Allgemeine Zeitung. Nr. 43. Augsburg, 12. Februar 1840.die Nachlässigkeit der Kronbeamten (und zwar eine geflissentliche Nachlässigkeit, um ein solches Resultat zu bewirken) sey an allem Unheil Schuld. Auch muß man gestehen, daß es ganz den Anschein hat, als habe man die Sachen so angelegt, um diesen Leuten wenigstens das Leben zu retten. Mehr aber werden die Minister nicht thun; indem sie bereits die Delinquenten an Bord der Gefangenenschiffe transportiren lassen, offenbar mit solcher Schnelligkeit, theils um denselben alle weitere Hoffnung abzuschneiden, theils um einen etwanigen Aufstand in der Gegend zu deren Befreiung und mögliches Blutvergießen zu verhindern. - Zu Bolton in Lancashire hat vorige Woche ein Aufstandsversuch stattgefunden, ist aber ohne Mühe und ohne daß es einen Tropfen Blutes gekostet hätte, unterdrückt worden. Das Schloß zu York ist voll von Staatsgefangenen. Sonst ist's im Lande ruhig; und Handel und Gewerbe scheinen sich auch um ein Weniges heben zu wollen. Der hiesige Lordmayor hat, von einer großen Anzahl einflußreicher Kaufleute und Bürger aufgefordert, eine Versammlung gegen die Getreidegesetze berufen. - Man hebt aus den letzten großen Debatten allerlei Merkwürdigkeiten heraus. Unter andern enthüllte Peel ein bisher unbekanntes Geheimniß. Als nämlich das Wellington'sche Cabinet im Anfang 1829 zum Entschluß kam, daß die Emancipation der Katholiken dem Parlament vorgelegt werden müsse, widersetzte sich Georg IV so hartnäckig, daß am Morgen des 4 Febr., am Tage vor dessen Versammlung, die Minister Windsor verließen, nachdem sie ihre Stellen niedergelegt hatten. Nur in der Nacht darauf erhielten sie des Königs Erlaubniß, und mußten am folgenden Tage davon Gebrauch machen, ohne Zeit gehabt zu haben, ihre Freunde und Unterstützer vorher von ihrem so außerordentlichen und ihnen so unerwarteten Entschlusse in Kenntniß zu setzen. Frankreich. Paris, 7 Febr. In der Sitzung der Deputirtenkammer am 6 Febr. sprach in Bezug auf den Vorschlag des Hrn. Gaugnier noch Hr. Murat-Ballange, und ermahnte die Kammer, bei Mißbräuchen eine strenge Polizei gegen sich selbst auszuüben und dafür Censoren in der Kammer einzuführen. Auch wünscht er, daß man den Deputirten Taggelder bewillige. Hr. Berville meint, nur die Wähler können Garantien darbieten, und dieß sey hinreichend. Hr. Jaubert spricht sich in einer pikanten Improvisation gegen die Beamten aus, die in der Kammer opponiren, und erklärt, daß er den Vorschlag des Hrn. Gaugnier unterstützen würde, wenn ein beigefügtes Amendement die Entfernung der kleinen Beamten aus der Kammer verlange, die für die Versuchungen der Staatsgewalt auf gleiche Weise wie für die Versprechungen der Opposition mehr als andere zugänglich seyen. Hr. Villemain sprach umständlich gegen alle diese Vorschläge, worauf, nach dem Antrag des Hrn. Odilon-Barrot, die Discussion auf den folgenden Tag verschoben wurde, obgleich viele Stimmen zur Abstimmung riefen. [irrelevantes Material] In der Sitzung der Deputirtenkammer am 7 Febr. sprach in der Debatte über den Vorschlag des Hrn. Gauguier zuerst Hr. Dozon besonders gegen die Aeußerungen des Hrn. Murat-Ballange in der vorigen Sitzung. Man hatte eine Rede von Hrn. Berryer erwartet, der sich aber, so wie die HH. Thiers und Guizot, die in der Sitzung waren, nicht äußerte. Hr. v. Tracy hielt einen umständlichen Vortrag zur Unterstützung des Vorschlags des Hrn. Gauguier. Es sey endlich Zeit, einem Uebelstande abzuhelfen, den Jedermann fühle. So wie die ministerielle Gewalt auf irgend eine Weise in die Wahlen eingreife, sey es um die Wahlfreiheiten geschehen. Dann folge Schwächung des Ansehens der Beamten und Vermehrung der Staatslasten. Der Redner erklärt sich zum voraus geneigt, alle Vorschläge anzunehmen, welche diese Gefahr beseitigen könnten. Seine Rede ward mehrmals durch Murren unterbrochen. Hr. Dubois erklärte sich in einem Vortrage, der mehrere stürmische Auftritte in der Kammer veranlaßte, gegen die Vorschläge des Hrn. Gauguier. Hr. Odilon-Barrot meint, der Vorschlag des Hrn. Gauguier sey jetzt zu einer gewissen Reife gekommen, und er müsse irgend eine Art von Lösung in der Kammer erhalten. Man müsse zwischen den extremen Parteien eine versöhnende Maaßregel ergreifen. Er gehöre nicht zu denen, die sagen: Alles oder nichts! Er sey für Verbesserungen und blicke eher in die Zukunft als in die Gegenwart. (Abgang der Post.) Das Paket, welches, wie gestern erwähnt worden, in der Deputirtenkammersitzung vom 6 Febr. von der Tribune herab in den Saal geworfen wurde, enthielt eine Anzahl gedruckter Blätter, welche die Deputirten von Hand zu Hand herumreichten. Auf der ersten Seite las man die Worte: Gott, das Gesetz, der König; auf der zweiten Seite stand mit großen Buchstaben: Franzosen lest und erbleichet vor Entsetzen! Der Rest der Broschüre bestand aus Auszügen einer gerichtlichen Statistik, welche von mehreren Journalen veröffentlicht werden, mit Zusätzen von dem Buchbinder Ruel, Verfasser der Blätter, versehen. Ein letzter Artikel führte die Ueberschrift: "Ruel, Buchbinder, an die Mitglieder der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften, so wie an alle Eusebe Salverte der Session." Die sehr verworrene Prosa des Hrn. Ruel war auch mit reimlosen Versen untermischt. Das Individuum, welches die Schriften von der Tribune herabgeworfen hatte und dafür hinausgewiesen wurde, war, wie man erfuhr, der Verfasser selbst. Das schon seit mehreren Tagen erwartete Pamphlet des Hrn. v. Cormenin gegen die Dotation des Herzogs von Nemours ist erschienen. Die Gazette de France, der National und andere Journale enthalten bereits Auszüge. Paris, 2 Febr. Die Gesinnungen der Kammern und der Regierung stumpfen sich immer mehr ab durch Aneinanderspülen der Wellen und jene Art matten Kampfes der Cabalen, mit denen sie einander befehden; nicht Ein großes Gemüth, nicht Ein großer Geist wird geboren. Die Herzen sind wie ein Schwamm, in dem kaum ein vegetatives oder polypenartiges Leben sich mehr verspüren läßt. Dieß ist die nothwendige Folge der Nichtheilighaltung des Wortes, des Verzettelns in Phrasen und todten Maximen, des Abgangs aller Richtung im Leben. Klugheit ist der höchste Ausdruck der jetzigen Talente, und Glanz der einzige Körper, in dem sie erscheinen möchten; daher die furchtbare Indifferenz über alle Vorfälle in Regierung und Kammern. Solch eine kalte Gleichgültigkeit gegen das Bestehende hat es vielleicht noch niemals in der Geschichte gegeben. Ist aber deßhalb alle Kraft und aller Enthusiasmus erloschen? Keineswegs. Die große Kraft der Herzen beurkundet sich schon in dem einen Factum der Ausdauer der Soldaten in Afrika, wo wahrhafte Eisennaturen zusammengehärtet und geschmiedet werden; und diese Kraft der Bravour lebt in der innersten Seele der französischen Nation, wie in keiner andern, so wie auch das reizbarste fast weibliche Ehrgefühl. Trotz dessen versinkt die ganze legislative, administrative und bürgerliche Welt in den krassesten Egoismus. Franzosen, die sich selbst leiten und führen, sind rein undenkbar. Sie bedürfen irgend eines Vorgängers, Heinrich IV, Ludwig XIV, Richelieu, oder einer Jeanne d'Arc, oder eines Napoleon. Ohne irgend eine derbe und feste Personification und Individualisirung ihrer die Nachlässigkeit der Kronbeamten (und zwar eine geflissentliche Nachlässigkeit, um ein solches Resultat zu bewirken) sey an allem Unheil Schuld. Auch muß man gestehen, daß es ganz den Anschein hat, als habe man die Sachen so angelegt, um diesen Leuten wenigstens das Leben zu retten. Mehr aber werden die Minister nicht thun; indem sie bereits die Delinquenten an Bord der Gefangenenschiffe transportiren lassen, offenbar mit solcher Schnelligkeit, theils um denselben alle weitere Hoffnung abzuschneiden, theils um einen etwanigen Aufstand in der Gegend zu deren Befreiung und mögliches Blutvergießen zu verhindern. – Zu Bolton in Lancashire hat vorige Woche ein Aufstandsversuch stattgefunden, ist aber ohne Mühe und ohne daß es einen Tropfen Blutes gekostet hätte, unterdrückt worden. Das Schloß zu York ist voll von Staatsgefangenen. Sonst ist's im Lande ruhig; und Handel und Gewerbe scheinen sich auch um ein Weniges heben zu wollen. Der hiesige Lordmayor hat, von einer großen Anzahl einflußreicher Kaufleute und Bürger aufgefordert, eine Versammlung gegen die Getreidegesetze berufen. – Man hebt aus den letzten großen Debatten allerlei Merkwürdigkeiten heraus. Unter andern enthüllte Peel ein bisher unbekanntes Geheimniß. Als nämlich das Wellington'sche Cabinet im Anfang 1829 zum Entschluß kam, daß die Emancipation der Katholiken dem Parlament vorgelegt werden müsse, widersetzte sich Georg IV so hartnäckig, daß am Morgen des 4 Febr., am Tage vor dessen Versammlung, die Minister Windsor verließen, nachdem sie ihre Stellen niedergelegt hatten. Nur in der Nacht darauf erhielten sie des Königs Erlaubniß, und mußten am folgenden Tage davon Gebrauch machen, ohne Zeit gehabt zu haben, ihre Freunde und Unterstützer vorher von ihrem so außerordentlichen und ihnen so unerwarteten Entschlusse in Kenntniß zu setzen. Frankreich. Paris, 7 Febr. In der Sitzung der Deputirtenkammer am 6 Febr. sprach in Bezug auf den Vorschlag des Hrn. Gaugnier noch Hr. Murat-Ballange, und ermahnte die Kammer, bei Mißbräuchen eine strenge Polizei gegen sich selbst auszuüben und dafür Censoren in der Kammer einzuführen. Auch wünscht er, daß man den Deputirten Taggelder bewillige. Hr. Berville meint, nur die Wähler können Garantien darbieten, und dieß sey hinreichend. Hr. Jaubert spricht sich in einer pikanten Improvisation gegen die Beamten aus, die in der Kammer opponiren, und erklärt, daß er den Vorschlag des Hrn. Gaugnier unterstützen würde, wenn ein beigefügtes Amendement die Entfernung der kleinen Beamten aus der Kammer verlange, die für die Versuchungen der Staatsgewalt auf gleiche Weise wie für die Versprechungen der Opposition mehr als andere zugänglich seyen. Hr. Villemain sprach umständlich gegen alle diese Vorschläge, worauf, nach dem Antrag des Hrn. Odilon-Barrot, die Discussion auf den folgenden Tag verschoben wurde, obgleich viele Stimmen zur Abstimmung riefen. [irrelevantes Material] In der Sitzung der Deputirtenkammer am 7 Febr. sprach in der Debatte über den Vorschlag des Hrn. Gauguier zuerst Hr. Dozon besonders gegen die Aeußerungen des Hrn. Murat-Ballange in der vorigen Sitzung. Man hatte eine Rede von Hrn. Berryer erwartet, der sich aber, so wie die HH. Thiers und Guizot, die in der Sitzung waren, nicht äußerte. Hr. v. Tracy hielt einen umständlichen Vortrag zur Unterstützung des Vorschlags des Hrn. Gauguier. Es sey endlich Zeit, einem Uebelstande abzuhelfen, den Jedermann fühle. So wie die ministerielle Gewalt auf irgend eine Weise in die Wahlen eingreife, sey es um die Wahlfreiheiten geschehen. Dann folge Schwächung des Ansehens der Beamten und Vermehrung der Staatslasten. Der Redner erklärt sich zum voraus geneigt, alle Vorschläge anzunehmen, welche diese Gefahr beseitigen könnten. Seine Rede ward mehrmals durch Murren unterbrochen. Hr. Dubois erklärte sich in einem Vortrage, der mehrere stürmische Auftritte in der Kammer veranlaßte, gegen die Vorschläge des Hrn. Gauguier. Hr. Odilon-Barrot meint, der Vorschlag des Hrn. Gauguier sey jetzt zu einer gewissen Reife gekommen, und er müsse irgend eine Art von Lösung in der Kammer erhalten. Man müsse zwischen den extremen Parteien eine versöhnende Maaßregel ergreifen. Er gehöre nicht zu denen, die sagen: Alles oder nichts! Er sey für Verbesserungen und blicke eher in die Zukunft als in die Gegenwart. (Abgang der Post.) Das Paket, welches, wie gestern erwähnt worden, in der Deputirtenkammersitzung vom 6 Febr. von der Tribune herab in den Saal geworfen wurde, enthielt eine Anzahl gedruckter Blätter, welche die Deputirten von Hand zu Hand herumreichten. Auf der ersten Seite las man die Worte: Gott, das Gesetz, der König; auf der zweiten Seite stand mit großen Buchstaben: Franzosen lest und erbleichet vor Entsetzen! Der Rest der Broschüre bestand aus Auszügen einer gerichtlichen Statistik, welche von mehreren Journalen veröffentlicht werden, mit Zusätzen von dem Buchbinder Ruel, Verfasser der Blätter, versehen. Ein letzter Artikel führte die Ueberschrift: „Ruel, Buchbinder, an die Mitglieder der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften, so wie an alle Eusèbe Salverte der Session.“ Die sehr verworrene Prosa des Hrn. Ruel war auch mit reimlosen Versen untermischt. Das Individuum, welches die Schriften von der Tribune herabgeworfen hatte und dafür hinausgewiesen wurde, war, wie man erfuhr, der Verfasser selbst. Das schon seit mehreren Tagen erwartete Pamphlet des Hrn. v. Cormenin gegen die Dotation des Herzogs von Nemours ist erschienen. Die Gazette de France, der National und andere Journale enthalten bereits Auszüge. ♀Paris, 2 Febr. Die Gesinnungen der Kammern und der Regierung stumpfen sich immer mehr ab durch Aneinanderspülen der Wellen und jene Art matten Kampfes der Cabalen, mit denen sie einander befehden; nicht Ein großes Gemüth, nicht Ein großer Geist wird geboren. Die Herzen sind wie ein Schwamm, in dem kaum ein vegetatives oder polypenartiges Leben sich mehr verspüren läßt. Dieß ist die nothwendige Folge der Nichtheilighaltung des Wortes, des Verzettelns in Phrasen und todten Maximen, des Abgangs aller Richtung im Leben. Klugheit ist der höchste Ausdruck der jetzigen Talente, und Glanz der einzige Körper, in dem sie erscheinen möchten; daher die furchtbare Indifferenz über alle Vorfälle in Regierung und Kammern. Solch eine kalte Gleichgültigkeit gegen das Bestehende hat es vielleicht noch niemals in der Geschichte gegeben. Ist aber deßhalb alle Kraft und aller Enthusiasmus erloschen? Keineswegs. Die große Kraft der Herzen beurkundet sich schon in dem einen Factum der Ausdauer der Soldaten in Afrika, wo wahrhafte Eisennaturen zusammengehärtet und geschmiedet werden; und diese Kraft der Bravour lebt in der innersten Seele der französischen Nation, wie in keiner andern, so wie auch das reizbarste fast weibliche Ehrgefühl. Trotz dessen versinkt die ganze legislative, administrative und bürgerliche Welt in den krassesten Egoismus. Franzosen, die sich selbst leiten und führen, sind rein undenkbar. Sie bedürfen irgend eines Vorgängers, Heinrich IV, Ludwig XIV, Richelieu, oder einer Jeanne d'Arc, oder eines Napoleon. Ohne irgend eine derbe und feste Personification und Individualisirung ihrer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0003" n="0339"/> die Nachlässigkeit der Kronbeamten (und zwar eine geflissentliche Nachlässigkeit, um ein solches Resultat zu bewirken) sey an allem Unheil Schuld. Auch muß man gestehen, daß es ganz den Anschein hat, als habe man die Sachen so angelegt, um diesen Leuten wenigstens das Leben zu retten. Mehr aber werden die Minister nicht thun; indem sie bereits die Delinquenten an Bord der Gefangenenschiffe transportiren lassen, offenbar mit solcher Schnelligkeit, theils um denselben alle weitere Hoffnung abzuschneiden, theils um einen etwanigen Aufstand in der Gegend zu deren Befreiung und mögliches Blutvergießen zu verhindern. – Zu Bolton in Lancashire hat vorige Woche ein Aufstandsversuch stattgefunden, ist aber ohne Mühe und ohne daß es einen Tropfen Blutes gekostet hätte, unterdrückt worden. Das Schloß zu York ist voll von Staatsgefangenen. Sonst ist's im Lande ruhig; und Handel und Gewerbe scheinen sich auch um ein Weniges heben zu wollen. Der hiesige Lordmayor hat, von einer großen Anzahl einflußreicher Kaufleute und Bürger aufgefordert, eine Versammlung gegen die Getreidegesetze berufen. – Man hebt aus den letzten großen Debatten allerlei Merkwürdigkeiten heraus. Unter andern enthüllte Peel ein bisher unbekanntes Geheimniß. Als nämlich das Wellington'sche Cabinet im Anfang 1829 zum Entschluß kam, daß die Emancipation der Katholiken dem Parlament vorgelegt werden müsse, widersetzte sich Georg IV so hartnäckig, daß am Morgen des 4 Febr., am Tage vor dessen Versammlung, die Minister Windsor verließen, nachdem sie ihre Stellen niedergelegt hatten. Nur in der Nacht darauf erhielten sie des Königs Erlaubniß, und mußten am folgenden Tage davon Gebrauch machen, ohne Zeit gehabt zu haben, ihre Freunde und Unterstützer vorher von ihrem so außerordentlichen und ihnen so unerwarteten Entschlusse in Kenntniß zu setzen.</p> </div> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 7 Febr.</dateline> <p/><lb/> <p>In der Sitzung der <hi rendition="#g">Deputirtenkammer</hi> am 6 Febr. sprach in Bezug auf den Vorschlag des Hrn. 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Klugheit ist der höchste Ausdruck der jetzigen Talente, und Glanz der einzige Körper, in dem sie erscheinen möchten; daher die furchtbare Indifferenz über alle Vorfälle in Regierung und Kammern. Solch eine kalte Gleichgültigkeit gegen das Bestehende hat es vielleicht noch niemals in der Geschichte gegeben. Ist aber deßhalb alle Kraft und aller Enthusiasmus erloschen? Keineswegs. Die große Kraft der Herzen beurkundet sich schon in dem einen Factum der Ausdauer der Soldaten in Afrika, wo wahrhafte Eisennaturen zusammengehärtet und geschmiedet werden; und diese Kraft der Bravour lebt in der innersten Seele der französischen Nation, wie in keiner andern, so wie auch das reizbarste fast weibliche Ehrgefühl. Trotz dessen versinkt die ganze legislative, administrative und bürgerliche Welt in den krassesten Egoismus. Franzosen, die sich selbst leiten und führen, sind rein undenkbar. 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Frankreich.
_ Paris, 7 Febr.
In der Sitzung der Deputirtenkammer am 6 Febr. sprach in Bezug auf den Vorschlag des Hrn. Gaugnier noch Hr. Murat-Ballange, und ermahnte die Kammer, bei Mißbräuchen eine strenge Polizei gegen sich selbst auszuüben und dafür Censoren in der Kammer einzuführen. Auch wünscht er, daß man den Deputirten Taggelder bewillige. Hr. Berville meint, nur die Wähler können Garantien darbieten, und dieß sey hinreichend. Hr. Jaubert spricht sich in einer pikanten Improvisation gegen die Beamten aus, die in der Kammer opponiren, und erklärt, daß er den Vorschlag des Hrn. Gaugnier unterstützen würde, wenn ein beigefügtes Amendement die Entfernung der kleinen Beamten aus der Kammer verlange, die für die Versuchungen der Staatsgewalt auf gleiche Weise wie für die Versprechungen der Opposition mehr als andere zugänglich seyen. Hr. Villemain sprach umständlich gegen alle diese Vorschläge, worauf, nach dem Antrag des Hrn. Odilon-Barrot, die Discussion auf den folgenden Tag verschoben wurde, obgleich viele Stimmen zur Abstimmung riefen.
_ In der Sitzung der Deputirtenkammer am 7 Febr. sprach in der Debatte über den Vorschlag des Hrn. Gauguier zuerst Hr. Dozon besonders gegen die Aeußerungen des Hrn. Murat-Ballange in der vorigen Sitzung. Man hatte eine Rede von Hrn. Berryer erwartet, der sich aber, so wie die HH. Thiers und Guizot, die in der Sitzung waren, nicht äußerte. Hr. v. Tracy hielt einen umständlichen Vortrag zur Unterstützung des Vorschlags des Hrn. Gauguier. Es sey endlich Zeit, einem Uebelstande abzuhelfen, den Jedermann fühle. So wie die ministerielle Gewalt auf irgend eine Weise in die Wahlen eingreife, sey es um die Wahlfreiheiten geschehen. Dann folge Schwächung des Ansehens der Beamten und Vermehrung der Staatslasten. Der Redner erklärt sich zum voraus geneigt, alle Vorschläge anzunehmen, welche diese Gefahr beseitigen könnten. Seine Rede ward mehrmals durch Murren unterbrochen. Hr. Dubois erklärte sich in einem Vortrage, der mehrere stürmische Auftritte in der Kammer veranlaßte, gegen die Vorschläge des Hrn. Gauguier. Hr. Odilon-Barrot meint, der Vorschlag des Hrn. Gauguier sey jetzt zu einer gewissen Reife gekommen, und er müsse irgend eine Art von Lösung in der Kammer erhalten. Man müsse zwischen den extremen Parteien eine versöhnende Maaßregel ergreifen. Er gehöre nicht zu denen, die sagen: Alles oder nichts! Er sey für Verbesserungen und blicke eher in die Zukunft als in die Gegenwart. (Abgang der Post.)
Das Paket, welches, wie gestern erwähnt worden, in der Deputirtenkammersitzung vom 6 Febr. von der Tribune herab in den Saal geworfen wurde, enthielt eine Anzahl gedruckter Blätter, welche die Deputirten von Hand zu Hand herumreichten. Auf der ersten Seite las man die Worte: Gott, das Gesetz, der König; auf der zweiten Seite stand mit großen Buchstaben: Franzosen lest und erbleichet vor Entsetzen! Der Rest der Broschüre bestand aus Auszügen einer gerichtlichen Statistik, welche von mehreren Journalen veröffentlicht werden, mit Zusätzen von dem Buchbinder Ruel, Verfasser der Blätter, versehen. Ein letzter Artikel führte die Ueberschrift: „Ruel, Buchbinder, an die Mitglieder der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften, so wie an alle Eusèbe Salverte der Session.“ Die sehr verworrene Prosa des Hrn. Ruel war auch mit reimlosen Versen untermischt. Das Individuum, welches die Schriften von der Tribune herabgeworfen hatte und dafür hinausgewiesen wurde, war, wie man erfuhr, der Verfasser selbst.
Das schon seit mehreren Tagen erwartete Pamphlet des Hrn. v. Cormenin gegen die Dotation des Herzogs von Nemours ist erschienen. Die Gazette de France, der National und andere Journale enthalten bereits Auszüge.
♀Paris, 2 Febr. Die Gesinnungen der Kammern und der Regierung stumpfen sich immer mehr ab durch Aneinanderspülen der Wellen und jene Art matten Kampfes der Cabalen, mit denen sie einander befehden; nicht Ein großes Gemüth, nicht Ein großer Geist wird geboren. Die Herzen sind wie ein Schwamm, in dem kaum ein vegetatives oder polypenartiges Leben sich mehr verspüren läßt. Dieß ist die nothwendige Folge der Nichtheilighaltung des Wortes, des Verzettelns in Phrasen und todten Maximen, des Abgangs aller Richtung im Leben. Klugheit ist der höchste Ausdruck der jetzigen Talente, und Glanz der einzige Körper, in dem sie erscheinen möchten; daher die furchtbare Indifferenz über alle Vorfälle in Regierung und Kammern. Solch eine kalte Gleichgültigkeit gegen das Bestehende hat es vielleicht noch niemals in der Geschichte gegeben. Ist aber deßhalb alle Kraft und aller Enthusiasmus erloschen? Keineswegs. Die große Kraft der Herzen beurkundet sich schon in dem einen Factum der Ausdauer der Soldaten in Afrika, wo wahrhafte Eisennaturen zusammengehärtet und geschmiedet werden; und diese Kraft der Bravour lebt in der innersten Seele der französischen Nation, wie in keiner andern, so wie auch das reizbarste fast weibliche Ehrgefühl. Trotz dessen versinkt die ganze legislative, administrative und bürgerliche Welt in den krassesten Egoismus. Franzosen, die sich selbst leiten und führen, sind rein undenkbar. Sie bedürfen irgend eines Vorgängers, Heinrich IV, Ludwig XIV, Richelieu, oder einer Jeanne d'Arc, oder eines Napoleon. Ohne irgend eine derbe und feste Personification und Individualisirung ihrer
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