Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg, 9. März 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Meinung über das Königthum, seine Familieninteressen nicht dieser unterzuordnen weiß, sondern mit ihnen sich in die Gewohnheiten und Forderungen der feudalen Monarchie pflanzt.

Die zweite und ebenso wichtige Ursache der Verlegenheit liegt in dem Verhältnisse des Königs zu seinem Ministerium, in der Art und Weise nämlich, in welcher der König dieses auffaßt und zu behaupten sucht.

Es widerstrebt der innersten Natur jeder wahren und von Gewalt wohl zu unterscheidenden Macht, am meisten einer im Wesen demokratischen, daß sie bei größerem Umfange nach dem Willen Eines und nicht nach Einem Willen geht, demjenigen nämlich, welcher sich als die Meinung der verständigen und hochbegabten Individuen ausspricht und durch ihre Vereinigung in der obern Verwaltung vertreten und geltend gemacht wird. Die Befriedigung des öffentlichen Wunsches, die Sicherung der gemeinsamen Interessen, der Wohlfahrt und Größe einer so gegliederten Nation sind bei solcher Vereinbarung auf das innigste betheiligt, die jedem edlen Ehrgeiz ein hohes Ziel und jeder größern Thätigkeit ein ihr würdiges Feld eröffnet, während die Zurückweisung der Ehre und der Thatkraft auf untergeordnete Dienstbarkeit die Ausbreitung und freie Bewegung der den Demokratien inwohnenden Spannkraft hemmt und zu Explosionen führt, deren zerstörende Gewalt, wie man weiß, Throne und Völker durch einander wirft. Man weiß aber, was gegenüber diesen Anforderungen die Juliusdynastie gethan. Man kennt die Anklagen des gouvernement personnel und die Klagen über diese Anklagen von Seite der Schutzredner des Thrones, die geltend machen, daß ja der vorherrschende Wille des Königs die einzige Gewähr des Landes gegen Verwirrung und Rathlosigkeit in einer Lage sey, die jedes Jahr neue Ministerien und mit ihnen neue Ansichten, Bestrebungen und Absichten zur Theilnahme an der Macht rufe. Das ist aber ein wahres Hysteron Proteron. Der beständige Wechsel ist eingetreten, weil die "pensee immuable" die unabhängige Ansicht selbstständiger Staatsmänner als eine Nebenbuhlerei bricht oder von sich entfernt, und "das beharrliche System" ist nicht der Schutz gegen die Unbeständigkeit der ministeriellen Principien, sondern das Hinderniß ihrer Beständigkeit. Es hat gemacht, daß sich außer der Sphäre seines Willens eine sichere, in sich begründete Ansicht ehrenhafter Staatsmänner und ein fester Charakter einer geordneten Verwaltung nicht bilden konnte. Warum ist der Duc de Broglie, warum ist Hr. Thiers aus der Macht geschieden, und warum erklärt Hr. Thiers, daß er sehr bereit sey oder gewesen sey, unter dem Herzog in das Cabinet zurückzukehren, dem er nach ihm als Chef vorgestanden? Warum ist noch jetzt eine Combination von Broglie, Thiers und Duchatel, welche sich gegenseitig ergänzten und trugen, unmöglich? Das Alles ist nicht ohne tiefe Bedeutung; und ist es die Krone, welche die Ministerien macht, so ist sie es zuletzt auch, welche sie auflöst und so zu sagen die eckichten mit den runden vertauscht: Destruit, aedificat, mutat quadrata rotundis. Daß dabei die Beweglichkeit der französischen Meinung, daß die Intriguen der Coterien ihren Theil an diesem Spiel haben, und einen beträchtlichen, wer wollte das läugnen? Aber jene Beweglichkeit und diese Intriguen reichen nicht hin eine Coalition zu erklären, wie wir sie im vergangenen Jahr gesehen, und noch weniger ihren Triumph in der Wahlschlacht. Was aber hatten die Perseverance, die pensee immuable, die raison elevee dieser Coalition und ihrem Erfolg entgegenzusetzen? Sie hatte das deutsche Sprüchlein in das Französische zu übersetzen, welches lautet: "In das Garn, in das Netz war gerathen die Maus; doch sie hatt' gute Zähne und biß sich heraus." Das ist das Thema, über welches die Variationen der Ministerkrise, die sechs Wochen von dem 12 Mai im Schlosse gespielt wurden, bis sie in dem Tumultuoso des Straßenauflaufs ein Finale mit Schrecken nahm und die Fehlgeburt des letzten Ministeriums an das Licht setzte, das nicht leben konnte, weil es immer noch zu früh auf die Welt kam. Was hat man durch den Sturz des 11 October und die Entfernung seiner compacten Intelligenz und Thatkraft gewonnen? Man hat im Einzelnen seinen Willen gehabt, ist in Augenblicken persönlich stark gewesen, um im Ganzen politisch schwach zu werden, und ist von Stufe zu Stufe endlich zu der Erfahrung gekommen, daß die letzten Minister der Krone in einer Sache, die ihre Ehre und Geltung betraf, nicht einmal ein billiges Gehör - a fair trial - zu verschaffen wußten. Hier haben sich deutlicher als irgendwo die zwei Eigenschaften jener Ministerien enthüllt, die unter der Herrschaft eines solchen Systems allein bestehen können: Furcht und Schwäche; jene, entsprungen aus den Manifestationen der öffentlichen Meinung, diese aus der Unfähigkeit, ihr, der Meinung, zu widerstehen. Beides aber ist das gerade Gegentheil der Bedingungen, unter denen, wie überall, so in Frankreich, und hier ganz vorzüglich, die Macht steht: des Muthes und der Kraft; des Muthes, der aus dem Bewußtseyn entspringt, daß man ein klar und als heilsam erkanntes Ziel verfolgt, und der Kraft, welche man aus jenem Bewußtseyn schöpft, der Meinung der Andern überall mit Nachdruck zu widerstehen, wo, unklar oder irregeleitet, sie, den Staatsmann von dem Wege nach jenem Ziel abzudrängen, in eine wenn auch noch so stürmische Bewegung kommt, und die wahre öffentliche Meinung übertäubt, die nicht immer die Meinung der Menge, wohl aber in jedem Falle die Meinung der Verständigern ist. Damit aber ist dieses System auch an sein Ende gekommen, denn eine Macht kann nicht durch bloße Schlauheit, Zögerung und List, kann nicht gegen die Bedingungen behauptet werden, unter denen sie steht und besteht; sie muß in sich verkommen, wo ihr Muth und Kraft ausgehen, oder sie muß sich jenen Bedingungen ihrer Existenz unterwerfen. Beides ist fast gleich schlimm, gleich gefährlich: ersteres als ein normal gewordener Zustand socialer Krankheit, der zur Auflösung führt, letzteres weil man nicht gleich, wie man will, jenen Inbegriff von Intelligenz und Kraft in eine Ministerliste vereinigen kann, die man braucht, um der Lage Herr zu werden. Solche Vereinigungen werden leichter aufgelöst als wiederhergestellt, und man ist genöthigt, sich ein reines Cabinet Thiers gefallen zu lassen, das keine Elemente darbietet, wie jenes vom 11 October, durch welche das oscillirende, leichtfertige und übermüthige Wesen dieses hochbegabten, aber inconsistenten Mannes ermäßigt und in eine festere Einheit verschmolzen würde. Darin aber liegt für den Augenblick die Gefahr, welche bei der gegenwärtigen Weltlage eine große und dringende ist. Hr. Thiers hat schon in ruhigern Zeiten, wo nur die Schwierigkeiten mit der Schweiz und der pyrenäischen Halbinsel sich seiner ungeduldigen Beweglichkeit entgegenstellten, während seiner kurzen Präsidentschaft vom 22 Febr., das Feuer in alle Ecken gelegt, und der besonnene, staatsmännliche Mole hatte Mühe genug, es nach dem 16 April wieder zu löschen; und was wird jetzt werden, wo bei dem unaufhaltsamen Hinscheiden der Pforte eine Erbschaft im Orient sich öffnet, größer als weiland die spanische, und wo schon jetzt jeder unter sich den Boden zittern fühlt?

Meinung über das Königthum, seine Familieninteressen nicht dieser unterzuordnen weiß, sondern mit ihnen sich in die Gewohnheiten und Forderungen der feudalen Monarchie pflanzt.

Die zweite und ebenso wichtige Ursache der Verlegenheit liegt in dem Verhältnisse des Königs zu seinem Ministerium, in der Art und Weise nämlich, in welcher der König dieses auffaßt und zu behaupten sucht.

Es widerstrebt der innersten Natur jeder wahren und von Gewalt wohl zu unterscheidenden Macht, am meisten einer im Wesen demokratischen, daß sie bei größerem Umfange nach dem Willen Eines und nicht nach Einem Willen geht, demjenigen nämlich, welcher sich als die Meinung der verständigen und hochbegabten Individuen ausspricht und durch ihre Vereinigung in der obern Verwaltung vertreten und geltend gemacht wird. Die Befriedigung des öffentlichen Wunsches, die Sicherung der gemeinsamen Interessen, der Wohlfahrt und Größe einer so gegliederten Nation sind bei solcher Vereinbarung auf das innigste betheiligt, die jedem edlen Ehrgeiz ein hohes Ziel und jeder größern Thätigkeit ein ihr würdiges Feld eröffnet, während die Zurückweisung der Ehre und der Thatkraft auf untergeordnete Dienstbarkeit die Ausbreitung und freie Bewegung der den Demokratien inwohnenden Spannkraft hemmt und zu Explosionen führt, deren zerstörende Gewalt, wie man weiß, Throne und Völker durch einander wirft. Man weiß aber, was gegenüber diesen Anforderungen die Juliusdynastie gethan. Man kennt die Anklagen des gouvernement personnel und die Klagen über diese Anklagen von Seite der Schutzredner des Thrones, die geltend machen, daß ja der vorherrschende Wille des Königs die einzige Gewähr des Landes gegen Verwirrung und Rathlosigkeit in einer Lage sey, die jedes Jahr neue Ministerien und mit ihnen neue Ansichten, Bestrebungen und Absichten zur Theilnahme an der Macht rufe. Das ist aber ein wahres Hysteron Proteron. Der beständige Wechsel ist eingetreten, weil die „pensée immuable“ die unabhängige Ansicht selbstständiger Staatsmänner als eine Nebenbuhlerei bricht oder von sich entfernt, und „das beharrliche System“ ist nicht der Schutz gegen die Unbeständigkeit der ministeriellen Principien, sondern das Hinderniß ihrer Beständigkeit. Es hat gemacht, daß sich außer der Sphäre seines Willens eine sichere, in sich begründete Ansicht ehrenhafter Staatsmänner und ein fester Charakter einer geordneten Verwaltung nicht bilden konnte. Warum ist der Duc de Broglie, warum ist Hr. Thiers aus der Macht geschieden, und warum erklärt Hr. Thiers, daß er sehr bereit sey oder gewesen sey, unter dem Herzog in das Cabinet zurückzukehren, dem er nach ihm als Chef vorgestanden? Warum ist noch jetzt eine Combination von Broglie, Thiers und Duchatel, welche sich gegenseitig ergänzten und trugen, unmöglich? Das Alles ist nicht ohne tiefe Bedeutung; und ist es die Krone, welche die Ministerien macht, so ist sie es zuletzt auch, welche sie auflöst und so zu sagen die eckichten mit den runden vertauscht: Destruit, aedificat, mutat quadrata rotundis. Daß dabei die Beweglichkeit der französischen Meinung, daß die Intriguen der Coterien ihren Theil an diesem Spiel haben, und einen beträchtlichen, wer wollte das läugnen? Aber jene Beweglichkeit und diese Intriguen reichen nicht hin eine Coalition zu erklären, wie wir sie im vergangenen Jahr gesehen, und noch weniger ihren Triumph in der Wahlschlacht. Was aber hatten die Persévérance, die pensée immuable, die raison élevée dieser Coalition und ihrem Erfolg entgegenzusetzen? Sie hatte das deutsche Sprüchlein in das Französische zu übersetzen, welches lautet: „In das Garn, in das Netz war gerathen die Maus; doch sie hatt' gute Zähne und biß sich heraus.“ Das ist das Thema, über welches die Variationen der Ministerkrise, die sechs Wochen von dem 12 Mai im Schlosse gespielt wurden, bis sie in dem Tumultuoso des Straßenauflaufs ein Finale mit Schrecken nahm und die Fehlgeburt des letzten Ministeriums an das Licht setzte, das nicht leben konnte, weil es immer noch zu früh auf die Welt kam. Was hat man durch den Sturz des 11 October und die Entfernung seiner compacten Intelligenz und Thatkraft gewonnen? Man hat im Einzelnen seinen Willen gehabt, ist in Augenblicken persönlich stark gewesen, um im Ganzen politisch schwach zu werden, und ist von Stufe zu Stufe endlich zu der Erfahrung gekommen, daß die letzten Minister der Krone in einer Sache, die ihre Ehre und Geltung betraf, nicht einmal ein billiges Gehör – a fair trial – zu verschaffen wußten. Hier haben sich deutlicher als irgendwo die zwei Eigenschaften jener Ministerien enthüllt, die unter der Herrschaft eines solchen Systems allein bestehen können: Furcht und Schwäche; jene, entsprungen aus den Manifestationen der öffentlichen Meinung, diese aus der Unfähigkeit, ihr, der Meinung, zu widerstehen. Beides aber ist das gerade Gegentheil der Bedingungen, unter denen, wie überall, so in Frankreich, und hier ganz vorzüglich, die Macht steht: des Muthes und der Kraft; des Muthes, der aus dem Bewußtseyn entspringt, daß man ein klar und als heilsam erkanntes Ziel verfolgt, und der Kraft, welche man aus jenem Bewußtseyn schöpft, der Meinung der Andern überall mit Nachdruck zu widerstehen, wo, unklar oder irregeleitet, sie, den Staatsmann von dem Wege nach jenem Ziel abzudrängen, in eine wenn auch noch so stürmische Bewegung kommt, und die wahre öffentliche Meinung übertäubt, die nicht immer die Meinung der Menge, wohl aber in jedem Falle die Meinung der Verständigern ist. Damit aber ist dieses System auch an sein Ende gekommen, denn eine Macht kann nicht durch bloße Schlauheit, Zögerung und List, kann nicht gegen die Bedingungen behauptet werden, unter denen sie steht und besteht; sie muß in sich verkommen, wo ihr Muth und Kraft ausgehen, oder sie muß sich jenen Bedingungen ihrer Existenz unterwerfen. Beides ist fast gleich schlimm, gleich gefährlich: ersteres als ein normal gewordener Zustand socialer Krankheit, der zur Auflösung führt, letzteres weil man nicht gleich, wie man will, jenen Inbegriff von Intelligenz und Kraft in eine Ministerliste vereinigen kann, die man braucht, um der Lage Herr zu werden. Solche Vereinigungen werden leichter aufgelöst als wiederhergestellt, und man ist genöthigt, sich ein reines Cabinet Thiers gefallen zu lassen, das keine Elemente darbietet, wie jenes vom 11 October, durch welche das oscillirende, leichtfertige und übermüthige Wesen dieses hochbegabten, aber inconsistenten Mannes ermäßigt und in eine festere Einheit verschmolzen würde. Darin aber liegt für den Augenblick die Gefahr, welche bei der gegenwärtigen Weltlage eine große und dringende ist. Hr. Thiers hat schon in ruhigern Zeiten, wo nur die Schwierigkeiten mit der Schweiz und der pyrenäischen Halbinsel sich seiner ungeduldigen Beweglichkeit entgegenstellten, während seiner kurzen Präsidentschaft vom 22 Febr., das Feuer in alle Ecken gelegt, und der besonnene, staatsmännliche Molé hatte Mühe genug, es nach dem 16 April wieder zu löschen; und was wird jetzt werden, wo bei dem unaufhaltsamen Hinscheiden der Pforte eine Erbschaft im Orient sich öffnet, größer als weiland die spanische, und wo schon jetzt jeder unter sich den Boden zittern fühlt?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="0546"/>
Meinung über das Königthum, seine Familieninteressen nicht dieser unterzuordnen weiß, sondern mit ihnen sich in die Gewohnheiten und Forderungen der feudalen Monarchie pflanzt.</p><lb/>
        <p>Die zweite und ebenso wichtige Ursache der Verlegenheit liegt in dem Verhältnisse des Königs zu seinem Ministerium, in der Art und Weise nämlich, in welcher der König dieses auffaßt und zu behaupten sucht.</p><lb/>
        <p>Es widerstrebt der innersten Natur jeder wahren und von <hi rendition="#g">Gewalt</hi> wohl zu unterscheidenden Macht, am meisten einer im Wesen demokratischen, daß sie bei größerem Umfange nach dem Willen <hi rendition="#g">Eines</hi> und nicht nach <hi rendition="#g">Einem</hi> Willen geht, demjenigen nämlich, welcher sich als die Meinung der verständigen und hochbegabten Individuen ausspricht und durch ihre Vereinigung in der obern Verwaltung vertreten und geltend gemacht wird. Die Befriedigung des öffentlichen Wunsches, die Sicherung der gemeinsamen Interessen, der Wohlfahrt und Größe einer so gegliederten Nation sind bei solcher Vereinbarung auf das innigste betheiligt, die jedem edlen Ehrgeiz ein hohes Ziel und jeder größern Thätigkeit ein ihr würdiges Feld eröffnet, während die Zurückweisung der Ehre und der Thatkraft auf untergeordnete Dienstbarkeit die Ausbreitung und freie Bewegung der den Demokratien inwohnenden Spannkraft hemmt und zu Explosionen führt, deren zerstörende Gewalt, wie man weiß, Throne und Völker durch einander wirft. Man weiß aber, was gegenüber diesen Anforderungen die Juliusdynastie gethan. Man kennt die Anklagen des gouvernement personnel und die Klagen über diese Anklagen von Seite der Schutzredner des Thrones, die geltend machen, daß ja der vorherrschende Wille des Königs die einzige Gewähr des Landes gegen Verwirrung und Rathlosigkeit in einer Lage sey, die jedes Jahr neue Ministerien und mit ihnen neue Ansichten, Bestrebungen und Absichten zur Theilnahme an der Macht rufe. Das ist aber ein wahres Hysteron Proteron. Der beständige Wechsel ist eingetreten, weil die &#x201E;pensée immuable&#x201C; die unabhängige Ansicht selbstständiger Staatsmänner als eine Nebenbuhlerei bricht oder von sich entfernt, und &#x201E;das beharrliche System&#x201C; ist nicht der Schutz gegen die Unbeständigkeit der ministeriellen Principien, sondern das Hinderniß ihrer Beständigkeit. Es hat gemacht, daß sich außer der Sphäre seines Willens eine sichere, in sich begründete Ansicht ehrenhafter Staatsmänner und ein fester Charakter einer geordneten Verwaltung nicht bilden konnte. Warum ist der Duc de Broglie, warum ist Hr. Thiers aus der Macht geschieden, und warum erklärt Hr. Thiers, daß er sehr bereit sey oder gewesen sey, <hi rendition="#g">unter</hi> dem Herzog in das Cabinet zurückzukehren, dem er nach ihm als Chef vorgestanden? Warum ist noch jetzt eine Combination von Broglie, Thiers und Duchatel, welche sich gegenseitig ergänzten und trugen, unmöglich? Das Alles ist nicht ohne tiefe Bedeutung; und ist es die Krone, welche die Ministerien macht, so ist sie es zuletzt auch, welche sie auflöst und so zu sagen die eckichten mit den runden vertauscht: Destruit, aedificat, mutat quadrata rotundis. Daß dabei die Beweglichkeit der französischen Meinung, daß die Intriguen der Coterien ihren Theil an diesem Spiel haben, und einen beträchtlichen, wer wollte das läugnen? Aber jene Beweglichkeit und diese Intriguen reichen nicht hin eine Coalition zu erklären, wie wir sie im vergangenen Jahr gesehen, und noch weniger ihren Triumph in der Wahlschlacht. Was aber hatten die Persévérance, die pensée immuable, die raison élevée dieser Coalition und ihrem Erfolg entgegenzusetzen? Sie hatte das deutsche Sprüchlein in das Französische zu übersetzen, welches lautet: &#x201E;In das Garn, in das Netz war gerathen die Maus; doch sie hatt' gute Zähne und biß sich heraus.&#x201C; Das ist das Thema, über welches die Variationen der Ministerkrise, die sechs Wochen von dem 12 Mai im Schlosse gespielt wurden, bis sie in dem Tumultuoso des Straßenauflaufs ein Finale mit Schrecken nahm und die Fehlgeburt des letzten Ministeriums an das Licht setzte, das nicht leben konnte, weil es immer noch zu früh auf die Welt kam. Was hat man durch den Sturz des 11 October und die Entfernung seiner compacten Intelligenz und Thatkraft gewonnen? Man hat im Einzelnen seinen Willen gehabt, ist in Augenblicken persönlich stark gewesen, um im Ganzen politisch schwach zu werden, und ist von Stufe zu Stufe endlich zu der Erfahrung gekommen, daß die letzten Minister der Krone in einer Sache, die ihre Ehre und Geltung betraf, nicht einmal ein billiges Gehör &#x2013; a fair trial &#x2013; zu verschaffen wußten. Hier haben sich deutlicher als irgendwo die zwei Eigenschaften jener Ministerien enthüllt, die unter der Herrschaft eines solchen Systems allein bestehen können: <hi rendition="#g">Furcht</hi> und <hi rendition="#g">Schwäche</hi>; jene, entsprungen aus den Manifestationen der öffentlichen Meinung, diese aus der Unfähigkeit, ihr, der Meinung, zu widerstehen. Beides aber ist das gerade Gegentheil der Bedingungen, unter denen, wie überall, so in Frankreich, und hier ganz vorzüglich, die Macht steht: des <hi rendition="#g">Muthes</hi> und der <hi rendition="#g">Kraft</hi>; des Muthes, der aus dem Bewußtseyn entspringt, daß man ein klar und als heilsam erkanntes Ziel verfolgt, und der Kraft, welche man aus jenem Bewußtseyn schöpft, der Meinung der Andern überall mit Nachdruck zu widerstehen, wo, unklar oder irregeleitet, sie, den Staatsmann von dem Wege nach jenem Ziel abzudrängen, in eine wenn auch noch so stürmische Bewegung kommt, und die wahre öffentliche Meinung übertäubt, die nicht immer die Meinung der Menge, wohl aber in jedem Falle die Meinung der Verständigern ist. Damit aber ist dieses System auch an sein Ende gekommen, denn eine Macht kann nicht durch bloße Schlauheit, Zögerung und List, kann nicht gegen die Bedingungen behauptet werden, unter denen sie steht und besteht; sie muß in sich verkommen, wo ihr Muth und Kraft ausgehen, oder sie muß sich jenen Bedingungen ihrer Existenz unterwerfen. Beides ist fast gleich schlimm, gleich gefährlich: ersteres als ein normal gewordener Zustand socialer Krankheit, der zur Auflösung führt, letzteres weil man nicht gleich, wie man will, jenen Inbegriff von Intelligenz und Kraft in eine Ministerliste vereinigen kann, die man braucht, um der Lage Herr zu werden. Solche Vereinigungen werden leichter aufgelöst als wiederhergestellt, und man ist genöthigt, sich ein reines Cabinet Thiers gefallen zu lassen, das keine Elemente darbietet, wie jenes vom 11 October, durch welche das oscillirende, leichtfertige und übermüthige Wesen dieses hochbegabten, aber inconsistenten Mannes ermäßigt und in eine festere Einheit verschmolzen würde. Darin aber liegt für den Augenblick die Gefahr, welche bei der gegenwärtigen Weltlage eine große und dringende ist. Hr. Thiers hat schon in ruhigern Zeiten, wo nur die Schwierigkeiten mit der Schweiz und der pyrenäischen Halbinsel sich seiner ungeduldigen Beweglichkeit entgegenstellten, während seiner kurzen Präsidentschaft vom 22 Febr., das Feuer in alle Ecken gelegt, und der besonnene, staatsmännliche Molé hatte Mühe genug, es nach dem 16 April wieder zu löschen; und was wird jetzt werden, wo bei dem unaufhaltsamen Hinscheiden der Pforte eine Erbschaft im Orient sich öffnet, größer als weiland die spanische, und wo schon jetzt jeder unter sich den Boden zittern fühlt?</p>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0546/0010] Meinung über das Königthum, seine Familieninteressen nicht dieser unterzuordnen weiß, sondern mit ihnen sich in die Gewohnheiten und Forderungen der feudalen Monarchie pflanzt. Die zweite und ebenso wichtige Ursache der Verlegenheit liegt in dem Verhältnisse des Königs zu seinem Ministerium, in der Art und Weise nämlich, in welcher der König dieses auffaßt und zu behaupten sucht. Es widerstrebt der innersten Natur jeder wahren und von Gewalt wohl zu unterscheidenden Macht, am meisten einer im Wesen demokratischen, daß sie bei größerem Umfange nach dem Willen Eines und nicht nach Einem Willen geht, demjenigen nämlich, welcher sich als die Meinung der verständigen und hochbegabten Individuen ausspricht und durch ihre Vereinigung in der obern Verwaltung vertreten und geltend gemacht wird. Die Befriedigung des öffentlichen Wunsches, die Sicherung der gemeinsamen Interessen, der Wohlfahrt und Größe einer so gegliederten Nation sind bei solcher Vereinbarung auf das innigste betheiligt, die jedem edlen Ehrgeiz ein hohes Ziel und jeder größern Thätigkeit ein ihr würdiges Feld eröffnet, während die Zurückweisung der Ehre und der Thatkraft auf untergeordnete Dienstbarkeit die Ausbreitung und freie Bewegung der den Demokratien inwohnenden Spannkraft hemmt und zu Explosionen führt, deren zerstörende Gewalt, wie man weiß, Throne und Völker durch einander wirft. Man weiß aber, was gegenüber diesen Anforderungen die Juliusdynastie gethan. Man kennt die Anklagen des gouvernement personnel und die Klagen über diese Anklagen von Seite der Schutzredner des Thrones, die geltend machen, daß ja der vorherrschende Wille des Königs die einzige Gewähr des Landes gegen Verwirrung und Rathlosigkeit in einer Lage sey, die jedes Jahr neue Ministerien und mit ihnen neue Ansichten, Bestrebungen und Absichten zur Theilnahme an der Macht rufe. Das ist aber ein wahres Hysteron Proteron. Der beständige Wechsel ist eingetreten, weil die „pensée immuable“ die unabhängige Ansicht selbstständiger Staatsmänner als eine Nebenbuhlerei bricht oder von sich entfernt, und „das beharrliche System“ ist nicht der Schutz gegen die Unbeständigkeit der ministeriellen Principien, sondern das Hinderniß ihrer Beständigkeit. Es hat gemacht, daß sich außer der Sphäre seines Willens eine sichere, in sich begründete Ansicht ehrenhafter Staatsmänner und ein fester Charakter einer geordneten Verwaltung nicht bilden konnte. Warum ist der Duc de Broglie, warum ist Hr. Thiers aus der Macht geschieden, und warum erklärt Hr. Thiers, daß er sehr bereit sey oder gewesen sey, unter dem Herzog in das Cabinet zurückzukehren, dem er nach ihm als Chef vorgestanden? Warum ist noch jetzt eine Combination von Broglie, Thiers und Duchatel, welche sich gegenseitig ergänzten und trugen, unmöglich? Das Alles ist nicht ohne tiefe Bedeutung; und ist es die Krone, welche die Ministerien macht, so ist sie es zuletzt auch, welche sie auflöst und so zu sagen die eckichten mit den runden vertauscht: Destruit, aedificat, mutat quadrata rotundis. Daß dabei die Beweglichkeit der französischen Meinung, daß die Intriguen der Coterien ihren Theil an diesem Spiel haben, und einen beträchtlichen, wer wollte das läugnen? Aber jene Beweglichkeit und diese Intriguen reichen nicht hin eine Coalition zu erklären, wie wir sie im vergangenen Jahr gesehen, und noch weniger ihren Triumph in der Wahlschlacht. Was aber hatten die Persévérance, die pensée immuable, die raison élevée dieser Coalition und ihrem Erfolg entgegenzusetzen? Sie hatte das deutsche Sprüchlein in das Französische zu übersetzen, welches lautet: „In das Garn, in das Netz war gerathen die Maus; doch sie hatt' gute Zähne und biß sich heraus.“ Das ist das Thema, über welches die Variationen der Ministerkrise, die sechs Wochen von dem 12 Mai im Schlosse gespielt wurden, bis sie in dem Tumultuoso des Straßenauflaufs ein Finale mit Schrecken nahm und die Fehlgeburt des letzten Ministeriums an das Licht setzte, das nicht leben konnte, weil es immer noch zu früh auf die Welt kam. Was hat man durch den Sturz des 11 October und die Entfernung seiner compacten Intelligenz und Thatkraft gewonnen? Man hat im Einzelnen seinen Willen gehabt, ist in Augenblicken persönlich stark gewesen, um im Ganzen politisch schwach zu werden, und ist von Stufe zu Stufe endlich zu der Erfahrung gekommen, daß die letzten Minister der Krone in einer Sache, die ihre Ehre und Geltung betraf, nicht einmal ein billiges Gehör – a fair trial – zu verschaffen wußten. Hier haben sich deutlicher als irgendwo die zwei Eigenschaften jener Ministerien enthüllt, die unter der Herrschaft eines solchen Systems allein bestehen können: Furcht und Schwäche; jene, entsprungen aus den Manifestationen der öffentlichen Meinung, diese aus der Unfähigkeit, ihr, der Meinung, zu widerstehen. Beides aber ist das gerade Gegentheil der Bedingungen, unter denen, wie überall, so in Frankreich, und hier ganz vorzüglich, die Macht steht: des Muthes und der Kraft; des Muthes, der aus dem Bewußtseyn entspringt, daß man ein klar und als heilsam erkanntes Ziel verfolgt, und der Kraft, welche man aus jenem Bewußtseyn schöpft, der Meinung der Andern überall mit Nachdruck zu widerstehen, wo, unklar oder irregeleitet, sie, den Staatsmann von dem Wege nach jenem Ziel abzudrängen, in eine wenn auch noch so stürmische Bewegung kommt, und die wahre öffentliche Meinung übertäubt, die nicht immer die Meinung der Menge, wohl aber in jedem Falle die Meinung der Verständigern ist. Damit aber ist dieses System auch an sein Ende gekommen, denn eine Macht kann nicht durch bloße Schlauheit, Zögerung und List, kann nicht gegen die Bedingungen behauptet werden, unter denen sie steht und besteht; sie muß in sich verkommen, wo ihr Muth und Kraft ausgehen, oder sie muß sich jenen Bedingungen ihrer Existenz unterwerfen. Beides ist fast gleich schlimm, gleich gefährlich: ersteres als ein normal gewordener Zustand socialer Krankheit, der zur Auflösung führt, letzteres weil man nicht gleich, wie man will, jenen Inbegriff von Intelligenz und Kraft in eine Ministerliste vereinigen kann, die man braucht, um der Lage Herr zu werden. Solche Vereinigungen werden leichter aufgelöst als wiederhergestellt, und man ist genöthigt, sich ein reines Cabinet Thiers gefallen zu lassen, das keine Elemente darbietet, wie jenes vom 11 October, durch welche das oscillirende, leichtfertige und übermüthige Wesen dieses hochbegabten, aber inconsistenten Mannes ermäßigt und in eine festere Einheit verschmolzen würde. Darin aber liegt für den Augenblick die Gefahr, welche bei der gegenwärtigen Weltlage eine große und dringende ist. Hr. Thiers hat schon in ruhigern Zeiten, wo nur die Schwierigkeiten mit der Schweiz und der pyrenäischen Halbinsel sich seiner ungeduldigen Beweglichkeit entgegenstellten, während seiner kurzen Präsidentschaft vom 22 Febr., das Feuer in alle Ecken gelegt, und der besonnene, staatsmännliche Molé hatte Mühe genug, es nach dem 16 April wieder zu löschen; und was wird jetzt werden, wo bei dem unaufhaltsamen Hinscheiden der Pforte eine Erbschaft im Orient sich öffnet, größer als weiland die spanische, und wo schon jetzt jeder unter sich den Boden zittern fühlt?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_069_18400309
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_069_18400309/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg, 9. März 1840, S. 0546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_069_18400309/10>, abgerufen am 29.04.2024.