Allgemeine Zeitung. Nr. 83. Augsburg, 23. März 1840.Kymrisch-wallisische Preisfrage und Aufforderung an die Gelehrten des Festlandes. Aus England. Erlauben Sie mir, daß ich mich an Ihr verbreitetes Blatt wende, um die gelehrten Forscher des Festlandes auf eine vielfach anziehende und wichtige wissenschaftliche Aufgabe aufmerksam zu machen, die vielleicht, trotz einiger früheren Ankündigungen, dort nicht so allgemein bekannt geworden ist, wie sie es verdient. Während auf dem Festlande, durch die ruhmvolle Begründung und Ausbildung der germanisch-skandinavischen Philologie, der dunkeln Untersuchung über Ursprung und Verbreitung der Sagen der romantischen Dichtkunst neue Wege erschlossen sind, hat unter den Nachkommen Arthurs die davon untrennbare Frage von dem Antheile der Kymri-Bevölkerungen in Wales und in der Bretagne an jenem gemeinsamen Schatz eine neue und sehr allgemeine Anregung erhalten. Gleichzeitig mit der schönen, an Humboldt, Bopp und Grimm sich anschließenden Entdeckung des berühmtesten englischen Schriftstellers aus Kymristamme, des Doctor Prichard (Verfassers der auch ins Deutsche übertragenen Forschungen über Aegypten und des großen Werkes über die Menschenstämme, welches zuerst in Europa die Ergebnisse der Physiologie mit den sprachlichen und geschichtlichen Forschungen gründlich und fruchtbar vereinigt hat), von der Einheit des kymrisch-galischen und des indo-germanischen Stammes, haben die Untersuchungen des Gründers der neueren angelsächsischen Geschichtsforschung, Sharon Turners (in seinem Werk über die Aechtheit der Gedichte Taliesins' und der übrigen Dichter des sechsten Jahrhunderts), weitere Forschungen, und namentlich die des scharfsinnigen, noch anonymen Verfassers der Britannia (oder Schilderung Englands nach dem Abzug der römischen Legionen: 1ster Band, 1838. 4.) zur Folge gehabt. Erst in dem verflossenen Jahr hat eine durch Geburt und Schönheit ausgezeichnete Dame begonnen eine Reihe der wallisischen Kindermährchen (Mabinogion) aus dem Kreise der Arthursage mit einer anmuthig einfachen Uebersetzung und lehrreichen Erklärungen herausgegeben. Die Stammgenossen jenseits des Meeres werden ihrerseits bald in der Sammlung bretonischer Volkslieder des Grafen Villemarque eine erstaunenswerthe und in ihrer Art einzige, vielleicht mehr als tausendjährige Reihe noch jetzt lebender Erinnerungen des ausgewanderten Kymrivolkes zu Tage fördern - eine Sammlung, welche sogar auf die allgemeine und große Frage der Entstehung und Erhaltung von Volksdichtungen ein neues und überraschendes Licht werfen möchte. Endlich sind auch die herrlichen Gesangweisen des Kymrivolkes - nach welchen der Schäfer des Snowdon und der Bauer der reizenden Thäler des Usk und der Saverne noch jetzt, des Tags auf den Feldern und Abends in der Hütte, so wie an den jährlichen Nationalfesten der Barden und Kymrikundigen (Eisteddfod y Cymreigyddion) die Begeisterung des Augenblicks aushaucht - im verflossenen Herbst von Parry, auch einem Sohne Gwants, neu herausgegeben. In allen Theilen von Wales, ja neulich selbst in Liverpool, haben sich jene Vereine für die volksthümliche Poesie gebildet, die jährlich, oder nach längeren Zwischenräumen, ihre öffentlichen Versammlungen halten. Da ringen blinde, greise Harfner und jugendliche Harfnerinnen untereinander um die Palme des Spieles und des Gesanges; da erklingen unter dem Jubel des Volks jene Improvisationen, zu welchen der herausfordernde Harfner den an künstliche Formen der Dichtung gebundenen Sänger aufruft. Da auch werden künstlerischen und wissenschaftlichen Aufgaben Preise gestellt, und die Preise für die gelungene Lösung früherer in glänzender Versammlung vertheilt. Es ist hier der Herd, an welchem das heilige Feuer der alten bardischen Begeisterung, das selbst in den Jahrhunderten blutiger Verfolgung nicht erlosch, von Hohen und Niedrigen gepflegt und geschürt wird: ein, wenn gleich demüthiges und schwaches, doch einziges Nachbild der unsterblichen geistigen Kampfspiele von Hellas. Einer der thätigsten dieser Vereine, welcher auch die edle Herausgeberin der Mabinogion angehört, und welchem die liebenswürdige "Biene von Gwant", Lady Hall, des Bardengesangs Gönnerin ihre unermüdliche Fürsorge zuwendet, ist der von Abergavenny in der Grafschaft Monmouth. Wir dürfen von ihm bald eine neue, kritisch gereinigte und für den europäischen Horizont bearbeitete Ausgabe der alten wallisischen Dichter erwarten, nach dem Muster der kürzlich erschienenen classischen Bearbeitung eines Kymri-Dichters des vierzehnten Jahrhunderts von dem Barden Tegid (Reverend John Jones): eine lehrreiche Sammlung von Urkunden und Nachrichten des Liber Landavensis, von dem gelehrten und bescheidenen Reverend Price von Crickhowel, wird, auf Kosten des Ausschusses jenes Vereins, bald vollständig gedruckt erscheinen. Dieser Verein von Abergavenny hatte bereits im Jahr 1836 als erste Preisaufgabe die Frage gestellt: "welches ist der Einfluß der Kymrisagen auf die Litteratur Europa's gewesen?" Der Preis ward, im Herbst 1838, von unserm berühmten Geschichtsforsche Hallam einem aus Wales gebürtigen jungen Rechtsgelehrten in London, Hrn. Hardinge zuerkannt, dessen Aufsatz noch nicht veröffentlicht ist. Der Ausschuß wünscht nun eine Aufgabe zu stellen, welche geeignet wäre, die besondere Theilnahme der Gelehrten des Festlandes in Anspruch zu nehmen. So entstand die schon im verflossenen Jahr in einigen deutschen Blättern bekannt gemachte Preisfrage für das Cymreigyddionfest des nächsten Octobers. Wir wiederholen und vervollständigen hier diese Ankündigung: "Ein Preis von achtzig Guineen (etwa 2100 Franken, einschließlich eines goldenen Siegelringes von zehn Guineen Werth) für den besten Aufsatz über den Einfluß, welchen die wallisischen Ueberlieferungen (traditions) auf die Litteratur von Frankreich, Deutschland und Skandinavien gehabt. Der Aufsatz kann in wallisischer, englischer, deutscher oder französischer Sprache verfaßt seyn; doch wird bei wallisischer oder deutscher Abfassung die Hinzufügung einer englischen oder französischen Uebersetzung erwartet. Der Aufsatz wird durch einen Sinnspruch bezeichnet, des Verfassers Name versiegelt beigeschlossen. Nur der zur gekrönten Schrift gehörige Name wird entsiegelt, und zwar in der öffentlichen Versammlung der Cymreigyddion-Gesellschaft im October 1840. Die Preisbewerber werden ersucht ihre Schriften bis zum ersten August dieses Jahres nach Bern an den dortigen Gesandten Sr. Maj. des Königs von Preußen, Hrn. Geheimerath Bunsen, gelangen zu lassen, welcher auf wiederholtes Ersuchen des Ausschusses das Richteramt übernommen hat. Sollte keine Preisschrift oder keine befriedigende eingehen, so wird der Preis bis October 1841 verlängert. Dem Verfasser der gekrönten Schrift bleibt das volle Eigenthums- und Verlagsrecht ausdrücklich vorbehalten." Indem wir alle Blätter, denen Volksdichtung und die Geschichte des menschlichen Geistes einen Werth hat, ergebenst um Verbreitung dieser Preisfrage ersuchen, geben wir uns gern der Hoffnung hin es werden die Forscher des Festlandes den Wünschen des Kymrivolkes Kymrisch-wallisische Preisfrage und Aufforderung an die Gelehrten des Festlandes. Aus England. Erlauben Sie mir, daß ich mich an Ihr verbreitetes Blatt wende, um die gelehrten Forscher des Festlandes auf eine vielfach anziehende und wichtige wissenschaftliche Aufgabe aufmerksam zu machen, die vielleicht, trotz einiger früheren Ankündigungen, dort nicht so allgemein bekannt geworden ist, wie sie es verdient. Während auf dem Festlande, durch die ruhmvolle Begründung und Ausbildung der germanisch-skandinavischen Philologie, der dunkeln Untersuchung über Ursprung und Verbreitung der Sagen der romantischen Dichtkunst neue Wege erschlossen sind, hat unter den Nachkommen Arthurs die davon untrennbare Frage von dem Antheile der Kymri-Bevölkerungen in Wales und in der Bretagne an jenem gemeinsamen Schatz eine neue und sehr allgemeine Anregung erhalten. Gleichzeitig mit der schönen, an Humboldt, Bopp und Grimm sich anschließenden Entdeckung des berühmtesten englischen Schriftstellers aus Kymristamme, des Doctor Prichard (Verfassers der auch ins Deutsche übertragenen Forschungen über Aegypten und des großen Werkes über die Menschenstämme, welches zuerst in Europa die Ergebnisse der Physiologie mit den sprachlichen und geschichtlichen Forschungen gründlich und fruchtbar vereinigt hat), von der Einheit des kymrisch-galischen und des indo-germanischen Stammes, haben die Untersuchungen des Gründers der neueren angelsächsischen Geschichtsforschung, Sharon Turners (in seinem Werk über die Aechtheit der Gedichte Taliesins' und der übrigen Dichter des sechsten Jahrhunderts), weitere Forschungen, und namentlich die des scharfsinnigen, noch anonymen Verfassers der Britannia (oder Schilderung Englands nach dem Abzug der römischen Legionen: 1ster Band, 1838. 4.) zur Folge gehabt. Erst in dem verflossenen Jahr hat eine durch Geburt und Schönheit ausgezeichnete Dame begonnen eine Reihe der wallisischen Kindermährchen (Mabinogion) aus dem Kreise der Arthursage mit einer anmuthig einfachen Uebersetzung und lehrreichen Erklärungen herausgegeben. Die Stammgenossen jenseits des Meeres werden ihrerseits bald in der Sammlung bretonischer Volkslieder des Grafen Villemarque eine erstaunenswerthe und in ihrer Art einzige, vielleicht mehr als tausendjährige Reihe noch jetzt lebender Erinnerungen des ausgewanderten Kymrivolkes zu Tage fördern – eine Sammlung, welche sogar auf die allgemeine und große Frage der Entstehung und Erhaltung von Volksdichtungen ein neues und überraschendes Licht werfen möchte. Endlich sind auch die herrlichen Gesangweisen des Kymrivolkes – nach welchen der Schäfer des Snowdon und der Bauer der reizenden Thäler des Usk und der Saverne noch jetzt, des Tags auf den Feldern und Abends in der Hütte, so wie an den jährlichen Nationalfesten der Barden und Kymrikundigen (Eisteddfod y Cymreigyddion) die Begeisterung des Augenblicks aushaucht – im verflossenen Herbst von Parry, auch einem Sohne Gwants, neu herausgegeben. In allen Theilen von Wales, ja neulich selbst in Liverpool, haben sich jene Vereine für die volksthümliche Poesie gebildet, die jährlich, oder nach längeren Zwischenräumen, ihre öffentlichen Versammlungen halten. Da ringen blinde, greise Harfner und jugendliche Harfnerinnen untereinander um die Palme des Spieles und des Gesanges; da erklingen unter dem Jubel des Volks jene Improvisationen, zu welchen der herausfordernde Harfner den an künstliche Formen der Dichtung gebundenen Sänger aufruft. Da auch werden künstlerischen und wissenschaftlichen Aufgaben Preise gestellt, und die Preise für die gelungene Lösung früherer in glänzender Versammlung vertheilt. Es ist hier der Herd, an welchem das heilige Feuer der alten bardischen Begeisterung, das selbst in den Jahrhunderten blutiger Verfolgung nicht erlosch, von Hohen und Niedrigen gepflegt und geschürt wird: ein, wenn gleich demüthiges und schwaches, doch einziges Nachbild der unsterblichen geistigen Kampfspiele von Hellas. Einer der thätigsten dieser Vereine, welcher auch die edle Herausgeberin der Mabinogion angehört, und welchem die liebenswürdige „Biene von Gwant“, Lady Hall, des Bardengesangs Gönnerin ihre unermüdliche Fürsorge zuwendet, ist der von Abergavenny in der Grafschaft Monmouth. Wir dürfen von ihm bald eine neue, kritisch gereinigte und für den europäischen Horizont bearbeitete Ausgabe der alten wallisischen Dichter erwarten, nach dem Muster der kürzlich erschienenen classischen Bearbeitung eines Kymri-Dichters des vierzehnten Jahrhunderts von dem Barden Tegid (Reverend John Jones): eine lehrreiche Sammlung von Urkunden und Nachrichten des Liber Landavensis, von dem gelehrten und bescheidenen Reverend Price von Crickhowel, wird, auf Kosten des Ausschusses jenes Vereins, bald vollständig gedruckt erscheinen. Dieser Verein von Abergavenny hatte bereits im Jahr 1836 als erste Preisaufgabe die Frage gestellt: „welches ist der Einfluß der Kymrisagen auf die Litteratur Europa's gewesen?“ Der Preis ward, im Herbst 1838, von unserm berühmten Geschichtsforsche Hallam einem aus Wales gebürtigen jungen Rechtsgelehrten in London, Hrn. Hardinge zuerkannt, dessen Aufsatz noch nicht veröffentlicht ist. Der Ausschuß wünscht nun eine Aufgabe zu stellen, welche geeignet wäre, die besondere Theilnahme der Gelehrten des Festlandes in Anspruch zu nehmen. So entstand die schon im verflossenen Jahr in einigen deutschen Blättern bekannt gemachte Preisfrage für das Cymreigyddionfest des nächsten Octobers. Wir wiederholen und vervollständigen hier diese Ankündigung: „Ein Preis von achtzig Guineen (etwa 2100 Franken, einschließlich eines goldenen Siegelringes von zehn Guineen Werth) für den besten Aufsatz über den Einfluß, welchen die wallisischen Ueberlieferungen (traditions) auf die Litteratur von Frankreich, Deutschland und Skandinavien gehabt. Der Aufsatz kann in wallisischer, englischer, deutscher oder französischer Sprache verfaßt seyn; doch wird bei wallisischer oder deutscher Abfassung die Hinzufügung einer englischen oder französischen Uebersetzung erwartet. Der Aufsatz wird durch einen Sinnspruch bezeichnet, des Verfassers Name versiegelt beigeschlossen. Nur der zur gekrönten Schrift gehörige Name wird entsiegelt, und zwar in der öffentlichen Versammlung der Cymreigyddion-Gesellschaft im October 1840. Die Preisbewerber werden ersucht ihre Schriften bis zum ersten August dieses Jahres nach Bern an den dortigen Gesandten Sr. Maj. des Königs von Preußen, Hrn. Geheimerath Bunsen, gelangen zu lassen, welcher auf wiederholtes Ersuchen des Ausschusses das Richteramt übernommen hat. Sollte keine Preisschrift oder keine befriedigende eingehen, so wird der Preis bis October 1841 verlängert. Dem Verfasser der gekrönten Schrift bleibt das volle Eigenthums- und Verlagsrecht ausdrücklich vorbehalten.“ Indem wir alle Blätter, denen Volksdichtung und die Geschichte des menschlichen Geistes einen Werth hat, ergebenst um Verbreitung dieser Preisfrage ersuchen, geben wir uns gern der Hoffnung hin es werden die Forscher des Festlandes den Wünschen des Kymrivolkes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0009" n="0657"/> </div> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Kymrisch</hi>-<hi rendition="#g">wallisische Preisfrage und Aufforderung an die Gelehrten des Festlandes</hi>.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline> <hi rendition="#b">Aus England.</hi> </dateline> <p> Erlauben Sie mir, daß ich mich an Ihr verbreitetes Blatt wende, um die gelehrten Forscher des Festlandes auf eine vielfach anziehende und wichtige wissenschaftliche Aufgabe aufmerksam zu machen, die vielleicht, trotz einiger früheren Ankündigungen, dort nicht so allgemein bekannt geworden ist, wie sie es verdient. 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Endlich sind auch die herrlichen Gesangweisen des Kymrivolkes – nach welchen der Schäfer des Snowdon und der Bauer der reizenden Thäler des Usk und der Saverne noch jetzt, des Tags auf den Feldern und Abends in der Hütte, so wie an den jährlichen Nationalfesten der Barden und Kymrikundigen (Eisteddfod y Cymreigyddion) die Begeisterung des Augenblicks aushaucht – im verflossenen Herbst von Parry, auch einem Sohne Gwants, neu herausgegeben. In allen Theilen von Wales, ja neulich selbst in Liverpool, haben sich jene Vereine für die volksthümliche Poesie gebildet, die jährlich, oder nach längeren Zwischenräumen, ihre öffentlichen Versammlungen halten. Da ringen blinde, greise Harfner und jugendliche Harfnerinnen untereinander um die Palme des Spieles und des Gesanges; da erklingen unter dem Jubel des Volks jene Improvisationen, zu welchen der herausfordernde Harfner den an künstliche Formen der Dichtung gebundenen Sänger aufruft. Da auch werden künstlerischen und wissenschaftlichen Aufgaben Preise gestellt, und die Preise für die gelungene Lösung früherer in glänzender Versammlung vertheilt. Es ist hier der Herd, an welchem das heilige Feuer der alten bardischen Begeisterung, das selbst in den Jahrhunderten blutiger Verfolgung nicht erlosch, von Hohen und Niedrigen gepflegt und geschürt wird: ein, wenn gleich demüthiges und schwaches, doch <hi rendition="#g">einziges</hi> Nachbild der unsterblichen geistigen Kampfspiele von Hellas. Einer der thätigsten dieser Vereine, welcher auch die edle Herausgeberin der Mabinogion angehört, und welchem die liebenswürdige „<hi rendition="#g">Biene von Gwant</hi>“, Lady Hall, des Bardengesangs Gönnerin ihre unermüdliche Fürsorge zuwendet, ist der von <hi rendition="#g">Abergavenny</hi> in der Grafschaft Monmouth. 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Der Ausschuß wünscht nun eine Aufgabe zu stellen, welche geeignet wäre, die besondere Theilnahme der Gelehrten des Festlandes in Anspruch zu nehmen. So entstand die schon im verflossenen Jahr in einigen deutschen Blättern bekannt gemachte Preisfrage für das Cymreigyddionfest des nächsten Octobers. Wir wiederholen und vervollständigen hier diese Ankündigung: „Ein Preis von achtzig Guineen (etwa 2100 Franken, einschließlich eines goldenen Siegelringes von zehn Guineen Werth) für den besten Aufsatz <hi rendition="#g">über den Einfluß</hi>, <hi rendition="#g">welchen die wallisischen Ueberlieferungen</hi> (traditions) <hi rendition="#g">auf die Litteratur von Frankreich</hi>, <hi rendition="#g">Deutschland und Skandinavien gehabt</hi>. Der Aufsatz kann in wallisischer, englischer, deutscher oder französischer Sprache verfaßt seyn; doch wird bei wallisischer oder deutscher Abfassung die Hinzufügung einer englischen oder französischen Uebersetzung erwartet. Der Aufsatz wird durch einen Sinnspruch bezeichnet, des Verfassers Name versiegelt beigeschlossen. Nur der zur gekrönten Schrift gehörige Name wird entsiegelt, und zwar in der öffentlichen Versammlung der Cymreigyddion-Gesellschaft im October 1840. Die Preisbewerber werden ersucht ihre Schriften bis zum <hi rendition="#g">ersten August dieses Jahres</hi> nach Bern an den dortigen Gesandten Sr. Maj. des Königs von Preußen, Hrn. Geheimerath <hi rendition="#g">Bunsen</hi>, gelangen zu lassen, welcher auf wiederholtes Ersuchen des Ausschusses das Richteramt übernommen hat. Sollte keine Preisschrift oder keine befriedigende eingehen, so wird der Preis bis October 1841 verlängert. Dem Verfasser der gekrönten Schrift bleibt das volle Eigenthums- und Verlagsrecht ausdrücklich vorbehalten.“ Indem wir alle Blätter, denen Volksdichtung und die Geschichte des menschlichen Geistes einen Werth hat, ergebenst um Verbreitung dieser Preisfrage ersuchen, geben wir uns gern der Hoffnung hin es werden die Forscher des Festlandes den Wünschen des Kymrivolkes<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0657/0009]
Kymrisch-wallisische Preisfrage und Aufforderung an die Gelehrten des Festlandes.
_ Aus England. Erlauben Sie mir, daß ich mich an Ihr verbreitetes Blatt wende, um die gelehrten Forscher des Festlandes auf eine vielfach anziehende und wichtige wissenschaftliche Aufgabe aufmerksam zu machen, die vielleicht, trotz einiger früheren Ankündigungen, dort nicht so allgemein bekannt geworden ist, wie sie es verdient. Während auf dem Festlande, durch die ruhmvolle Begründung und Ausbildung der germanisch-skandinavischen Philologie, der dunkeln Untersuchung über Ursprung und Verbreitung der Sagen der romantischen Dichtkunst neue Wege erschlossen sind, hat unter den Nachkommen Arthurs die davon untrennbare Frage von dem Antheile der Kymri-Bevölkerungen in Wales und in der Bretagne an jenem gemeinsamen Schatz eine neue und sehr allgemeine Anregung erhalten. Gleichzeitig mit der schönen, an Humboldt, Bopp und Grimm sich anschließenden Entdeckung des berühmtesten englischen Schriftstellers aus Kymristamme, des Doctor Prichard (Verfassers der auch ins Deutsche übertragenen Forschungen über Aegypten und des großen Werkes über die Menschenstämme, welches zuerst in Europa die Ergebnisse der Physiologie mit den sprachlichen und geschichtlichen Forschungen gründlich und fruchtbar vereinigt hat), von der Einheit des kymrisch-galischen und des indo-germanischen Stammes, haben die Untersuchungen des Gründers der neueren angelsächsischen Geschichtsforschung, Sharon Turners (in seinem Werk über die Aechtheit der Gedichte Taliesins' und der übrigen Dichter des sechsten Jahrhunderts), weitere Forschungen, und namentlich die des scharfsinnigen, noch anonymen Verfassers der Britannia (oder Schilderung Englands nach dem Abzug der römischen Legionen: 1ster Band, 1838. 4.) zur Folge gehabt. Erst in dem verflossenen Jahr hat eine durch Geburt und Schönheit ausgezeichnete Dame begonnen eine Reihe der wallisischen Kindermährchen (Mabinogion) aus dem Kreise der Arthursage mit einer anmuthig einfachen Uebersetzung und lehrreichen Erklärungen herausgegeben. Die Stammgenossen jenseits des Meeres werden ihrerseits bald in der Sammlung bretonischer Volkslieder des Grafen Villemarque eine erstaunenswerthe und in ihrer Art einzige, vielleicht mehr als tausendjährige Reihe noch jetzt lebender Erinnerungen des ausgewanderten Kymrivolkes zu Tage fördern – eine Sammlung, welche sogar auf die allgemeine und große Frage der Entstehung und Erhaltung von Volksdichtungen ein neues und überraschendes Licht werfen möchte. Endlich sind auch die herrlichen Gesangweisen des Kymrivolkes – nach welchen der Schäfer des Snowdon und der Bauer der reizenden Thäler des Usk und der Saverne noch jetzt, des Tags auf den Feldern und Abends in der Hütte, so wie an den jährlichen Nationalfesten der Barden und Kymrikundigen (Eisteddfod y Cymreigyddion) die Begeisterung des Augenblicks aushaucht – im verflossenen Herbst von Parry, auch einem Sohne Gwants, neu herausgegeben. In allen Theilen von Wales, ja neulich selbst in Liverpool, haben sich jene Vereine für die volksthümliche Poesie gebildet, die jährlich, oder nach längeren Zwischenräumen, ihre öffentlichen Versammlungen halten. Da ringen blinde, greise Harfner und jugendliche Harfnerinnen untereinander um die Palme des Spieles und des Gesanges; da erklingen unter dem Jubel des Volks jene Improvisationen, zu welchen der herausfordernde Harfner den an künstliche Formen der Dichtung gebundenen Sänger aufruft. Da auch werden künstlerischen und wissenschaftlichen Aufgaben Preise gestellt, und die Preise für die gelungene Lösung früherer in glänzender Versammlung vertheilt. Es ist hier der Herd, an welchem das heilige Feuer der alten bardischen Begeisterung, das selbst in den Jahrhunderten blutiger Verfolgung nicht erlosch, von Hohen und Niedrigen gepflegt und geschürt wird: ein, wenn gleich demüthiges und schwaches, doch einziges Nachbild der unsterblichen geistigen Kampfspiele von Hellas. Einer der thätigsten dieser Vereine, welcher auch die edle Herausgeberin der Mabinogion angehört, und welchem die liebenswürdige „Biene von Gwant“, Lady Hall, des Bardengesangs Gönnerin ihre unermüdliche Fürsorge zuwendet, ist der von Abergavenny in der Grafschaft Monmouth. Wir dürfen von ihm bald eine neue, kritisch gereinigte und für den europäischen Horizont bearbeitete Ausgabe der alten wallisischen Dichter erwarten, nach dem Muster der kürzlich erschienenen classischen Bearbeitung eines Kymri-Dichters des vierzehnten Jahrhunderts von dem Barden Tegid (Reverend John Jones): eine lehrreiche Sammlung von Urkunden und Nachrichten des Liber Landavensis, von dem gelehrten und bescheidenen Reverend Price von Crickhowel, wird, auf Kosten des Ausschusses jenes Vereins, bald vollständig gedruckt erscheinen. Dieser Verein von Abergavenny hatte bereits im Jahr 1836 als erste Preisaufgabe die Frage gestellt: „welches ist der Einfluß der Kymrisagen auf die Litteratur Europa's gewesen?“ Der Preis ward, im Herbst 1838, von unserm berühmten Geschichtsforsche Hallam einem aus Wales gebürtigen jungen Rechtsgelehrten in London, Hrn. Hardinge zuerkannt, dessen Aufsatz noch nicht veröffentlicht ist. Der Ausschuß wünscht nun eine Aufgabe zu stellen, welche geeignet wäre, die besondere Theilnahme der Gelehrten des Festlandes in Anspruch zu nehmen. So entstand die schon im verflossenen Jahr in einigen deutschen Blättern bekannt gemachte Preisfrage für das Cymreigyddionfest des nächsten Octobers. Wir wiederholen und vervollständigen hier diese Ankündigung: „Ein Preis von achtzig Guineen (etwa 2100 Franken, einschließlich eines goldenen Siegelringes von zehn Guineen Werth) für den besten Aufsatz über den Einfluß, welchen die wallisischen Ueberlieferungen (traditions) auf die Litteratur von Frankreich, Deutschland und Skandinavien gehabt. Der Aufsatz kann in wallisischer, englischer, deutscher oder französischer Sprache verfaßt seyn; doch wird bei wallisischer oder deutscher Abfassung die Hinzufügung einer englischen oder französischen Uebersetzung erwartet. Der Aufsatz wird durch einen Sinnspruch bezeichnet, des Verfassers Name versiegelt beigeschlossen. Nur der zur gekrönten Schrift gehörige Name wird entsiegelt, und zwar in der öffentlichen Versammlung der Cymreigyddion-Gesellschaft im October 1840. Die Preisbewerber werden ersucht ihre Schriften bis zum ersten August dieses Jahres nach Bern an den dortigen Gesandten Sr. Maj. des Königs von Preußen, Hrn. Geheimerath Bunsen, gelangen zu lassen, welcher auf wiederholtes Ersuchen des Ausschusses das Richteramt übernommen hat. Sollte keine Preisschrift oder keine befriedigende eingehen, so wird der Preis bis October 1841 verlängert. Dem Verfasser der gekrönten Schrift bleibt das volle Eigenthums- und Verlagsrecht ausdrücklich vorbehalten.“ Indem wir alle Blätter, denen Volksdichtung und die Geschichte des menschlichen Geistes einen Werth hat, ergebenst um Verbreitung dieser Preisfrage ersuchen, geben wir uns gern der Hoffnung hin es werden die Forscher des Festlandes den Wünschen des Kymrivolkes
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