Allgemeine Zeitung. Nr. 73. Augsburg, 13. März 1840.durch die neuesten Ausgrabungen und durch die Wegräumung des Schutts bis auf den natürlichen Felsen und einige Stufen und Platten an Ort und Stelle eher dunkler geworden, als aufgeklärt. So viel indessen läßt sich mit Gewißheit sagen, daß keine theoretische Symmetrie im Stande seyn wird, durch ein dem großen Piedestal entsprechendes zweites an der rechten Seite den Aufgang zur Akropolis zu versperren. Zu den interessantesten Entdeckungen der neuesten Zeit gehört gleich innerhalb der Propyläen rechts vor einer Säule die an ihrem Platz stehende Basis der Bildsäule der Athena Hygieia mit Inschrift, und ein großer platter Stein, auf dem einst ein betrunkener Genosse des Bacchus ausruhte. Er hieß Akratos, wenn wir nicht irren, und wollte sich vermuthlich durch den ärztlichen Beistand der Göttin der Weisheit vernüchtern. Dieser Akratos hatte eine große Aehnlichkeit mit Monsieur Lamartine. Er hatte eine spirituelle Reise in den Orient gemacht und daselbst, vermuthlich vom Hafis, gelernt, den Mond und andere Dinge zu verschenken, die ihm nicht gehörten. Bei dem Wort Wein, ging's ihm gerade so, wie Hrn. Lamartine beim Wort Rhein; er erkannte darin "die natürlichen Gränzen." Die Erscheinung dieses Akratos war, da es bei Einem blieb, sehr spaßhaft; aber wenn ein ganzes Land, wie der poetische Redner versicherte, voll ist von Lamartines, so hat eine solche Landplage, zumal im Jahr 1840, für die Nachbarn auch ihre ernste Seite. Selbst im Auslande begegnet man ihnen bei jedem Schritt. Blicken Sie jetzt von der Halle des Parthenon um sich. Wohin Sie Ihre Schritte richten, Sie finden in der Welt keinen Punkt, der Ihnen solche Mannichfaltigkeit der Anschauung und Erinnerung vor die Seele führte. Schon dem Knaben floß das Blut schneller durch die Adern, wenn Salamis genannt wurde, wenn er die Perserflotte um Sunion heranfahren sah und die gewaltige Schlacht sich nahte. Auch er durfte den beiden Feldherren Athens Beifall zurufen, als sie Parteigeist vergaßen und sich die Hand der Versöhnung reichten, um gemeinschaftlich das Vaterland zu retten. Dort saß auf seinem Throne Xerxes. Dort lag in der Bucht die Flotte der Athener. Schon ist sie umzingelt. Wenn's nun nicht gelänge; wenn nun der Herrscher Asiens durch die Schlacht von Salamis die Geschichte von Hellas schließt! Wer hätte nicht gezittert, wie um das eigene geistige Daseyn? Wer hätte nicht wie mit rückwirkender Kraft mitgekämpft und mitgesiegt! Dort an der andern Seite des Piräeus liegt Aegina, das Vaterland des Aeakidenstammes, dessen Helden einst Homere begeisterten. Jenseits der dunkeln stillen Meeresfluth die Terrassen der Berge zwischen Epidauros und Argos, welche Mykene verbergen. Aber Akrokorinth zeigt sich an dem klaren Horizont, und der Kyllene, Geburtsstätte von Göttern, und der Helikon und der Kithäron, und der Parnes, und der Brilessos, der quellreiche, und zuletzt im letzten Sonnenstrahl das besungene Veilchenblau des Hymettos. Und unmittelbar zu Ihren Füßen: Sie haben sie schon oft betreten, die felsige Rednerbühne der Pnyr, von der Demosthenes - den "Heiligen" nannte ihn Niebuhr - die gewaltigen Worte zum Volke sprach; Sie sind schon oft in jenen Halbkreis getreten, wenn Alles um Sie her stille war, und haben den Chorgesängen des Aeschylos und Sophokles gehorcht, und dem Aristophanes, dem Verkannten, und waren Zeuge von mehr als einer "großen That in Worten." Und wie befreit fühlen Sie sich im Geist, wenn Sie dort in den Gängen des Lyceums der Spur jenes Philosophen folgten, den die Nachwelt so hoch verehrt und so wenig versteht. Vergebliches Bemühen, auch nur das Bedeutendste hervorzuheben! Was Sie hier oben auf der Burg umgibt, diese unübertroffenen, unübertreffbaren Werke der Kunst, wie leicht ist es, sie bewundern, und wie schwer, sie nach ihrer Entwicklung und Vollendung begreifen! Und diese beiden Tempel waren der erhabenen, jungfräulichen, stadtschirmenden Göttin geweiht. Hunderte und Tausende bestaunen den Marmor und den Meißel, und fragen nicht nach dem religiösen Glauben, der die Künstler und das Volk beseelte, und wenn sie sich fragen, lautet die Antwort, diese Göttin sey in Wirklichkeit ein leeres Nichts gewesen. Genügt das zur Erklärung einer Religion, die in That und Wort so Göttliches gewirkt? Oder waren nicht jene geistigen Wesen, die dem Hellenen in der Welt, in der Natur erschienen und sich offenbarten, waren sie nicht auch wirklich, nicht auch wahrhaftige Offenbarungen der Einen Weltseele, welche hellenische Anschauung in einem damals nicht ketzerischen Pantheismus mit der Mannichfaltigkeit göttlicher Individualitäten eben so leicht vereinigte, als ihr die Mannichfaltigkeit der körperlicher Natur innerhalb der Einen Welt existent war? Wer vor zwanzig Jahren hier stand und diesen Gedanken nachging, wie trostlos mußte er aus jener großen reichen Vergangenheit in die Gegenwart zurückkehren! Alles war gewesen, war nun nichtig. Ja selbst die unendliche Schönheit der Natur, vergeblich schien sie hier ins Daseyn gerufen. Und jetzt? Hellas ist wieder schön, seine Schönheit ist seine Jugend, es ist ein Kind des Geistes. Der Geist Europa's hat ihm das Daseyn verliehen. Deutschland, dem im Bestreben geistiger Reproduction des Alterthums altgewordenen, welches mit seiner Kunde so oft, statt zu lernen, verneint, so oft wider den eigenen Willen das Studierzimmer als die Welt ansieht, so gern wie das Alter Fragen des Wissens in die Beurtheilung der Moral zieht, und im Glauben des Besserseyns die Hoffnung auf Gedanken durch edelmögende Ermahnung täuscht, ihm möge Hellas für sein Alterthum, das es ihm bewahrt hat, ein wenig von dem zurückgeben, woran es so reich ist, von seinem Jugendthum, von seiner jugendlichen Frische, von jener "goldenen Freiheit," der Plateus Choros den schönen Gesang singt. Das Morning Chronicle über Frankreich und die orientalische Frage. London, 5 März. Das M. Chronicle, das jetzt in England für das bevorzugte Organ Lord Palmerstons gilt, enthält in seiner Nummer vom 4 März folgenden größeren Artikel über die orientalische Frage in Bezug auf den Ministerwechsel in Frankreich: "Hrn. Thiers' allgemeine Ansichten über die orientalischen Angelegenheiten sind uns nicht unbekannt. Er hat sie voll und frei ausgesprochen. Er hat uns gesagt, was er gethan haben würde, wäre er im Mai, Junius und Julius verflossenen Jahres Minister gewesen. Doch dieß ist Alles. Es übrigt ihm zu sagen, was er mit der orientalischen Frage thun will, nicht wie sie am 24 Jun. oder am 28 Jul. war, sondern was er mit ihr, wie er sie bei seinem Amtsantritt am 1 März vorfindet, zu thun gedenkt. Durch die Collectivnote vom Julius haben sich die fünf Mächte der Pforte gegenüber verbindlich gemacht "die Integrität der Türkei" aufrecht zu halten. Wäre Hr. Thiers im Julius Minister gewesen, so würde er an dieser Note keinen Theil genommen haben. Von dem Augenblick an aber, wo Frankreich an dieser Note Theil nahm, stand es ihm nicht mehr frei, eine entgegengesetzte Bahn der Politik zu verfolgen. Dieß schien Hr. Thiers in seiner Rede in der That beinahe zuzugestehen. Er räumt ein, daß Frankreichs spätere Politik die übrigen Mächte (besonders England) in Erstaunen durch die neuesten Ausgrabungen und durch die Wegräumung des Schutts bis auf den natürlichen Felsen und einige Stufen und Platten an Ort und Stelle eher dunkler geworden, als aufgeklärt. So viel indessen läßt sich mit Gewißheit sagen, daß keine theoretische Symmetrie im Stande seyn wird, durch ein dem großen Piedestal entsprechendes zweites an der rechten Seite den Aufgang zur Akropolis zu versperren. Zu den interessantesten Entdeckungen der neuesten Zeit gehört gleich innerhalb der Propyläen rechts vor einer Säule die an ihrem Platz stehende Basis der Bildsäule der Athena Hygieia mit Inschrift, und ein großer platter Stein, auf dem einst ein betrunkener Genosse des Bacchus ausruhte. Er hieß Akratos, wenn wir nicht irren, und wollte sich vermuthlich durch den ärztlichen Beistand der Göttin der Weisheit vernüchtern. Dieser Akratos hatte eine große Aehnlichkeit mit Monsieur Lamartine. Er hatte eine spirituelle Reise in den Orient gemacht und daselbst, vermuthlich vom Hafis, gelernt, den Mond und andere Dinge zu verschenken, die ihm nicht gehörten. Bei dem Wort Wein, ging's ihm gerade so, wie Hrn. Lamartine beim Wort Rhein; er erkannte darin „die natürlichen Gränzen.“ Die Erscheinung dieses Akratos war, da es bei Einem blieb, sehr spaßhaft; aber wenn ein ganzes Land, wie der poetische Redner versicherte, voll ist von Lamartines, so hat eine solche Landplage, zumal im Jahr 1840, für die Nachbarn auch ihre ernste Seite. Selbst im Auslande begegnet man ihnen bei jedem Schritt. Blicken Sie jetzt von der Halle des Parthenon um sich. Wohin Sie Ihre Schritte richten, Sie finden in der Welt keinen Punkt, der Ihnen solche Mannichfaltigkeit der Anschauung und Erinnerung vor die Seele führte. Schon dem Knaben floß das Blut schneller durch die Adern, wenn Salamis genannt wurde, wenn er die Perserflotte um Sunion heranfahren sah und die gewaltige Schlacht sich nahte. Auch er durfte den beiden Feldherren Athens Beifall zurufen, als sie Parteigeist vergaßen und sich die Hand der Versöhnung reichten, um gemeinschaftlich das Vaterland zu retten. Dort saß auf seinem Throne Xerxes. Dort lag in der Bucht die Flotte der Athener. Schon ist sie umzingelt. Wenn's nun nicht gelänge; wenn nun der Herrscher Asiens durch die Schlacht von Salamis die Geschichte von Hellas schließt! Wer hätte nicht gezittert, wie um das eigene geistige Daseyn? Wer hätte nicht wie mit rückwirkender Kraft mitgekämpft und mitgesiegt! Dort an der andern Seite des Piräeus liegt Aegina, das Vaterland des Aeakidenstammes, dessen Helden einst Homere begeisterten. Jenseits der dunkeln stillen Meeresfluth die Terrassen der Berge zwischen Epidauros und Argos, welche Mykene verbergen. Aber Akrokorinth zeigt sich an dem klaren Horizont, und der Kyllene, Geburtsstätte von Göttern, und der Helikon und der Kithäron, und der Parnes, und der Brilessos, der quellreiche, und zuletzt im letzten Sonnenstrahl das besungene Veilchenblau des Hymettos. Und unmittelbar zu Ihren Füßen: Sie haben sie schon oft betreten, die felsige Rednerbühne der Pnyr, von der Demosthenes – den „Heiligen“ nannte ihn Niebuhr – die gewaltigen Worte zum Volke sprach; Sie sind schon oft in jenen Halbkreis getreten, wenn Alles um Sie her stille war, und haben den Chorgesängen des Aeschylos und Sophokles gehorcht, und dem Aristophanes, dem Verkannten, und waren Zeuge von mehr als einer „großen That in Worten.“ Und wie befreit fühlen Sie sich im Geist, wenn Sie dort in den Gängen des Lyceums der Spur jenes Philosophen folgten, den die Nachwelt so hoch verehrt und so wenig versteht. Vergebliches Bemühen, auch nur das Bedeutendste hervorzuheben! Was Sie hier oben auf der Burg umgibt, diese unübertroffenen, unübertreffbaren Werke der Kunst, wie leicht ist es, sie bewundern, und wie schwer, sie nach ihrer Entwicklung und Vollendung begreifen! Und diese beiden Tempel waren der erhabenen, jungfräulichen, stadtschirmenden Göttin geweiht. Hunderte und Tausende bestaunen den Marmor und den Meißel, und fragen nicht nach dem religiösen Glauben, der die Künstler und das Volk beseelte, und wenn sie sich fragen, lautet die Antwort, diese Göttin sey in Wirklichkeit ein leeres Nichts gewesen. Genügt das zur Erklärung einer Religion, die in That und Wort so Göttliches gewirkt? Oder waren nicht jene geistigen Wesen, die dem Hellenen in der Welt, in der Natur erschienen und sich offenbarten, waren sie nicht auch wirklich, nicht auch wahrhaftige Offenbarungen der Einen Weltseele, welche hellenische Anschauung in einem damals nicht ketzerischen Pantheismus mit der Mannichfaltigkeit göttlicher Individualitäten eben so leicht vereinigte, als ihr die Mannichfaltigkeit der körperlicher Natur innerhalb der Einen Welt existent war? Wer vor zwanzig Jahren hier stand und diesen Gedanken nachging, wie trostlos mußte er aus jener großen reichen Vergangenheit in die Gegenwart zurückkehren! Alles war gewesen, war nun nichtig. Ja selbst die unendliche Schönheit der Natur, vergeblich schien sie hier ins Daseyn gerufen. Und jetzt? Hellas ist wieder schön, seine Schönheit ist seine Jugend, es ist ein Kind des Geistes. Der Geist Europa's hat ihm das Daseyn verliehen. Deutschland, dem im Bestreben geistiger Reproduction des Alterthums altgewordenen, welches mit seiner Kunde so oft, statt zu lernen, verneint, so oft wider den eigenen Willen das Studierzimmer als die Welt ansieht, so gern wie das Alter Fragen des Wissens in die Beurtheilung der Moral zieht, und im Glauben des Besserseyns die Hoffnung auf Gedanken durch edelmögende Ermahnung täuscht, ihm möge Hellas für sein Alterthum, das es ihm bewahrt hat, ein wenig von dem zurückgeben, woran es so reich ist, von seinem Jugendthum, von seiner jugendlichen Frische, von jener „goldenen Freiheit,“ der Plateus Choros den schönen Gesang singt. Das Morning Chronicle über Frankreich und die orientalische Frage. London, 5 März. Das M. Chronicle, das jetzt in England für das bevorzugte Organ Lord Palmerstons gilt, enthält in seiner Nummer vom 4 März folgenden größeren Artikel über die orientalische Frage in Bezug auf den Ministerwechsel in Frankreich: „Hrn. Thiers' allgemeine Ansichten über die orientalischen Angelegenheiten sind uns nicht unbekannt. Er hat sie voll und frei ausgesprochen. Er hat uns gesagt, was er gethan haben würde, wäre er im Mai, Junius und Julius verflossenen Jahres Minister gewesen. Doch dieß ist Alles. Es übrigt ihm zu sagen, was er mit der orientalischen Frage thun will, nicht wie sie am 24 Jun. oder am 28 Jul. war, sondern was er mit ihr, wie er sie bei seinem Amtsantritt am 1 März vorfindet, zu thun gedenkt. Durch die Collectivnote vom Julius haben sich die fünf Mächte der Pforte gegenüber verbindlich gemacht „die Integrität der Türkei“ aufrecht zu halten. Wäre Hr. Thiers im Julius Minister gewesen, so würde er an dieser Note keinen Theil genommen haben. Von dem Augenblick an aber, wo Frankreich an dieser Note Theil nahm, stand es ihm nicht mehr frei, eine entgegengesetzte Bahn der Politik zu verfolgen. Dieß schien Hr. Thiers in seiner Rede in der That beinahe zuzugestehen. 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Wohin Sie Ihre Schritte richten, Sie finden in der Welt keinen Punkt, der Ihnen solche Mannichfaltigkeit der Anschauung und Erinnerung vor die Seele führte. Schon dem Knaben floß das Blut schneller durch die Adern, wenn Salamis genannt wurde, wenn er die Perserflotte um Sunion heranfahren sah und die gewaltige Schlacht sich nahte. Auch er durfte den beiden Feldherren Athens Beifall zurufen, als sie Parteigeist vergaßen und sich die Hand der Versöhnung reichten, um gemeinschaftlich das Vaterland zu retten. Dort saß auf seinem Throne Xerxes. Dort lag in der Bucht die Flotte der Athener. Schon ist sie umzingelt. Wenn's nun nicht gelänge; wenn nun der Herrscher Asiens durch die Schlacht von Salamis die Geschichte von Hellas schließt! Wer hätte nicht gezittert, wie um das eigene geistige Daseyn? Wer hätte nicht wie mit rückwirkender Kraft mitgekämpft und mitgesiegt!</p><lb/> <p>Dort an der andern Seite des Piräeus liegt Aegina, das Vaterland des Aeakidenstammes, dessen Helden einst Homere begeisterten. Jenseits der dunkeln stillen Meeresfluth die Terrassen der Berge zwischen Epidauros und Argos, welche Mykene verbergen. Aber Akrokorinth zeigt sich an dem klaren Horizont, und der Kyllene, Geburtsstätte von Göttern, und der Helikon und der Kithäron, und der Parnes, und der Brilessos, der quellreiche, und zuletzt im letzten Sonnenstrahl das besungene Veilchenblau des Hymettos. Und unmittelbar zu Ihren Füßen: Sie haben sie schon oft betreten, die felsige Rednerbühne der Pnyr, von der Demosthenes – den „Heiligen“ nannte ihn Niebuhr – die gewaltigen Worte zum Volke sprach; Sie sind schon oft in jenen Halbkreis getreten, wenn Alles um Sie her stille war, und haben den Chorgesängen des Aeschylos und Sophokles gehorcht, und dem Aristophanes, dem Verkannten, und waren Zeuge von mehr als einer „großen That in Worten.“ Und wie befreit fühlen Sie sich im Geist, wenn Sie dort in den Gängen des Lyceums der Spur jenes Philosophen folgten, den die Nachwelt so hoch verehrt und so wenig versteht. Vergebliches Bemühen, auch nur das Bedeutendste hervorzuheben! Was Sie hier oben auf der Burg umgibt, diese unübertroffenen, unübertreffbaren Werke der Kunst, wie leicht ist es, sie bewundern, und wie schwer, sie nach ihrer Entwicklung und Vollendung begreifen! Und diese beiden Tempel waren der erhabenen, jungfräulichen, stadtschirmenden Göttin geweiht. Hunderte und Tausende bestaunen den Marmor und den Meißel, und fragen nicht nach dem religiösen Glauben, der die Künstler und das Volk beseelte, und wenn sie sich fragen, lautet die Antwort, diese Göttin sey in Wirklichkeit ein leeres Nichts gewesen. Genügt das zur Erklärung einer Religion, die in That und Wort so Göttliches gewirkt? Oder waren nicht jene geistigen Wesen, die dem Hellenen in der Welt, in der Natur erschienen und sich offenbarten, waren sie nicht auch wirklich, nicht auch wahrhaftige Offenbarungen der Einen Weltseele, welche hellenische Anschauung in einem damals nicht ketzerischen Pantheismus mit der Mannichfaltigkeit göttlicher Individualitäten eben so leicht vereinigte, als ihr die Mannichfaltigkeit der körperlicher Natur innerhalb der Einen Welt existent war?</p><lb/> <p>Wer vor zwanzig Jahren hier stand und diesen Gedanken nachging, wie trostlos mußte er aus jener großen reichen Vergangenheit in die Gegenwart zurückkehren! 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Deutschland, dem im Bestreben geistiger Reproduction des Alterthums altgewordenen, welches mit seiner Kunde so oft, statt zu lernen, verneint, so oft wider den eigenen Willen das Studierzimmer als die Welt ansieht, so gern wie das Alter Fragen des Wissens in die Beurtheilung der Moral zieht, und im Glauben des Besserseyns die Hoffnung auf Gedanken durch edelmögende Ermahnung täuscht, ihm möge Hellas für sein Alterthum, das es ihm bewahrt hat, ein wenig von dem zurückgeben, woran es so reich ist, von seinem Jugendthum, von seiner jugendlichen Frische, von jener „goldenen Freiheit,“ der Plateus Choros den schönen Gesang singt.</p> </div> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Das Morning Chronicle über Frankreich und die orientalische Frage.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <head/> <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 5 März.</dateline> <p> Das M. <hi rendition="#g">Chronicle</hi>, das jetzt in England für das bevorzugte Organ Lord Palmerstons gilt, enthält in seiner Nummer vom 4 März folgenden größeren Artikel über die orientalische Frage in Bezug auf den Ministerwechsel in Frankreich: „Hrn. Thiers' allgemeine Ansichten über die orientalischen Angelegenheiten sind uns nicht unbekannt. Er hat sie voll und frei ausgesprochen. Er hat uns gesagt, was er gethan haben würde, wäre er im Mai, Junius und Julius verflossenen Jahres Minister gewesen. Doch dieß ist Alles. Es übrigt ihm zu sagen, was er mit der orientalischen Frage thun will, nicht wie sie am 24 Jun. oder am 28 Jul. war, sondern was er mit ihr, wie er sie bei seinem Amtsantritt am 1 März vorfindet, zu thun gedenkt. Durch die Collectivnote vom Julius haben sich die fünf Mächte der Pforte gegenüber verbindlich gemacht „die Integrität der Türkei“ aufrecht zu halten. Wäre Hr. Thiers im Julius Minister gewesen, so würde er an dieser Note keinen Theil genommen haben. Von dem Augenblick an aber, wo Frankreich an dieser Note Theil nahm, stand es ihm nicht mehr frei, eine entgegengesetzte Bahn der Politik zu verfolgen. Dieß schien Hr. Thiers in seiner Rede in der That beinahe zuzugestehen. 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durch die neuesten Ausgrabungen und durch die Wegräumung des Schutts bis auf den natürlichen Felsen und einige Stufen und Platten an Ort und Stelle eher dunkler geworden, als aufgeklärt. So viel indessen läßt sich mit Gewißheit sagen, daß keine theoretische Symmetrie im Stande seyn wird, durch ein dem großen Piedestal entsprechendes zweites an der rechten Seite den Aufgang zur Akropolis zu versperren. Zu den interessantesten Entdeckungen der neuesten Zeit gehört gleich innerhalb der Propyläen rechts vor einer Säule die an ihrem Platz stehende Basis der Bildsäule der Athena Hygieia mit Inschrift, und ein großer platter Stein, auf dem einst ein betrunkener Genosse des Bacchus ausruhte. Er hieß Akratos, wenn wir nicht irren, und wollte sich vermuthlich durch den ärztlichen Beistand der Göttin der Weisheit vernüchtern. Dieser Akratos hatte eine große Aehnlichkeit mit Monsieur Lamartine. Er hatte eine spirituelle Reise in den Orient gemacht und daselbst, vermuthlich vom Hafis, gelernt, den Mond und andere Dinge zu verschenken, die ihm nicht gehörten. Bei dem Wort Wein, ging's ihm gerade so, wie Hrn. Lamartine beim Wort Rhein; er erkannte darin „die natürlichen Gränzen.“ Die Erscheinung dieses Akratos war, da es bei Einem blieb, sehr spaßhaft; aber wenn ein ganzes Land, wie der poetische Redner versicherte, voll ist von Lamartines, so hat eine solche Landplage, zumal im Jahr 1840, für die Nachbarn auch ihre ernste Seite. Selbst im Auslande begegnet man ihnen bei jedem Schritt.
Blicken Sie jetzt von der Halle des Parthenon um sich. Wohin Sie Ihre Schritte richten, Sie finden in der Welt keinen Punkt, der Ihnen solche Mannichfaltigkeit der Anschauung und Erinnerung vor die Seele führte. Schon dem Knaben floß das Blut schneller durch die Adern, wenn Salamis genannt wurde, wenn er die Perserflotte um Sunion heranfahren sah und die gewaltige Schlacht sich nahte. Auch er durfte den beiden Feldherren Athens Beifall zurufen, als sie Parteigeist vergaßen und sich die Hand der Versöhnung reichten, um gemeinschaftlich das Vaterland zu retten. Dort saß auf seinem Throne Xerxes. Dort lag in der Bucht die Flotte der Athener. Schon ist sie umzingelt. Wenn's nun nicht gelänge; wenn nun der Herrscher Asiens durch die Schlacht von Salamis die Geschichte von Hellas schließt! Wer hätte nicht gezittert, wie um das eigene geistige Daseyn? Wer hätte nicht wie mit rückwirkender Kraft mitgekämpft und mitgesiegt!
Dort an der andern Seite des Piräeus liegt Aegina, das Vaterland des Aeakidenstammes, dessen Helden einst Homere begeisterten. Jenseits der dunkeln stillen Meeresfluth die Terrassen der Berge zwischen Epidauros und Argos, welche Mykene verbergen. Aber Akrokorinth zeigt sich an dem klaren Horizont, und der Kyllene, Geburtsstätte von Göttern, und der Helikon und der Kithäron, und der Parnes, und der Brilessos, der quellreiche, und zuletzt im letzten Sonnenstrahl das besungene Veilchenblau des Hymettos. Und unmittelbar zu Ihren Füßen: Sie haben sie schon oft betreten, die felsige Rednerbühne der Pnyr, von der Demosthenes – den „Heiligen“ nannte ihn Niebuhr – die gewaltigen Worte zum Volke sprach; Sie sind schon oft in jenen Halbkreis getreten, wenn Alles um Sie her stille war, und haben den Chorgesängen des Aeschylos und Sophokles gehorcht, und dem Aristophanes, dem Verkannten, und waren Zeuge von mehr als einer „großen That in Worten.“ Und wie befreit fühlen Sie sich im Geist, wenn Sie dort in den Gängen des Lyceums der Spur jenes Philosophen folgten, den die Nachwelt so hoch verehrt und so wenig versteht. Vergebliches Bemühen, auch nur das Bedeutendste hervorzuheben! Was Sie hier oben auf der Burg umgibt, diese unübertroffenen, unübertreffbaren Werke der Kunst, wie leicht ist es, sie bewundern, und wie schwer, sie nach ihrer Entwicklung und Vollendung begreifen! Und diese beiden Tempel waren der erhabenen, jungfräulichen, stadtschirmenden Göttin geweiht. Hunderte und Tausende bestaunen den Marmor und den Meißel, und fragen nicht nach dem religiösen Glauben, der die Künstler und das Volk beseelte, und wenn sie sich fragen, lautet die Antwort, diese Göttin sey in Wirklichkeit ein leeres Nichts gewesen. Genügt das zur Erklärung einer Religion, die in That und Wort so Göttliches gewirkt? Oder waren nicht jene geistigen Wesen, die dem Hellenen in der Welt, in der Natur erschienen und sich offenbarten, waren sie nicht auch wirklich, nicht auch wahrhaftige Offenbarungen der Einen Weltseele, welche hellenische Anschauung in einem damals nicht ketzerischen Pantheismus mit der Mannichfaltigkeit göttlicher Individualitäten eben so leicht vereinigte, als ihr die Mannichfaltigkeit der körperlicher Natur innerhalb der Einen Welt existent war?
Wer vor zwanzig Jahren hier stand und diesen Gedanken nachging, wie trostlos mußte er aus jener großen reichen Vergangenheit in die Gegenwart zurückkehren! Alles war gewesen, war nun nichtig. Ja selbst die unendliche Schönheit der Natur, vergeblich schien sie hier ins Daseyn gerufen. Und jetzt? Hellas ist wieder schön, seine Schönheit ist seine Jugend, es ist ein Kind des Geistes. Der Geist Europa's hat ihm das Daseyn verliehen. Deutschland, dem im Bestreben geistiger Reproduction des Alterthums altgewordenen, welches mit seiner Kunde so oft, statt zu lernen, verneint, so oft wider den eigenen Willen das Studierzimmer als die Welt ansieht, so gern wie das Alter Fragen des Wissens in die Beurtheilung der Moral zieht, und im Glauben des Besserseyns die Hoffnung auf Gedanken durch edelmögende Ermahnung täuscht, ihm möge Hellas für sein Alterthum, das es ihm bewahrt hat, ein wenig von dem zurückgeben, woran es so reich ist, von seinem Jugendthum, von seiner jugendlichen Frische, von jener „goldenen Freiheit,“ der Plateus Choros den schönen Gesang singt.
Das Morning Chronicle über Frankreich und die orientalische Frage.
London, 5 März. Das M. Chronicle, das jetzt in England für das bevorzugte Organ Lord Palmerstons gilt, enthält in seiner Nummer vom 4 März folgenden größeren Artikel über die orientalische Frage in Bezug auf den Ministerwechsel in Frankreich: „Hrn. Thiers' allgemeine Ansichten über die orientalischen Angelegenheiten sind uns nicht unbekannt. Er hat sie voll und frei ausgesprochen. Er hat uns gesagt, was er gethan haben würde, wäre er im Mai, Junius und Julius verflossenen Jahres Minister gewesen. Doch dieß ist Alles. Es übrigt ihm zu sagen, was er mit der orientalischen Frage thun will, nicht wie sie am 24 Jun. oder am 28 Jul. war, sondern was er mit ihr, wie er sie bei seinem Amtsantritt am 1 März vorfindet, zu thun gedenkt. Durch die Collectivnote vom Julius haben sich die fünf Mächte der Pforte gegenüber verbindlich gemacht „die Integrität der Türkei“ aufrecht zu halten. Wäre Hr. Thiers im Julius Minister gewesen, so würde er an dieser Note keinen Theil genommen haben. Von dem Augenblick an aber, wo Frankreich an dieser Note Theil nahm, stand es ihm nicht mehr frei, eine entgegengesetzte Bahn der Politik zu verfolgen. Dieß schien Hr. Thiers in seiner Rede in der That beinahe zuzugestehen. Er räumt ein, daß Frankreichs spätere Politik die übrigen Mächte (besonders England) in Erstaunen
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