Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 84. Augsburg, 24. März 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Stimmen mit den dreiundfünfzig Comitaten; die gegenwärtige Basis der Gesetzgebung soll factisch geändert werden, dem ungarischen Element das deutsche das Gleichgewicht halten. Dieß ist eigentlich die Frage, um die es sich handelt, es ist die Frage: soll unsere Gesetzgebung eine ungarische bleiben, oder eine fremde werden - denn fremd dem ungarischen Stamme bleibt die große Mehrheit der königl. Freistädte, mögen sie nun, wie es bis jetzt alle Geschichtschreiber lehrten, von deutschen Colonien abstammen, oder ihren Ursprung zu den römischen Municipalitäten hinaufführen, wie es der erwähnte Preßburger Correspondent thut, der, wie es scheint, vergaß, daß Ungarn jene Heerstraße ist, auf der die Völker des Orients verheerend hereinbrachen gegen den Occident, und daß jener Attila hier herrschte, von dem die Sage erzählt, daß vor seinem Schwerte die Städte zerstäubten und unter dem Hufschlag seines Rosses das Gras verdorrte.

Starr und schroff stehen sich in Ungarn Bürgerthum und Adel entgegen; ein halbes Jahrtausend friedlichen Beisammenlebens und hundert gemeinsam durchkämpfte Schlachten, in denen sich das Blut beider zu Strömen vereinigte, konnten diese zwei Stände nicht mit einander verschmelzen, denn das Gesetz hob sich als Scheidewand zwischen ihnen empor. Nicht gleiches Recht gebietet über das freie Grundeigenthum des Bürgers und über jenes des Adels, das die Feudalfesseln nur selten abstreifen kann; nicht derselbe Richter urtheilt über beide: gesonderte Gerichtsformen gelten für jeden dieser Stände. Frei wählt endlich der Adel seine Magistrate, seine Deputirten; in freier Versammlung berathet er über die Angelegenheiten seines Comitats, während in den Städten die durch Selbstwahl sich ergänzenden, aus wenigen Mitgliedern bestehenden Gemeinden und die aus ihnen entspringenden Magistrate ein kümmerliches politisches Leben, abhängig von der königl. Hofkammer, leben. Wenn diese zwei Stände nicht die gleiche Liebe zum Vaterland vereinigte, so hätten sie nichts, was gemeinsam wäre für beide.

So lange dieser Zustand dauert - und er wird nicht eher aufhören, als bis diese Abhängigkeit von der Hofkammer aufhört, die innere Organisation der Städte mit ihrer Selbstwahl der Gemeindeglieder und Magistrate auf eine breitere Grundlage gestellt wird, bis jeder Bürger mit in das allgemeine Interesse gezogen wird - kann das gegenwärtige Verhältniß der Ständetafel nicht geändert werden. Dieß fühlt aber auch die Mehrheit der Wortführer der Städte wohl, und sie drängen mit ihrem angeblich historischen Recht hauptsächlich, um den Landtag zu nöthigen, die nöthigen Schritte zu ihrer Reform zu thun, und nach und nach Alles zu entfernen, was diese zwei Stände von einander trennt. Der Adel aber fühlt es auch, daß wenn die Freiheit sich unter zwölf Millionen Menschen nur auf ungefähr fünfmalhunderttausend erstreckt, sie nur ein schwaches Privilegium sey. Doch der obenerwähnte Correspondent, wie es scheint selbst ein Städtedeputirter, dessen warmen Patriotismus ich jedenfalls verehre, fühlt ja dieß selbst am besten, daher stellte er auch die Frage ganz auf das Feld des historischen Rechts, wohin ihm freilich das Publicum der Allg. Zeitung nicht folgen konnte; er suchte in der erwähnten Rede historische Unrichtigkeiten nachzuweisen, und wollte beweisen, die Städte wären in ihrem historischen Rechte verletzt. Jedenfalls war dieß sehr klug vor einem Publicum, das, der Geschichte Ungarns weniger kundig, durch Jahreszahlen und Citate leicht zu blenden ist, denn im Sitzungssaale zu Preßburg, oder in einem ungarischen Journal, vor einem ungarischen Publicum, wird es freilich Niemand wagen, die Heyduckenstädte, die Jazygen und Kumanen den königlichen Freistädten beizuzählen, oder der Geschichte zum Hohn zu behaupten, die Landtage, wo der Adel persönlich erschien, seyen stets vom bewaffneten Heere, das im Begriff war, dem Feind entgegen zu gehen, gehalten worden - eine Ansicht, eben so kühn als unwahr, deren beste Widerlegung das Corpus juris selbst ist, oder Kowachichs vestigia Comitiorum, oder jeder ungarische Geschichtschreiber. - Ebenso unstatthaft ist es, was dieser Correspondent hinsichtlich der Trennung der Tafeln erinnert; er möge nur selbst nicht vergessen, daß erst viel später die Sessiones mixtae seltener wurden; oder glaubt er vielleicht, die Palatinswahlen, die er selbst erwähnt, bei denen die Städte mitstimmten, seyen getrennt in zwei Sälen bei den Tafeln vorgenommen worden? Die Anführung des Gesetzes 36: 1542 ist ein neuer Beweis der Unzuverlässigkeit des Correspondenten, da nicht dieß Gesetz, wohl aber jenes 64: 1550 in Folge getrennter Repräsentation gebracht wurde, was aber noch immer die gemeinsame Berathung nicht ausschließt. Noch sonderbarer ist es, was ihm der Artikel 3 des VII. Decrets von Uladislaus, der von den Krongütern und Kroneinkünften spricht, zu einem Gesetz über die Freiheit der Städte umstempeln zu wollen.

Wichtiger und die Stellung der Städte in ein helleres Licht setzend, sind die Beispiele, die der oft erwähnte Correspondent über das einzelne Abstimmen der Städte anführt. Freilich waren es die Städte, die 1715 zu dem Gesetz über das Majestätsverbrechen, 1723 zur Annahme der pragmatischen Sanction mitwirkten, und der Correspondent hätte noch mehrere Fälle erwähnen können, die nämlich, wo das ungarische Element in staatsrechtlichen Fragen zu fürchten war, wo der Regierung die Städte als Repräsentanten des dämpfenden deutschen Elementes wichtig wurden, und sie wohl wußte, daß der Adel dem demokratischen Geist der Städte in der Civilgesetzgebung keinen Einfluß geben werde.

Dieß als Entgegnung auf den angeführten Correspondenzartikel. - Damit aber der Correspondent über meine eigene Ansicht der Frage ganz im Klaren sey, so erkläre ich ihm hiemit offen, daß ich es für die edelste Aufgabe halte, stets für die Ausdehnung der politischen und Privatrechte des Bürgers, für die Erschaffung und Hebung eines kräftigen Bürgerthums, und für die Abstellung der zahlreichen Mißbräuche bei der Administration der Städte in Ungarn mit Wort und Schrift zu wirken, daß ich aber den Städten, wenn sie ihre angeblichen historischen Rechte, ohne die Reform ihrer Municipalitäten, verlangen, entgegen zu arbeiten stets bemüht seyn werde.

Schließlich bitte ich noch den oft erwähnten Correspondenten, meine Worte in Zukunft treuer zu citiren; ich sagte, als ich von der Vergangenheit der Städte sprach: "demokratischen Grundsätzen huldigend, widerstrebten sie den Ansichten eines aristokratischen Landes," so übersetzte es auch der Correspondent vom 17 Nov., mit dem mich mein Gegner sonderbarer Weise in seiner Entgegnung für identisch hält, er aber citirte, widerstreben sie u. s. w., und knüpft daran ein Raisonnement an, das schon darum zusammenfällt, weil ich nicht der Correspondent vom 17 Nov. bin, wie dieß die Redaction der Allgemeinen Zeitung leicht bezeugen kann, die ich zu gleicher Zeit bitte, in ihrem Blatte, das den Angriff gegen mich enthielt, auch der Entgegnung bald einen Platz zu gönnen.

F. Pulszky, Deputirter.
Serbien.

Die allgemeine Unruhe und Besorgniß in Belgrad und Serbien überhaupt hat durch eine eben entdeckte geheime Correspondenz, die nichts Geringeres als die Rückberufung und Wiedereinsetzung

Stimmen mit den dreiundfünfzig Comitaten; die gegenwärtige Basis der Gesetzgebung soll factisch geändert werden, dem ungarischen Element das deutsche das Gleichgewicht halten. Dieß ist eigentlich die Frage, um die es sich handelt, es ist die Frage: soll unsere Gesetzgebung eine ungarische bleiben, oder eine fremde werden – denn fremd dem ungarischen Stamme bleibt die große Mehrheit der königl. Freistädte, mögen sie nun, wie es bis jetzt alle Geschichtschreiber lehrten, von deutschen Colonien abstammen, oder ihren Ursprung zu den römischen Municipalitäten hinaufführen, wie es der erwähnte Preßburger Correspondent thut, der, wie es scheint, vergaß, daß Ungarn jene Heerstraße ist, auf der die Völker des Orients verheerend hereinbrachen gegen den Occident, und daß jener Attila hier herrschte, von dem die Sage erzählt, daß vor seinem Schwerte die Städte zerstäubten und unter dem Hufschlag seines Rosses das Gras verdorrte.

Starr und schroff stehen sich in Ungarn Bürgerthum und Adel entgegen; ein halbes Jahrtausend friedlichen Beisammenlebens und hundert gemeinsam durchkämpfte Schlachten, in denen sich das Blut beider zu Strömen vereinigte, konnten diese zwei Stände nicht mit einander verschmelzen, denn das Gesetz hob sich als Scheidewand zwischen ihnen empor. Nicht gleiches Recht gebietet über das freie Grundeigenthum des Bürgers und über jenes des Adels, das die Feudalfesseln nur selten abstreifen kann; nicht derselbe Richter urtheilt über beide: gesonderte Gerichtsformen gelten für jeden dieser Stände. Frei wählt endlich der Adel seine Magistrate, seine Deputirten; in freier Versammlung berathet er über die Angelegenheiten seines Comitats, während in den Städten die durch Selbstwahl sich ergänzenden, aus wenigen Mitgliedern bestehenden Gemeinden und die aus ihnen entspringenden Magistrate ein kümmerliches politisches Leben, abhängig von der königl. Hofkammer, leben. Wenn diese zwei Stände nicht die gleiche Liebe zum Vaterland vereinigte, so hätten sie nichts, was gemeinsam wäre für beide.

So lange dieser Zustand dauert – und er wird nicht eher aufhören, als bis diese Abhängigkeit von der Hofkammer aufhört, die innere Organisation der Städte mit ihrer Selbstwahl der Gemeindeglieder und Magistrate auf eine breitere Grundlage gestellt wird, bis jeder Bürger mit in das allgemeine Interesse gezogen wird – kann das gegenwärtige Verhältniß der Ständetafel nicht geändert werden. Dieß fühlt aber auch die Mehrheit der Wortführer der Städte wohl, und sie drängen mit ihrem angeblich historischen Recht hauptsächlich, um den Landtag zu nöthigen, die nöthigen Schritte zu ihrer Reform zu thun, und nach und nach Alles zu entfernen, was diese zwei Stände von einander trennt. Der Adel aber fühlt es auch, daß wenn die Freiheit sich unter zwölf Millionen Menschen nur auf ungefähr fünfmalhunderttausend erstreckt, sie nur ein schwaches Privilegium sey. Doch der obenerwähnte Correspondent, wie es scheint selbst ein Städtedeputirter, dessen warmen Patriotismus ich jedenfalls verehre, fühlt ja dieß selbst am besten, daher stellte er auch die Frage ganz auf das Feld des historischen Rechts, wohin ihm freilich das Publicum der Allg. Zeitung nicht folgen konnte; er suchte in der erwähnten Rede historische Unrichtigkeiten nachzuweisen, und wollte beweisen, die Städte wären in ihrem historischen Rechte verletzt. Jedenfalls war dieß sehr klug vor einem Publicum, das, der Geschichte Ungarns weniger kundig, durch Jahreszahlen und Citate leicht zu blenden ist, denn im Sitzungssaale zu Preßburg, oder in einem ungarischen Journal, vor einem ungarischen Publicum, wird es freilich Niemand wagen, die Heyduckenstädte, die Jazygen und Kumanen den königlichen Freistädten beizuzählen, oder der Geschichte zum Hohn zu behaupten, die Landtage, wo der Adel persönlich erschien, seyen stets vom bewaffneten Heere, das im Begriff war, dem Feind entgegen zu gehen, gehalten worden – eine Ansicht, eben so kühn als unwahr, deren beste Widerlegung das Corpus juris selbst ist, oder Kowachichs vestigia Comitiorum, oder jeder ungarische Geschichtschreiber. – Ebenso unstatthaft ist es, was dieser Correspondent hinsichtlich der Trennung der Tafeln erinnert; er möge nur selbst nicht vergessen, daß erst viel später die Sessiones mixtae seltener wurden; oder glaubt er vielleicht, die Palatinswahlen, die er selbst erwähnt, bei denen die Städte mitstimmten, seyen getrennt in zwei Sälen bei den Tafeln vorgenommen worden? Die Anführung des Gesetzes 36: 1542 ist ein neuer Beweis der Unzuverlässigkeit des Correspondenten, da nicht dieß Gesetz, wohl aber jenes 64: 1550 in Folge getrennter Repräsentation gebracht wurde, was aber noch immer die gemeinsame Berathung nicht ausschließt. Noch sonderbarer ist es, was ihm der Artikel 3 des VII. Decrets von Uladislaus, der von den Krongütern und Kroneinkünften spricht, zu einem Gesetz über die Freiheit der Städte umstempeln zu wollen.

Wichtiger und die Stellung der Städte in ein helleres Licht setzend, sind die Beispiele, die der oft erwähnte Correspondent über das einzelne Abstimmen der Städte anführt. Freilich waren es die Städte, die 1715 zu dem Gesetz über das Majestätsverbrechen, 1723 zur Annahme der pragmatischen Sanction mitwirkten, und der Correspondent hätte noch mehrere Fälle erwähnen können, die nämlich, wo das ungarische Element in staatsrechtlichen Fragen zu fürchten war, wo der Regierung die Städte als Repräsentanten des dämpfenden deutschen Elementes wichtig wurden, und sie wohl wußte, daß der Adel dem demokratischen Geist der Städte in der Civilgesetzgebung keinen Einfluß geben werde.

Dieß als Entgegnung auf den angeführten Correspondenzartikel. – Damit aber der Correspondent über meine eigene Ansicht der Frage ganz im Klaren sey, so erkläre ich ihm hiemit offen, daß ich es für die edelste Aufgabe halte, stets für die Ausdehnung der politischen und Privatrechte des Bürgers, für die Erschaffung und Hebung eines kräftigen Bürgerthums, und für die Abstellung der zahlreichen Mißbräuche bei der Administration der Städte in Ungarn mit Wort und Schrift zu wirken, daß ich aber den Städten, wenn sie ihre angeblichen historischen Rechte, ohne die Reform ihrer Municipalitäten, verlangen, entgegen zu arbeiten stets bemüht seyn werde.

Schließlich bitte ich noch den oft erwähnten Correspondenten, meine Worte in Zukunft treuer zu citiren; ich sagte, als ich von der Vergangenheit der Städte sprach: „demokratischen Grundsätzen huldigend, widerstrebten sie den Ansichten eines aristokratischen Landes,“ so übersetzte es auch der Correspondent vom 17 Nov., mit dem mich mein Gegner sonderbarer Weise in seiner Entgegnung für identisch hält, er aber citirte, widerstreben sie u. s. w., und knüpft daran ein Raisonnement an, das schon darum zusammenfällt, weil ich nicht der Correspondent vom 17 Nov. bin, wie dieß die Redaction der Allgemeinen Zeitung leicht bezeugen kann, die ich zu gleicher Zeit bitte, in ihrem Blatte, das den Angriff gegen mich enthielt, auch der Entgegnung bald einen Platz zu gönnen.

F. Pulszky, Deputirter.
Serbien.

Die allgemeine Unruhe und Besorgniß in Belgrad und Serbien überhaupt hat durch eine eben entdeckte geheime Correspondenz, die nichts Geringeres als die Rückberufung und Wiedereinsetzung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0010" n="0666"/>
Stimmen mit den dreiundfünfzig Comitaten; die gegenwärtige Basis der Gesetzgebung soll factisch geändert werden, dem ungarischen Element das deutsche das Gleichgewicht halten. Dieß ist eigentlich die Frage, um die es sich handelt, es ist die Frage: soll unsere Gesetzgebung eine ungarische bleiben, oder eine fremde werden &#x2013; denn fremd dem ungarischen Stamme bleibt die große Mehrheit der königl. Freistädte, mögen sie nun, wie es bis jetzt alle Geschichtschreiber lehrten, von deutschen Colonien abstammen, oder ihren Ursprung zu den römischen Municipalitäten hinaufführen, wie es der erwähnte Preßburger Correspondent thut, der, wie es scheint, vergaß, daß Ungarn jene Heerstraße ist, auf der die Völker des Orients verheerend hereinbrachen gegen den Occident, und daß jener Attila hier herrschte, von dem die Sage erzählt, daß vor seinem Schwerte die Städte zerstäubten und unter dem Hufschlag seines Rosses das Gras verdorrte.</p><lb/>
          <p>Starr und schroff stehen sich in Ungarn Bürgerthum und Adel entgegen; ein halbes Jahrtausend friedlichen Beisammenlebens und hundert gemeinsam durchkämpfte Schlachten, in denen sich das Blut beider zu Strömen vereinigte, konnten diese zwei Stände nicht mit einander verschmelzen, denn das Gesetz hob sich als Scheidewand zwischen ihnen empor. Nicht gleiches Recht gebietet über das freie Grundeigenthum des Bürgers und über jenes des Adels, das die Feudalfesseln nur selten abstreifen kann; nicht derselbe Richter urtheilt über beide: gesonderte Gerichtsformen gelten für jeden dieser Stände. Frei wählt endlich der Adel seine Magistrate, seine Deputirten; in freier Versammlung berathet er über die Angelegenheiten seines Comitats, während in den Städten die durch Selbstwahl sich ergänzenden, aus wenigen Mitgliedern bestehenden Gemeinden und die aus ihnen entspringenden Magistrate ein kümmerliches politisches Leben, abhängig von der königl. Hofkammer, leben. Wenn diese zwei Stände nicht die gleiche Liebe zum Vaterland vereinigte, so hätten sie nichts, was gemeinsam wäre für beide.</p><lb/>
          <p>So lange dieser Zustand dauert &#x2013; und er wird nicht eher aufhören, als bis diese Abhängigkeit von der Hofkammer aufhört, die innere Organisation der Städte mit ihrer Selbstwahl der Gemeindeglieder und Magistrate auf eine breitere Grundlage gestellt wird, bis jeder Bürger mit in das allgemeine Interesse gezogen wird &#x2013; kann das gegenwärtige Verhältniß der Ständetafel nicht geändert werden. Dieß fühlt aber auch die Mehrheit der Wortführer der Städte wohl, und sie drängen mit ihrem angeblich historischen Recht hauptsächlich, um den Landtag zu nöthigen, die nöthigen Schritte zu ihrer Reform zu thun, und nach und nach Alles zu entfernen, was diese zwei Stände von einander trennt. Der Adel aber fühlt es auch, daß wenn die Freiheit sich unter zwölf Millionen Menschen nur auf ungefähr fünfmalhunderttausend erstreckt, sie nur ein schwaches Privilegium sey. Doch der obenerwähnte Correspondent, wie es scheint selbst ein Städtedeputirter, dessen warmen Patriotismus ich jedenfalls verehre, fühlt ja dieß selbst am besten, daher stellte er auch die Frage ganz auf das Feld des historischen Rechts, wohin ihm freilich das Publicum der Allg. Zeitung nicht folgen konnte; er suchte in der erwähnten Rede historische Unrichtigkeiten nachzuweisen, und wollte beweisen, die Städte wären in ihrem historischen Rechte verletzt. Jedenfalls war dieß sehr klug vor einem Publicum, das, der Geschichte Ungarns weniger kundig, durch Jahreszahlen und Citate leicht zu blenden ist, denn im Sitzungssaale zu Preßburg, oder in einem ungarischen Journal, vor einem ungarischen Publicum, wird es freilich Niemand wagen, die Heyduckenstädte, die Jazygen und Kumanen den königlichen Freistädten beizuzählen, oder der Geschichte zum Hohn zu behaupten, die Landtage, wo der Adel persönlich erschien, seyen stets vom bewaffneten Heere, das im Begriff war, dem Feind entgegen zu gehen, gehalten worden &#x2013; eine Ansicht, eben so kühn als unwahr, deren beste Widerlegung das Corpus juris selbst ist, oder Kowachichs vestigia Comitiorum, oder jeder ungarische Geschichtschreiber. &#x2013; Ebenso unstatthaft ist es, was dieser Correspondent hinsichtlich der Trennung der Tafeln erinnert; er möge nur selbst nicht vergessen, daß erst viel später die Sessiones mixtae seltener wurden; oder glaubt er vielleicht, die Palatinswahlen, die er selbst erwähnt, bei denen die Städte mitstimmten, seyen getrennt in zwei Sälen bei den Tafeln vorgenommen worden? Die Anführung des Gesetzes 36: 1542 ist ein neuer Beweis der Unzuverlässigkeit des Correspondenten, da nicht dieß Gesetz, wohl aber jenes 64: 1550 in Folge getrennter Repräsentation gebracht wurde, was aber noch immer die gemeinsame Berathung nicht ausschließt. Noch sonderbarer ist es, was ihm der Artikel 3 des VII. Decrets von Uladislaus, der von den Krongütern und Kroneinkünften spricht, zu einem Gesetz über die Freiheit der Städte umstempeln zu wollen.</p><lb/>
          <p>Wichtiger und die Stellung der Städte in ein helleres Licht setzend, sind die Beispiele, die der oft erwähnte Correspondent über das einzelne Abstimmen der Städte anführt. Freilich waren es die Städte, die 1715 zu dem Gesetz über das Majestätsverbrechen, 1723 zur Annahme der pragmatischen Sanction mitwirkten, und der Correspondent hätte noch mehrere Fälle erwähnen können, die nämlich, wo das ungarische Element in staatsrechtlichen Fragen zu fürchten war, wo der Regierung die Städte als Repräsentanten des dämpfenden deutschen Elementes wichtig wurden, und sie wohl wußte, daß der Adel dem demokratischen Geist der Städte in der Civilgesetzgebung keinen Einfluß geben werde.</p><lb/>
          <p>Dieß als Entgegnung auf den angeführten Correspondenzartikel. &#x2013; Damit aber der Correspondent über meine eigene Ansicht der Frage ganz im Klaren sey, so erkläre ich ihm hiemit offen, daß ich es für die edelste Aufgabe halte, stets für die Ausdehnung der politischen und Privatrechte des Bürgers, für die Erschaffung und Hebung eines kräftigen Bürgerthums, und für die Abstellung der zahlreichen Mißbräuche bei der Administration der Städte in Ungarn mit Wort und Schrift zu wirken, daß ich aber den Städten, wenn sie ihre angeblichen historischen Rechte, <hi rendition="#g">ohne die Reform ihrer Municipalitäten</hi>, verlangen, entgegen zu arbeiten stets bemüht seyn werde.</p><lb/>
          <p>Schließlich bitte ich noch den oft erwähnten Correspondenten, meine Worte in Zukunft treuer zu citiren; ich sagte, als ich von der Vergangenheit der Städte sprach: &#x201E;demokratischen Grundsätzen huldigend, <hi rendition="#g">widerstrebten</hi> sie den Ansichten eines aristokratischen Landes,&#x201C; so übersetzte es auch der Correspondent vom 17 Nov., mit dem mich mein Gegner sonderbarer Weise in seiner Entgegnung für identisch hält, er aber citirte, <hi rendition="#g">widerstreben</hi> sie u. s. w., und knüpft daran ein Raisonnement an, das schon darum zusammenfällt, weil ich nicht der Correspondent vom 17 Nov. bin, wie dieß die Redaction der Allgemeinen Zeitung leicht bezeugen kann, die ich zu gleicher Zeit bitte, in ihrem Blatte, das den Angriff gegen mich enthielt, auch der Entgegnung bald einen Platz zu gönnen.</p><lb/>
          <closer>
            <signed>F. <hi rendition="#g">Pulszky</hi>, Deputirter.</signed>
          </closer><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Serbien.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Von der türkischen Gränze,</hi> 10 März.</dateline>
          <p> Die allgemeine Unruhe und Besorgniß in Belgrad und Serbien überhaupt hat durch eine eben entdeckte geheime Correspondenz, die nichts Geringeres als die Rückberufung und Wiedereinsetzung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0666/0010] Stimmen mit den dreiundfünfzig Comitaten; die gegenwärtige Basis der Gesetzgebung soll factisch geändert werden, dem ungarischen Element das deutsche das Gleichgewicht halten. Dieß ist eigentlich die Frage, um die es sich handelt, es ist die Frage: soll unsere Gesetzgebung eine ungarische bleiben, oder eine fremde werden – denn fremd dem ungarischen Stamme bleibt die große Mehrheit der königl. Freistädte, mögen sie nun, wie es bis jetzt alle Geschichtschreiber lehrten, von deutschen Colonien abstammen, oder ihren Ursprung zu den römischen Municipalitäten hinaufführen, wie es der erwähnte Preßburger Correspondent thut, der, wie es scheint, vergaß, daß Ungarn jene Heerstraße ist, auf der die Völker des Orients verheerend hereinbrachen gegen den Occident, und daß jener Attila hier herrschte, von dem die Sage erzählt, daß vor seinem Schwerte die Städte zerstäubten und unter dem Hufschlag seines Rosses das Gras verdorrte. Starr und schroff stehen sich in Ungarn Bürgerthum und Adel entgegen; ein halbes Jahrtausend friedlichen Beisammenlebens und hundert gemeinsam durchkämpfte Schlachten, in denen sich das Blut beider zu Strömen vereinigte, konnten diese zwei Stände nicht mit einander verschmelzen, denn das Gesetz hob sich als Scheidewand zwischen ihnen empor. Nicht gleiches Recht gebietet über das freie Grundeigenthum des Bürgers und über jenes des Adels, das die Feudalfesseln nur selten abstreifen kann; nicht derselbe Richter urtheilt über beide: gesonderte Gerichtsformen gelten für jeden dieser Stände. Frei wählt endlich der Adel seine Magistrate, seine Deputirten; in freier Versammlung berathet er über die Angelegenheiten seines Comitats, während in den Städten die durch Selbstwahl sich ergänzenden, aus wenigen Mitgliedern bestehenden Gemeinden und die aus ihnen entspringenden Magistrate ein kümmerliches politisches Leben, abhängig von der königl. Hofkammer, leben. Wenn diese zwei Stände nicht die gleiche Liebe zum Vaterland vereinigte, so hätten sie nichts, was gemeinsam wäre für beide. So lange dieser Zustand dauert – und er wird nicht eher aufhören, als bis diese Abhängigkeit von der Hofkammer aufhört, die innere Organisation der Städte mit ihrer Selbstwahl der Gemeindeglieder und Magistrate auf eine breitere Grundlage gestellt wird, bis jeder Bürger mit in das allgemeine Interesse gezogen wird – kann das gegenwärtige Verhältniß der Ständetafel nicht geändert werden. Dieß fühlt aber auch die Mehrheit der Wortführer der Städte wohl, und sie drängen mit ihrem angeblich historischen Recht hauptsächlich, um den Landtag zu nöthigen, die nöthigen Schritte zu ihrer Reform zu thun, und nach und nach Alles zu entfernen, was diese zwei Stände von einander trennt. Der Adel aber fühlt es auch, daß wenn die Freiheit sich unter zwölf Millionen Menschen nur auf ungefähr fünfmalhunderttausend erstreckt, sie nur ein schwaches Privilegium sey. Doch der obenerwähnte Correspondent, wie es scheint selbst ein Städtedeputirter, dessen warmen Patriotismus ich jedenfalls verehre, fühlt ja dieß selbst am besten, daher stellte er auch die Frage ganz auf das Feld des historischen Rechts, wohin ihm freilich das Publicum der Allg. Zeitung nicht folgen konnte; er suchte in der erwähnten Rede historische Unrichtigkeiten nachzuweisen, und wollte beweisen, die Städte wären in ihrem historischen Rechte verletzt. Jedenfalls war dieß sehr klug vor einem Publicum, das, der Geschichte Ungarns weniger kundig, durch Jahreszahlen und Citate leicht zu blenden ist, denn im Sitzungssaale zu Preßburg, oder in einem ungarischen Journal, vor einem ungarischen Publicum, wird es freilich Niemand wagen, die Heyduckenstädte, die Jazygen und Kumanen den königlichen Freistädten beizuzählen, oder der Geschichte zum Hohn zu behaupten, die Landtage, wo der Adel persönlich erschien, seyen stets vom bewaffneten Heere, das im Begriff war, dem Feind entgegen zu gehen, gehalten worden – eine Ansicht, eben so kühn als unwahr, deren beste Widerlegung das Corpus juris selbst ist, oder Kowachichs vestigia Comitiorum, oder jeder ungarische Geschichtschreiber. – Ebenso unstatthaft ist es, was dieser Correspondent hinsichtlich der Trennung der Tafeln erinnert; er möge nur selbst nicht vergessen, daß erst viel später die Sessiones mixtae seltener wurden; oder glaubt er vielleicht, die Palatinswahlen, die er selbst erwähnt, bei denen die Städte mitstimmten, seyen getrennt in zwei Sälen bei den Tafeln vorgenommen worden? Die Anführung des Gesetzes 36: 1542 ist ein neuer Beweis der Unzuverlässigkeit des Correspondenten, da nicht dieß Gesetz, wohl aber jenes 64: 1550 in Folge getrennter Repräsentation gebracht wurde, was aber noch immer die gemeinsame Berathung nicht ausschließt. Noch sonderbarer ist es, was ihm der Artikel 3 des VII. Decrets von Uladislaus, der von den Krongütern und Kroneinkünften spricht, zu einem Gesetz über die Freiheit der Städte umstempeln zu wollen. Wichtiger und die Stellung der Städte in ein helleres Licht setzend, sind die Beispiele, die der oft erwähnte Correspondent über das einzelne Abstimmen der Städte anführt. Freilich waren es die Städte, die 1715 zu dem Gesetz über das Majestätsverbrechen, 1723 zur Annahme der pragmatischen Sanction mitwirkten, und der Correspondent hätte noch mehrere Fälle erwähnen können, die nämlich, wo das ungarische Element in staatsrechtlichen Fragen zu fürchten war, wo der Regierung die Städte als Repräsentanten des dämpfenden deutschen Elementes wichtig wurden, und sie wohl wußte, daß der Adel dem demokratischen Geist der Städte in der Civilgesetzgebung keinen Einfluß geben werde. Dieß als Entgegnung auf den angeführten Correspondenzartikel. – Damit aber der Correspondent über meine eigene Ansicht der Frage ganz im Klaren sey, so erkläre ich ihm hiemit offen, daß ich es für die edelste Aufgabe halte, stets für die Ausdehnung der politischen und Privatrechte des Bürgers, für die Erschaffung und Hebung eines kräftigen Bürgerthums, und für die Abstellung der zahlreichen Mißbräuche bei der Administration der Städte in Ungarn mit Wort und Schrift zu wirken, daß ich aber den Städten, wenn sie ihre angeblichen historischen Rechte, ohne die Reform ihrer Municipalitäten, verlangen, entgegen zu arbeiten stets bemüht seyn werde. Schließlich bitte ich noch den oft erwähnten Correspondenten, meine Worte in Zukunft treuer zu citiren; ich sagte, als ich von der Vergangenheit der Städte sprach: „demokratischen Grundsätzen huldigend, widerstrebten sie den Ansichten eines aristokratischen Landes,“ so übersetzte es auch der Correspondent vom 17 Nov., mit dem mich mein Gegner sonderbarer Weise in seiner Entgegnung für identisch hält, er aber citirte, widerstreben sie u. s. w., und knüpft daran ein Raisonnement an, das schon darum zusammenfällt, weil ich nicht der Correspondent vom 17 Nov. bin, wie dieß die Redaction der Allgemeinen Zeitung leicht bezeugen kann, die ich zu gleicher Zeit bitte, in ihrem Blatte, das den Angriff gegen mich enthielt, auch der Entgegnung bald einen Platz zu gönnen. F. Pulszky, Deputirter. Serbien. _ Von der türkischen Gränze, 10 März. Die allgemeine Unruhe und Besorgniß in Belgrad und Serbien überhaupt hat durch eine eben entdeckte geheime Correspondenz, die nichts Geringeres als die Rückberufung und Wiedereinsetzung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_084_18400324
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_084_18400324/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 84. Augsburg, 24. März 1840, S. 0666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_084_18400324/10>, abgerufen am 03.12.2024.