürzte, wo er mehrere Minuten besinnungslos liegen blieb. Der Thäter ward nicht gespießt und gemartert, wie gewöhnlich erzählt wird, sondern sogleich vom Gefolge des Defterdars in Stücken gehauen. Das folgende Trauerspiel aber war eben so gräßlich als unsinnig, da es um eines Schuldigen willen alle Einwohner der Stadt vertilgte. Auch der Schech und alle in seinem Hause anwesenden Gäste wurden niedergemacht. Es ist wahrlich zu verwundern, daß nach allen diesen Gräueln die Gegend sich während der fünfzehn Jahre, die seitdem vergangen, noch in soweit wieder hat aufraffen und von neuem bevölkern können, als es wirklich der Fall ist, so daß man jetzt schon wieder viele Tausend Einwohner hier zählt, welche mancherlei Gewerbe treiben. Unter Anderm verfertigt man in dieser Stadt ein schön hochroth gefärbtes Baumwollenzeug, eine grobe Art grauer Leinwand, und sehr zierliche Matten und andere Gegenstände aus Palmblättern. Straußenfedern wurden uns in großer Menge zu einem Spottgeld angeboten, und ich habe später sehr bedauert, aus Nachlässigkeit nicht mehr davon eingekauft zu haben. *)*)

Abends brachen wir unsere Zelte ab und fuhren mit dem Kascheff den Nil nördlich hinab, nach dem zwei Stunden entfernten, auf dem entgegengesetzten Ufer liegenden Schendi, das auf Hrn. Rüppells, wie andern Karten unrichtig als Metemma gerade gegenüber, und noch südlicher als dieses liegend, verzeichnet ist. Korschud Pascha, der Generalgouverneur vom ganzen Sudan, welcher in der Regenzeit hier einige Monate zuzubringen pflegt, hat sich zu diesem Behufe, eine Viertelstunde von der Stadt und dicht am Fluß, einen weitläufigen Palast aus Lehm erbauen lassen, der mir jetzt zur Wohnung angewiesen wurde. Weder die äußern Mauern des Gebäudes noch das Innere der Gemächer waren geweißt, alle Fußböden rohe Erde, welche man fünf- bis sechsmal des Tages begießt die Divans selbst nur aus Lehm errichtet, worauf Matten und Teppiche gelegt werden, die Zimmerdecken rohe Holzsparren, und darüber ein dickes Geflecht aus Palmrinde gelegt, auf welches der Estrich der obern Dachterrasse gepappt ist, die Fenster bloße Holzgitter mit Läden aus ungehobelten, lose an einander gehefteten Brettstücken, die zwischen sich immer breite Spalten durchblicken lassen. Doch waren die Zimmer sämmtlich von stattlichen Dimensionen, sehr hoch, luftig, und daher verhältnißmäßig kühl. Dieß ist durchgängig des Landes Sitte, jeder wohnt so, und nur der Umfang und die Größe der Räume zeigt die Reichern und Vornehmern an. Die Nacht schläft man gewöhnlich außerhalb des Hauses im Freien auf einem Teppich, was wir nachahmten und sehr angenehm fanden. Das Geschrei der Pelikane und großer Frösche ertönte dabei die ganze Nacht hindurch wie aus einer Judenschule. Der Fluß ist überhaupt hier mit vielem Geflügel belebt, und namentlich sieht man wilde Gänse und Enten in großer Quantität.

Als ich früh, noch vor Sonnenaufgang, mich badete, während mehrere Weiber daneben ihre Wäsche klopften, machte man mir Zeichen, daß sich ein Krokodil nahe. Wirklich sah ich das Thier, ungefähr in der Entfernung von zwanzig Schritten, einigemal den Kopf aus dem Wasser heben. Es war aber nur ein kleines Exemplar, dem ich zu weichen nicht für nöthig fand. Mein Dragoman holte einige Araber herbei, die sich im Kreise um mich herstellten und fortwährend mit Stöcken in das Wasser schlugen, was mir Zeit gab, mein Bad ruhig zu beenden, ohne daß sich das Krokodil wieder blicken ließ. Der Kascheff tadelte dennoch meine Sorglosigkeit, und führte zur Bekräftigung die folgende fast unglaubliche Anekdote an. Einige der Anwesenden von seinem Gefolge wollten zwar die Wahrheit derselben verbürgen, indeß, wahr oder unwahr, ist sie doch von der Art, daß sie in einer neuen Ausgabe von Münchhausens Werken sehr wohl mit aufgenommen werden könnte. „Es ist noch nicht lange her,“ begann der Kascheff, „daß ein Mann aus Berber sich hier niederließ, den wir Alle gekannt haben. Eines Morgens führte er ein Pferd zum Tränken an den Nil, band den Strick, an dem er es hielt, um seinen Arm, und kniete, während das Thier seinen Durst löschte, zum Gebete nieder. In dem Augenblick wie er mit dem Gesicht auf dem Boden liegt, fegt ihn ein Krokodil, nach der gewöhnlichen Art seines Angriffs, mit seinem Schweif in das Wasser und

*) Das Pfund zu einem Franken, welches schon in Kairo 50 und mehr kostet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0008" n="0321"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Zug durch die Wüste nach Schendi</hi>, <hi rendition="#g">und Aufenthalt daselbst</hi>.</hi> </head><lb/>
        <p>(Beschluß.)</p><lb/>
        <p>Bei Gelegenheit des Gegenbesuches, den ich am 20 Mai dem Kascheff abstattete, hatten wir Mu ßeMetemma im Detail zu betrachten, das ziemlich so groß als Dongola, und gleich ihm nur aus getrockneten Erdziegeln aufgebaut ist, aber im Ganzen ein noch viel elenderes Ansehen hat. Das Wüthen des Defterdar-Bey's, der hier an 6000 Menschen, Schuldige wie Unschuldige, spießen und niedersäbeln, oder in die Flammen der brennenden Häuser werfen ließ, und dadurch Metemma wie Schendi fast entvölkerte, zeigt leider noch seine traurigen Folgen. Allen Weibern und Mädchen, die verschont wurden, ließ er das Sklavenzeichen aufbrennen, und sandte sie nach Kairo. Doch befahl Mehemed Ali, bei der ersten davon erhaltenen Nachricht, sie frei zurückkehren zu lassen und verwies dem Defterdar seine Grausamkeit so streng, als es ihm damals möglich war. Der hiesige Kascheff konnte uns die beste Auskunft über diese Begebenheiten ertheilen, da er als junger Mann mit dem Defterdar hieher kam, und seit der Zeit seinen jetzigen Posten weit länger bekleidet hat, als es sonst unter dem ägyptischen Gouvernement üblich ist. Er schien uns ein ehrlicher, und folglich auch ein armer Mann, der wenig Bequemlichkeiten des Lebens kannte, und uns in seiner kümmerlichen Behausung nur mit Zuckerwasser zu regaliren im Stande war. Er suchte den Defterdar, dessen Grausamkeit er nicht läugnen konnte, doch dadurch zu entschuldigen, daß er auch auf das heftigste von den Einwohnern dazu gereizt worden sey. Denn nachdem er Schendi, eine damals sehr blühende und viel Handel treibende Stadt, als Racheopfer für Ismael Pascha's Tod verwüstet hatte, verkündete er dem übrigen Lande eine allgemeine Amnestie, und begab sich zu dem Schech von Metemma als Gast. Nach einem großen Versöhnungsmahle, welches dort stattgefunden, näherte sich ihm einer der Eingebornen, mit dem Anschein als wenn er ihn um etwas bitten wolle. Kaum hatte sich aber der Defterdar freundlich zu ihm gewandt, als der resolute Neger, einem nebenstehenden Soldaten des Schechs die Lanze aus der Hand reißend, den Defterdar damit so heftig unter der Schulter durchstieß, daß der Schaft abbrach, und der Getroffene noch mit dem Eisen in der Wunde auf die Bodenmatte niederstürzte, wo er mehrere Minuten besinnungslos liegen blieb. Der Thäter ward nicht gespießt und gemartert, wie gewöhnlich erzählt wird, sondern sogleich vom Gefolge des Defterdars in Stücken gehauen. Das folgende Trauerspiel aber war eben so gräßlich als unsinnig, da es um <hi rendition="#g">eines</hi> Schuldigen willen alle Einwohner der Stadt vertilgte. Auch der Schech und alle in seinem Hause anwesenden Gäste wurden niedergemacht. Es ist wahrlich zu verwundern, daß nach allen diesen Gräueln die Gegend sich während der fünfzehn Jahre, die seitdem vergangen, noch in soweit wieder hat aufraffen und von neuem bevölkern können, als es wirklich der Fall ist, so daß man jetzt schon wieder viele Tausend Einwohner hier zählt, welche mancherlei Gewerbe treiben. Unter Anderm verfertigt man in dieser Stadt ein schön hochroth gefärbtes Baumwollenzeug, eine grobe Art grauer Leinwand, und sehr zierliche Matten und andere Gegenstände aus Palmblättern. Straußenfedern wurden uns in großer Menge zu einem Spottgeld angeboten, und ich habe später sehr bedauert, aus Nachlässigkeit nicht mehr davon eingekauft zu haben. <hi rendition="#sup">*)</hi><note place="foot" n="*)">Das Pfund zu einem Franken, welches schon in Kairo 50 und mehr kostet.</note></p><lb/>
        <p>Abends brachen wir unsere Zelte ab und fuhren mit dem Kascheff den Nil nördlich hinab, nach dem zwei Stunden entfernten, auf dem entgegengesetzten Ufer liegenden Schendi, das auf Hrn. Rüppells, wie andern Karten unrichtig als Metemma gerade gegenüber, und noch südlicher als dieses liegend, verzeichnet ist. Korschud Pascha, der Generalgouverneur vom ganzen Sudan, welcher in der Regenzeit hier einige Monate zuzubringen pflegt, hat sich zu diesem Behufe, eine Viertelstunde von der Stadt und dicht am Fluß, einen weitläufigen Palast aus Lehm erbauen lassen, der mir jetzt zur Wohnung angewiesen wurde. Weder die äußern Mauern des Gebäudes noch das Innere der Gemächer waren geweißt, alle Fußböden rohe Erde, welche man fünf- bis sechsmal des Tages begießt die Divans selbst nur aus Lehm errichtet, worauf Matten und Teppiche gelegt werden, die Zimmerdecken rohe Holzsparren, und darüber ein dickes Geflecht aus Palmrinde gelegt, auf welches der Estrich der obern Dachterrasse gepappt ist, die Fenster bloße Holzgitter mit Läden aus ungehobelten, lose an einander gehefteten Brettstücken, die zwischen sich immer breite Spalten durchblicken lassen. Doch waren die Zimmer sämmtlich von stattlichen Dimensionen, sehr hoch, luftig, und daher verhältnißmäßig kühl. Dieß ist durchgängig des Landes Sitte, jeder wohnt so, und nur der Umfang und die Größe der Räume zeigt die Reichern und Vornehmern an. Die Nacht schläft man gewöhnlich außerhalb des Hauses im Freien auf einem Teppich, was wir nachahmten und sehr angenehm fanden. Das Geschrei der Pelikane und großer Frösche ertönte dabei die ganze Nacht hindurch wie aus einer Judenschule. Der Fluß ist überhaupt hier mit vielem Geflügel belebt, und namentlich sieht man wilde Gänse und Enten in großer Quantität.</p><lb/>
        <p>Als ich früh, noch vor Sonnenaufgang, mich badete, während mehrere Weiber daneben ihre Wäsche klopften, machte man mir Zeichen, daß sich ein Krokodil nahe. Wirklich sah ich das Thier, ungefähr in der Entfernung von zwanzig Schritten, einigemal den Kopf aus dem Wasser heben. Es war aber nur ein kleines Exemplar, dem ich zu weichen nicht für nöthig fand. Mein Dragoman holte einige Araber herbei, die sich im Kreise um mich herstellten und fortwährend mit Stöcken in das Wasser schlugen, was mir Zeit gab, mein Bad ruhig zu beenden, ohne daß sich das Krokodil wieder blicken ließ. Der Kascheff tadelte dennoch meine Sorglosigkeit, und führte zur Bekräftigung die folgende fast unglaubliche Anekdote an. Einige der Anwesenden von seinem Gefolge wollten zwar die Wahrheit derselben verbürgen, indeß, wahr oder unwahr, ist sie doch von der Art, daß sie in einer neuen Ausgabe von Münchhausens Werken sehr wohl mit aufgenommen werden könnte. &#x201E;Es ist noch nicht lange her,&#x201C; begann der Kascheff, &#x201E;daß ein Mann aus Berber sich hier niederließ, den wir Alle gekannt haben. Eines Morgens führte er ein Pferd zum Tränken an den Nil, band den Strick, an dem er es hielt, um seinen Arm, und kniete, während das Thier seinen Durst löschte, zum Gebete nieder. In dem Augenblick wie er mit dem Gesicht auf dem Boden liegt, fegt ihn ein Krokodil, nach der gewöhnlichen Art seines Angriffs, mit seinem Schweif in das Wasser und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321/0008] Zug durch die Wüste nach Schendi, und Aufenthalt daselbst. (Beschluß.) Bei Gelegenheit des Gegenbesuches, den ich am 20 Mai dem Kascheff abstattete, hatten wir Mu ßeMetemma im Detail zu betrachten, das ziemlich so groß als Dongola, und gleich ihm nur aus getrockneten Erdziegeln aufgebaut ist, aber im Ganzen ein noch viel elenderes Ansehen hat. Das Wüthen des Defterdar-Bey's, der hier an 6000 Menschen, Schuldige wie Unschuldige, spießen und niedersäbeln, oder in die Flammen der brennenden Häuser werfen ließ, und dadurch Metemma wie Schendi fast entvölkerte, zeigt leider noch seine traurigen Folgen. Allen Weibern und Mädchen, die verschont wurden, ließ er das Sklavenzeichen aufbrennen, und sandte sie nach Kairo. Doch befahl Mehemed Ali, bei der ersten davon erhaltenen Nachricht, sie frei zurückkehren zu lassen und verwies dem Defterdar seine Grausamkeit so streng, als es ihm damals möglich war. Der hiesige Kascheff konnte uns die beste Auskunft über diese Begebenheiten ertheilen, da er als junger Mann mit dem Defterdar hieher kam, und seit der Zeit seinen jetzigen Posten weit länger bekleidet hat, als es sonst unter dem ägyptischen Gouvernement üblich ist. Er schien uns ein ehrlicher, und folglich auch ein armer Mann, der wenig Bequemlichkeiten des Lebens kannte, und uns in seiner kümmerlichen Behausung nur mit Zuckerwasser zu regaliren im Stande war. Er suchte den Defterdar, dessen Grausamkeit er nicht läugnen konnte, doch dadurch zu entschuldigen, daß er auch auf das heftigste von den Einwohnern dazu gereizt worden sey. Denn nachdem er Schendi, eine damals sehr blühende und viel Handel treibende Stadt, als Racheopfer für Ismael Pascha's Tod verwüstet hatte, verkündete er dem übrigen Lande eine allgemeine Amnestie, und begab sich zu dem Schech von Metemma als Gast. Nach einem großen Versöhnungsmahle, welches dort stattgefunden, näherte sich ihm einer der Eingebornen, mit dem Anschein als wenn er ihn um etwas bitten wolle. Kaum hatte sich aber der Defterdar freundlich zu ihm gewandt, als der resolute Neger, einem nebenstehenden Soldaten des Schechs die Lanze aus der Hand reißend, den Defterdar damit so heftig unter der Schulter durchstieß, daß der Schaft abbrach, und der Getroffene noch mit dem Eisen in der Wunde auf die Bodenmatte niederstürzte, wo er mehrere Minuten besinnungslos liegen blieb. Der Thäter ward nicht gespießt und gemartert, wie gewöhnlich erzählt wird, sondern sogleich vom Gefolge des Defterdars in Stücken gehauen. Das folgende Trauerspiel aber war eben so gräßlich als unsinnig, da es um eines Schuldigen willen alle Einwohner der Stadt vertilgte. Auch der Schech und alle in seinem Hause anwesenden Gäste wurden niedergemacht. Es ist wahrlich zu verwundern, daß nach allen diesen Gräueln die Gegend sich während der fünfzehn Jahre, die seitdem vergangen, noch in soweit wieder hat aufraffen und von neuem bevölkern können, als es wirklich der Fall ist, so daß man jetzt schon wieder viele Tausend Einwohner hier zählt, welche mancherlei Gewerbe treiben. Unter Anderm verfertigt man in dieser Stadt ein schön hochroth gefärbtes Baumwollenzeug, eine grobe Art grauer Leinwand, und sehr zierliche Matten und andere Gegenstände aus Palmblättern. Straußenfedern wurden uns in großer Menge zu einem Spottgeld angeboten, und ich habe später sehr bedauert, aus Nachlässigkeit nicht mehr davon eingekauft zu haben. *) *) Abends brachen wir unsere Zelte ab und fuhren mit dem Kascheff den Nil nördlich hinab, nach dem zwei Stunden entfernten, auf dem entgegengesetzten Ufer liegenden Schendi, das auf Hrn. Rüppells, wie andern Karten unrichtig als Metemma gerade gegenüber, und noch südlicher als dieses liegend, verzeichnet ist. Korschud Pascha, der Generalgouverneur vom ganzen Sudan, welcher in der Regenzeit hier einige Monate zuzubringen pflegt, hat sich zu diesem Behufe, eine Viertelstunde von der Stadt und dicht am Fluß, einen weitläufigen Palast aus Lehm erbauen lassen, der mir jetzt zur Wohnung angewiesen wurde. Weder die äußern Mauern des Gebäudes noch das Innere der Gemächer waren geweißt, alle Fußböden rohe Erde, welche man fünf- bis sechsmal des Tages begießt die Divans selbst nur aus Lehm errichtet, worauf Matten und Teppiche gelegt werden, die Zimmerdecken rohe Holzsparren, und darüber ein dickes Geflecht aus Palmrinde gelegt, auf welches der Estrich der obern Dachterrasse gepappt ist, die Fenster bloße Holzgitter mit Läden aus ungehobelten, lose an einander gehefteten Brettstücken, die zwischen sich immer breite Spalten durchblicken lassen. Doch waren die Zimmer sämmtlich von stattlichen Dimensionen, sehr hoch, luftig, und daher verhältnißmäßig kühl. Dieß ist durchgängig des Landes Sitte, jeder wohnt so, und nur der Umfang und die Größe der Räume zeigt die Reichern und Vornehmern an. Die Nacht schläft man gewöhnlich außerhalb des Hauses im Freien auf einem Teppich, was wir nachahmten und sehr angenehm fanden. Das Geschrei der Pelikane und großer Frösche ertönte dabei die ganze Nacht hindurch wie aus einer Judenschule. Der Fluß ist überhaupt hier mit vielem Geflügel belebt, und namentlich sieht man wilde Gänse und Enten in großer Quantität. Als ich früh, noch vor Sonnenaufgang, mich badete, während mehrere Weiber daneben ihre Wäsche klopften, machte man mir Zeichen, daß sich ein Krokodil nahe. Wirklich sah ich das Thier, ungefähr in der Entfernung von zwanzig Schritten, einigemal den Kopf aus dem Wasser heben. Es war aber nur ein kleines Exemplar, dem ich zu weichen nicht für nöthig fand. Mein Dragoman holte einige Araber herbei, die sich im Kreise um mich herstellten und fortwährend mit Stöcken in das Wasser schlugen, was mir Zeit gab, mein Bad ruhig zu beenden, ohne daß sich das Krokodil wieder blicken ließ. Der Kascheff tadelte dennoch meine Sorglosigkeit, und führte zur Bekräftigung die folgende fast unglaubliche Anekdote an. Einige der Anwesenden von seinem Gefolge wollten zwar die Wahrheit derselben verbürgen, indeß, wahr oder unwahr, ist sie doch von der Art, daß sie in einer neuen Ausgabe von Münchhausens Werken sehr wohl mit aufgenommen werden könnte. „Es ist noch nicht lange her,“ begann der Kascheff, „daß ein Mann aus Berber sich hier niederließ, den wir Alle gekannt haben. Eines Morgens führte er ein Pferd zum Tränken an den Nil, band den Strick, an dem er es hielt, um seinen Arm, und kniete, während das Thier seinen Durst löschte, zum Gebete nieder. In dem Augenblick wie er mit dem Gesicht auf dem Boden liegt, fegt ihn ein Krokodil, nach der gewöhnlichen Art seines Angriffs, mit seinem Schweif in das Wasser und *) Das Pfund zu einem Franken, welches schon in Kairo 50 und mehr kostet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_041_18400210
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_041_18400210/8
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 41. Augsburg, 10. Februar 1840, S. 0321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_041_18400210/8>, abgerufen am 21.11.2024.