Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg, 8. März 1840.Augsburger Allgemeine Zeitung. Mit allerhöchsten Privilegien. SonntagNr. 68. 8 März 1840Spanien. Madrid, 24 Febr. Als ich meinen Brief diesen Nachmittag zur Post gegeben hatte, fand ich den Palast der Deputirten zu überfüllt, um darin zu verweilen. Dieser Umstand verschaffte mir die Gelegenheit, Zeuge des Schauspiels zu seyn, welches vor demselben aufgeführt wurde. Der Palast des Congresses liegt an einer äußerst lebhaften Straße, der Carrera de S. Geronimo, die gerade vor diesem Palast einen geräumigen und schönen Platz bildet, und in den Prado hinabführt, wo dieser von der nach dem Buen Retiro hinaufführenden Allee durchschnitten wird. Das entgegengesetzte Ende der Carrera de S. Geronimo stößt an den Puerta del Sol genannten Platz. Da gestern der Kriegsminister versicherte, er hätte Befehl gegeben, alle bewaffnete Macht aus der Nähe des Congresses zurückzuziehen, so war ich um so mehr überrascht, den Palast der Deputirten von Truppen umstellt zu sehen. Eine Compagnie Infanterie war etwa hundert Schritte davon, nach der Puerta del Sol zu, gelagert; der Generalcapitän verweilte in voller Uniform, von Adjutanten umgeben, im Eingange des Palastes des Herzogs von Villahermosa, welcher die Ecke der Carrera de S. Geronimo und des Prado bildet, und unmittelbar daneben, im Prado, hielten 50 Cuirassiere zu Pferde. Auch bemerkte ich, daß die Artillerie, welche am Eingange des Buen Retiro ihre Caserne hat, ihre Kanonen bespannt hatte. Auf dem Platze vor dem Palaste des Congresses befanden sich um 3 Uhr mehrere Volksgruppen, deren Haltung nichts Gutes andeutete, und die aus 20 Mann Nationalmilizen bestehende Wache des Congresses hatte ihre Gewehre zusammengestellt. Alles war ruhig, und nur die glänzende Equipage des Grafen Toreno schien die Aufmerksamkeit des Pöbels auf sich zu ziehen, als der Gefe politico von Madrid aus dem Palaste des Congresses trat, und die Volkshaufen mit dem Geschrei: "Nieder mit ihm! es lebe die Freiheit!" auf ihn einstürzten. Die 20 Nationalmilizen luden ihre Gewehre, und wiesen die auf sie eindrängende Menge mit dem Bajonnet, noch mehr aber mit beschwichtigenden Worten zurück. In wenigen Minuten war darauf der Platz mit Tausenden von Menschen angefüllt, und die Spaziergänger des Prado, Herren und Damen, drängten sich herbei, um das Schauspiel der neuen "Revolution" zu sehen. Zugleich aber stieg der Generalcapitän zu Pferde, und ritt mit seinen Cuirassieren die Straße hinauf, während eine Abtheilung Garde-Lanciers von der Puerta del Sol her die Straße hinab ritt. Im ersten Augenblick entstand unter den "Patrioten" eine mehr retrograde als progressive Bewegung; es begann nämlich ein allgemeines Laufen nach den Seitenstraßen, bis man bemerkte, daß die Truppen eine friedliche Haltung beobachteten. Die Patrioten kehrten zurück, und brachen in das unverfängliche Geschrei: "Es lebe die Freiheit!" aus, wogegen die Truppen natürlich keinen Einspruch thaten. Ein Theil des Volkes verbreitete sich in den Straßen unter dem lauten Geschrei: "zu den Waffen!" Unterdessen hatten die Cuirassiere den Volkshaufen aus der Nähe des Congresses zurückgedrängt, und die wenigen Nationalmilizen wußten darauf den Platz rein zu halten. Die zahllose Menge gehorchte ihnen auf eine bewundernswürdige Weise, rief aber beständig: "Es lebe die Freiheit! es lebe die Constitution!" und noch lauter: "muera Toreno! muera Mon!" Ich bemerkte, daß vorzüglich gegen letztern die Erbitterung sehr groß, und daß seine Ermordung beschlossen war. Die Cuirassiere und Lanciers nahmen endlich eine solche Stellung ein, daß sie auf das erste Zeichen den Volkshaufen auseinander sprengen konnten. Nachdem dieser Auftritt etwa eine Stunde gedauert hatte, hörte ich mehrere der Patrioten, welche in das Geheimnis eingeweiht zu seyn schienen, mit Achselzucken erklären, der Coup sey verfehlt, und die "Revolution" für heute mißlungen. Gegen 6 Uhr schlichen sich die Deputirten einzeln aus dem Congresse, und suchten hinter der Reihe der Nationalmilizen in die Seitenstraßen zu gelangen. Als der Volkshaufen dieß bemerkte, stürzte er unter dem Geschrei: "muera Mon, muera Toreno!" wieder auf den Platz, und bedrohte die Kutsche des Grafen Toreno. Diese wurde jedoch von einigen Cuirassieren in die Mitte genommen, und die Menge verlief sich nach der Puerta del Sol zu. Indem ich mich nach Hause begab, und über das Schicksal nachdachte, welches dem Grafen Toreno bevorstehen möchte, begegnete ich ihm zu meinem nicht geringen Erstaunen in einer wenig besuchten, von dem Platze des Congresses nach der Calle de Alcala führenden Gasse. Ihn begleiteten die Deputirten Mon, Pidal und Olozaga, letzterer vermuthlich, um sich das Ansehen zu geben, als ob er ihn schützen wolle. An der Ecke der Calle de Alcala, wo gerade die Gefahr entstand, verließ er ihn jedoch. - Während dieser Begebenheiten fuhr die Königin-Regentin in einem offenen Wagen im Prado spazieren. - Meine in dem Volkshaufen Augsburger Allgemeine Zeitung. Mit allerhöchsten Privilegien. SonntagNr. 68. 8 März 1840Spanien. Madrid, 24 Febr. Als ich meinen Brief diesen Nachmittag zur Post gegeben hatte, fand ich den Palast der Deputirten zu überfüllt, um darin zu verweilen. Dieser Umstand verschaffte mir die Gelegenheit, Zeuge des Schauspiels zu seyn, welches vor demselben aufgeführt wurde. Der Palast des Congresses liegt an einer äußerst lebhaften Straße, der Carrera de S. Geronimo, die gerade vor diesem Palast einen geräumigen und schönen Platz bildet, und in den Prado hinabführt, wo dieser von der nach dem Buen Retiro hinaufführenden Allee durchschnitten wird. Das entgegengesetzte Ende der Carrera de S. Geronimo stößt an den Puerta del Sol genannten Platz. Da gestern der Kriegsminister versicherte, er hätte Befehl gegeben, alle bewaffnete Macht aus der Nähe des Congresses zurückzuziehen, so war ich um so mehr überrascht, den Palast der Deputirten von Truppen umstellt zu sehen. Eine Compagnie Infanterie war etwa hundert Schritte davon, nach der Puerta del Sol zu, gelagert; der Generalcapitän verweilte in voller Uniform, von Adjutanten umgeben, im Eingange des Palastes des Herzogs von Villahermosa, welcher die Ecke der Carrera de S. Geronimo und des Prado bildet, und unmittelbar daneben, im Prado, hielten 50 Cuirassiere zu Pferde. Auch bemerkte ich, daß die Artillerie, welche am Eingange des Buen Retiro ihre Caserne hat, ihre Kanonen bespannt hatte. Auf dem Platze vor dem Palaste des Congresses befanden sich um 3 Uhr mehrere Volksgruppen, deren Haltung nichts Gutes andeutete, und die aus 20 Mann Nationalmilizen bestehende Wache des Congresses hatte ihre Gewehre zusammengestellt. Alles war ruhig, und nur die glänzende Equipage des Grafen Toreno schien die Aufmerksamkeit des Pöbels auf sich zu ziehen, als der Gefe politico von Madrid aus dem Palaste des Congresses trat, und die Volkshaufen mit dem Geschrei: „Nieder mit ihm! es lebe die Freiheit!“ auf ihn einstürzten. Die 20 Nationalmilizen luden ihre Gewehre, und wiesen die auf sie eindrängende Menge mit dem Bajonnet, noch mehr aber mit beschwichtigenden Worten zurück. In wenigen Minuten war darauf der Platz mit Tausenden von Menschen angefüllt, und die Spaziergänger des Prado, Herren und Damen, drängten sich herbei, um das Schauspiel der neuen „Revolution“ zu sehen. Zugleich aber stieg der Generalcapitän zu Pferde, und ritt mit seinen Cuirassieren die Straße hinauf, während eine Abtheilung Garde-Lanciers von der Puerta del Sol her die Straße hinab ritt. Im ersten Augenblick entstand unter den „Patrioten“ eine mehr retrograde als progressive Bewegung; es begann nämlich ein allgemeines Laufen nach den Seitenstraßen, bis man bemerkte, daß die Truppen eine friedliche Haltung beobachteten. Die Patrioten kehrten zurück, und brachen in das unverfängliche Geschrei: „Es lebe die Freiheit!“ aus, wogegen die Truppen natürlich keinen Einspruch thaten. Ein Theil des Volkes verbreitete sich in den Straßen unter dem lauten Geschrei: „zu den Waffen!“ Unterdessen hatten die Cuirassiere den Volkshaufen aus der Nähe des Congresses zurückgedrängt, und die wenigen Nationalmilizen wußten darauf den Platz rein zu halten. Die zahllose Menge gehorchte ihnen auf eine bewundernswürdige Weise, rief aber beständig: „Es lebe die Freiheit! es lebe die Constitution!“ und noch lauter: „muera Toreno! muera Mon!“ Ich bemerkte, daß vorzüglich gegen letztern die Erbitterung sehr groß, und daß seine Ermordung beschlossen war. Die Cuirassiere und Lanciers nahmen endlich eine solche Stellung ein, daß sie auf das erste Zeichen den Volkshaufen auseinander sprengen konnten. Nachdem dieser Auftritt etwa eine Stunde gedauert hatte, hörte ich mehrere der Patrioten, welche in das Geheimnis eingeweiht zu seyn schienen, mit Achselzucken erklären, der Coup sey verfehlt, und die „Revolution“ für heute mißlungen. Gegen 6 Uhr schlichen sich die Deputirten einzeln aus dem Congresse, und suchten hinter der Reihe der Nationalmilizen in die Seitenstraßen zu gelangen. Als der Volkshaufen dieß bemerkte, stürzte er unter dem Geschrei: „muera Mon, muera Toreno!“ wieder auf den Platz, und bedrohte die Kutsche des Grafen Toreno. Diese wurde jedoch von einigen Cuirassieren in die Mitte genommen, und die Menge verlief sich nach der Puerta del Sol zu. Indem ich mich nach Hause begab, und über das Schicksal nachdachte, welches dem Grafen Toreno bevorstehen möchte, begegnete ich ihm zu meinem nicht geringen Erstaunen in einer wenig besuchten, von dem Platze des Congresses nach der Calle de Alcala führenden Gasse. Ihn begleiteten die Deputirten Mon, Pidal und Olozaga, letzterer vermuthlich, um sich das Ansehen zu geben, als ob er ihn schützen wolle. 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Eine Compagnie Infanterie war etwa hundert Schritte davon, nach der Puerta del Sol zu, gelagert; der Generalcapitän verweilte in voller Uniform, von Adjutanten umgeben, im Eingange des Palastes des Herzogs von Villahermosa, welcher die Ecke der Carrera de S. Geronimo und des Prado bildet, und unmittelbar daneben, im Prado, hielten 50 Cuirassiere zu Pferde. Auch bemerkte ich, daß die Artillerie, welche am Eingange des Buen Retiro ihre Caserne hat, ihre Kanonen bespannt hatte. Auf dem Platze vor dem Palaste des Congresses befanden sich um 3 Uhr mehrere Volksgruppen, deren Haltung nichts Gutes andeutete, und die aus 20 Mann Nationalmilizen bestehende Wache des Congresses hatte ihre Gewehre zusammengestellt. Alles war ruhig, und nur die glänzende Equipage des Grafen Toreno schien die Aufmerksamkeit des Pöbels auf sich zu ziehen, als der Gefe politico von Madrid aus dem Palaste des Congresses trat, und die Volkshaufen mit dem Geschrei: „Nieder mit ihm! es lebe die Freiheit!“ auf ihn einstürzten. Die 20 Nationalmilizen luden ihre Gewehre, und wiesen die auf sie eindrängende Menge mit dem Bajonnet, noch mehr aber mit beschwichtigenden Worten zurück. In wenigen Minuten war darauf der Platz mit Tausenden von Menschen angefüllt, und die Spaziergänger des Prado, Herren und Damen, drängten sich herbei, um das Schauspiel der neuen „Revolution“ zu sehen. Zugleich aber stieg der Generalcapitän zu Pferde, und ritt mit seinen Cuirassieren die Straße hinauf, während eine Abtheilung Garde-Lanciers von der Puerta del Sol her die Straße hinab ritt. Im ersten Augenblick entstand unter den „Patrioten“ eine mehr retrograde als progressive Bewegung; es begann nämlich ein allgemeines Laufen nach den Seitenstraßen, bis man bemerkte, daß die Truppen eine friedliche Haltung beobachteten. Die Patrioten kehrten zurück, und brachen in das unverfängliche Geschrei: „Es lebe die Freiheit!“ aus, wogegen die Truppen natürlich keinen Einspruch thaten. Ein Theil des Volkes verbreitete sich in den Straßen unter dem lauten Geschrei: „zu den Waffen!“ Unterdessen hatten die Cuirassiere den Volkshaufen aus der Nähe des Congresses zurückgedrängt, und die wenigen Nationalmilizen wußten darauf den Platz rein zu halten. Die zahllose Menge gehorchte ihnen auf eine bewundernswürdige Weise, rief aber beständig: „Es lebe die Freiheit! es lebe die Constitution!“ und noch lauter: „muera Toreno! muera Mon!“ Ich bemerkte, daß vorzüglich gegen letztern die Erbitterung sehr groß, und daß seine Ermordung beschlossen war. Die Cuirassiere und Lanciers nahmen endlich eine solche Stellung ein, daß sie auf das erste Zeichen den Volkshaufen auseinander sprengen konnten. Nachdem dieser Auftritt etwa eine Stunde gedauert hatte, hörte ich mehrere der Patrioten, welche in das Geheimnis eingeweiht zu seyn schienen, mit Achselzucken erklären, der Coup sey verfehlt, und die „Revolution“ für heute mißlungen. Gegen 6 Uhr schlichen sich die Deputirten einzeln aus dem Congresse, und suchten hinter der Reihe der Nationalmilizen in die Seitenstraßen zu gelangen. Als der Volkshaufen dieß bemerkte, stürzte er unter dem Geschrei: „muera Mon, muera Toreno!“ wieder auf den Platz, und bedrohte die Kutsche des Grafen Toreno. Diese wurde jedoch von einigen Cuirassieren in die Mitte genommen, und die Menge verlief sich nach der Puerta del Sol zu. Indem ich mich nach Hause begab, und über das Schicksal nachdachte, welches dem Grafen Toreno bevorstehen möchte, begegnete ich ihm zu meinem nicht geringen Erstaunen in einer wenig besuchten, von dem Platze des Congresses nach der Calle de Alcala führenden Gasse. Ihn begleiteten die Deputirten Mon, Pidal und Olozaga, letzterer vermuthlich, um sich das Ansehen zu geben, als ob er ihn schützen wolle. An der Ecke der Calle de Alcala, wo gerade die Gefahr entstand, verließ er ihn jedoch. – Während dieser Begebenheiten fuhr die Königin-Regentin in einem offenen Wagen im Prado spazieren. – Meine in dem Volkshaufen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0537/0001]
Augsburger Allgemeine Zeitung.
Mit allerhöchsten Privilegien.
Sonntag
Nr. 68.
8 März 1840 Spanien.
Madrid, 24 Febr. Als ich meinen Brief diesen Nachmittag zur Post gegeben hatte, fand ich den Palast der Deputirten zu überfüllt, um darin zu verweilen. Dieser Umstand verschaffte mir die Gelegenheit, Zeuge des Schauspiels zu seyn, welches vor demselben aufgeführt wurde. Der Palast des Congresses liegt an einer äußerst lebhaften Straße, der Carrera de S. Geronimo, die gerade vor diesem Palast einen geräumigen und schönen Platz bildet, und in den Prado hinabführt, wo dieser von der nach dem Buen Retiro hinaufführenden Allee durchschnitten wird. Das entgegengesetzte Ende der Carrera de S. Geronimo stößt an den Puerta del Sol genannten Platz. Da gestern der Kriegsminister versicherte, er hätte Befehl gegeben, alle bewaffnete Macht aus der Nähe des Congresses zurückzuziehen, so war ich um so mehr überrascht, den Palast der Deputirten von Truppen umstellt zu sehen. Eine Compagnie Infanterie war etwa hundert Schritte davon, nach der Puerta del Sol zu, gelagert; der Generalcapitän verweilte in voller Uniform, von Adjutanten umgeben, im Eingange des Palastes des Herzogs von Villahermosa, welcher die Ecke der Carrera de S. Geronimo und des Prado bildet, und unmittelbar daneben, im Prado, hielten 50 Cuirassiere zu Pferde. Auch bemerkte ich, daß die Artillerie, welche am Eingange des Buen Retiro ihre Caserne hat, ihre Kanonen bespannt hatte. Auf dem Platze vor dem Palaste des Congresses befanden sich um 3 Uhr mehrere Volksgruppen, deren Haltung nichts Gutes andeutete, und die aus 20 Mann Nationalmilizen bestehende Wache des Congresses hatte ihre Gewehre zusammengestellt. Alles war ruhig, und nur die glänzende Equipage des Grafen Toreno schien die Aufmerksamkeit des Pöbels auf sich zu ziehen, als der Gefe politico von Madrid aus dem Palaste des Congresses trat, und die Volkshaufen mit dem Geschrei: „Nieder mit ihm! es lebe die Freiheit!“ auf ihn einstürzten. Die 20 Nationalmilizen luden ihre Gewehre, und wiesen die auf sie eindrängende Menge mit dem Bajonnet, noch mehr aber mit beschwichtigenden Worten zurück. In wenigen Minuten war darauf der Platz mit Tausenden von Menschen angefüllt, und die Spaziergänger des Prado, Herren und Damen, drängten sich herbei, um das Schauspiel der neuen „Revolution“ zu sehen. Zugleich aber stieg der Generalcapitän zu Pferde, und ritt mit seinen Cuirassieren die Straße hinauf, während eine Abtheilung Garde-Lanciers von der Puerta del Sol her die Straße hinab ritt. Im ersten Augenblick entstand unter den „Patrioten“ eine mehr retrograde als progressive Bewegung; es begann nämlich ein allgemeines Laufen nach den Seitenstraßen, bis man bemerkte, daß die Truppen eine friedliche Haltung beobachteten. Die Patrioten kehrten zurück, und brachen in das unverfängliche Geschrei: „Es lebe die Freiheit!“ aus, wogegen die Truppen natürlich keinen Einspruch thaten. Ein Theil des Volkes verbreitete sich in den Straßen unter dem lauten Geschrei: „zu den Waffen!“ Unterdessen hatten die Cuirassiere den Volkshaufen aus der Nähe des Congresses zurückgedrängt, und die wenigen Nationalmilizen wußten darauf den Platz rein zu halten. Die zahllose Menge gehorchte ihnen auf eine bewundernswürdige Weise, rief aber beständig: „Es lebe die Freiheit! es lebe die Constitution!“ und noch lauter: „muera Toreno! muera Mon!“ Ich bemerkte, daß vorzüglich gegen letztern die Erbitterung sehr groß, und daß seine Ermordung beschlossen war. Die Cuirassiere und Lanciers nahmen endlich eine solche Stellung ein, daß sie auf das erste Zeichen den Volkshaufen auseinander sprengen konnten. Nachdem dieser Auftritt etwa eine Stunde gedauert hatte, hörte ich mehrere der Patrioten, welche in das Geheimnis eingeweiht zu seyn schienen, mit Achselzucken erklären, der Coup sey verfehlt, und die „Revolution“ für heute mißlungen. Gegen 6 Uhr schlichen sich die Deputirten einzeln aus dem Congresse, und suchten hinter der Reihe der Nationalmilizen in die Seitenstraßen zu gelangen. Als der Volkshaufen dieß bemerkte, stürzte er unter dem Geschrei: „muera Mon, muera Toreno!“ wieder auf den Platz, und bedrohte die Kutsche des Grafen Toreno. Diese wurde jedoch von einigen Cuirassieren in die Mitte genommen, und die Menge verlief sich nach der Puerta del Sol zu. Indem ich mich nach Hause begab, und über das Schicksal nachdachte, welches dem Grafen Toreno bevorstehen möchte, begegnete ich ihm zu meinem nicht geringen Erstaunen in einer wenig besuchten, von dem Platze des Congresses nach der Calle de Alcala führenden Gasse. Ihn begleiteten die Deputirten Mon, Pidal und Olozaga, letzterer vermuthlich, um sich das Ansehen zu geben, als ob er ihn schützen wolle. An der Ecke der Calle de Alcala, wo gerade die Gefahr entstand, verließ er ihn jedoch. – Während dieser Begebenheiten fuhr die Königin-Regentin in einem offenen Wagen im Prado spazieren. – Meine in dem Volkshaufen
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