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Allgemeine Zeitung. Nr. 54. Augsburg, 23. Februar 1840.

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von Meyerbeers Hugenotten, hier "Guelfen und Ghibellinen" genannt, allgemeine und verdiente Anerkennung gefunden. Es spricht für den hohen Werth der Composition, daß sie selbst bei dieser ziemlich gewaltsamen Umformung des Textes noch ihre volle Wirkung behauptet hat. Die beiden Frauenrollen konnten mit ihren Pariser Rivalinnen dreist in die Schranken treten. Was die scenische Einrichtung anlangt, würde es dieser gut geleiteten Anstalt sehr zu Statten kommen, wenn sie einen tüchtigen Theatermeister und Decorateur nach Paris schickte, und diese Partie dort in Augenschein nehmen ließe. Der Abstand ist in dieser Beziehung noch sehr groß, und es ist nicht der Aufwand, sondern die höhere Vollkommenheit aller scenischen Einrichtungen, die der Pariser Oper bei der so nöthigen äußeren Ausschmückung einen so entschiedenen Vorzug gibt. Aubers "Ambassadrice", gleichfalls hier noch nicht gesehen, machte geringen Eindruck. Für diese Aufgaben sind, mit wenigen Ausnahmen, unsere deutschen Sänger viel zu schlechte Schauspieler - ein Vorzug, den selbst die schlechtesten französischen Sänger in der Regel vor unsern besten deutschen haben.

Das Schauspiel des Burgtheaters gab seit der "Viola" eine Bearbeitung aus dem Englischen: "die Schweden in Eger" und zwei französische Vaudevilles: "das Geheimniß" und "Molly", alle drei Stücke von schlechter Wahl, von denen indeß das letzte in der Darstellung Beifall fand. Diesen folgte ein Trauerspiel: "ein weibliches Herz", das zwar gleichfalls mißfiel, aber dennoch für eine wahrhaft poetische Anlage Zeugniß gibt, der indeß die Bühnenkenntniß noch ganz abgeht.

Meine flüchtigen, aber wie ich überzeugt bin, vollkommen wahren Bemerkungen über das Burgtheater haben in Nr. 12 der Allgem. Zeitung eine Reclamation hervorgerufen, deren Grundlosigkeit schon ein Artikel der Preuß. Staatszeitung herausgestellt hat, dem ich zu meiner Rechtfertigung noch Folgendes beifüge. Als dem großen Küchenmeister Vatel einst eine Speise getadelt wurde, rannte er sich den Degen durch den Leib. Großartige Empfindlichkeit! Eben so empfindlich, nur minder großartig, veranlaßte einer der dramatischen Köche des Burgtheaters auf meine "schüchternen" Bemerkungen eine donnernde Zurechtweisung. Auf diese will ich ihm dienen. Es heißt in meinem Aufsatz: das Repertoir des Burgtheaters bildeten in seinem wesentlichsten Theil Uebersetzungen französischer Vaudevilles, aus denen hier und da ein Bauernfeld'sches Lustspiel auftaucht. Neues, das unter höherm Gesichtspunkt der Poesie zugezählt werden kann, sahen wir, außer Shakspeare's "Was Ihr wollt", hier - man weiß nicht recht warum? - "Viola" genannt, nur noch etwa Holms "Ismelda." (Irrthümlich statt "Cromwells Ende" angeführt.)

Wo findet der Reclamant hier ein Wort, daß unter West-Schreyvogels Direction mehr französische Vaudeville-Uebersetzungen gegeben worden, als unter der gegenwärtigen? Um zu beweisen, was Niemand behauptet hat, gibt er Ziffern, und zwar aus den Jahren 1830 und 1831, wo, wie bekannt, Schreyvogels Einfluß gehemmt war. Wir wollen aber auch hier dem Publicum kein X für ein U machen lassen, und wollen, so langweilig es auch seyn mag, ebenfalls Ziffern anführen. Wir nehmen von den gedruckten Theaterkalendern vom Jahr 1823 bis 1830 der Schreyvogel'schen Verwaltung jene, die uns eben zur Hand sind; und indem wir die correspondirenden Jahrgänge der gegenwärtigen Verwaltung entgegenstellen, finden wir folgendes Resultat. Es wurden gegeben:
[irrelevantes Material]

Nachdem wir hiermit die falsche Münze an den Zahltisch genagelt haben, werfen wir noch einen Blick auf die Leistung des letzten Jahres. Wir finden eine Serie von 19 Stücken, die jämmerlichste Zusammenstellung, die sich denken läßt, unter diesen ein Dutzend Kleinigkeiten, die keinen Abend ausfüllen, und unter den größeren Stücken Zeugs, wie Louise Lignerolles, schon im Original schlecht genug, in der imbecillen deutschen Bearbeitung aber, in der alle Motive fehlen, gänzlich ungenießbar. Ist das eine würdige Leistung für solche Kräfte, für ein Theater mit diesen Mitteln und mit so trefflichen Schauspielern, die aber nachgerade bei einer solchen Verwendung am längsten trefflich gewesen seyn werden? Und mit solchen Leistungen will man großthun und sich beleidigt fühlen, wenn man in den leisesten Andeutungen, in den geeignetsten Formen an Schreyvogels Musterverdienst erinnert wird, dem man das Capital verdankt, von dessen Ertrag man jetzt noch fortlebt, und von dem nur zu wünschen ist, daß man es nicht mit sammt den Interessen verzehre? Ihn, der mit seiner Donna Diana, Gutierre, Leben ein Traum, zuerst die dramatische Poesie der Spanier auf den deutschen Bühnen einheimisch gemacht hat, der zuerst Macbeth, Lear, Othello, Hamlet, die Heinriche, den Kaufmann von Venedig in würdiger Gestalt auf das Hoftheater brachte, diesen Mann, der mehr Kritik im kleinen Finger hatte, als die meisten jetzigen Dramaturgen im Kopfe, findet man sich beleidigt, als Vorbild gelten zu lassen? Man findet sich nicht geehrt auch nur in der entferntesten Zusammenstellung mit ihm? - Ich sagte in meinem letzten Aufsatze: "Das Burgtheater sey seines alten Ruhms noch würdig" - ich bitte, dieses Compliment nicht wörtlich zu nehmen; bei genauerer Würdigung finde ich, daß ich zu viel gesagt habe. - Ihr behauptet, kein früher gegebenes gutes Stück fehle auf dem Repertoir? Warum denn die lange Reihe elender Lückenbüßer? warum denn noch immer Zeugs, wie Bayard u. dgl., das heutzutage für den Cirque gymnastique einer Kunstreitergesellschaft, nicht aber für das erste Theater Deutschlands paßt? Soll dafür die hirnverbrannte Bearbeitung des "Faust" schadlos halten, von der man zu behaupten wagt: sie sey "nach Goethe's eigenen Andeutungen?" Credat Judaeus! Ich hoffe zur Ehre der Kunst, man kehrt wieder zu den früher gegebenen Scenen zurück. Was es mit der gepriesenen Bearbeitung von classischen Stücken aus anderen Sprachen für eine Bewandtniß hat, wissen wir. Man nimmt ein fremdes Stück, eine fremde Uebersetzung, kehrt das Unterste zu oberst, und die Bearbeitung ist fertig und der Bearbeiter läßt sich auf den Zettel drucken! - Die Reclamation schließt: "Die Würdigung der Wahrheit und Unbefangenheit des Aufsatzes in Nr. 347 wird demnach dem Publicum ein leichtes Geschäft seyn!" - Gewiß sie wird ihm ein leichtes Geschäft seyn, und ich weiß auch, für wen es entscheiden wird. Hiermit schließe auch ich, und bemerke nur, daß mir diese Polemik abgedrungen und daß sie durch mich weder im Ton noch Inhalt provocirt worden. Referent hat nichts mit dem Theater zu thun, und will nichts damit zu thun haben. Genöthigt, in seinen allgemeinen Uebersichten geistiger und socialer Zustände auch des Theaters zu erwähnen, that er es ungern, doch im Interesse der Kunst, übrigens mit absichtlicher Schonung und, wie er glaubt, im Tone der guten Gesellschaft. Dieß ist daher auch jedenfalls sein letztes Wort der Erwiederung. Das

von Meyerbeers Hugenotten, hier „Guelfen und Ghibellinen“ genannt, allgemeine und verdiente Anerkennung gefunden. Es spricht für den hohen Werth der Composition, daß sie selbst bei dieser ziemlich gewaltsamen Umformung des Textes noch ihre volle Wirkung behauptet hat. Die beiden Frauenrollen konnten mit ihren Pariser Rivalinnen dreist in die Schranken treten. Was die scenische Einrichtung anlangt, würde es dieser gut geleiteten Anstalt sehr zu Statten kommen, wenn sie einen tüchtigen Theatermeister und Decorateur nach Paris schickte, und diese Partie dort in Augenschein nehmen ließe. Der Abstand ist in dieser Beziehung noch sehr groß, und es ist nicht der Aufwand, sondern die höhere Vollkommenheit aller scenischen Einrichtungen, die der Pariser Oper bei der so nöthigen äußeren Ausschmückung einen so entschiedenen Vorzug gibt. Aubers „Ambassadrice“, gleichfalls hier noch nicht gesehen, machte geringen Eindruck. Für diese Aufgaben sind, mit wenigen Ausnahmen, unsere deutschen Sänger viel zu schlechte Schauspieler – ein Vorzug, den selbst die schlechtesten französischen Sänger in der Regel vor unsern besten deutschen haben.

Das Schauspiel des Burgtheaters gab seit der „Viola“ eine Bearbeitung aus dem Englischen: „die Schweden in Eger“ und zwei französische Vaudevilles: „das Geheimniß“ und „Molly“, alle drei Stücke von schlechter Wahl, von denen indeß das letzte in der Darstellung Beifall fand. Diesen folgte ein Trauerspiel: „ein weibliches Herz“, das zwar gleichfalls mißfiel, aber dennoch für eine wahrhaft poetische Anlage Zeugniß gibt, der indeß die Bühnenkenntniß noch ganz abgeht.

Meine flüchtigen, aber wie ich überzeugt bin, vollkommen wahren Bemerkungen über das Burgtheater haben in Nr. 12 der Allgem. Zeitung eine Reclamation hervorgerufen, deren Grundlosigkeit schon ein Artikel der Preuß. Staatszeitung herausgestellt hat, dem ich zu meiner Rechtfertigung noch Folgendes beifüge. Als dem großen Küchenmeister Vatel einst eine Speise getadelt wurde, rannte er sich den Degen durch den Leib. Großartige Empfindlichkeit! Eben so empfindlich, nur minder großartig, veranlaßte einer der dramatischen Köche des Burgtheaters auf meine „schüchternen“ Bemerkungen eine donnernde Zurechtweisung. Auf diese will ich ihm dienen. Es heißt in meinem Aufsatz: das Repertoir des Burgtheaters bildeten in seinem wesentlichsten Theil Uebersetzungen französischer Vaudevilles, aus denen hier und da ein Bauernfeld'sches Lustspiel auftaucht. Neues, das unter höherm Gesichtspunkt der Poesie zugezählt werden kann, sahen wir, außer Shakspeare's „Was Ihr wollt“, hier – man weiß nicht recht warum? – „Viola“ genannt, nur noch etwa Holms „Ismelda.“ (Irrthümlich statt „Cromwells Ende“ angeführt.)

Wo findet der Reclamant hier ein Wort, daß unter West-Schreyvogels Direction mehr französische Vaudeville-Uebersetzungen gegeben worden, als unter der gegenwärtigen? Um zu beweisen, was Niemand behauptet hat, gibt er Ziffern, und zwar aus den Jahren 1830 und 1831, wo, wie bekannt, Schreyvogels Einfluß gehemmt war. Wir wollen aber auch hier dem Publicum kein X für ein U machen lassen, und wollen, so langweilig es auch seyn mag, ebenfalls Ziffern anführen. Wir nehmen von den gedruckten Theaterkalendern vom Jahr 1823 bis 1830 der Schreyvogel'schen Verwaltung jene, die uns eben zur Hand sind; und indem wir die correspondirenden Jahrgänge der gegenwärtigen Verwaltung entgegenstellen, finden wir folgendes Resultat. Es wurden gegeben:
[irrelevantes Material]

Nachdem wir hiermit die falsche Münze an den Zahltisch genagelt haben, werfen wir noch einen Blick auf die Leistung des letzten Jahres. Wir finden eine Serie von 19 Stücken, die jämmerlichste Zusammenstellung, die sich denken läßt, unter diesen ein Dutzend Kleinigkeiten, die keinen Abend ausfüllen, und unter den größeren Stücken Zeugs, wie Louise Lignerolles, schon im Original schlecht genug, in der imbecillen deutschen Bearbeitung aber, in der alle Motive fehlen, gänzlich ungenießbar. Ist das eine würdige Leistung für solche Kräfte, für ein Theater mit diesen Mitteln und mit so trefflichen Schauspielern, die aber nachgerade bei einer solchen Verwendung am längsten trefflich gewesen seyn werden? Und mit solchen Leistungen will man großthun und sich beleidigt fühlen, wenn man in den leisesten Andeutungen, in den geeignetsten Formen an Schreyvogels Musterverdienst erinnert wird, dem man das Capital verdankt, von dessen Ertrag man jetzt noch fortlebt, und von dem nur zu wünschen ist, daß man es nicht mit sammt den Interessen verzehre? Ihn, der mit seiner Donna Diana, Gutierre, Leben ein Traum, zuerst die dramatische Poesie der Spanier auf den deutschen Bühnen einheimisch gemacht hat, der zuerst Macbeth, Lear, Othello, Hamlet, die Heinriche, den Kaufmann von Venedig in würdiger Gestalt auf das Hoftheater brachte, diesen Mann, der mehr Kritik im kleinen Finger hatte, als die meisten jetzigen Dramaturgen im Kopfe, findet man sich beleidigt, als Vorbild gelten zu lassen? Man findet sich nicht geehrt auch nur in der entferntesten Zusammenstellung mit ihm? – Ich sagte in meinem letzten Aufsatze: „Das Burgtheater sey seines alten Ruhms noch würdig“ – ich bitte, dieses Compliment nicht wörtlich zu nehmen; bei genauerer Würdigung finde ich, daß ich zu viel gesagt habe. – Ihr behauptet, kein früher gegebenes gutes Stück fehle auf dem Repertoir? Warum denn die lange Reihe elender Lückenbüßer? warum denn noch immer Zeugs, wie Bayard u. dgl., das heutzutage für den Cirque gymnastique einer Kunstreitergesellschaft, nicht aber für das erste Theater Deutschlands paßt? Soll dafür die hirnverbrannte Bearbeitung des „Faust“ schadlos halten, von der man zu behaupten wagt: sie sey „nach Goethe's eigenen Andeutungen?“ Credat Judaeus! Ich hoffe zur Ehre der Kunst, man kehrt wieder zu den früher gegebenen Scenen zurück. Was es mit der gepriesenen Bearbeitung von classischen Stücken aus anderen Sprachen für eine Bewandtniß hat, wissen wir. Man nimmt ein fremdes Stück, eine fremde Uebersetzung, kehrt das Unterste zu oberst, und die Bearbeitung ist fertig und der Bearbeiter läßt sich auf den Zettel drucken! – Die Reclamation schließt: „Die Würdigung der Wahrheit und Unbefangenheit des Aufsatzes in Nr. 347 wird demnach dem Publicum ein leichtes Geschäft seyn!“ – Gewiß sie wird ihm ein leichtes Geschäft seyn, und ich weiß auch, für wen es entscheiden wird. Hiermit schließe auch ich, und bemerke nur, daß mir diese Polemik abgedrungen und daß sie durch mich weder im Ton noch Inhalt provocirt worden. Referent hat nichts mit dem Theater zu thun, und will nichts damit zu thun haben. Genöthigt, in seinen allgemeinen Uebersichten geistiger und socialer Zustände auch des Theaters zu erwähnen, that er es ungern, doch im Interesse der Kunst, übrigens mit absichtlicher Schonung und, wie er glaubt, im Tone der guten Gesellschaft. Dieß ist daher auch jedenfalls sein letztes Wort der Erwiederung. Das

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[0427/0011] von Meyerbeers Hugenotten, hier „Guelfen und Ghibellinen“ genannt, allgemeine und verdiente Anerkennung gefunden. Es spricht für den hohen Werth der Composition, daß sie selbst bei dieser ziemlich gewaltsamen Umformung des Textes noch ihre volle Wirkung behauptet hat. Die beiden Frauenrollen konnten mit ihren Pariser Rivalinnen dreist in die Schranken treten. Was die scenische Einrichtung anlangt, würde es dieser gut geleiteten Anstalt sehr zu Statten kommen, wenn sie einen tüchtigen Theatermeister und Decorateur nach Paris schickte, und diese Partie dort in Augenschein nehmen ließe. Der Abstand ist in dieser Beziehung noch sehr groß, und es ist nicht der Aufwand, sondern die höhere Vollkommenheit aller scenischen Einrichtungen, die der Pariser Oper bei der so nöthigen äußeren Ausschmückung einen so entschiedenen Vorzug gibt. Aubers „Ambassadrice“, gleichfalls hier noch nicht gesehen, machte geringen Eindruck. Für diese Aufgaben sind, mit wenigen Ausnahmen, unsere deutschen Sänger viel zu schlechte Schauspieler – ein Vorzug, den selbst die schlechtesten französischen Sänger in der Regel vor unsern besten deutschen haben. Das Schauspiel des Burgtheaters gab seit der „Viola“ eine Bearbeitung aus dem Englischen: „die Schweden in Eger“ und zwei französische Vaudevilles: „das Geheimniß“ und „Molly“, alle drei Stücke von schlechter Wahl, von denen indeß das letzte in der Darstellung Beifall fand. Diesen folgte ein Trauerspiel: „ein weibliches Herz“, das zwar gleichfalls mißfiel, aber dennoch für eine wahrhaft poetische Anlage Zeugniß gibt, der indeß die Bühnenkenntniß noch ganz abgeht. Meine flüchtigen, aber wie ich überzeugt bin, vollkommen wahren Bemerkungen über das Burgtheater haben in Nr. 12 der Allgem. Zeitung eine Reclamation hervorgerufen, deren Grundlosigkeit schon ein Artikel der Preuß. Staatszeitung herausgestellt hat, dem ich zu meiner Rechtfertigung noch Folgendes beifüge. Als dem großen Küchenmeister Vatel einst eine Speise getadelt wurde, rannte er sich den Degen durch den Leib. Großartige Empfindlichkeit! Eben so empfindlich, nur minder großartig, veranlaßte einer der dramatischen Köche des Burgtheaters auf meine „schüchternen“ Bemerkungen eine donnernde Zurechtweisung. Auf diese will ich ihm dienen. Es heißt in meinem Aufsatz: das Repertoir des Burgtheaters bildeten in seinem wesentlichsten Theil Uebersetzungen französischer Vaudevilles, aus denen hier und da ein Bauernfeld'sches Lustspiel auftaucht. Neues, das unter höherm Gesichtspunkt der Poesie zugezählt werden kann, sahen wir, außer Shakspeare's „Was Ihr wollt“, hier – man weiß nicht recht warum? – „Viola“ genannt, nur noch etwa Holms „Ismelda.“ (Irrthümlich statt „Cromwells Ende“ angeführt.) Wo findet der Reclamant hier ein Wort, daß unter West-Schreyvogels Direction mehr französische Vaudeville-Uebersetzungen gegeben worden, als unter der gegenwärtigen? Um zu beweisen, was Niemand behauptet hat, gibt er Ziffern, und zwar aus den Jahren 1830 und 1831, wo, wie bekannt, Schreyvogels Einfluß gehemmt war. Wir wollen aber auch hier dem Publicum kein X für ein U machen lassen, und wollen, so langweilig es auch seyn mag, ebenfalls Ziffern anführen. Wir nehmen von den gedruckten Theaterkalendern vom Jahr 1823 bis 1830 der Schreyvogel'schen Verwaltung jene, die uns eben zur Hand sind; und indem wir die correspondirenden Jahrgänge der gegenwärtigen Verwaltung entgegenstellen, finden wir folgendes Resultat. Es wurden gegeben: _ Nachdem wir hiermit die falsche Münze an den Zahltisch genagelt haben, werfen wir noch einen Blick auf die Leistung des letzten Jahres. Wir finden eine Serie von 19 Stücken, die jämmerlichste Zusammenstellung, die sich denken läßt, unter diesen ein Dutzend Kleinigkeiten, die keinen Abend ausfüllen, und unter den größeren Stücken Zeugs, wie Louise Lignerolles, schon im Original schlecht genug, in der imbecillen deutschen Bearbeitung aber, in der alle Motive fehlen, gänzlich ungenießbar. Ist das eine würdige Leistung für solche Kräfte, für ein Theater mit diesen Mitteln und mit so trefflichen Schauspielern, die aber nachgerade bei einer solchen Verwendung am längsten trefflich gewesen seyn werden? Und mit solchen Leistungen will man großthun und sich beleidigt fühlen, wenn man in den leisesten Andeutungen, in den geeignetsten Formen an Schreyvogels Musterverdienst erinnert wird, dem man das Capital verdankt, von dessen Ertrag man jetzt noch fortlebt, und von dem nur zu wünschen ist, daß man es nicht mit sammt den Interessen verzehre? Ihn, der mit seiner Donna Diana, Gutierre, Leben ein Traum, zuerst die dramatische Poesie der Spanier auf den deutschen Bühnen einheimisch gemacht hat, der zuerst Macbeth, Lear, Othello, Hamlet, die Heinriche, den Kaufmann von Venedig in würdiger Gestalt auf das Hoftheater brachte, diesen Mann, der mehr Kritik im kleinen Finger hatte, als die meisten jetzigen Dramaturgen im Kopfe, findet man sich beleidigt, als Vorbild gelten zu lassen? Man findet sich nicht geehrt auch nur in der entferntesten Zusammenstellung mit ihm? – Ich sagte in meinem letzten Aufsatze: „Das Burgtheater sey seines alten Ruhms noch würdig“ – ich bitte, dieses Compliment nicht wörtlich zu nehmen; bei genauerer Würdigung finde ich, daß ich zu viel gesagt habe. – Ihr behauptet, kein früher gegebenes gutes Stück fehle auf dem Repertoir? Warum denn die lange Reihe elender Lückenbüßer? warum denn noch immer Zeugs, wie Bayard u. dgl., das heutzutage für den Cirque gymnastique einer Kunstreitergesellschaft, nicht aber für das erste Theater Deutschlands paßt? Soll dafür die hirnverbrannte Bearbeitung des „Faust“ schadlos halten, von der man zu behaupten wagt: sie sey „nach Goethe's eigenen Andeutungen?“ Credat Judaeus! Ich hoffe zur Ehre der Kunst, man kehrt wieder zu den früher gegebenen Scenen zurück. Was es mit der gepriesenen Bearbeitung von classischen Stücken aus anderen Sprachen für eine Bewandtniß hat, wissen wir. Man nimmt ein fremdes Stück, eine fremde Uebersetzung, kehrt das Unterste zu oberst, und die Bearbeitung ist fertig und der Bearbeiter läßt sich auf den Zettel drucken! – Die Reclamation schließt: „Die Würdigung der Wahrheit und Unbefangenheit des Aufsatzes in Nr. 347 wird demnach dem Publicum ein leichtes Geschäft seyn!“ – Gewiß sie wird ihm ein leichtes Geschäft seyn, und ich weiß auch, für wen es entscheiden wird. Hiermit schließe auch ich, und bemerke nur, daß mir diese Polemik abgedrungen und daß sie durch mich weder im Ton noch Inhalt provocirt worden. Referent hat nichts mit dem Theater zu thun, und will nichts damit zu thun haben. Genöthigt, in seinen allgemeinen Uebersichten geistiger und socialer Zustände auch des Theaters zu erwähnen, that er es ungern, doch im Interesse der Kunst, übrigens mit absichtlicher Schonung und, wie er glaubt, im Tone der guten Gesellschaft. Dieß ist daher auch jedenfalls sein letztes Wort der Erwiederung. Das

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 54. Augsburg, 23. Februar 1840, S. 0427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_054_18400223/11>, abgerufen am 07.05.2024.