Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg, 15. März 1840.*) Die Erinnerungen seines großen Jahrhunderts Das ist aber noch nicht Alles. Die Deutschen, nicht zufrieden damit, uns (die Franzosen) so aus der Ferne zu studiren, wollen uns in der Nähe sehen und stellen häufige Wanderungen zu uns an. Sie haben mehr als einmal unsern Schriftstellern vorgeworfen, Deutschland werde schlecht von ihnen geschildert, und sie möchten uns ohne Zweifel lehren, wie man Sitten, Geist und Art eines fremden Volks aufzufassen und zu studiren habe. Nun, will man wissen, wie die reisenden Deutschen, die da hingehen und sprechen: "Ich habe Frankreich gesehen," dieses wirklich gesehen und studirt haben? - Zwei Thatsachen mögen davon eine Idee geben. Vor ein paar Jahren langte ein Deutscher in Paris an - wohl zu merken, es war ein mit wichtigen Functionen betrauter Mann, ein Universitätsprofessor, künftiger Consistorialrath, kurz ein Mann von Bedeutung. In der Rue Richelieu, diesem classischen Zufluchtsort der Fremden und der Provincialen, schifft er sich aus, und noch am Tage seiner Ankunft erbittet er sich schriftlich Audienz bei den zwölf Schriftstellern, die er als die Koryphäen der Litteratur betrachtet. Der erste war Hr. v. Chateaubriand, der zweite Hr. Paul de Kock, und wenn ich nicht irre, so folgte Hr. Touchard-Lafosse unmittelbar hinter Hrn. Victor Hugo. Wenn er heute wieder nach Paris käme, so würde er nicht umhin können, den Namen des Hrn. Flourens seiner Liste beizufügen. Nächsten Tags bestieg er ein Cabriolet und stattete eilf Besuche ab. Gern hätte er mit Einem Hiebe auch den zwölften gemacht, aber dazu mußte er die Barriere passiren, denn diese Visite galt Beranger, und der berühmte Dichter wohnte in Passy. Nachdem diese erste Strapaze überstanden, beschaute sich der Deutsche die Invaliden und Franconi, die Börse und das Cafe des Aveugles, den botanischen Garten und den Pere-Lachaise. Er lorgnirte die Vorräthe dreier Buchhandlungen und zwei Läden mit Lithographien, notirte sich Einiges über den Stand der öffentlichen Angelegenheiten aus einer Abendzeitung und einem Pamphlet von Hrn. v. Cormenin, kaufte drei Romane, die er sich zu übersetzen vornahm (der künftige Consistorialrath?), und verfügte sich dann in die Messagerie Laffitte. Acht Tage nach seinem Einzug in die Straße Richelieu rollte er wieder auf der Heerstraße gen Deutschland, und kaum war er auf seiner Universität wieder angekommen, so erschien ein ziemlich dicker Band unter dem Titel: "Briefe über Paris, von O. L. B. Wolff." Ein anderer Deutscher, der noch nicht Professor ist, aber es werden will, und daher den Erfolgen des Professorats durch litterarische Erfolge präludiren möchte, lebt seit drei Jahren in Paris ganz so bescheiden zurückgezogen in seinem Hotel, wie er zu Göttingen oder Leipzig auf seinem Studentenzimmer hausen könnte. Er geht nicht aus, er kommt nicht unter die Leute, er mischt sich in kein politisches Mouvement und in keine Salonscoterie. Besucht ihn Jemand, so darf man versichert seyn, daß es ein Deutscher ist; entschließt er sich, an einem schönen Tage Pantoffel und Schlafrock auszuziehen und sich kecklich auf das Straßenpflaster zu wagen, so geschieht es gleichfalls, um einen Deutschen zu besuchen. Die übrige Zeit durchwühlt er mit einer wunderbaren Geduld die ungeschlachtesten Schweinlederbände, analysirt dabei den Moniteur von vorn bis hinten, und übersetzt ganze Spalten aus unsern Journalen. Ereignet, während er mit seinen Notenheften beschäftigt ist, sich gerade eine Emeute, oder fällt ein Ziegel vom Dach, so steckt er einen Augenblick die Nase durchs Fenster, und eilt dann, wie eine unermüdliche Ameise, an seine Arbeit zurück. *)
das er im Eingang citirt, nicht zu theilen. Wir auch nicht, obgleich Goethe seinen kräftigenden Einfluß auf das deutsche Nationalgefühl allerdings - mit Olearius zu reden - mehr "implicite als explicite" übte. Was Marmier, ohne Zweifel im Hinblick auf die Litteratur des jungen Deutschlands (die er doch oben selbst verschollen genannt hat!), von der erneuerten freiwilligen Unterordnung des geistigen Deutschlands unter Frankreich fabelt, zerfällt in sich. Gerade seit Goethe's Tod ist Deutschland, nach dem Spruch des Meisters:
"Jetzo, eh' wir weiter schreiten, des Werths seiner Nationallitteratur sich tiefer und inniger bewußt geworden. Eine gute Antwort auf solche Stimmen aus Paris findet sich in dem Artikel "das Ausland und die deutsche Nationalität" (Allg. Zeitung Nro. 62 Beilage), wo es unter Anderm heißt: "Französische Melodramen und Romane haben in Deutschland ein Publicum der Bühne, der Leihbibliothek, das ist wahr, ebenso wahr jedoch, daß es unter den gesund Gebildeten nur Ein Urtheil über den Werth dieser Dinge gibt, und daß die Nation aufs entschiedenste eine Verwechslung ihrer selbst mit jenem Infusorienaufguß der Gesellschaft zurückweisen muß." - Indeß, wenn auch in litterarischer Hinsicht, so ist es doch vielleicht in andern Beziehungen nicht überflüssig, aus der Feder eines Franzosen die Lehre zu vernehmen: daß die deutsche Nation, wenn sie die Achtung des Auslands anspreche, vorerst sich selbst achten müsse.Stehe still und sieh dich um." - *) Die Erinnerungen seines großen Jahrhunderts Das ist aber noch nicht Alles. Die Deutschen, nicht zufrieden damit, uns (die Franzosen) so aus der Ferne zu studiren, wollen uns in der Nähe sehen und stellen häufige Wanderungen zu uns an. Sie haben mehr als einmal unsern Schriftstellern vorgeworfen, Deutschland werde schlecht von ihnen geschildert, und sie möchten uns ohne Zweifel lehren, wie man Sitten, Geist und Art eines fremden Volks aufzufassen und zu studiren habe. Nun, will man wissen, wie die reisenden Deutschen, die da hingehen und sprechen: „Ich habe Frankreich gesehen,“ dieses wirklich gesehen und studirt haben? – Zwei Thatsachen mögen davon eine Idee geben. Vor ein paar Jahren langte ein Deutscher in Paris an – wohl zu merken, es war ein mit wichtigen Functionen betrauter Mann, ein Universitätsprofessor, künftiger Consistorialrath, kurz ein Mann von Bedeutung. In der Rue Richelieu, diesem classischen Zufluchtsort der Fremden und der Provincialen, schifft er sich aus, und noch am Tage seiner Ankunft erbittet er sich schriftlich Audienz bei den zwölf Schriftstellern, die er als die Koryphäen der Litteratur betrachtet. Der erste war Hr. v. Chateaubriand, der zweite Hr. Paul de Kock, und wenn ich nicht irre, so folgte Hr. Touchard-Lafosse unmittelbar hinter Hrn. Victor Hugo. Wenn er heute wieder nach Paris käme, so würde er nicht umhin können, den Namen des Hrn. Flourens seiner Liste beizufügen. Nächsten Tags bestieg er ein Cabriolet und stattete eilf Besuche ab. Gern hätte er mit Einem Hiebe auch den zwölften gemacht, aber dazu mußte er die Barrière passiren, denn diese Visite galt Béranger, und der berühmte Dichter wohnte in Passy. Nachdem diese erste Strapaze überstanden, beschaute sich der Deutsche die Invaliden und Franconi, die Börse und das Café des Aveugles, den botanischen Garten und den Père-Lachaise. Er lorgnirte die Vorräthe dreier Buchhandlungen und zwei Läden mit Lithographien, notirte sich Einiges über den Stand der öffentlichen Angelegenheiten aus einer Abendzeitung und einem Pamphlet von Hrn. v. Cormenin, kaufte drei Romane, die er sich zu übersetzen vornahm (der künftige Consistorialrath?), und verfügte sich dann in die Messagerie Laffitte. Acht Tage nach seinem Einzug in die Straße Richelieu rollte er wieder auf der Heerstraße gen Deutschland, und kaum war er auf seiner Universität wieder angekommen, so erschien ein ziemlich dicker Band unter dem Titel: „Briefe über Paris, von O. L. B. Wolff.“ Ein anderer Deutscher, der noch nicht Professor ist, aber es werden will, und daher den Erfolgen des Professorats durch litterarische Erfolge präludiren möchte, lebt seit drei Jahren in Paris ganz so bescheiden zurückgezogen in seinem Hotel, wie er zu Göttingen oder Leipzig auf seinem Studentenzimmer hausen könnte. Er geht nicht aus, er kommt nicht unter die Leute, er mischt sich in kein politisches Mouvement und in keine Salonscoterie. Besucht ihn Jemand, so darf man versichert seyn, daß es ein Deutscher ist; entschließt er sich, an einem schönen Tage Pantoffel und Schlafrock auszuziehen und sich kecklich auf das Straßenpflaster zu wagen, so geschieht es gleichfalls, um einen Deutschen zu besuchen. Die übrige Zeit durchwühlt er mit einer wunderbaren Geduld die ungeschlachtesten Schweinlederbände, analysirt dabei den Moniteur von vorn bis hinten, und übersetzt ganze Spalten aus unsern Journalen. Ereignet, während er mit seinen Notenheften beschäftigt ist, sich gerade eine Emeute, oder fällt ein Ziegel vom Dach, so steckt er einen Augenblick die Nase durchs Fenster, und eilt dann, wie eine unermüdliche Ameise, an seine Arbeit zurück. *)
das er im Eingang citirt, nicht zu theilen. Wir auch nicht, obgleich Goethe seinen kräftigenden Einfluß auf das deutsche Nationalgefühl allerdings – mit Olearius zu reden – mehr „implicite als explicite“ übte. Was Marmier, ohne Zweifel im Hinblick auf die Litteratur des jungen Deutschlands (die er doch oben selbst verschollen genannt hat!), von der erneuerten freiwilligen Unterordnung des geistigen Deutschlands unter Frankreich fabelt, zerfällt in sich. Gerade seit Goethe's Tod ist Deutschland, nach dem Spruch des Meisters:
„Jetzo, eh' wir weiter schreiten, des Werths seiner Nationallitteratur sich tiefer und inniger bewußt geworden. Eine gute Antwort auf solche Stimmen aus Paris findet sich in dem Artikel „das Ausland und die deutsche Nationalität“ (Allg. Zeitung Nro. 62 Beilage), wo es unter Anderm heißt: „Französische Melodramen und Romane haben in Deutschland ein Publicum der Bühne, der Leihbibliothek, das ist wahr, ebenso wahr jedoch, daß es unter den gesund Gebildeten nur Ein Urtheil über den Werth dieser Dinge gibt, und daß die Nation aufs entschiedenste eine Verwechslung ihrer selbst mit jenem Infusorienaufguß der Gesellschaft zurückweisen muß.“ – Indeß, wenn auch in litterarischer Hinsicht, so ist es doch vielleicht in andern Beziehungen nicht überflüssig, aus der Feder eines Franzosen die Lehre zu vernehmen: daß die deutsche Nation, wenn sie die Achtung des Auslands anspreche, vorerst sich selbst achten müsse.Stehe still und sieh dich um.“ – <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><note place="foot" n="*)"><pb facs="#f0010" n="0594"/> das er im Eingang citirt, nicht zu theilen. 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Zeitung Nro. 62 Beilage), wo es unter Anderm heißt: „Französische Melodramen und Romane haben in Deutschland ein Publicum der Bühne, der Leihbibliothek, das ist wahr, ebenso wahr jedoch, daß es unter den gesund Gebildeten nur Ein Urtheil über den Werth dieser Dinge gibt, und daß die Nation aufs entschiedenste eine Verwechslung ihrer selbst mit jenem Infusorienaufguß der Gesellschaft zurückweisen muß.“ – Indeß, wenn auch in litterarischer Hinsicht, so ist es doch vielleicht in <hi rendition="#g">andern</hi> Beziehungen nicht überflüssig, aus der Feder eines Franzosen die Lehre zu vernehmen: daß die deutsche Nation, wenn sie die Achtung des Auslands anspreche, vorerst <hi rendition="#g">sich selbst</hi> achten müsse.</note> Die Erinnerungen seines großen Jahrhunderts<lb/> waren übrigens noch zu frisch, als daß sie nicht einen glücklichen Einfluß auf Deutschland hätten äußern sollen. Brauchte es ja doch nur um einige Jahre rückwärts zu schauen auf die erlauchten Namen, die großen Werke, die aus seinem Schooß hervorgegangen, um zu fühlen, was es an üppigem Fruchtsaft, an Lebensgluth in seinem Innern trug. Aber kaum waren die letzten Schimmer seines schönen Säculums erloschen, so lenkte Deutschland, unruhig und beängstigt durch das es umhüllende plötzliche Dunkel, schüchtern in die Bahn ein, der es ehedem gefolgt war. Jetzt steht es vor den Litteraturen des Auslands gebückter, als in der Zeit Gottscheds. (!!!) Man muß sehen, mit welcher Sorgfalt diese litterarischen Kräutersammler die exotischen Pflanzen in ihr Herbarium tragen, mit welchem Eifer zumal man das aus Frankreich Kommende sucht, und wie man unsere Bücher nachdruckt und übersetzt. In dieser hastigen Reproduction unserer Litteratur unterscheiden die Deutschen, man muß es sagen, nicht immer das Gute vom Schlechten. Sie betrügen sich über Styl und Verdienst mehrerer unserer Schriftsteller; in eine und dieselbe Wagschale legen sie Werke von sehr verschiedenem Werth, und in ihr Pantheon versetzen sie Namen, die man neben einander figuriren zu sehen nicht erwartete. Aus Furcht, den kleinsten Theil ihrer Ernte zu vergessen, raffen sie, vom Zweige der Ceder bis zum Ysopstängelchen, alles auf, was ihnen unter die Hand kommt. Es gibt unter den Franzosen keinen so winzigen Autor, der jenseits des Rheins nicht mehrfach citirt, analysirt und wahrscheinlich auch übersetzt worden wäre, denn Deutschland übersetzt Alles (wie Figura zeigt). In Leipzig, in Stuttgart u. s. w. hat man Uebersetzfabriken, wie es anderwärts Zitzfabriken gibt; – Tagwerker, welche arbeiten für so und so viel den Cubikfuß, die Klafter; die Morgens beim Frühstück einen englischen oder französischen Roman übernehmen, und ihn nach zwei Tagen abliefern, vom Kopf bis zum Fuß in ein deutsches Gewand gekleidet, und fertig zum Eintritt in die Welt. Was man nicht in einem Buch unterbringen kann, setzt man in die Journale. Die Hamburger „Litterarischen Blätter“, die Frankfurter „Didaskalia“, die Jenaer „Minerva“, die Stuttgarter „Europa“ und fünfzig andere Wochen- oder Monatsschriften verdeutschen unausgesetzt unsere Revuen und unsere Zeitungen. Unter diesen Sammlungen zeichne ich aus das „Magazin“ von Hrn. <hi rendition="#g">Lehmann</hi> und die „Blätter zur Kunde der Litteratur des Auslands“ von Hrn. <hi rendition="#g">Pfizer</hi>, denen es mindestens Ernst ist mit einer Aufgabe, welche die Andern nur so schnell als möglich abfertigen.</p><lb/> <p>Das ist aber noch nicht Alles. Die Deutschen, nicht zufrieden damit, uns (die Franzosen) so aus der Ferne zu studiren, wollen uns in der Nähe sehen und stellen häufige Wanderungen zu uns an. Sie haben mehr als einmal unsern Schriftstellern vorgeworfen, Deutschland werde schlecht von ihnen geschildert, und sie möchten uns ohne Zweifel lehren, wie man Sitten, Geist und Art eines fremden Volks aufzufassen und zu studiren habe. Nun, will man wissen, wie die reisenden Deutschen, die da hingehen und sprechen: „Ich habe Frankreich gesehen,“ dieses wirklich gesehen und studirt haben? – Zwei Thatsachen mögen davon eine Idee geben. Vor ein paar Jahren langte ein Deutscher in Paris an – wohl zu merken, es war ein mit wichtigen Functionen betrauter Mann, ein Universitätsprofessor, künftiger Consistorialrath, kurz ein Mann von Bedeutung. In der Rue Richelieu, diesem classischen Zufluchtsort der Fremden und der Provincialen, schifft er sich aus, und noch am Tage seiner Ankunft erbittet er sich schriftlich Audienz bei den zwölf Schriftstellern, die er als die Koryphäen der Litteratur betrachtet. Der erste war Hr. v. Chateaubriand, der zweite Hr. Paul de Kock, und wenn ich nicht irre, so folgte Hr. Touchard-Lafosse unmittelbar hinter Hrn. Victor Hugo. Wenn er heute wieder nach Paris käme, so würde er nicht umhin können, den Namen des Hrn. Flourens seiner Liste beizufügen. Nächsten Tags bestieg er ein Cabriolet und stattete eilf Besuche ab. Gern hätte er mit Einem Hiebe auch den zwölften gemacht, aber dazu mußte er die Barrière passiren, denn diese Visite galt Béranger, und der berühmte Dichter wohnte in Passy. Nachdem diese erste Strapaze überstanden, beschaute sich der Deutsche die Invaliden und Franconi, die Börse und das Café des Aveugles, den botanischen Garten und den Père-Lachaise. Er lorgnirte die Vorräthe dreier Buchhandlungen und zwei Läden mit Lithographien, notirte sich Einiges über den Stand der öffentlichen Angelegenheiten aus einer Abendzeitung und einem Pamphlet von Hrn. v. Cormenin, kaufte drei Romane, die er sich zu übersetzen vornahm (der künftige Consistorialrath?), und verfügte sich dann in die Messagerie Laffitte. Acht Tage nach seinem Einzug in die Straße Richelieu rollte er wieder auf der Heerstraße gen Deutschland, und kaum war er auf seiner Universität wieder angekommen, so erschien ein ziemlich dicker Band unter dem Titel: „Briefe über Paris, von O. L. B. Wolff.“</p><lb/> <p>Ein anderer Deutscher, der noch nicht Professor ist, aber es werden will, und daher den Erfolgen des Professorats durch litterarische Erfolge präludiren möchte, lebt seit drei Jahren in Paris ganz so bescheiden zurückgezogen in seinem Hotel, wie er zu Göttingen oder Leipzig auf seinem Studentenzimmer hausen könnte. Er geht nicht aus, er kommt nicht unter die Leute, er mischt sich in kein politisches Mouvement und in keine Salonscoterie. Besucht ihn Jemand, so darf man versichert seyn, daß es ein Deutscher ist; entschließt er sich, an einem schönen Tage Pantoffel und Schlafrock auszuziehen und sich kecklich auf das Straßenpflaster zu wagen, so geschieht es gleichfalls, um einen Deutschen zu besuchen. Die übrige Zeit durchwühlt er mit einer wunderbaren Geduld die ungeschlachtesten Schweinlederbände, analysirt dabei den Moniteur von vorn bis hinten, und übersetzt ganze Spalten aus unsern Journalen. Ereignet, während er mit seinen Notenheften beschäftigt ist, sich gerade eine Emeute, oder fällt ein Ziegel vom Dach, so steckt er einen Augenblick die Nase durchs Fenster, und eilt dann, wie eine unermüdliche Ameise, an seine Arbeit zurück.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0594/0010]
*) Die Erinnerungen seines großen Jahrhunderts
waren übrigens noch zu frisch, als daß sie nicht einen glücklichen Einfluß auf Deutschland hätten äußern sollen. Brauchte es ja doch nur um einige Jahre rückwärts zu schauen auf die erlauchten Namen, die großen Werke, die aus seinem Schooß hervorgegangen, um zu fühlen, was es an üppigem Fruchtsaft, an Lebensgluth in seinem Innern trug. Aber kaum waren die letzten Schimmer seines schönen Säculums erloschen, so lenkte Deutschland, unruhig und beängstigt durch das es umhüllende plötzliche Dunkel, schüchtern in die Bahn ein, der es ehedem gefolgt war. Jetzt steht es vor den Litteraturen des Auslands gebückter, als in der Zeit Gottscheds. (!!!) Man muß sehen, mit welcher Sorgfalt diese litterarischen Kräutersammler die exotischen Pflanzen in ihr Herbarium tragen, mit welchem Eifer zumal man das aus Frankreich Kommende sucht, und wie man unsere Bücher nachdruckt und übersetzt. In dieser hastigen Reproduction unserer Litteratur unterscheiden die Deutschen, man muß es sagen, nicht immer das Gute vom Schlechten. Sie betrügen sich über Styl und Verdienst mehrerer unserer Schriftsteller; in eine und dieselbe Wagschale legen sie Werke von sehr verschiedenem Werth, und in ihr Pantheon versetzen sie Namen, die man neben einander figuriren zu sehen nicht erwartete. Aus Furcht, den kleinsten Theil ihrer Ernte zu vergessen, raffen sie, vom Zweige der Ceder bis zum Ysopstängelchen, alles auf, was ihnen unter die Hand kommt. Es gibt unter den Franzosen keinen so winzigen Autor, der jenseits des Rheins nicht mehrfach citirt, analysirt und wahrscheinlich auch übersetzt worden wäre, denn Deutschland übersetzt Alles (wie Figura zeigt). In Leipzig, in Stuttgart u. s. w. hat man Uebersetzfabriken, wie es anderwärts Zitzfabriken gibt; – Tagwerker, welche arbeiten für so und so viel den Cubikfuß, die Klafter; die Morgens beim Frühstück einen englischen oder französischen Roman übernehmen, und ihn nach zwei Tagen abliefern, vom Kopf bis zum Fuß in ein deutsches Gewand gekleidet, und fertig zum Eintritt in die Welt. Was man nicht in einem Buch unterbringen kann, setzt man in die Journale. Die Hamburger „Litterarischen Blätter“, die Frankfurter „Didaskalia“, die Jenaer „Minerva“, die Stuttgarter „Europa“ und fünfzig andere Wochen- oder Monatsschriften verdeutschen unausgesetzt unsere Revuen und unsere Zeitungen. Unter diesen Sammlungen zeichne ich aus das „Magazin“ von Hrn. Lehmann und die „Blätter zur Kunde der Litteratur des Auslands“ von Hrn. Pfizer, denen es mindestens Ernst ist mit einer Aufgabe, welche die Andern nur so schnell als möglich abfertigen.
Das ist aber noch nicht Alles. Die Deutschen, nicht zufrieden damit, uns (die Franzosen) so aus der Ferne zu studiren, wollen uns in der Nähe sehen und stellen häufige Wanderungen zu uns an. Sie haben mehr als einmal unsern Schriftstellern vorgeworfen, Deutschland werde schlecht von ihnen geschildert, und sie möchten uns ohne Zweifel lehren, wie man Sitten, Geist und Art eines fremden Volks aufzufassen und zu studiren habe. Nun, will man wissen, wie die reisenden Deutschen, die da hingehen und sprechen: „Ich habe Frankreich gesehen,“ dieses wirklich gesehen und studirt haben? – Zwei Thatsachen mögen davon eine Idee geben. Vor ein paar Jahren langte ein Deutscher in Paris an – wohl zu merken, es war ein mit wichtigen Functionen betrauter Mann, ein Universitätsprofessor, künftiger Consistorialrath, kurz ein Mann von Bedeutung. In der Rue Richelieu, diesem classischen Zufluchtsort der Fremden und der Provincialen, schifft er sich aus, und noch am Tage seiner Ankunft erbittet er sich schriftlich Audienz bei den zwölf Schriftstellern, die er als die Koryphäen der Litteratur betrachtet. Der erste war Hr. v. Chateaubriand, der zweite Hr. Paul de Kock, und wenn ich nicht irre, so folgte Hr. Touchard-Lafosse unmittelbar hinter Hrn. Victor Hugo. Wenn er heute wieder nach Paris käme, so würde er nicht umhin können, den Namen des Hrn. Flourens seiner Liste beizufügen. Nächsten Tags bestieg er ein Cabriolet und stattete eilf Besuche ab. Gern hätte er mit Einem Hiebe auch den zwölften gemacht, aber dazu mußte er die Barrière passiren, denn diese Visite galt Béranger, und der berühmte Dichter wohnte in Passy. Nachdem diese erste Strapaze überstanden, beschaute sich der Deutsche die Invaliden und Franconi, die Börse und das Café des Aveugles, den botanischen Garten und den Père-Lachaise. Er lorgnirte die Vorräthe dreier Buchhandlungen und zwei Läden mit Lithographien, notirte sich Einiges über den Stand der öffentlichen Angelegenheiten aus einer Abendzeitung und einem Pamphlet von Hrn. v. Cormenin, kaufte drei Romane, die er sich zu übersetzen vornahm (der künftige Consistorialrath?), und verfügte sich dann in die Messagerie Laffitte. Acht Tage nach seinem Einzug in die Straße Richelieu rollte er wieder auf der Heerstraße gen Deutschland, und kaum war er auf seiner Universität wieder angekommen, so erschien ein ziemlich dicker Band unter dem Titel: „Briefe über Paris, von O. L. B. Wolff.“
Ein anderer Deutscher, der noch nicht Professor ist, aber es werden will, und daher den Erfolgen des Professorats durch litterarische Erfolge präludiren möchte, lebt seit drei Jahren in Paris ganz so bescheiden zurückgezogen in seinem Hotel, wie er zu Göttingen oder Leipzig auf seinem Studentenzimmer hausen könnte. Er geht nicht aus, er kommt nicht unter die Leute, er mischt sich in kein politisches Mouvement und in keine Salonscoterie. Besucht ihn Jemand, so darf man versichert seyn, daß es ein Deutscher ist; entschließt er sich, an einem schönen Tage Pantoffel und Schlafrock auszuziehen und sich kecklich auf das Straßenpflaster zu wagen, so geschieht es gleichfalls, um einen Deutschen zu besuchen. Die übrige Zeit durchwühlt er mit einer wunderbaren Geduld die ungeschlachtesten Schweinlederbände, analysirt dabei den Moniteur von vorn bis hinten, und übersetzt ganze Spalten aus unsern Journalen. Ereignet, während er mit seinen Notenheften beschäftigt ist, sich gerade eine Emeute, oder fällt ein Ziegel vom Dach, so steckt er einen Augenblick die Nase durchs Fenster, und eilt dann, wie eine unermüdliche Ameise, an seine Arbeit zurück.
*) das er im Eingang citirt, nicht zu theilen. Wir auch nicht, obgleich Goethe seinen kräftigenden Einfluß auf das deutsche Nationalgefühl allerdings – mit Olearius zu reden – mehr „implicite als explicite“ übte. Was Marmier, ohne Zweifel im Hinblick auf die Litteratur des jungen Deutschlands (die er doch oben selbst verschollen genannt hat!), von der erneuerten freiwilligen Unterordnung des geistigen Deutschlands unter Frankreich fabelt, zerfällt in sich. Gerade seit Goethe's Tod ist Deutschland, nach dem Spruch des Meisters:
„Jetzo, eh' wir weiter schreiten,
Stehe still und sieh dich um.“ –
des Werths seiner Nationallitteratur sich tiefer und inniger bewußt geworden. Eine gute Antwort auf solche Stimmen aus Paris findet sich in dem Artikel „das Ausland und die deutsche Nationalität“ (Allg. Zeitung Nro. 62 Beilage), wo es unter Anderm heißt: „Französische Melodramen und Romane haben in Deutschland ein Publicum der Bühne, der Leihbibliothek, das ist wahr, ebenso wahr jedoch, daß es unter den gesund Gebildeten nur Ein Urtheil über den Werth dieser Dinge gibt, und daß die Nation aufs entschiedenste eine Verwechslung ihrer selbst mit jenem Infusorienaufguß der Gesellschaft zurückweisen muß.“ – Indeß, wenn auch in litterarischer Hinsicht, so ist es doch vielleicht in andern Beziehungen nicht überflüssig, aus der Feder eines Franzosen die Lehre zu vernehmen: daß die deutsche Nation, wenn sie die Achtung des Auslands anspreche, vorerst sich selbst achten müsse.
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