Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 48. Augsburg, 17. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Deutschen und die Franzosen.

Daß die neuesten Adreßdebatten in den französischen Kammern, wobei die begehrliche Liebe der Franzosen zu den fruchtbaren Rheinlanden mit so merkwürdiger Offenheit ausgesprochen wurde, jenseits des Rheins einige Aufregung hervorrufen würden, war leicht vorauszusehen. Wie erwartet, wurden bald Stimmen von dorther mehr oder minder laut darüber, und namentlich enthielt die Allgemeine Zeitung auf jene Ansprüche eine Antwort von auffallend lebhaftem Ton. Unbeschadet seines innern Verdienstes ließe sich in dem Aufsatz allerdings mehr Schonung bei gleicher Schärfe, weniger Verachtung der Personen und strengere Wahl der Epitheta wünschen. Unverhohlene, kräftige Zurückweisung von Hohn und Hoffart mag einem Manne wohl anstehen; dennoch dünkt es uns besser, seinem Gegner beweisen, daß er schamlos ist, ohne es zu sagen, als es zu sagen, ohne es zu beweisen. Seit geraumer Zeit herrscht in Deutschland die Mode, mit starker Uebertreibung des Schlechten und fast gänzlicher Verkennung des Guten, was sich bei den Franzosen findet, diesem Volke jede Verdorbenheit aufzubürden, dann mit den Tugenden, die man ihm abnahm, die rothe Jacke Alt-Englands zu verbrämen, und von den Britten Vorschriften und Beispiele der Höflichkeit in ehrlichem Tausche zu nehmen. Uns dünkt es gerechter und des germanischen Geistes, wie der Epoche, in der wir leben, würdiger, dem Grunde gewisser Erscheinungen bei unseren Nachbarn, an denen der deutsche Nationalsinn Anstoß nehmen muß, mit der Unparteilichkeit, die Menschen möglich, nachzuforschen. Die fixe Idee der Rheingränze ist eine Manie, die Europa bedroht, und am Ende für Frankreich selbst gefährlich werden kann; der Ehrgeiz und die Habsucht der Franzosen mag darum mit nachdrücklichem Tadel belegt werden, aber fragen läßt sich auch, ob an dieser Manie, wie an so vielen Plagen, nicht alle Welt ein wenig Schuld sey. Europa hat Frankreich das deutsche Elsaß und die Aussicht auf ein Fragment des Rheins, wie eine Zahlung auf Abschlag, ein Stück Rheingränze, gleichsam um nach dem Ganzen die Lust zu wecken, großmüthig gelassen. Auf der andern Seite hat man an den Alpen geknickert, und Savoyen, durch Sitten, Sprache und Lage so französisch, von dem stammverwandten Staat abgerissen. *) Nach Lyon und weit in die Fläche Burgunds hinein grüßt das schneeige Haupt des Montblanc; die Franzosen sehen die Alpen, die sie nicht besitzen, und die doch eine Schutzwehr ihres Landes wären; sie sehen von dem Rhein eine Ecke, aber immer genug, um zu merken, was dieser Fluß ihnen seyn könnte, wenn sie ganz ihn sähen. Warum, sagt man sich hier zu Lande, ist Savoyen, das unsere Sprache spricht, nicht unser, und warum hätten die deutschen Rheinlande mehr Mühe, französisch zu werden, als das deutsche Elsaß? Wenn ihr Deutschen, fährt man fort, einen großen, auf seine vollständige Erhaltung eifersüchtigen Staat bilden würdet, hätten unsere Ansprüche mehr Mäßigung sich auferlegt; allein ihr habt ja selbst euer Land und euer Blut an Frankreich und Rußland so leicht verschleudert, daß wir unmöglich glauben können, fernere Abtretungen würden euch sehr zu Herzen gehen. Und was haben denn bisher die Deutschen gethan, um dergleichen Meinungen (man kann es kaum Vorurtheile nennen) ihren Nachbarn zu benehmen? Konnte man's nicht hundertmal deutsch, sage deutsch, gedruckt lesen, wie glücklich die deutschen Rheinlande unter Frankreich gewesen? Konnte man, als die Presse in Deutschland einen Moment lang beinahe völlig frei war, genug Worte des Tadels finden, daß die französische Regierung den factischen Besitz Belgiens zurückwies und einer Politik der Propaganda, die im Fall glücklichen Erfolgs die Rheinlande unfehlbar an Frankreich gebracht hätte, sich beständig abhold zeigte? Sah es in dem Augenblick, in dem die Polomanie eben den Siedpunkt erreicht hatte, nicht gerade aus, als seyen die Deutschen aufgebracht darüber, daß sie der Gallier nicht mit Einquartierungen und Contribution beehrte, nur um aus den Worten "Noch ist Polen nicht verloren!" eine Wirklichkeit zu machen?

Wohl wurde die Integrität Deutschlands von andern Seiten, und selbst von den Stimmführern der wildesten Demokratie in Schutz genommen, aber da man nichtsdestoweniger fortfuhr, die Franzosen zu einem Kreuzzug gegen die absoluten Herrscher der ganzen Erde aufzufordern, so blieb nur die Zumuthung übrig, die große Nation solle die Welt gratis befreien - eine Zumuthung, lächerlich genug, um von Narren im Ernste gestellt, zu lächerlich, um von vernünftigen Menschen im Ernst aufgenommen zu werden.

Trotz ihrer Unbekanntschaft mit den Zuständen des nichtenglischen Auslands kamen den Franzosen von diesen Vorgängen und Aeußerungen doch theilweise und verworrene Nachrichten zu, und die Deutschen in Paris sind nicht die letzten im Verbreiten solcher Waare, indem sie, um die "großmüthige Gastfreundschaft (hospitalite genereuse)", die man ihnen gewährt, würdig zu bezahlen, nicht selten ihre Gäste von den Sympathien ihrer Landsleute für Frankreich unterhalten. Dann ist es ein allgemeiner Glaube der Franzosen: die französischen Ideen leiteten die geistige Entwicklung Deutschlands, und, aufrichtig gestanden, können wir ihnen billigerweise diesen Glauben zum Vorwurf machen, wenn unsere Bühne um Vaudevilles und Melodramen der Franzosen, die sie eine Zeit lang gern sehen, im Grund aber herzlich verachten, wie um eine Speise der Götter streiten? wenn ihre Romane bei uns bessern Absatz finden, als bei ihnen selbst? wenn ein Product, wie Ruy-Blas, in drei bis vier Bearbeitungen angekündigt wird? wenn die Uebersetzungen von Mignet, Thiers, Segur mit jedem Jahr sich vermehren? und wenn endlich unsere Zeitungen belletristischen oder politischen Inhalts, mit wenigen Ausnahmen, in dem, was sie Erträgliches bieten, nichts als der abgeklatschte Journalismus von Paris sind? Wahrlich, in Gegenwart solcher Thatsachen ist es schwer, jenen Glauben nicht zu haben. Man sollte daher sich nicht so erstaunt und erbittert über die Folgen einer moralischen Abhängigkeit zeigen, in die man selbst sich begeben, und die französische Begehrlichkeit, die man wohl nicht geschaffen, doch genährt, mit mehr Art beantworten, es sey denn, daß die betreffenden Zeitungsartikel dem deutschen Volk als Körner'sches Lied oder Landsturmhymne dienen sollen. Einwenden läßt sich allerdings, daß die Franzosen einen geringen Begriff von ihren eigenen Ideen und einen hohen von der geistigen Genügsamkeit des deutschen Volks haben müssen, wenn sie ihren Reichthum und unsern Bedarf nach der Zufuhr bemessen, die durch schale Vaudevilles, verzerrte Romane und leichtfertige Premier-Paris geschieht, daß, was sie uns Vortreffliches

*) Da der verehrliche Correspondent oben die Wahl der Ausdrücke tadelt, so möge er uns auch die Bemerkung gestatten, daß abreißen doch kaum das passende Wort für ein Land seyn möchte, das seit tausend Jahren anderer Herrschaft als der französischen gehörte.
Die Deutschen und die Franzosen.

Daß die neuesten Adreßdebatten in den französischen Kammern, wobei die begehrliche Liebe der Franzosen zu den fruchtbaren Rheinlanden mit so merkwürdiger Offenheit ausgesprochen wurde, jenseits des Rheins einige Aufregung hervorrufen würden, war leicht vorauszusehen. Wie erwartet, wurden bald Stimmen von dorther mehr oder minder laut darüber, und namentlich enthielt die Allgemeine Zeitung auf jene Ansprüche eine Antwort von auffallend lebhaftem Ton. Unbeschadet seines innern Verdienstes ließe sich in dem Aufsatz allerdings mehr Schonung bei gleicher Schärfe, weniger Verachtung der Personen und strengere Wahl der Epitheta wünschen. Unverhohlene, kräftige Zurückweisung von Hohn und Hoffart mag einem Manne wohl anstehen; dennoch dünkt es uns besser, seinem Gegner beweisen, daß er schamlos ist, ohne es zu sagen, als es zu sagen, ohne es zu beweisen. Seit geraumer Zeit herrscht in Deutschland die Mode, mit starker Uebertreibung des Schlechten und fast gänzlicher Verkennung des Guten, was sich bei den Franzosen findet, diesem Volke jede Verdorbenheit aufzubürden, dann mit den Tugenden, die man ihm abnahm, die rothe Jacke Alt-Englands zu verbrämen, und von den Britten Vorschriften und Beispiele der Höflichkeit in ehrlichem Tausche zu nehmen. Uns dünkt es gerechter und des germanischen Geistes, wie der Epoche, in der wir leben, würdiger, dem Grunde gewisser Erscheinungen bei unseren Nachbarn, an denen der deutsche Nationalsinn Anstoß nehmen muß, mit der Unparteilichkeit, die Menschen möglich, nachzuforschen. Die fixe Idee der Rheingränze ist eine Manie, die Europa bedroht, und am Ende für Frankreich selbst gefährlich werden kann; der Ehrgeiz und die Habsucht der Franzosen mag darum mit nachdrücklichem Tadel belegt werden, aber fragen läßt sich auch, ob an dieser Manie, wie an so vielen Plagen, nicht alle Welt ein wenig Schuld sey. Europa hat Frankreich das deutsche Elsaß und die Aussicht auf ein Fragment des Rheins, wie eine Zahlung auf Abschlag, ein Stück Rheingränze, gleichsam um nach dem Ganzen die Lust zu wecken, großmüthig gelassen. Auf der andern Seite hat man an den Alpen geknickert, und Savoyen, durch Sitten, Sprache und Lage so französisch, von dem stammverwandten Staat abgerissen. *) Nach Lyon und weit in die Fläche Burgunds hinein grüßt das schneeige Haupt des Montblanc; die Franzosen sehen die Alpen, die sie nicht besitzen, und die doch eine Schutzwehr ihres Landes wären; sie sehen von dem Rhein eine Ecke, aber immer genug, um zu merken, was dieser Fluß ihnen seyn könnte, wenn sie ganz ihn sähen. Warum, sagt man sich hier zu Lande, ist Savoyen, das unsere Sprache spricht, nicht unser, und warum hätten die deutschen Rheinlande mehr Mühe, französisch zu werden, als das deutsche Elsaß? Wenn ihr Deutschen, fährt man fort, einen großen, auf seine vollständige Erhaltung eifersüchtigen Staat bilden würdet, hätten unsere Ansprüche mehr Mäßigung sich auferlegt; allein ihr habt ja selbst euer Land und euer Blut an Frankreich und Rußland so leicht verschleudert, daß wir unmöglich glauben können, fernere Abtretungen würden euch sehr zu Herzen gehen. Und was haben denn bisher die Deutschen gethan, um dergleichen Meinungen (man kann es kaum Vorurtheile nennen) ihren Nachbarn zu benehmen? Konnte man's nicht hundertmal deutsch, sage deutsch, gedruckt lesen, wie glücklich die deutschen Rheinlande unter Frankreich gewesen? Konnte man, als die Presse in Deutschland einen Moment lang beinahe völlig frei war, genug Worte des Tadels finden, daß die französische Regierung den factischen Besitz Belgiens zurückwies und einer Politik der Propaganda, die im Fall glücklichen Erfolgs die Rheinlande unfehlbar an Frankreich gebracht hätte, sich beständig abhold zeigte? Sah es in dem Augenblick, in dem die Polomanie eben den Siedpunkt erreicht hatte, nicht gerade aus, als seyen die Deutschen aufgebracht darüber, daß sie der Gallier nicht mit Einquartierungen und Contribution beehrte, nur um aus den Worten „Noch ist Polen nicht verloren!“ eine Wirklichkeit zu machen?

Wohl wurde die Integrität Deutschlands von andern Seiten, und selbst von den Stimmführern der wildesten Demokratie in Schutz genommen, aber da man nichtsdestoweniger fortfuhr, die Franzosen zu einem Kreuzzug gegen die absoluten Herrscher der ganzen Erde aufzufordern, so blieb nur die Zumuthung übrig, die große Nation solle die Welt gratis befreien – eine Zumuthung, lächerlich genug, um von Narren im Ernste gestellt, zu lächerlich, um von vernünftigen Menschen im Ernst aufgenommen zu werden.

Trotz ihrer Unbekanntschaft mit den Zuständen des nichtenglischen Auslands kamen den Franzosen von diesen Vorgängen und Aeußerungen doch theilweise und verworrene Nachrichten zu, und die Deutschen in Paris sind nicht die letzten im Verbreiten solcher Waare, indem sie, um die „großmüthige Gastfreundschaft (hospitalité généreuse)“, die man ihnen gewährt, würdig zu bezahlen, nicht selten ihre Gäste von den Sympathien ihrer Landsleute für Frankreich unterhalten. Dann ist es ein allgemeiner Glaube der Franzosen: die französischen Ideen leiteten die geistige Entwicklung Deutschlands, und, aufrichtig gestanden, können wir ihnen billigerweise diesen Glauben zum Vorwurf machen, wenn unsere Bühne um Vaudevilles und Melodramen der Franzosen, die sie eine Zeit lang gern sehen, im Grund aber herzlich verachten, wie um eine Speise der Götter streiten? wenn ihre Romane bei uns bessern Absatz finden, als bei ihnen selbst? wenn ein Product, wie Ruy-Blas, in drei bis vier Bearbeitungen angekündigt wird? wenn die Uebersetzungen von Mignet, Thiers, Segur mit jedem Jahr sich vermehren? und wenn endlich unsere Zeitungen belletristischen oder politischen Inhalts, mit wenigen Ausnahmen, in dem, was sie Erträgliches bieten, nichts als der abgeklatschte Journalismus von Paris sind? Wahrlich, in Gegenwart solcher Thatsachen ist es schwer, jenen Glauben nicht zu haben. Man sollte daher sich nicht so erstaunt und erbittert über die Folgen einer moralischen Abhängigkeit zeigen, in die man selbst sich begeben, und die französische Begehrlichkeit, die man wohl nicht geschaffen, doch genährt, mit mehr Art beantworten, es sey denn, daß die betreffenden Zeitungsartikel dem deutschen Volk als Körner'sches Lied oder Landsturmhymne dienen sollen. Einwenden läßt sich allerdings, daß die Franzosen einen geringen Begriff von ihren eigenen Ideen und einen hohen von der geistigen Genügsamkeit des deutschen Volks haben müssen, wenn sie ihren Reichthum und unsern Bedarf nach der Zufuhr bemessen, die durch schale Vaudevilles, verzerrte Romane und leichtfertige Premier-Paris geschieht, daß, was sie uns Vortreffliches

*) Da der verehrliche Correspondent oben die Wahl der Ausdrücke tadelt, so möge er uns auch die Bemerkung gestatten, daß abreißen doch kaum das passende Wort für ein Land seyn möchte, das seit tausend Jahren anderer Herrschaft als der französischen gehörte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0009" n="0377"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Deutschen und die Franzosen</hi>.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 3 Febr.</dateline>
          <p> Daß die neuesten Adreßdebatten in den französischen Kammern, wobei die begehrliche Liebe der Franzosen zu den fruchtbaren Rheinlanden mit so merkwürdiger Offenheit ausgesprochen wurde, jenseits des Rheins einige Aufregung hervorrufen würden, war leicht vorauszusehen. Wie erwartet, wurden bald Stimmen von dorther mehr oder minder laut darüber, und namentlich enthielt die Allgemeine Zeitung auf jene Ansprüche eine Antwort von auffallend lebhaftem Ton. Unbeschadet seines innern Verdienstes ließe sich in dem Aufsatz allerdings mehr Schonung bei gleicher Schärfe, weniger Verachtung der Personen und strengere Wahl der Epitheta wünschen. Unverhohlene, kräftige Zurückweisung von Hohn und Hoffart mag einem Manne wohl anstehen; dennoch dünkt es uns besser, seinem Gegner beweisen, daß er schamlos ist, ohne es zu sagen, als es zu sagen, ohne es zu beweisen. Seit geraumer Zeit herrscht in Deutschland die Mode, mit starker Uebertreibung des Schlechten und fast gänzlicher Verkennung des Guten, was sich bei den Franzosen findet, diesem Volke jede Verdorbenheit aufzubürden, dann mit den Tugenden, die man ihm abnahm, die rothe Jacke Alt-Englands zu verbrämen, und von den Britten Vorschriften und Beispiele der Höflichkeit in ehrlichem Tausche zu nehmen. Uns dünkt es gerechter und des germanischen Geistes, wie der Epoche, in der wir leben, würdiger, dem Grunde gewisser Erscheinungen bei unseren Nachbarn, an denen der deutsche Nationalsinn Anstoß nehmen muß, mit der Unparteilichkeit, die Menschen möglich, nachzuforschen. Die fixe Idee der Rheingränze ist eine Manie, die Europa bedroht, und am Ende für Frankreich selbst gefährlich werden kann; der Ehrgeiz und die Habsucht der Franzosen mag darum mit nachdrücklichem Tadel belegt werden, aber fragen läßt sich auch, ob an dieser Manie, wie an so vielen Plagen, nicht alle Welt ein wenig Schuld sey. Europa hat Frankreich das deutsche Elsaß und die Aussicht auf ein Fragment des Rheins, wie eine Zahlung auf Abschlag, ein Stück Rheingränze, gleichsam um nach dem Ganzen die Lust zu wecken, großmüthig gelassen. Auf der andern Seite hat man an den Alpen geknickert, und Savoyen, durch Sitten, Sprache und Lage so französisch, von dem stammverwandten Staat abgerissen. <note place="foot" n="*)"> Da der verehrliche Correspondent oben die Wahl der Ausdrücke tadelt, so möge er uns auch die Bemerkung gestatten, daß <hi rendition="#g">abreißen</hi> doch kaum das passende Wort für ein Land seyn möchte, das seit tausend Jahren anderer Herrschaft als der französischen gehörte.</note> Nach Lyon und weit in die Fläche Burgunds hinein grüßt das schneeige Haupt des Montblanc; die Franzosen sehen die Alpen, die sie nicht besitzen, und die doch eine Schutzwehr ihres Landes wären; sie sehen von dem Rhein eine Ecke, aber immer genug, um zu merken, was dieser Fluß ihnen seyn könnte, wenn sie ganz ihn sähen. Warum, sagt man sich hier zu Lande, ist Savoyen, das unsere Sprache spricht, nicht unser, und warum hätten die deutschen Rheinlande mehr Mühe, französisch zu werden, als das deutsche Elsaß? Wenn ihr Deutschen, fährt man fort, einen großen, auf seine vollständige Erhaltung eifersüchtigen Staat bilden würdet, hätten unsere Ansprüche mehr Mäßigung sich auferlegt; allein ihr habt ja selbst euer Land und euer Blut an Frankreich und Rußland so leicht verschleudert, daß wir unmöglich glauben können, fernere Abtretungen würden euch sehr zu Herzen gehen. Und was haben denn bisher die Deutschen gethan, um dergleichen Meinungen (man kann es kaum Vorurtheile nennen) ihren Nachbarn zu benehmen? Konnte man's nicht hundertmal deutsch, sage deutsch, gedruckt lesen, wie glücklich die deutschen Rheinlande unter Frankreich gewesen? Konnte man, als die Presse in Deutschland einen Moment lang beinahe völlig frei war, genug Worte des Tadels finden, daß die französische Regierung den factischen Besitz Belgiens zurückwies und einer Politik der Propaganda, die im Fall glücklichen Erfolgs die Rheinlande unfehlbar an Frankreich gebracht hätte, sich beständig abhold zeigte? Sah es in dem Augenblick, in dem die Polomanie eben den Siedpunkt erreicht hatte, nicht gerade aus, als seyen die Deutschen aufgebracht darüber, daß sie der Gallier nicht mit Einquartierungen und Contribution beehrte, nur um aus den Worten &#x201E;Noch ist Polen nicht verloren!&#x201C; eine Wirklichkeit zu machen?</p><lb/>
          <p>Wohl wurde die Integrität Deutschlands von andern Seiten, und selbst von den Stimmführern der wildesten Demokratie in Schutz genommen, aber da man nichtsdestoweniger fortfuhr, die Franzosen zu einem Kreuzzug gegen die absoluten Herrscher der ganzen Erde aufzufordern, so blieb nur die Zumuthung übrig, die große Nation solle die Welt gratis befreien &#x2013; eine Zumuthung, lächerlich genug, um von Narren im Ernste gestellt, zu lächerlich, um von vernünftigen Menschen im Ernst aufgenommen zu werden.</p><lb/>
          <p>Trotz ihrer Unbekanntschaft mit den Zuständen des nichtenglischen Auslands kamen den Franzosen von diesen Vorgängen und Aeußerungen doch theilweise und verworrene Nachrichten zu, und die Deutschen in Paris sind nicht die letzten im Verbreiten solcher Waare, indem sie, um die &#x201E;großmüthige Gastfreundschaft (hospitalité généreuse)&#x201C;, die man ihnen gewährt, würdig zu bezahlen, nicht selten ihre Gäste von den Sympathien ihrer Landsleute für Frankreich unterhalten. Dann ist es ein allgemeiner Glaube der Franzosen: die französischen Ideen leiteten die geistige Entwicklung Deutschlands, und, aufrichtig gestanden, können wir ihnen billigerweise diesen Glauben zum Vorwurf machen, wenn unsere Bühne um Vaudevilles und Melodramen der Franzosen, die sie eine Zeit lang gern sehen, im Grund aber herzlich verachten, wie um eine Speise der Götter streiten? wenn ihre Romane bei uns bessern Absatz finden, als bei ihnen selbst? wenn ein Product, wie Ruy-Blas, in drei bis vier Bearbeitungen angekündigt wird? wenn die Uebersetzungen von Mignet, Thiers, Segur mit jedem Jahr sich vermehren? und wenn endlich unsere Zeitungen belletristischen oder politischen Inhalts, mit wenigen Ausnahmen, in dem, was sie Erträgliches bieten, nichts als der abgeklatschte Journalismus von Paris sind? Wahrlich, in Gegenwart solcher Thatsachen ist es schwer, jenen Glauben nicht zu haben. Man sollte daher sich nicht so erstaunt und erbittert über die Folgen einer moralischen Abhängigkeit zeigen, in die man selbst sich begeben, und die französische Begehrlichkeit, die man wohl nicht geschaffen, doch genährt, mit mehr Art beantworten, es sey denn, daß die betreffenden Zeitungsartikel dem deutschen Volk als Körner'sches Lied oder Landsturmhymne dienen sollen. Einwenden läßt sich allerdings, daß die Franzosen einen geringen Begriff von ihren eigenen Ideen und einen hohen von der geistigen Genügsamkeit des deutschen Volks haben müssen, wenn sie ihren Reichthum und unsern Bedarf nach der Zufuhr bemessen, die durch schale Vaudevilles, verzerrte Romane und leichtfertige Premier-Paris geschieht, daß, was sie uns Vortreffliches<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0377/0009] Die Deutschen und die Franzosen. _ Paris, 3 Febr. Daß die neuesten Adreßdebatten in den französischen Kammern, wobei die begehrliche Liebe der Franzosen zu den fruchtbaren Rheinlanden mit so merkwürdiger Offenheit ausgesprochen wurde, jenseits des Rheins einige Aufregung hervorrufen würden, war leicht vorauszusehen. Wie erwartet, wurden bald Stimmen von dorther mehr oder minder laut darüber, und namentlich enthielt die Allgemeine Zeitung auf jene Ansprüche eine Antwort von auffallend lebhaftem Ton. Unbeschadet seines innern Verdienstes ließe sich in dem Aufsatz allerdings mehr Schonung bei gleicher Schärfe, weniger Verachtung der Personen und strengere Wahl der Epitheta wünschen. Unverhohlene, kräftige Zurückweisung von Hohn und Hoffart mag einem Manne wohl anstehen; dennoch dünkt es uns besser, seinem Gegner beweisen, daß er schamlos ist, ohne es zu sagen, als es zu sagen, ohne es zu beweisen. Seit geraumer Zeit herrscht in Deutschland die Mode, mit starker Uebertreibung des Schlechten und fast gänzlicher Verkennung des Guten, was sich bei den Franzosen findet, diesem Volke jede Verdorbenheit aufzubürden, dann mit den Tugenden, die man ihm abnahm, die rothe Jacke Alt-Englands zu verbrämen, und von den Britten Vorschriften und Beispiele der Höflichkeit in ehrlichem Tausche zu nehmen. Uns dünkt es gerechter und des germanischen Geistes, wie der Epoche, in der wir leben, würdiger, dem Grunde gewisser Erscheinungen bei unseren Nachbarn, an denen der deutsche Nationalsinn Anstoß nehmen muß, mit der Unparteilichkeit, die Menschen möglich, nachzuforschen. Die fixe Idee der Rheingränze ist eine Manie, die Europa bedroht, und am Ende für Frankreich selbst gefährlich werden kann; der Ehrgeiz und die Habsucht der Franzosen mag darum mit nachdrücklichem Tadel belegt werden, aber fragen läßt sich auch, ob an dieser Manie, wie an so vielen Plagen, nicht alle Welt ein wenig Schuld sey. Europa hat Frankreich das deutsche Elsaß und die Aussicht auf ein Fragment des Rheins, wie eine Zahlung auf Abschlag, ein Stück Rheingränze, gleichsam um nach dem Ganzen die Lust zu wecken, großmüthig gelassen. Auf der andern Seite hat man an den Alpen geknickert, und Savoyen, durch Sitten, Sprache und Lage so französisch, von dem stammverwandten Staat abgerissen. *) Nach Lyon und weit in die Fläche Burgunds hinein grüßt das schneeige Haupt des Montblanc; die Franzosen sehen die Alpen, die sie nicht besitzen, und die doch eine Schutzwehr ihres Landes wären; sie sehen von dem Rhein eine Ecke, aber immer genug, um zu merken, was dieser Fluß ihnen seyn könnte, wenn sie ganz ihn sähen. Warum, sagt man sich hier zu Lande, ist Savoyen, das unsere Sprache spricht, nicht unser, und warum hätten die deutschen Rheinlande mehr Mühe, französisch zu werden, als das deutsche Elsaß? Wenn ihr Deutschen, fährt man fort, einen großen, auf seine vollständige Erhaltung eifersüchtigen Staat bilden würdet, hätten unsere Ansprüche mehr Mäßigung sich auferlegt; allein ihr habt ja selbst euer Land und euer Blut an Frankreich und Rußland so leicht verschleudert, daß wir unmöglich glauben können, fernere Abtretungen würden euch sehr zu Herzen gehen. Und was haben denn bisher die Deutschen gethan, um dergleichen Meinungen (man kann es kaum Vorurtheile nennen) ihren Nachbarn zu benehmen? Konnte man's nicht hundertmal deutsch, sage deutsch, gedruckt lesen, wie glücklich die deutschen Rheinlande unter Frankreich gewesen? Konnte man, als die Presse in Deutschland einen Moment lang beinahe völlig frei war, genug Worte des Tadels finden, daß die französische Regierung den factischen Besitz Belgiens zurückwies und einer Politik der Propaganda, die im Fall glücklichen Erfolgs die Rheinlande unfehlbar an Frankreich gebracht hätte, sich beständig abhold zeigte? Sah es in dem Augenblick, in dem die Polomanie eben den Siedpunkt erreicht hatte, nicht gerade aus, als seyen die Deutschen aufgebracht darüber, daß sie der Gallier nicht mit Einquartierungen und Contribution beehrte, nur um aus den Worten „Noch ist Polen nicht verloren!“ eine Wirklichkeit zu machen? Wohl wurde die Integrität Deutschlands von andern Seiten, und selbst von den Stimmführern der wildesten Demokratie in Schutz genommen, aber da man nichtsdestoweniger fortfuhr, die Franzosen zu einem Kreuzzug gegen die absoluten Herrscher der ganzen Erde aufzufordern, so blieb nur die Zumuthung übrig, die große Nation solle die Welt gratis befreien – eine Zumuthung, lächerlich genug, um von Narren im Ernste gestellt, zu lächerlich, um von vernünftigen Menschen im Ernst aufgenommen zu werden. Trotz ihrer Unbekanntschaft mit den Zuständen des nichtenglischen Auslands kamen den Franzosen von diesen Vorgängen und Aeußerungen doch theilweise und verworrene Nachrichten zu, und die Deutschen in Paris sind nicht die letzten im Verbreiten solcher Waare, indem sie, um die „großmüthige Gastfreundschaft (hospitalité généreuse)“, die man ihnen gewährt, würdig zu bezahlen, nicht selten ihre Gäste von den Sympathien ihrer Landsleute für Frankreich unterhalten. Dann ist es ein allgemeiner Glaube der Franzosen: die französischen Ideen leiteten die geistige Entwicklung Deutschlands, und, aufrichtig gestanden, können wir ihnen billigerweise diesen Glauben zum Vorwurf machen, wenn unsere Bühne um Vaudevilles und Melodramen der Franzosen, die sie eine Zeit lang gern sehen, im Grund aber herzlich verachten, wie um eine Speise der Götter streiten? wenn ihre Romane bei uns bessern Absatz finden, als bei ihnen selbst? wenn ein Product, wie Ruy-Blas, in drei bis vier Bearbeitungen angekündigt wird? wenn die Uebersetzungen von Mignet, Thiers, Segur mit jedem Jahr sich vermehren? und wenn endlich unsere Zeitungen belletristischen oder politischen Inhalts, mit wenigen Ausnahmen, in dem, was sie Erträgliches bieten, nichts als der abgeklatschte Journalismus von Paris sind? Wahrlich, in Gegenwart solcher Thatsachen ist es schwer, jenen Glauben nicht zu haben. Man sollte daher sich nicht so erstaunt und erbittert über die Folgen einer moralischen Abhängigkeit zeigen, in die man selbst sich begeben, und die französische Begehrlichkeit, die man wohl nicht geschaffen, doch genährt, mit mehr Art beantworten, es sey denn, daß die betreffenden Zeitungsartikel dem deutschen Volk als Körner'sches Lied oder Landsturmhymne dienen sollen. Einwenden läßt sich allerdings, daß die Franzosen einen geringen Begriff von ihren eigenen Ideen und einen hohen von der geistigen Genügsamkeit des deutschen Volks haben müssen, wenn sie ihren Reichthum und unsern Bedarf nach der Zufuhr bemessen, die durch schale Vaudevilles, verzerrte Romane und leichtfertige Premier-Paris geschieht, daß, was sie uns Vortreffliches *) Da der verehrliche Correspondent oben die Wahl der Ausdrücke tadelt, so möge er uns auch die Bemerkung gestatten, daß abreißen doch kaum das passende Wort für ein Land seyn möchte, das seit tausend Jahren anderer Herrschaft als der französischen gehörte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_048_18400217
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_048_18400217/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 48. Augsburg, 17. Februar 1840, S. 0377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_048_18400217/9>, abgerufen am 21.11.2024.