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Allgemeine Zeitung. Nr. 45. Augsburg, 14. Februar 1840.

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Stimme aus Italien über Niebuhr.

Neben den Stimmen, welche sich in diesen Blättern über Niebuhrs Briefe ausgesprochen, mag es interessant seyn, auch einmal das Urtheil eines Ausländers zu hören, das sich jetzt in der Biblioteca italiana findet. Frei von den hergebrachten Vorurtheilen, kann es zugleich am besten zeigen, wie man doch auch in Italien in der unbefangenen Würdigung ausgezeichneter Fremden allmählich weiter gekommen. Vor zehn Jahren würden die harten Aeußerungen Niebuhrs über die jetzigen Italiener hier zu Lande bloße Invectiven und ein bornirtes Hervorheben der Verdienste Vico's zur Folge gehabt haben; jetzt wird dieser Name, wenn auch nicht unerwähnt gelassen, doch ohne weitere Prätension angeführt. Das Härteste, was Niebuhr über das jetzige Italien gesagt hat, wird mit dem Bemerken übersetzt, Niebuhrs Verdienste um italienische Geschichte seyen zu bedeutend, als daß man an Aeußerungen der Art, die überdieß im Munde eines solchen Mannes charakteristisch heißen können, Anstoß zu nehmen habe. Dagegen wird die Mittheilung aller Briefe gewünscht, und gefürchtet, daß durch Zurückhalten schwerlich das ganze Bild dieser bedeutenden Erscheinung uns vor Augen trete. "Ganz besonders bemerkenswerth, so resumirt sich der Verfasser, sind die Stellen, welche von Johannes Müller, Schleiermacher und Herder handeln, denn man sieht, daß auch Niebuhr nicht die Kunst besaß, die Bitterkeit der Wahrheit durch sanfte Worte zu mäßigen. Wie große Hindernisse ein Mangel der Art ihm in Staatsgeschäften bereiten mußte, leuchtet von selber ein. Daher die Unannehmlichkeiten, welche er zu erfahren hatte, wo er von andern abhing, und der im Ganzen geringe Erfolg, womit die durch ihn geleiteten Unterhandlungen gekrönt waren. In Wahrheit, er war für solche Geschäfte nicht gemacht, die er immer zu hoch anschlug, die ihn drückten und langweilten. Aber von unendlicher Gutmüthigkeit und begabt mit dem liebevollsten Herzen, wußte er diese Tugenden auch in jenem Stande zu bewahren, wo die Meisten Anlaß nehmen, sie zu vergessen und abzulegen. Ihm, wie so vielen andern berühmten Historikern, fehlte das ästhetische Urtheil: es war nicht die wahre Schönheit der Poesie, was er an alten und neuern Dichtern schätzte; zu deutlich zeigt sich dieß in seinen Ansichten über Goethe's Wilhelm Meister, und auch in seinem Styl, der, wo er nicht durch Wärme der Leidenschaft und des Herzens mächtig gehoben wird, ungleichförmig und sehr verwickelt ist. Wohl ehrgeizig, etwas halsstarrig, in sich gekehrt, obwohl jovial mit vertrauteren Freunden, ein bißchen ruhmredig, sich schon für ausgezeichnet haltend, wo er nur tüchtig war, forderte er von sich selber, was Andere ihm nimmer gewähren konnten. Aber daneben glänzten in jedem seiner Werke Gelehrsamkeit und Integrität des Herzens und des Geistes, Güter so edler Art, daß schon sie allein dem Mann einen großen und berühmten Namen nach dem Tode sichern können. Wer ihn das gerade Gegentheil von Goethe nennt, wird vielleicht nicht irren: wenn die Natur bei jenem sich in Harmonie gefiel, so scheint sie in Niebuhr an einer Mischung von Gegensätzen sich ergötzt zu haben."

Moliere's Denkmal.

Das Denkmal zu Ehren Moliere's ist aus den engen Schranken eines bloßen Privatunternehmens herausgetreten; es ist zur Nationalsache geworden: die Kammer hat den von der Regierung vorgeschlagenen Beitrag von 100,000 Fr. genehmigt. Wer die Richelieustraße durchwandert, bemerkt an einer gewissen Stelle einen winzigen, armseligen Winkelplatz, der die Spitze der zusammentreffenden Straßen Traversiere St. Honore und Richelieu bildet. An diese Stelle, die kaum groß genug ist, um einen Straßenbrunnen anzubringen, wollte man die Statue des größten Lustspieldichters von Frankreich setzen. Nichts unwürdiger als diese Idee, nichts kleinlicher als eine solche Verbergung dessen, den man feiern will - an diesem Platze wäre der Dichter des Tartuffe nicht sicher, von dem ersten besten Miethkutscher, von dem geringsten Anstoß umgeworfen, mindestens beschädigt zu werden. Hoffentlich wird der neue Charakter des Unternehmens dazu beitragen, für den theuren Lustspieldichter einen Raum aufzutreiben, wo er ganz Paris angehört, und von jedem Fremden, der die französische Hauptstadt besucht, gesehen werden muß, denn dieß scheint mir die doppelte Bedingung zu seyn, die bei einem öffentlichen Monument in Betracht kommen muß. Wenn man bei Gelegenheit dieses Gesetzesvorschlags das Bedenken geäußert hat, daß, wenn der Staat zu den Monumenten beitrage, eine Reihe von Provinzstädten nachkommen und Beiträge zu Monumenten für ihre großen Männer verlangen könne, so ist dieß ein Einwand, der wenig ernstliche Beachtung verdient. Es handelt sich hier von Moliere und von einem öffentlichen Monument in Paris selbst; so wie aber Moliere der ganzen Nation angehört und eine ihrer schönsten Größen bildet, so ist Paris die Stadt aller Departemente zugleich und das Herz von Frankreich; in Deutschland würde man einen solchen Einwand eher begreifen, allein keinem Franzosen steht es zu, Paris die Eigenschaft der Universalität abzusprechen, in ihm nicht den wahren und würdigsten Ehrentempel für alles zu erkennen, was seinem Vaterlande zum Ruhm gereicht. Wollen übrigens die Departemente auch Specialmonumente an den Geburtsorten der großen Männer errichten, so mögen sie es thun, Jedermann wird sie in so löblichem Vorhaben unterstützen; vielleicht machen diese Denkmäler zu Ehren Bossuets, Montesquieu's u. s. w., daß deren Bücher von den Provinzbewohnern ein wenig mehr gelesen werden; und das wäre kein geringer Gewinn noch Fortschritt! Man muß wahrhaft lächeln über die Unredlichkeit eines Redners, der Paris auf die nämliche Stufe wie irgend eine andere Stadt in Frankreich setzen will; nicht nur geht der politische, sociale und legislative Pulsschlag des ganzen Landes von Paris aus, strömen alle Lebensäußerungen und Bewegungen nach diesem großen Centrum zurück, sondern jeder Franzose, als Einzelwesen betrachtet, hat mindestens einmal in seinem Leben den Traum, Paris zu seiner bleibenden Heimath zu machen, und keiner möchte von sich sagen lassen, daß er um die große Buhlerin nicht gefreit habe. Ein Franzose sagte mir eines Tages: "Jedermann, der in unserm Lande irgend auf öffentlichen Charakter Anspruch macht, kommt mindestens alle drei Jahre nach Paris; läßt er diese Frist verstreichen, so mögen Sie ihn zu den Todten zählen." Aus dieser etwas übertriebenen Redensart können Sie entnehmen, wie der Franzose den Blick nach seinem Mekka gewandt

Stimme aus Italien über Niebuhr.

Neben den Stimmen, welche sich in diesen Blättern über Niebuhrs Briefe ausgesprochen, mag es interessant seyn, auch einmal das Urtheil eines Ausländers zu hören, das sich jetzt in der Biblioteca italiana findet. Frei von den hergebrachten Vorurtheilen, kann es zugleich am besten zeigen, wie man doch auch in Italien in der unbefangenen Würdigung ausgezeichneter Fremden allmählich weiter gekommen. Vor zehn Jahren würden die harten Aeußerungen Niebuhrs über die jetzigen Italiener hier zu Lande bloße Invectiven und ein bornirtes Hervorheben der Verdienste Vico's zur Folge gehabt haben; jetzt wird dieser Name, wenn auch nicht unerwähnt gelassen, doch ohne weitere Prätension angeführt. Das Härteste, was Niebuhr über das jetzige Italien gesagt hat, wird mit dem Bemerken übersetzt, Niebuhrs Verdienste um italienische Geschichte seyen zu bedeutend, als daß man an Aeußerungen der Art, die überdieß im Munde eines solchen Mannes charakteristisch heißen können, Anstoß zu nehmen habe. Dagegen wird die Mittheilung aller Briefe gewünscht, und gefürchtet, daß durch Zurückhalten schwerlich das ganze Bild dieser bedeutenden Erscheinung uns vor Augen trete. „Ganz besonders bemerkenswerth, so resumirt sich der Verfasser, sind die Stellen, welche von Johannes Müller, Schleiermacher und Herder handeln, denn man sieht, daß auch Niebuhr nicht die Kunst besaß, die Bitterkeit der Wahrheit durch sanfte Worte zu mäßigen. Wie große Hindernisse ein Mangel der Art ihm in Staatsgeschäften bereiten mußte, leuchtet von selber ein. Daher die Unannehmlichkeiten, welche er zu erfahren hatte, wo er von andern abhing, und der im Ganzen geringe Erfolg, womit die durch ihn geleiteten Unterhandlungen gekrönt waren. In Wahrheit, er war für solche Geschäfte nicht gemacht, die er immer zu hoch anschlug, die ihn drückten und langweilten. Aber von unendlicher Gutmüthigkeit und begabt mit dem liebevollsten Herzen, wußte er diese Tugenden auch in jenem Stande zu bewahren, wo die Meisten Anlaß nehmen, sie zu vergessen und abzulegen. Ihm, wie so vielen andern berühmten Historikern, fehlte das ästhetische Urtheil: es war nicht die wahre Schönheit der Poesie, was er an alten und neuern Dichtern schätzte; zu deutlich zeigt sich dieß in seinen Ansichten über Goethe's Wilhelm Meister, und auch in seinem Styl, der, wo er nicht durch Wärme der Leidenschaft und des Herzens mächtig gehoben wird, ungleichförmig und sehr verwickelt ist. Wohl ehrgeizig, etwas halsstarrig, in sich gekehrt, obwohl jovial mit vertrauteren Freunden, ein bißchen ruhmredig, sich schon für ausgezeichnet haltend, wo er nur tüchtig war, forderte er von sich selber, was Andere ihm nimmer gewähren konnten. Aber daneben glänzten in jedem seiner Werke Gelehrsamkeit und Integrität des Herzens und des Geistes, Güter so edler Art, daß schon sie allein dem Mann einen großen und berühmten Namen nach dem Tode sichern können. Wer ihn das gerade Gegentheil von Goethe nennt, wird vielleicht nicht irren: wenn die Natur bei jenem sich in Harmonie gefiel, so scheint sie in Niebuhr an einer Mischung von Gegensätzen sich ergötzt zu haben.“

Molière's Denkmal.

Das Denkmal zu Ehren Molière's ist aus den engen Schranken eines bloßen Privatunternehmens herausgetreten; es ist zur Nationalsache geworden: die Kammer hat den von der Regierung vorgeschlagenen Beitrag von 100,000 Fr. genehmigt. Wer die Richelieustraße durchwandert, bemerkt an einer gewissen Stelle einen winzigen, armseligen Winkelplatz, der die Spitze der zusammentreffenden Straßen Traversiere St. Honoré und Richelieu bildet. An diese Stelle, die kaum groß genug ist, um einen Straßenbrunnen anzubringen, wollte man die Statue des größten Lustspieldichters von Frankreich setzen. Nichts unwürdiger als diese Idee, nichts kleinlicher als eine solche Verbergung dessen, den man feiern will – an diesem Platze wäre der Dichter des Tartuffe nicht sicher, von dem ersten besten Miethkutscher, von dem geringsten Anstoß umgeworfen, mindestens beschädigt zu werden. Hoffentlich wird der neue Charakter des Unternehmens dazu beitragen, für den theuren Lustspieldichter einen Raum aufzutreiben, wo er ganz Paris angehört, und von jedem Fremden, der die französische Hauptstadt besucht, gesehen werden muß, denn dieß scheint mir die doppelte Bedingung zu seyn, die bei einem öffentlichen Monument in Betracht kommen muß. Wenn man bei Gelegenheit dieses Gesetzesvorschlags das Bedenken geäußert hat, daß, wenn der Staat zu den Monumenten beitrage, eine Reihe von Provinzstädten nachkommen und Beiträge zu Monumenten für ihre großen Männer verlangen könne, so ist dieß ein Einwand, der wenig ernstliche Beachtung verdient. Es handelt sich hier von Molière und von einem öffentlichen Monument in Paris selbst; so wie aber Molière der ganzen Nation angehört und eine ihrer schönsten Größen bildet, so ist Paris die Stadt aller Departemente zugleich und das Herz von Frankreich; in Deutschland würde man einen solchen Einwand eher begreifen, allein keinem Franzosen steht es zu, Paris die Eigenschaft der Universalität abzusprechen, in ihm nicht den wahren und würdigsten Ehrentempel für alles zu erkennen, was seinem Vaterlande zum Ruhm gereicht. Wollen übrigens die Departemente auch Specialmonumente an den Geburtsorten der großen Männer errichten, so mögen sie es thun, Jedermann wird sie in so löblichem Vorhaben unterstützen; vielleicht machen diese Denkmäler zu Ehren Bossuets, Montesquieu's u. s. w., daß deren Bücher von den Provinzbewohnern ein wenig mehr gelesen werden; und das wäre kein geringer Gewinn noch Fortschritt! Man muß wahrhaft lächeln über die Unredlichkeit eines Redners, der Paris auf die nämliche Stufe wie irgend eine andere Stadt in Frankreich setzen will; nicht nur geht der politische, sociale und legislative Pulsschlag des ganzen Landes von Paris aus, strömen alle Lebensäußerungen und Bewegungen nach diesem großen Centrum zurück, sondern jeder Franzose, als Einzelwesen betrachtet, hat mindestens einmal in seinem Leben den Traum, Paris zu seiner bleibenden Heimath zu machen, und keiner möchte von sich sagen lassen, daß er um die große Buhlerin nicht gefreit habe. Ein Franzose sagte mir eines Tages: „Jedermann, der in unserm Lande irgend auf öffentlichen Charakter Anspruch macht, kommt mindestens alle drei Jahre nach Paris; läßt er diese Frist verstreichen, so mögen Sie ihn zu den Todten zählen.“ Aus dieser etwas übertriebenen Redensart können Sie entnehmen, wie der Franzose den Blick nach seinem Mekka gewandt

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[0353/0009] Stimme aus Italien über Niebuhr. _ Florenz, 4 Februar. Neben den Stimmen, welche sich in diesen Blättern über Niebuhrs Briefe ausgesprochen, mag es interessant seyn, auch einmal das Urtheil eines Ausländers zu hören, das sich jetzt in der Biblioteca italiana findet. Frei von den hergebrachten Vorurtheilen, kann es zugleich am besten zeigen, wie man doch auch in Italien in der unbefangenen Würdigung ausgezeichneter Fremden allmählich weiter gekommen. Vor zehn Jahren würden die harten Aeußerungen Niebuhrs über die jetzigen Italiener hier zu Lande bloße Invectiven und ein bornirtes Hervorheben der Verdienste Vico's zur Folge gehabt haben; jetzt wird dieser Name, wenn auch nicht unerwähnt gelassen, doch ohne weitere Prätension angeführt. Das Härteste, was Niebuhr über das jetzige Italien gesagt hat, wird mit dem Bemerken übersetzt, Niebuhrs Verdienste um italienische Geschichte seyen zu bedeutend, als daß man an Aeußerungen der Art, die überdieß im Munde eines solchen Mannes charakteristisch heißen können, Anstoß zu nehmen habe. Dagegen wird die Mittheilung aller Briefe gewünscht, und gefürchtet, daß durch Zurückhalten schwerlich das ganze Bild dieser bedeutenden Erscheinung uns vor Augen trete. „Ganz besonders bemerkenswerth, so resumirt sich der Verfasser, sind die Stellen, welche von Johannes Müller, Schleiermacher und Herder handeln, denn man sieht, daß auch Niebuhr nicht die Kunst besaß, die Bitterkeit der Wahrheit durch sanfte Worte zu mäßigen. Wie große Hindernisse ein Mangel der Art ihm in Staatsgeschäften bereiten mußte, leuchtet von selber ein. Daher die Unannehmlichkeiten, welche er zu erfahren hatte, wo er von andern abhing, und der im Ganzen geringe Erfolg, womit die durch ihn geleiteten Unterhandlungen gekrönt waren. In Wahrheit, er war für solche Geschäfte nicht gemacht, die er immer zu hoch anschlug, die ihn drückten und langweilten. Aber von unendlicher Gutmüthigkeit und begabt mit dem liebevollsten Herzen, wußte er diese Tugenden auch in jenem Stande zu bewahren, wo die Meisten Anlaß nehmen, sie zu vergessen und abzulegen. Ihm, wie so vielen andern berühmten Historikern, fehlte das ästhetische Urtheil: es war nicht die wahre Schönheit der Poesie, was er an alten und neuern Dichtern schätzte; zu deutlich zeigt sich dieß in seinen Ansichten über Goethe's Wilhelm Meister, und auch in seinem Styl, der, wo er nicht durch Wärme der Leidenschaft und des Herzens mächtig gehoben wird, ungleichförmig und sehr verwickelt ist. Wohl ehrgeizig, etwas halsstarrig, in sich gekehrt, obwohl jovial mit vertrauteren Freunden, ein bißchen ruhmredig, sich schon für ausgezeichnet haltend, wo er nur tüchtig war, forderte er von sich selber, was Andere ihm nimmer gewähren konnten. Aber daneben glänzten in jedem seiner Werke Gelehrsamkeit und Integrität des Herzens und des Geistes, Güter so edler Art, daß schon sie allein dem Mann einen großen und berühmten Namen nach dem Tode sichern können. Wer ihn das gerade Gegentheil von Goethe nennt, wird vielleicht nicht irren: wenn die Natur bei jenem sich in Harmonie gefiel, so scheint sie in Niebuhr an einer Mischung von Gegensätzen sich ergötzt zu haben.“ Molière's Denkmal. _ Paris, 7 Febr. Das Denkmal zu Ehren Molière's ist aus den engen Schranken eines bloßen Privatunternehmens herausgetreten; es ist zur Nationalsache geworden: die Kammer hat den von der Regierung vorgeschlagenen Beitrag von 100,000 Fr. genehmigt. Wer die Richelieustraße durchwandert, bemerkt an einer gewissen Stelle einen winzigen, armseligen Winkelplatz, der die Spitze der zusammentreffenden Straßen Traversiere St. Honoré und Richelieu bildet. An diese Stelle, die kaum groß genug ist, um einen Straßenbrunnen anzubringen, wollte man die Statue des größten Lustspieldichters von Frankreich setzen. Nichts unwürdiger als diese Idee, nichts kleinlicher als eine solche Verbergung dessen, den man feiern will – an diesem Platze wäre der Dichter des Tartuffe nicht sicher, von dem ersten besten Miethkutscher, von dem geringsten Anstoß umgeworfen, mindestens beschädigt zu werden. Hoffentlich wird der neue Charakter des Unternehmens dazu beitragen, für den theuren Lustspieldichter einen Raum aufzutreiben, wo er ganz Paris angehört, und von jedem Fremden, der die französische Hauptstadt besucht, gesehen werden muß, denn dieß scheint mir die doppelte Bedingung zu seyn, die bei einem öffentlichen Monument in Betracht kommen muß. Wenn man bei Gelegenheit dieses Gesetzesvorschlags das Bedenken geäußert hat, daß, wenn der Staat zu den Monumenten beitrage, eine Reihe von Provinzstädten nachkommen und Beiträge zu Monumenten für ihre großen Männer verlangen könne, so ist dieß ein Einwand, der wenig ernstliche Beachtung verdient. Es handelt sich hier von Molière und von einem öffentlichen Monument in Paris selbst; so wie aber Molière der ganzen Nation angehört und eine ihrer schönsten Größen bildet, so ist Paris die Stadt aller Departemente zugleich und das Herz von Frankreich; in Deutschland würde man einen solchen Einwand eher begreifen, allein keinem Franzosen steht es zu, Paris die Eigenschaft der Universalität abzusprechen, in ihm nicht den wahren und würdigsten Ehrentempel für alles zu erkennen, was seinem Vaterlande zum Ruhm gereicht. Wollen übrigens die Departemente auch Specialmonumente an den Geburtsorten der großen Männer errichten, so mögen sie es thun, Jedermann wird sie in so löblichem Vorhaben unterstützen; vielleicht machen diese Denkmäler zu Ehren Bossuets, Montesquieu's u. s. w., daß deren Bücher von den Provinzbewohnern ein wenig mehr gelesen werden; und das wäre kein geringer Gewinn noch Fortschritt! Man muß wahrhaft lächeln über die Unredlichkeit eines Redners, der Paris auf die nämliche Stufe wie irgend eine andere Stadt in Frankreich setzen will; nicht nur geht der politische, sociale und legislative Pulsschlag des ganzen Landes von Paris aus, strömen alle Lebensäußerungen und Bewegungen nach diesem großen Centrum zurück, sondern jeder Franzose, als Einzelwesen betrachtet, hat mindestens einmal in seinem Leben den Traum, Paris zu seiner bleibenden Heimath zu machen, und keiner möchte von sich sagen lassen, daß er um die große Buhlerin nicht gefreit habe. Ein Franzose sagte mir eines Tages: „Jedermann, der in unserm Lande irgend auf öffentlichen Charakter Anspruch macht, kommt mindestens alle drei Jahre nach Paris; läßt er diese Frist verstreichen, so mögen Sie ihn zu den Todten zählen.“ Aus dieser etwas übertriebenen Redensart können Sie entnehmen, wie der Franzose den Blick nach seinem Mekka gewandt

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 45. Augsburg, 14. Februar 1840, S. 0353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_045_18400214/9>, abgerufen am 29.04.2024.