Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 55. Augsburg, 24. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

sind lebhaft besucht, zu welchem Umstand vielleicht der Mangel aller Promenaden und die geringe Zahl anderer geeigneter Belustigungsorte für die Mittelclassen das Seinige beitragen mag. Außerdem besitzt Pesth auch noch - vielleicht mit Preßburg allein in deutschthümlichen Landen - ein Sommertheater unter freiem Himmel in antikem Styl, von Holz versteht sich.

Das deutsche Theater ist das größte, ein imposantes, schönes Haus, doch innerlich nur frostig decorirt in Grau und Silber, mit einer Beleuchtung nur gerade hinlänglich "to make darkness visible." Die Bühne ist so hoch und geräumig, daß sie San Carlo in Neapel wenig an Umfang nachstehen soll. Als ein empfindlicher Mangel ist zu rügen, daß ein so ansehnliches Gebäude keinen Foyer hat, nicht einmal eine Conditorstube, oder irgend einen andern geschlossenen Platz, wo man sich in den Zwischenacten einige Augenblicke ergehen könnte. Auch ist die Kälte und der Zug in den Logen penetrant und an mehreren Orten hört man schlecht; dagegen habe ich beinahe nirgends so hübsche Logenschließerinnen gesehen. Lob, wo Lob gebührt.

Was die Darstellungen betrifft, so waren sie für eine Provincialstadt (denn in der Totalität ist Pesth noch nichts Anderes) über meine Erwartung, besonders die Oper. Diese besitzt an Mademoiselle Carl eine Künstlerin ersten Ranges, von einnehmendem Aeußern, und sowohl als Sängerin, wie als Schauspielerin ausgezeichnet. Ihre Darstellung der Norma z. B. kann sich gewiß, was plastische Schönheit jeder Bewegung und dramatischen Gesang anbelangt, den besten Leistungen Anderer in dieser Rolle keck an die Seite stellen, und eben so meisterhaft fand ich sie in der Genevra, der Semiramis etc., auch nicht weniger gewandt und lieblich im komischen Fach. Da Methode und Schule bei ihr durchaus vortrefflich sind, und sie hiermit eine große Fertigkeit verbindet, so bleibt nichts zu wünschen, als daß sie ihre Stimme conserviren möge, deren Metall und Frische eine fast übermäßige Benutzung derselben von Seite der Direction zuletzt in Gefahr bringen möchte. Auch das übrige Sängerpersonal ist nicht ohne Verdienst; das Orchester geschickt dirigirt, die Chöre, und überhaupt das Ensemble, meistens lobenswerth.

Weniger befriedigt das Schauspiel, wo mir nur Ein Individuum mit wahrer Künstlerweihe vorgekommen ist. Dieß ist Madame Grill, eine höchst talentvolle, denkende Schauspielerin, die auch der trivialsten Rolle durch eigene Schöpferkraft Bedeutung und eine interessante Seite abzugewinnen weiß. Das noch etwas ungebildete, und bei den äußerst wohlfeilen Theaterpreisen auch sehr gemischte hiesige Publicum scheint ihr - obgleich es das applaudirlustigste ist, das es gibt - nicht immer volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, weil sie Knalleffecte und Pathos nicht als tägliches Brod auftischt, und die ächt künstlerische, wieder zur Natur werdende Einfachheit ihres Spiels nicht verstanden wird. Uebrigens muß das Applaudiren hier jedem, dem seine Kunst lieb ist, und dessen Individualität daher, so lange er spielt, gewissermaßen in dem Wesen seiner Rolle aufgehen soll, höchst lästig werden, da die absurde Sitte eingeführt ist (die leider auch in Wien, obschon nicht mit so viel Uebertreibung, herrscht), daß sich der Schauspieler bei dem geringsten Klatschen, mitten in der Scene, tief vor dem Publicum verbeugen muß, was alle Illusion unerträglich stört, und oft unwiderstehlich lächerlich wird. Selbst Sterbende stehen auf, verbeugen sich und fallen wieder um, ja die Leiche im Sarge ist nicht sicher, sich durch die Convenienz zu einem gleichen Experimente genöthigt zu sehen. Außerdem ist es nichts Seltenes, daß ein Liebling des Parterre's und der Galerien nach jeder gefallenden Scene herausgerufen wird, wohl ein Duzendmal an demselben Abend, ja zwei bis dreimal hinter einander für dieselbe Scene. Zuweilen scheint dieß Herausrufen sich zu einer förmlichen Manie zu steigern, so daß nach einander Schauspieler, der Director, der Decorateur, der Compositeur, der Capellmeister, kurz alle Theilnehmenden, mit einziger Ausnahme des Souffleurs und Lampenputzers, auf der Bühne erscheinen, und in der Tiefe ihrer Verbeugungen wetteifern müssen. Auch Kränze fliegen bei solchen Gelegenheiten in Profusion auf das Theater, welche der scharfsinnige Elephant, als er hier gastirte, und von ihnen gleichfalls überschüttet ward, mit noch höherer Devotion, als bisher gezeigt wurde, sämmtlich - auffraß.

Das ungarische Theater - wie beinahe alles neuere Gemeinnützige und Nationale in Ungarn auch eine Schöpfung, die dem Grafen Szechenyi hauptsächlich ihr Daseyn verdankt - ist etwas freundlicher decorirt, aber weit kleiner als das deutsche. Es übertrifft dieses an Eleganz der Costume und Decorationen, was ihm ein ansehnlicher Zuschuß der reichen Unternehmer erleichtert, und steht ihm an Talent des Personals nicht viel nach. Der Liebling des ungarischen Publicums ist die Sängerin Madame Schodel, welche viel Feuer, dramatische Kraft und eine volltönende, frische Stimme hat. Doch fehlt es ihr ganz an geregelter Schule. Dabei hat sie den sehr widerlichen Fehler, beim Singen das Gesicht, oft auf burleske Weise, zu verzerren, und man hat nicht mit Unrecht von ihr gesagt: "daß sie mit dem ganzen Leibe trillere." Da sie noch jung, und, wie man leicht gewahr wird, durchaus strebend ist, so würden ein paar Jahre Studium in Italien sie gewiß zu einer ausgezeichneten Sängerin bilden. Hier kann sie sich in den angenommenen Fehlern nur immer mehr versteinern, und dieß muß um so mehr bedauert werden, da sie wirklich keine gemeine Erscheinung, von der Natur reich ausgestattet, und dabei voll Leben, Geist und auch Geistesgegenwart ist. Von der letztern Eigenschaft gab sie vor einiger Zeit eine ergötzliche Probe. Während man sie (ich weiß nicht zum wie vieltenmal an diesem Abend) herausrief, und, gleich dem Elephanten mit Kränzen überdeckte, bewarf sie in demselben Augenblick die Cabale pöbelhaft mit einer Zwiebelkrone. Ohne irgend eine Empfindlichkeit zu verrathen, hob sie die ominöse Zierde bedächtig auf, betrachtete sie aufmerksam, und sagte dann, sich lächelnd zum Publicum wendend: "Diese Krone verdiene ich nicht, erlauben Sie mir daher, sie auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen," nach welchen Worten sie den übelduftenden Kranz auf dem Kasten des Souffleurs deponirte.

Ich sollte nun noch des Ofener Theaters, das früher eine Kirche war, und des antiken Sommertheaters gedenken, aber beide blieben mir unbekannt, wie so manches andere Interessante, denn gleich einer Schnecke ziehe ich mich bei der unfreundlichen Jahreszeit meistens und gern in mein Haus zurück. Dieß Haus verdient übrigens Empfehlung. Es ist der Gasthof zur Königin Victoria, das ehemalige Hotel eines Magnaten, wo ich weit besser und dazu auch noch weit wohlfeiler wohne und bedient bin, als es dir, guter Max, diesen Winter im Athen an der Spree wahrscheinlich zu erlangen möglich seyn wird. Indessen ist meine Einsamkeit nicht total, und so wenig zahlreich (wie ich dir bereits meldete) die Gesellschaft dermalen in Ofen und Pesth ist, so gefällt sie mir doch in aller dieser Beschränkung ungemein. Sie scheint den Sibyllinischen Büchern zu gleichen, und wenn sechs Theile davon fehlen, die zwei zurückgebliebenen denselben Werth des Ganzen zu behalten.

Zwei Häuser in Ofen sind alle Abend den Besuchern offen: das des Commandirenden in Ungarn, Feldzeugmeisters v. Lederer,

sind lebhaft besucht, zu welchem Umstand vielleicht der Mangel aller Promenaden und die geringe Zahl anderer geeigneter Belustigungsorte für die Mittelclassen das Seinige beitragen mag. Außerdem besitzt Pesth auch noch – vielleicht mit Preßburg allein in deutschthümlichen Landen – ein Sommertheater unter freiem Himmel in antikem Styl, von Holz versteht sich.

Das deutsche Theater ist das größte, ein imposantes, schönes Haus, doch innerlich nur frostig decorirt in Grau und Silber, mit einer Beleuchtung nur gerade hinlänglich „to make darkness visible.“ Die Bühne ist so hoch und geräumig, daß sie San Carlo in Neapel wenig an Umfang nachstehen soll. Als ein empfindlicher Mangel ist zu rügen, daß ein so ansehnliches Gebäude keinen Foyer hat, nicht einmal eine Conditorstube, oder irgend einen andern geschlossenen Platz, wo man sich in den Zwischenacten einige Augenblicke ergehen könnte. Auch ist die Kälte und der Zug in den Logen penetrant und an mehreren Orten hört man schlecht; dagegen habe ich beinahe nirgends so hübsche Logenschließerinnen gesehen. Lob, wo Lob gebührt.

Was die Darstellungen betrifft, so waren sie für eine Provincialstadt (denn in der Totalität ist Pesth noch nichts Anderes) über meine Erwartung, besonders die Oper. Diese besitzt an Mademoiselle Carl eine Künstlerin ersten Ranges, von einnehmendem Aeußern, und sowohl als Sängerin, wie als Schauspielerin ausgezeichnet. Ihre Darstellung der Norma z. B. kann sich gewiß, was plastische Schönheit jeder Bewegung und dramatischen Gesang anbelangt, den besten Leistungen Anderer in dieser Rolle keck an die Seite stellen, und eben so meisterhaft fand ich sie in der Genevra, der Semiramis etc., auch nicht weniger gewandt und lieblich im komischen Fach. Da Methode und Schule bei ihr durchaus vortrefflich sind, und sie hiermit eine große Fertigkeit verbindet, so bleibt nichts zu wünschen, als daß sie ihre Stimme conserviren möge, deren Metall und Frische eine fast übermäßige Benutzung derselben von Seite der Direction zuletzt in Gefahr bringen möchte. Auch das übrige Sängerpersonal ist nicht ohne Verdienst; das Orchester geschickt dirigirt, die Chöre, und überhaupt das Ensemble, meistens lobenswerth.

Weniger befriedigt das Schauspiel, wo mir nur Ein Individuum mit wahrer Künstlerweihe vorgekommen ist. Dieß ist Madame Grill, eine höchst talentvolle, denkende Schauspielerin, die auch der trivialsten Rolle durch eigene Schöpferkraft Bedeutung und eine interessante Seite abzugewinnen weiß. Das noch etwas ungebildete, und bei den äußerst wohlfeilen Theaterpreisen auch sehr gemischte hiesige Publicum scheint ihr – obgleich es das applaudirlustigste ist, das es gibt – nicht immer volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, weil sie Knalleffecte und Pathos nicht als tägliches Brod auftischt, und die ächt künstlerische, wieder zur Natur werdende Einfachheit ihres Spiels nicht verstanden wird. Uebrigens muß das Applaudiren hier jedem, dem seine Kunst lieb ist, und dessen Individualität daher, so lange er spielt, gewissermaßen in dem Wesen seiner Rolle aufgehen soll, höchst lästig werden, da die absurde Sitte eingeführt ist (die leider auch in Wien, obschon nicht mit so viel Uebertreibung, herrscht), daß sich der Schauspieler bei dem geringsten Klatschen, mitten in der Scene, tief vor dem Publicum verbeugen muß, was alle Illusion unerträglich stört, und oft unwiderstehlich lächerlich wird. Selbst Sterbende stehen auf, verbeugen sich und fallen wieder um, ja die Leiche im Sarge ist nicht sicher, sich durch die Convenienz zu einem gleichen Experimente genöthigt zu sehen. Außerdem ist es nichts Seltenes, daß ein Liebling des Parterre's und der Galerien nach jeder gefallenden Scene herausgerufen wird, wohl ein Duzendmal an demselben Abend, ja zwei bis dreimal hinter einander für dieselbe Scene. Zuweilen scheint dieß Herausrufen sich zu einer förmlichen Manie zu steigern, so daß nach einander Schauspieler, der Director, der Decorateur, der Compositeur, der Capellmeister, kurz alle Theilnehmenden, mit einziger Ausnahme des Souffleurs und Lampenputzers, auf der Bühne erscheinen, und in der Tiefe ihrer Verbeugungen wetteifern müssen. Auch Kränze fliegen bei solchen Gelegenheiten in Profusion auf das Theater, welche der scharfsinnige Elephant, als er hier gastirte, und von ihnen gleichfalls überschüttet ward, mit noch höherer Devotion, als bisher gezeigt wurde, sämmtlich – auffraß.

Das ungarische Theater – wie beinahe alles neuere Gemeinnützige und Nationale in Ungarn auch eine Schöpfung, die dem Grafen Széchenyi hauptsächlich ihr Daseyn verdankt – ist etwas freundlicher decorirt, aber weit kleiner als das deutsche. Es übertrifft dieses an Eleganz der Costume und Decorationen, was ihm ein ansehnlicher Zuschuß der reichen Unternehmer erleichtert, und steht ihm an Talent des Personals nicht viel nach. Der Liebling des ungarischen Publicums ist die Sängerin Madame Schodel, welche viel Feuer, dramatische Kraft und eine volltönende, frische Stimme hat. Doch fehlt es ihr ganz an geregelter Schule. Dabei hat sie den sehr widerlichen Fehler, beim Singen das Gesicht, oft auf burleske Weise, zu verzerren, und man hat nicht mit Unrecht von ihr gesagt: „daß sie mit dem ganzen Leibe trillere.“ Da sie noch jung, und, wie man leicht gewahr wird, durchaus strebend ist, so würden ein paar Jahre Studium in Italien sie gewiß zu einer ausgezeichneten Sängerin bilden. Hier kann sie sich in den angenommenen Fehlern nur immer mehr versteinern, und dieß muß um so mehr bedauert werden, da sie wirklich keine gemeine Erscheinung, von der Natur reich ausgestattet, und dabei voll Leben, Geist und auch Geistesgegenwart ist. Von der letztern Eigenschaft gab sie vor einiger Zeit eine ergötzliche Probe. Während man sie (ich weiß nicht zum wie vieltenmal an diesem Abend) herausrief, und, gleich dem Elephanten mit Kränzen überdeckte, bewarf sie in demselben Augenblick die Cabale pöbelhaft mit einer Zwiebelkrone. Ohne irgend eine Empfindlichkeit zu verrathen, hob sie die ominöse Zierde bedächtig auf, betrachtete sie aufmerksam, und sagte dann, sich lächelnd zum Publicum wendend: „Diese Krone verdiene ich nicht, erlauben Sie mir daher, sie auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen,“ nach welchen Worten sie den übelduftenden Kranz auf dem Kasten des Souffleurs deponirte.

Ich sollte nun noch des Ofener Theaters, das früher eine Kirche war, und des antiken Sommertheaters gedenken, aber beide blieben mir unbekannt, wie so manches andere Interessante, denn gleich einer Schnecke ziehe ich mich bei der unfreundlichen Jahreszeit meistens und gern in mein Haus zurück. Dieß Haus verdient übrigens Empfehlung. Es ist der Gasthof zur Königin Victoria, das ehemalige Hotel eines Magnaten, wo ich weit besser und dazu auch noch weit wohlfeiler wohne und bedient bin, als es dir, guter Max, diesen Winter im Athen an der Spree wahrscheinlich zu erlangen möglich seyn wird. Indessen ist meine Einsamkeit nicht total, und so wenig zahlreich (wie ich dir bereits meldete) die Gesellschaft dermalen in Ofen und Pesth ist, so gefällt sie mir doch in aller dieser Beschränkung ungemein. Sie scheint den Sibyllinischen Büchern zu gleichen, und wenn sechs Theile davon fehlen, die zwei zurückgebliebenen denselben Werth des Ganzen zu behalten.

Zwei Häuser in Ofen sind alle Abend den Besuchern offen: das des Commandirenden in Ungarn, Feldzeugmeisters v. Lederer,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="0435"/>
sind lebhaft besucht, zu welchem Umstand vielleicht der Mangel aller Promenaden und die geringe Zahl anderer geeigneter Belustigungsorte für die Mittelclassen das Seinige beitragen mag. Außerdem besitzt Pesth auch noch &#x2013; vielleicht mit Preßburg allein in deutschthümlichen Landen &#x2013; ein Sommertheater unter freiem Himmel in antikem Styl, von Holz versteht sich.</p><lb/>
        <p>Das deutsche Theater ist das größte, ein imposantes, schönes Haus, doch innerlich nur frostig decorirt in Grau und Silber, mit einer Beleuchtung nur gerade hinlänglich &#x201E;to make darkness visible.&#x201C; Die Bühne ist so hoch und geräumig, daß sie San Carlo in Neapel wenig an Umfang nachstehen soll. Als ein empfindlicher Mangel ist zu rügen, daß ein so ansehnliches Gebäude keinen Foyer hat, nicht einmal eine Conditorstube, oder irgend einen andern geschlossenen Platz, wo man sich in den Zwischenacten einige Augenblicke ergehen könnte. Auch ist die Kälte und der Zug in den Logen penetrant und an mehreren Orten hört man schlecht; dagegen habe ich beinahe nirgends so hübsche Logenschließerinnen gesehen. Lob, wo Lob gebührt.</p><lb/>
        <p>Was die Darstellungen betrifft, so waren sie für eine Provincialstadt (denn in der Totalität ist Pesth noch nichts Anderes) über meine Erwartung, besonders die Oper. Diese besitzt an Mademoiselle Carl eine Künstlerin ersten Ranges, von einnehmendem Aeußern, und sowohl als Sängerin, wie als Schauspielerin ausgezeichnet. Ihre Darstellung der Norma z. B. kann sich gewiß, was plastische Schönheit jeder Bewegung und dramatischen Gesang anbelangt, den besten Leistungen Anderer in dieser Rolle keck an die Seite stellen, und eben so meisterhaft fand ich sie in der Genevra, der Semiramis etc., auch nicht weniger gewandt und lieblich im komischen Fach. Da Methode und Schule bei ihr durchaus vortrefflich sind, und sie hiermit eine große Fertigkeit verbindet, so bleibt nichts zu wünschen, als daß sie ihre Stimme conserviren möge, deren Metall und Frische eine fast übermäßige Benutzung derselben von Seite der Direction zuletzt in Gefahr bringen möchte. Auch das übrige Sängerpersonal ist nicht ohne Verdienst; das Orchester geschickt dirigirt, die Chöre, und überhaupt das Ensemble, meistens lobenswerth.</p><lb/>
        <p>Weniger befriedigt das Schauspiel, wo mir nur Ein Individuum mit wahrer Künstlerweihe vorgekommen ist. Dieß ist Madame Grill, eine höchst talentvolle, denkende Schauspielerin, die auch der trivialsten Rolle durch eigene Schöpferkraft Bedeutung und eine interessante Seite abzugewinnen weiß. Das noch etwas ungebildete, und bei den äußerst wohlfeilen Theaterpreisen auch sehr gemischte hiesige Publicum scheint ihr &#x2013; obgleich es das applaudirlustigste ist, das es gibt &#x2013; nicht immer volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, weil sie Knalleffecte und Pathos nicht als tägliches Brod auftischt, und die ächt künstlerische, wieder zur Natur werdende Einfachheit ihres Spiels nicht verstanden wird. Uebrigens muß das Applaudiren hier jedem, dem seine Kunst lieb ist, und dessen Individualität daher, so lange er spielt, gewissermaßen in dem Wesen seiner Rolle aufgehen soll, höchst lästig werden, da die absurde Sitte eingeführt ist (die leider auch in Wien, obschon nicht mit so viel Uebertreibung, herrscht), daß sich der Schauspieler bei dem geringsten Klatschen, mitten in der Scene, tief vor dem Publicum verbeugen muß, was alle Illusion unerträglich stört, und oft unwiderstehlich lächerlich wird. Selbst Sterbende stehen auf, verbeugen sich und fallen wieder um, ja die Leiche im Sarge ist nicht sicher, sich durch die Convenienz zu einem gleichen Experimente genöthigt zu sehen. Außerdem ist es nichts Seltenes, daß ein Liebling des Parterre's und der Galerien nach jeder gefallenden Scene herausgerufen wird, wohl ein Duzendmal an demselben Abend, ja zwei bis dreimal hinter einander für dieselbe Scene. Zuweilen scheint dieß Herausrufen sich zu einer förmlichen Manie zu steigern, so daß nach einander Schauspieler, der Director, der Decorateur, der Compositeur, der Capellmeister, kurz alle Theilnehmenden, mit einziger Ausnahme des Souffleurs und Lampenputzers, auf der Bühne erscheinen, und in der Tiefe ihrer Verbeugungen wetteifern müssen. Auch Kränze fliegen bei solchen Gelegenheiten in Profusion auf das Theater, welche der scharfsinnige Elephant, als er hier gastirte, und von ihnen gleichfalls überschüttet ward, mit noch höherer Devotion, als bisher gezeigt wurde, sämmtlich &#x2013; auffraß.</p><lb/>
        <p>Das ungarische Theater &#x2013; wie beinahe alles neuere Gemeinnützige und Nationale in Ungarn auch eine Schöpfung, die dem Grafen Széchenyi hauptsächlich ihr Daseyn verdankt &#x2013; ist etwas freundlicher decorirt, aber weit kleiner als das deutsche. Es übertrifft dieses an Eleganz der Costume und Decorationen, was ihm ein ansehnlicher Zuschuß der reichen Unternehmer erleichtert, und steht ihm an Talent des Personals nicht viel nach. Der Liebling des ungarischen Publicums ist die Sängerin Madame Schodel, welche viel Feuer, dramatische Kraft und eine volltönende, frische Stimme hat. Doch fehlt es ihr ganz an geregelter Schule. Dabei hat sie den sehr widerlichen Fehler, beim Singen das Gesicht, oft auf burleske Weise, zu verzerren, und man hat nicht mit Unrecht von ihr gesagt: &#x201E;daß sie mit dem ganzen Leibe trillere.&#x201C; Da sie noch jung, und, wie man leicht gewahr wird, durchaus strebend ist, so würden ein paar Jahre Studium in Italien sie gewiß zu einer ausgezeichneten Sängerin bilden. Hier kann sie sich in den angenommenen Fehlern nur immer mehr versteinern, und dieß muß um so mehr bedauert werden, da sie wirklich keine gemeine Erscheinung, von der Natur reich ausgestattet, und dabei voll Leben, Geist und auch Geistesgegenwart ist. Von der letztern Eigenschaft gab sie vor einiger Zeit eine ergötzliche Probe. Während man sie (ich weiß nicht zum wie vieltenmal an diesem Abend) herausrief, und, gleich dem Elephanten mit Kränzen überdeckte, bewarf sie in demselben Augenblick die Cabale pöbelhaft mit einer Zwiebelkrone. Ohne irgend eine Empfindlichkeit zu verrathen, hob sie die ominöse Zierde bedächtig auf, betrachtete sie aufmerksam, und sagte dann, sich lächelnd zum Publicum wendend: &#x201E;<hi rendition="#g">Diese</hi> Krone verdiene ich nicht, erlauben Sie mir daher, sie auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen,&#x201C; nach welchen Worten sie den übelduftenden Kranz auf dem Kasten des Souffleurs deponirte.</p><lb/>
        <p>Ich sollte nun noch des Ofener Theaters, das früher eine Kirche war, und des antiken Sommertheaters gedenken, aber beide blieben mir unbekannt, wie so manches andere Interessante, denn gleich einer Schnecke ziehe ich mich bei der unfreundlichen Jahreszeit meistens und gern in mein Haus zurück. Dieß Haus verdient übrigens Empfehlung. Es ist der Gasthof zur Königin Victoria, das ehemalige Hotel eines Magnaten, wo ich weit besser und dazu auch noch weit wohlfeiler wohne und bedient bin, als es dir, guter Max, diesen Winter im Athen an der Spree wahrscheinlich zu erlangen möglich seyn wird. Indessen ist meine Einsamkeit nicht total, und so wenig zahlreich (wie ich dir bereits meldete) die Gesellschaft dermalen in Ofen und Pesth ist, so gefällt sie mir doch in aller dieser Beschränkung ungemein. Sie scheint den Sibyllinischen Büchern zu gleichen, und wenn sechs Theile davon fehlen, die zwei zurückgebliebenen denselben Werth des Ganzen zu behalten.</p><lb/>
        <p>Zwei Häuser in Ofen sind alle Abend den Besuchern offen: das des Commandirenden in Ungarn, Feldzeugmeisters v. Lederer,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435/0011] sind lebhaft besucht, zu welchem Umstand vielleicht der Mangel aller Promenaden und die geringe Zahl anderer geeigneter Belustigungsorte für die Mittelclassen das Seinige beitragen mag. Außerdem besitzt Pesth auch noch – vielleicht mit Preßburg allein in deutschthümlichen Landen – ein Sommertheater unter freiem Himmel in antikem Styl, von Holz versteht sich. Das deutsche Theater ist das größte, ein imposantes, schönes Haus, doch innerlich nur frostig decorirt in Grau und Silber, mit einer Beleuchtung nur gerade hinlänglich „to make darkness visible.“ Die Bühne ist so hoch und geräumig, daß sie San Carlo in Neapel wenig an Umfang nachstehen soll. Als ein empfindlicher Mangel ist zu rügen, daß ein so ansehnliches Gebäude keinen Foyer hat, nicht einmal eine Conditorstube, oder irgend einen andern geschlossenen Platz, wo man sich in den Zwischenacten einige Augenblicke ergehen könnte. Auch ist die Kälte und der Zug in den Logen penetrant und an mehreren Orten hört man schlecht; dagegen habe ich beinahe nirgends so hübsche Logenschließerinnen gesehen. Lob, wo Lob gebührt. Was die Darstellungen betrifft, so waren sie für eine Provincialstadt (denn in der Totalität ist Pesth noch nichts Anderes) über meine Erwartung, besonders die Oper. Diese besitzt an Mademoiselle Carl eine Künstlerin ersten Ranges, von einnehmendem Aeußern, und sowohl als Sängerin, wie als Schauspielerin ausgezeichnet. Ihre Darstellung der Norma z. B. kann sich gewiß, was plastische Schönheit jeder Bewegung und dramatischen Gesang anbelangt, den besten Leistungen Anderer in dieser Rolle keck an die Seite stellen, und eben so meisterhaft fand ich sie in der Genevra, der Semiramis etc., auch nicht weniger gewandt und lieblich im komischen Fach. Da Methode und Schule bei ihr durchaus vortrefflich sind, und sie hiermit eine große Fertigkeit verbindet, so bleibt nichts zu wünschen, als daß sie ihre Stimme conserviren möge, deren Metall und Frische eine fast übermäßige Benutzung derselben von Seite der Direction zuletzt in Gefahr bringen möchte. Auch das übrige Sängerpersonal ist nicht ohne Verdienst; das Orchester geschickt dirigirt, die Chöre, und überhaupt das Ensemble, meistens lobenswerth. Weniger befriedigt das Schauspiel, wo mir nur Ein Individuum mit wahrer Künstlerweihe vorgekommen ist. Dieß ist Madame Grill, eine höchst talentvolle, denkende Schauspielerin, die auch der trivialsten Rolle durch eigene Schöpferkraft Bedeutung und eine interessante Seite abzugewinnen weiß. Das noch etwas ungebildete, und bei den äußerst wohlfeilen Theaterpreisen auch sehr gemischte hiesige Publicum scheint ihr – obgleich es das applaudirlustigste ist, das es gibt – nicht immer volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, weil sie Knalleffecte und Pathos nicht als tägliches Brod auftischt, und die ächt künstlerische, wieder zur Natur werdende Einfachheit ihres Spiels nicht verstanden wird. Uebrigens muß das Applaudiren hier jedem, dem seine Kunst lieb ist, und dessen Individualität daher, so lange er spielt, gewissermaßen in dem Wesen seiner Rolle aufgehen soll, höchst lästig werden, da die absurde Sitte eingeführt ist (die leider auch in Wien, obschon nicht mit so viel Uebertreibung, herrscht), daß sich der Schauspieler bei dem geringsten Klatschen, mitten in der Scene, tief vor dem Publicum verbeugen muß, was alle Illusion unerträglich stört, und oft unwiderstehlich lächerlich wird. Selbst Sterbende stehen auf, verbeugen sich und fallen wieder um, ja die Leiche im Sarge ist nicht sicher, sich durch die Convenienz zu einem gleichen Experimente genöthigt zu sehen. Außerdem ist es nichts Seltenes, daß ein Liebling des Parterre's und der Galerien nach jeder gefallenden Scene herausgerufen wird, wohl ein Duzendmal an demselben Abend, ja zwei bis dreimal hinter einander für dieselbe Scene. Zuweilen scheint dieß Herausrufen sich zu einer förmlichen Manie zu steigern, so daß nach einander Schauspieler, der Director, der Decorateur, der Compositeur, der Capellmeister, kurz alle Theilnehmenden, mit einziger Ausnahme des Souffleurs und Lampenputzers, auf der Bühne erscheinen, und in der Tiefe ihrer Verbeugungen wetteifern müssen. Auch Kränze fliegen bei solchen Gelegenheiten in Profusion auf das Theater, welche der scharfsinnige Elephant, als er hier gastirte, und von ihnen gleichfalls überschüttet ward, mit noch höherer Devotion, als bisher gezeigt wurde, sämmtlich – auffraß. Das ungarische Theater – wie beinahe alles neuere Gemeinnützige und Nationale in Ungarn auch eine Schöpfung, die dem Grafen Széchenyi hauptsächlich ihr Daseyn verdankt – ist etwas freundlicher decorirt, aber weit kleiner als das deutsche. Es übertrifft dieses an Eleganz der Costume und Decorationen, was ihm ein ansehnlicher Zuschuß der reichen Unternehmer erleichtert, und steht ihm an Talent des Personals nicht viel nach. Der Liebling des ungarischen Publicums ist die Sängerin Madame Schodel, welche viel Feuer, dramatische Kraft und eine volltönende, frische Stimme hat. Doch fehlt es ihr ganz an geregelter Schule. Dabei hat sie den sehr widerlichen Fehler, beim Singen das Gesicht, oft auf burleske Weise, zu verzerren, und man hat nicht mit Unrecht von ihr gesagt: „daß sie mit dem ganzen Leibe trillere.“ Da sie noch jung, und, wie man leicht gewahr wird, durchaus strebend ist, so würden ein paar Jahre Studium in Italien sie gewiß zu einer ausgezeichneten Sängerin bilden. Hier kann sie sich in den angenommenen Fehlern nur immer mehr versteinern, und dieß muß um so mehr bedauert werden, da sie wirklich keine gemeine Erscheinung, von der Natur reich ausgestattet, und dabei voll Leben, Geist und auch Geistesgegenwart ist. Von der letztern Eigenschaft gab sie vor einiger Zeit eine ergötzliche Probe. Während man sie (ich weiß nicht zum wie vieltenmal an diesem Abend) herausrief, und, gleich dem Elephanten mit Kränzen überdeckte, bewarf sie in demselben Augenblick die Cabale pöbelhaft mit einer Zwiebelkrone. Ohne irgend eine Empfindlichkeit zu verrathen, hob sie die ominöse Zierde bedächtig auf, betrachtete sie aufmerksam, und sagte dann, sich lächelnd zum Publicum wendend: „Diese Krone verdiene ich nicht, erlauben Sie mir daher, sie auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen,“ nach welchen Worten sie den übelduftenden Kranz auf dem Kasten des Souffleurs deponirte. Ich sollte nun noch des Ofener Theaters, das früher eine Kirche war, und des antiken Sommertheaters gedenken, aber beide blieben mir unbekannt, wie so manches andere Interessante, denn gleich einer Schnecke ziehe ich mich bei der unfreundlichen Jahreszeit meistens und gern in mein Haus zurück. Dieß Haus verdient übrigens Empfehlung. Es ist der Gasthof zur Königin Victoria, das ehemalige Hotel eines Magnaten, wo ich weit besser und dazu auch noch weit wohlfeiler wohne und bedient bin, als es dir, guter Max, diesen Winter im Athen an der Spree wahrscheinlich zu erlangen möglich seyn wird. Indessen ist meine Einsamkeit nicht total, und so wenig zahlreich (wie ich dir bereits meldete) die Gesellschaft dermalen in Ofen und Pesth ist, so gefällt sie mir doch in aller dieser Beschränkung ungemein. Sie scheint den Sibyllinischen Büchern zu gleichen, und wenn sechs Theile davon fehlen, die zwei zurückgebliebenen denselben Werth des Ganzen zu behalten. Zwei Häuser in Ofen sind alle Abend den Besuchern offen: das des Commandirenden in Ungarn, Feldzeugmeisters v. Lederer,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_055_18400224
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_055_18400224/11
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 55. Augsburg, 24. Februar 1840, S. 0435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_055_18400224/11>, abgerufen am 21.11.2024.