Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 90. Augsburg, 30. März 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

sind; eine solche Transaction auf dem Wege der Ausschließung, ist dieß nicht ein wahrer Spott?" Ueber die Rede des Hrn. Odilon Barrot, welcher Hr. v. Lamartine folgte, sagt dasselbe Journal: "In diesem ersten Versuch von Ministerialismus war Hr. Barrot nicht glücklich. Er predigte dem Centrum Unterwerfung; er warnte es vor der Neigung zum systematischen Widerstand. Dieß klang seltsam aus dem Mund des Mannes, der seit 10 Jahren an der Spitze der Opposition steht. In der oft wiederholten Versicherung des Hrn. Barrot, daß die Linke das gegenwärtige Ministerium unterstützen, daß sie seine Existenz erhalten werde, lag gleichwohl etwas Gebieterisches. Als Hr. Barrot nach seinen allgemeinen Redensarten auf die Details der Allianz zwischen dem Ministerium und der Linken überging, war er dem Ministerium nicht mehr nützlich, so sehr er dieß auch wollte. Schon in der Rede des Hrn. Thiers, wie geschickt sie auch war, hatte ein zarter Punkt die conservative Partei beunruhigt. So sagte Hr. Thiers: wir werden die Septembergesetze nicht ändern, sondern nur den Begriff "Attentat" modificiren; diese Modification erklärte er dahin, daß die Preßvergehen, welche nicht mit einem mit bewaffneter Hand versuchten Complot in Verbindung stünden, künftighin vor die Jury verwiesen werden sollten. Was die Wahlreform betreffe, so sey dieß eine Frage der Zukunft. Gleichwohl bemerkte Hr. Thiers, daß die Charte den Wahlcensus oder die Wählbarkeit nicht festgesetzt habe, so daß die Wahlreform immerhin möglich sey. Diese Bemerkung, welche der Wahlreform Hoffnung gibt, war nicht eben geeignet, die conservative Partei zu beruhigen. Hr. Barrot erklärte, das die Linke von dem Ministerium nur eine Modification des Begriffs "Attentat" in den Septembergesetzen und eine Hoffnung der Zukunft für die Wahlreform verlangt habe. Er erklärte, die Linke werde das Ministerium unter den von Hrn. Thiers angegebenen Bedingungen unterstützen; es existire in diesem Bündniß keine geheime Clausel. Wir wollen sehen. Offenbar ist es übrigens jetzt schon, daß die Linke die angegebenen Bedingungen in einem weitern Maaße versteht, als Hr. Thiers.

* Das Zuströmen zu der Kammer am 25 März war noch bedeutender als am Tage zuvor. Man erwartete sehr lebhafte Debatten. Das Gerücht, daß in der Versammlung der ehemaligen 221 beschlossen worden sey, ein Amendement vorzuschlagen, erhöhte noch die Spannung. Die Tribunen waren überfüllt. In der königlichen Loge bemerkte man den Herzog von Orleans und den Herzog Alexander von Würtemberg. Der ganzen Physiognomie der Kammer sah man es an, welch wichtiges Resultat sich vorbereite. Wie gestern der Conseilpräsident, so eröffnete heute der zweitwichtige Mann des Cabinets, der Minister des Innern, Hr. v. Remusat, die Discussion. Wenn, so begann er, er noch einen Zweifel darüber hätte hegen können, daß eigentlich keinerlei Principfragen mehr die Kammer trennen, so wäre ihm dieser Zweifel durch die gestrigen Debatten benommen worden. Habe doch gestern ein gewandter und glänzender Redner, das Organ einer bedeutenden Fraction der Kammer, alle Subtilität seines Geistes aufbieten müssen, um Differenzen zwischen den Parteien aufzufinden, aufreizende, sterile Zwiste wieder zu erwecken. (Nein, nein! Ja, ja!) Alle Discussionen, welche die Vergangenheit wieder heraufbeschwören, und längst gelöste Controversen wieder in die Debatte werfen, nenne er aufreizend, steril. Heute handle es sich darum, zu vereinen, eine Majorität zu gründen, welche die Gewalt unterstütze, der Regierung helfend zur Seite stehe. "Handelt es sich um Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung? Erinnern Sie sich wie rasch der letzte blutige Aufstand unterdrückt ward. Niemand wird uns größere Schwäche als unsern Vorgängern zutrauen. Handelt es sich von der Freiheit? Wir haben eine parlamentarische Regierung errungen. Handelt es sich vom Orient? Eine nationale Politik ward einstimmig in dieser Beziehung angenommen. Woher also die Antipathien, die man aufzufrischen sucht? - Aus alten Zwisten, die man wieder hervorsucht, und in die man den Groll, den Haß des Augenblicks säet. Um diese Leidenschaften zu bekämpfen, die nicht wieder hätten erstehen sollen, bedarf es eines offenen, loyalen Wortes und dieß hat mich auf diese Tribune geführt." - Der Minister ging darauf alle Einwürfe des Hrn. v. Lamartine Punkt für Punkt durch, und verweilte besonders bei dem Verhältniß zur Linken. Es wäre begreiflich, sagte er, wenn aus dem Schooß der Linken sich Reclamationen erhöben gegen die Erklärung des Ministeriums, daß es die Wahlreform der Zukunft übertrage und an den Septembergesetzen nur die Definition des Begriffs Attentat ändern wolle, auf daß nicht bloße Preßvergehen vor die Pairskammer gezogen werden können, wie der Laity'sche Prozeß; aber nein, aus der Linken erschalle Beistimmung, aus dem rechten Centrum dagegen der Kriegsruf. Das Ministerium befolge die Politik der alten Conservativen, und doch machten diese allein Opposition. - "Die Lage ist ernst, sagte der Minister am Schluß seiner Rede. Zwar ist die materielle Ordnung nicht gestört; aber die Gemüther sind beängstigt, sind betroffen über diese Majoritäten, die sich zersplittern, über diese Parteispaltungen, diese Nuancen unbestimmter Meinungen, diese schwankende Stellung der Staatsgewalt, diese unaufhörlichen Ministerwechsel. Bei diesem bedenklichen Schauspiel fragt man sich, ob die Repräsentativregierung in Frankreich möglich sey? Eine ernste Frage, eine Frage voll Gefahren, der Sie ein Ende machen müssen, wenn Sie überhaupt eine Regierung gründen wollen." (Beifall.) Eine lange Aufregung folgte dieser Rede. Es folgten zunächst die HH. Carne, Glais-Bizoin und Berryer, welch letzterer sich auf die feindlichste Weise gegen die englische Allianz und aufs entschiedenste für Mehemed Ali aussprach. Noch erwartete man an diesem Abend Hrn. Mauguin auf der Tribune, aber die Post ging ab, ehe er das Wort ergriffen hatte. Ungewißheit herrschte, ob die Discussion an diesem Abend zu Ende gehen werde. Von der conservativen Opposition wollte man an diesem Tag nur etwa 126 in der Kammer zählen. Es schien nicht volle Einigkeit unter ihnen über die Frage zu herrschen, ob man, abgesehen von den Grundsätzen, die vorliegende Forderung der geheimen Fonds bewilligen solle oder nicht. Daraus erklärt sich auch die wechselnde Sprache des Journal des Debats über diesen Punkt. Einen Einblick in die herrschende Unschlüssigkeit gewährte die Versammlung, welche die Partei der alten 221 am 25 März vor Beginn der Discussion des zweiten Tages hielt. Hr. Wüstemberg, der zuerst das Wort nahm, ermahnte seine Freunde einig zu bleiben und gegen die geheimen Fonds zu stimmen, dagegen bemerkte Hr. Vatout, es würde eine Gefahr für das Land seyn, wenn ein so hochbegabter Mann wie Hr. Thiers in der Opposition bliebe, ihr Votum für die geheimen Fonds wäre mehr ein Votum der Nothwendigkeit als des Vertrauens. Dieser Ansicht pflichteten auch General Laborde, Adjutant des Königs, und Hr. Liadieres bei. Zuletzt hielt General Jacqueminot eine sehr heftige Rede, suchte zu beweisen, daß die 221 die Majorität hätten, und daß aus ihren Reihen innerhalb 24 Stunden ein Ministerium hervorgehen könne. Eine Transaction mit der Linken sey unmöglich. Am Schluß erklärte er, daß er eine Reduction von 100,000 Fr. an den geheimen Fonds beantragen werde.

sind; eine solche Transaction auf dem Wege der Ausschließung, ist dieß nicht ein wahrer Spott?“ Ueber die Rede des Hrn. Odilon Barrot, welcher Hr. v. Lamartine folgte, sagt dasselbe Journal: „In diesem ersten Versuch von Ministerialismus war Hr. Barrot nicht glücklich. Er predigte dem Centrum Unterwerfung; er warnte es vor der Neigung zum systematischen Widerstand. Dieß klang seltsam aus dem Mund des Mannes, der seit 10 Jahren an der Spitze der Opposition steht. In der oft wiederholten Versicherung des Hrn. Barrot, daß die Linke das gegenwärtige Ministerium unterstützen, daß sie seine Existenz erhalten werde, lag gleichwohl etwas Gebieterisches. Als Hr. Barrot nach seinen allgemeinen Redensarten auf die Details der Allianz zwischen dem Ministerium und der Linken überging, war er dem Ministerium nicht mehr nützlich, so sehr er dieß auch wollte. Schon in der Rede des Hrn. Thiers, wie geschickt sie auch war, hatte ein zarter Punkt die conservative Partei beunruhigt. So sagte Hr. Thiers: wir werden die Septembergesetze nicht ändern, sondern nur den Begriff „Attentat“ modificiren; diese Modification erklärte er dahin, daß die Preßvergehen, welche nicht mit einem mit bewaffneter Hand versuchten Complot in Verbindung stünden, künftighin vor die Jury verwiesen werden sollten. Was die Wahlreform betreffe, so sey dieß eine Frage der Zukunft. Gleichwohl bemerkte Hr. Thiers, daß die Charte den Wahlcensus oder die Wählbarkeit nicht festgesetzt habe, so daß die Wahlreform immerhin möglich sey. Diese Bemerkung, welche der Wahlreform Hoffnung gibt, war nicht eben geeignet, die conservative Partei zu beruhigen. Hr. Barrot erklärte, das die Linke von dem Ministerium nur eine Modification des Begriffs „Attentat“ in den Septembergesetzen und eine Hoffnung der Zukunft für die Wahlreform verlangt habe. Er erklärte, die Linke werde das Ministerium unter den von Hrn. Thiers angegebenen Bedingungen unterstützen; es existire in diesem Bündniß keine geheime Clausel. Wir wollen sehen. Offenbar ist es übrigens jetzt schon, daß die Linke die angegebenen Bedingungen in einem weitern Maaße versteht, als Hr. Thiers.

* Das Zuströmen zu der Kammer am 25 März war noch bedeutender als am Tage zuvor. Man erwartete sehr lebhafte Debatten. Das Gerücht, daß in der Versammlung der ehemaligen 221 beschlossen worden sey, ein Amendement vorzuschlagen, erhöhte noch die Spannung. Die Tribunen waren überfüllt. In der königlichen Loge bemerkte man den Herzog von Orleans und den Herzog Alexander von Würtemberg. Der ganzen Physiognomie der Kammer sah man es an, welch wichtiges Resultat sich vorbereite. Wie gestern der Conseilpräsident, so eröffnete heute der zweitwichtige Mann des Cabinets, der Minister des Innern, Hr. v. Rémusat, die Discussion. Wenn, so begann er, er noch einen Zweifel darüber hätte hegen können, daß eigentlich keinerlei Principfragen mehr die Kammer trennen, so wäre ihm dieser Zweifel durch die gestrigen Debatten benommen worden. Habe doch gestern ein gewandter und glänzender Redner, das Organ einer bedeutenden Fraction der Kammer, alle Subtilität seines Geistes aufbieten müssen, um Differenzen zwischen den Parteien aufzufinden, aufreizende, sterile Zwiste wieder zu erwecken. (Nein, nein! Ja, ja!) Alle Discussionen, welche die Vergangenheit wieder heraufbeschwören, und längst gelöste Controversen wieder in die Debatte werfen, nenne er aufreizend, steril. Heute handle es sich darum, zu vereinen, eine Majorität zu gründen, welche die Gewalt unterstütze, der Regierung helfend zur Seite stehe. „Handelt es sich um Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung? Erinnern Sie sich wie rasch der letzte blutige Aufstand unterdrückt ward. Niemand wird uns größere Schwäche als unsern Vorgängern zutrauen. Handelt es sich von der Freiheit? Wir haben eine parlamentarische Regierung errungen. Handelt es sich vom Orient? Eine nationale Politik ward einstimmig in dieser Beziehung angenommen. Woher also die Antipathien, die man aufzufrischen sucht? – Aus alten Zwisten, die man wieder hervorsucht, und in die man den Groll, den Haß des Augenblicks säet. Um diese Leidenschaften zu bekämpfen, die nicht wieder hätten erstehen sollen, bedarf es eines offenen, loyalen Wortes und dieß hat mich auf diese Tribune geführt.“ – Der Minister ging darauf alle Einwürfe des Hrn. v. Lamartine Punkt für Punkt durch, und verweilte besonders bei dem Verhältniß zur Linken. Es wäre begreiflich, sagte er, wenn aus dem Schooß der Linken sich Reclamationen erhöben gegen die Erklärung des Ministeriums, daß es die Wahlreform der Zukunft übertrage und an den Septembergesetzen nur die Definition des Begriffs Attentat ändern wolle, auf daß nicht bloße Preßvergehen vor die Pairskammer gezogen werden können, wie der Laity'sche Prozeß; aber nein, aus der Linken erschalle Beistimmung, aus dem rechten Centrum dagegen der Kriegsruf. Das Ministerium befolge die Politik der alten Conservativen, und doch machten diese allein Opposition. – „Die Lage ist ernst, sagte der Minister am Schluß seiner Rede. Zwar ist die materielle Ordnung nicht gestört; aber die Gemüther sind beängstigt, sind betroffen über diese Majoritäten, die sich zersplittern, über diese Parteispaltungen, diese Nuancen unbestimmter Meinungen, diese schwankende Stellung der Staatsgewalt, diese unaufhörlichen Ministerwechsel. Bei diesem bedenklichen Schauspiel fragt man sich, ob die Repräsentativregierung in Frankreich möglich sey? Eine ernste Frage, eine Frage voll Gefahren, der Sie ein Ende machen müssen, wenn Sie überhaupt eine Regierung gründen wollen.“ (Beifall.) Eine lange Aufregung folgte dieser Rede. Es folgten zunächst die HH. Carné, Glais-Bizoin und Berryer, welch letzterer sich auf die feindlichste Weise gegen die englische Allianz und aufs entschiedenste für Mehemed Ali aussprach. Noch erwartete man an diesem Abend Hrn. Mauguin auf der Tribune, aber die Post ging ab, ehe er das Wort ergriffen hatte. Ungewißheit herrschte, ob die Discussion an diesem Abend zu Ende gehen werde. Von der conservativen Opposition wollte man an diesem Tag nur etwa 126 in der Kammer zählen. Es schien nicht volle Einigkeit unter ihnen über die Frage zu herrschen, ob man, abgesehen von den Grundsätzen, die vorliegende Forderung der geheimen Fonds bewilligen solle oder nicht. Daraus erklärt sich auch die wechselnde Sprache des Journal des Débats über diesen Punkt. Einen Einblick in die herrschende Unschlüssigkeit gewährte die Versammlung, welche die Partei der alten 221 am 25 März vor Beginn der Discussion des zweiten Tages hielt. Hr. Wüstemberg, der zuerst das Wort nahm, ermahnte seine Freunde einig zu bleiben und gegen die geheimen Fonds zu stimmen, dagegen bemerkte Hr. Vatout, es würde eine Gefahr für das Land seyn, wenn ein so hochbegabter Mann wie Hr. Thiers in der Opposition bliebe, ihr Votum für die geheimen Fonds wäre mehr ein Votum der Nothwendigkeit als des Vertrauens. Dieser Ansicht pflichteten auch General Laborde, Adjutant des Königs, und Hr. Liadières bei. Zuletzt hielt General Jacqueminot eine sehr heftige Rede, suchte zu beweisen, daß die 221 die Majorität hätten, und daß aus ihren Reihen innerhalb 24 Stunden ein Ministerium hervorgehen könne. Eine Transaction mit der Linken sey unmöglich. Am Schluß erklärte er, daß er eine Reduction von 100,000 Fr. an den geheimen Fonds beantragen werde.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0004" n="0716"/>
sind; eine solche Transaction auf dem Wege der Ausschließung, ist dieß nicht ein wahrer Spott?&#x201C; Ueber die Rede des Hrn. <hi rendition="#g">Odilon Barrot</hi>, welcher Hr. v. Lamartine folgte, sagt dasselbe Journal: &#x201E;In diesem ersten Versuch von Ministerialismus war Hr. Barrot nicht glücklich. Er predigte dem Centrum Unterwerfung; er warnte es vor der Neigung zum systematischen Widerstand. Dieß klang seltsam aus dem Mund des Mannes, der seit 10 Jahren an der Spitze der Opposition steht. In der oft wiederholten Versicherung des Hrn. Barrot, daß die Linke das gegenwärtige Ministerium unterstützen, daß sie seine Existenz erhalten werde, lag gleichwohl etwas Gebieterisches. Als Hr. Barrot nach seinen allgemeinen Redensarten auf die Details der Allianz zwischen dem Ministerium und der Linken überging, war er dem Ministerium nicht mehr nützlich, so sehr er dieß auch wollte. Schon in der Rede des Hrn. Thiers, wie geschickt sie auch war, hatte ein zarter Punkt die conservative Partei beunruhigt. So sagte Hr. Thiers: wir werden die Septembergesetze nicht ändern, sondern nur den Begriff &#x201E;Attentat&#x201C; modificiren; diese Modification erklärte er dahin, daß die Preßvergehen, welche nicht mit einem mit bewaffneter Hand versuchten Complot in Verbindung stünden, künftighin vor die Jury verwiesen werden sollten. Was die Wahlreform betreffe, so sey dieß eine Frage der Zukunft. Gleichwohl bemerkte Hr. Thiers, daß die Charte den Wahlcensus oder die Wählbarkeit nicht festgesetzt habe, so daß die Wahlreform immerhin möglich sey. Diese Bemerkung, welche der Wahlreform Hoffnung gibt, war nicht eben geeignet, die conservative Partei zu beruhigen. Hr. Barrot erklärte, das die Linke von dem Ministerium nur eine Modification des Begriffs &#x201E;Attentat&#x201C; in den Septembergesetzen und eine Hoffnung der Zukunft für die Wahlreform verlangt habe. Er erklärte, die Linke werde das Ministerium unter den von Hrn. Thiers angegebenen Bedingungen unterstützen; es existire in diesem Bündniß keine geheime Clausel. Wir wollen sehen. Offenbar ist es übrigens jetzt schon, daß die Linke die angegebenen Bedingungen in einem weitern Maaße versteht, als Hr. Thiers.</p><lb/>
          <p>* Das Zuströmen zu der Kammer am 25 März war noch bedeutender als am Tage zuvor. Man erwartete sehr lebhafte Debatten. Das Gerücht, daß in der Versammlung der ehemaligen 221 beschlossen worden sey, ein Amendement vorzuschlagen, erhöhte noch die Spannung. Die Tribunen waren überfüllt. In der königlichen Loge bemerkte man den Herzog von Orleans und den Herzog Alexander von Würtemberg. Der ganzen Physiognomie der Kammer sah man es an, welch wichtiges Resultat sich vorbereite. Wie gestern der Conseilpräsident, so eröffnete heute der zweitwichtige Mann des Cabinets, der Minister des Innern, Hr. v. <hi rendition="#g">Rémusat</hi>, die Discussion. Wenn, so begann er, er noch einen Zweifel darüber hätte hegen können, daß eigentlich keinerlei Principfragen mehr die Kammer trennen, so wäre ihm dieser Zweifel durch die gestrigen Debatten benommen worden. Habe doch gestern ein gewandter und glänzender Redner, das Organ einer bedeutenden Fraction der Kammer, alle Subtilität seines Geistes aufbieten müssen, um Differenzen zwischen den Parteien aufzufinden, aufreizende, sterile Zwiste wieder zu erwecken. (Nein, nein! Ja, ja!) Alle Discussionen, welche die Vergangenheit wieder heraufbeschwören, und längst gelöste Controversen wieder in die Debatte werfen, nenne er aufreizend, steril. Heute handle es sich darum, zu vereinen, eine Majorität zu gründen, welche die Gewalt unterstütze, der Regierung helfend zur Seite stehe. &#x201E;Handelt es sich um Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung? Erinnern Sie sich wie rasch der letzte blutige Aufstand unterdrückt ward. Niemand wird uns größere Schwäche als unsern Vorgängern zutrauen. Handelt es sich von der Freiheit? Wir haben eine parlamentarische Regierung errungen. Handelt es sich vom Orient? Eine nationale Politik ward einstimmig in dieser Beziehung angenommen. Woher also die Antipathien, die man aufzufrischen sucht? &#x2013; Aus alten Zwisten, die man wieder hervorsucht, und in die man den Groll, den Haß des Augenblicks säet. Um diese Leidenschaften zu bekämpfen, die nicht wieder hätten erstehen sollen, bedarf es eines offenen, loyalen Wortes und dieß hat mich auf diese Tribune geführt.&#x201C; &#x2013; Der Minister ging darauf alle Einwürfe des Hrn. v. Lamartine Punkt für Punkt durch, und verweilte besonders bei dem Verhältniß zur Linken. Es wäre begreiflich, sagte er, wenn aus dem Schooß der Linken sich Reclamationen erhöben gegen die Erklärung des Ministeriums, daß es die Wahlreform der Zukunft übertrage und an den Septembergesetzen nur die Definition des Begriffs Attentat ändern wolle, auf daß nicht bloße Preßvergehen vor die Pairskammer gezogen werden können, wie der Laity'sche Prozeß; aber nein, aus der Linken erschalle Beistimmung, aus dem rechten Centrum dagegen der Kriegsruf. Das Ministerium befolge die Politik der alten Conservativen, und doch machten diese allein Opposition. &#x2013; &#x201E;Die Lage ist ernst, sagte der Minister am Schluß seiner Rede. Zwar ist die materielle Ordnung nicht gestört; aber die Gemüther sind beängstigt, sind betroffen über diese Majoritäten, die sich zersplittern, über diese Parteispaltungen, diese Nuancen unbestimmter Meinungen, diese schwankende Stellung der Staatsgewalt, diese unaufhörlichen Ministerwechsel. Bei diesem bedenklichen Schauspiel fragt man sich, ob die Repräsentativregierung in Frankreich möglich sey? Eine ernste Frage, eine Frage voll Gefahren, der Sie ein Ende machen müssen, wenn Sie überhaupt eine Regierung gründen wollen.&#x201C; (Beifall.) Eine lange Aufregung folgte dieser Rede. Es folgten zunächst die HH. <hi rendition="#g">Carné</hi>, <hi rendition="#g">Glais</hi>-<hi rendition="#g">Bizoin</hi> und <hi rendition="#g">Berryer</hi>, welch letzterer sich auf die feindlichste Weise gegen die englische Allianz und aufs entschiedenste für Mehemed Ali aussprach. Noch erwartete man an diesem Abend Hrn. <hi rendition="#g">Mauguin</hi> auf der Tribune, aber die Post ging ab, ehe er das Wort ergriffen hatte. Ungewißheit herrschte, ob die Discussion an diesem Abend zu Ende gehen werde. Von der conservativen Opposition wollte man an diesem Tag nur etwa 126 in der Kammer zählen. Es schien nicht volle Einigkeit unter ihnen über die Frage zu herrschen, ob man, abgesehen von den Grundsätzen, die vorliegende Forderung der geheimen Fonds bewilligen solle oder nicht. Daraus erklärt sich auch die wechselnde Sprache des <hi rendition="#g">Journal des Débats</hi> über diesen Punkt. Einen Einblick in die herrschende Unschlüssigkeit gewährte die Versammlung, welche die Partei der alten 221 am 25 März vor Beginn der Discussion des zweiten Tages hielt. Hr. <hi rendition="#g">Wüstemberg</hi>, der zuerst das Wort nahm, ermahnte seine Freunde einig zu bleiben und gegen die geheimen Fonds zu stimmen, dagegen bemerkte Hr. <hi rendition="#g">Vatout</hi>, es würde eine Gefahr für das Land seyn, wenn ein so hochbegabter Mann wie Hr. Thiers in der Opposition bliebe, ihr Votum für die geheimen Fonds wäre mehr ein Votum der Nothwendigkeit als des Vertrauens. Dieser Ansicht pflichteten auch General <hi rendition="#g">Laborde</hi>, Adjutant des Königs, und Hr. <hi rendition="#g">Liadières</hi> bei. Zuletzt hielt General <hi rendition="#g">Jacqueminot</hi> eine sehr heftige Rede, suchte zu beweisen, daß die 221 die Majorität hätten, und daß aus ihren Reihen innerhalb 24 Stunden ein Ministerium hervorgehen könne. Eine Transaction mit der Linken sey unmöglich. Am Schluß erklärte er, daß er eine Reduction von 100,000 Fr. an den geheimen Fonds beantragen werde.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0716/0004] sind; eine solche Transaction auf dem Wege der Ausschließung, ist dieß nicht ein wahrer Spott?“ Ueber die Rede des Hrn. Odilon Barrot, welcher Hr. v. Lamartine folgte, sagt dasselbe Journal: „In diesem ersten Versuch von Ministerialismus war Hr. Barrot nicht glücklich. Er predigte dem Centrum Unterwerfung; er warnte es vor der Neigung zum systematischen Widerstand. Dieß klang seltsam aus dem Mund des Mannes, der seit 10 Jahren an der Spitze der Opposition steht. In der oft wiederholten Versicherung des Hrn. Barrot, daß die Linke das gegenwärtige Ministerium unterstützen, daß sie seine Existenz erhalten werde, lag gleichwohl etwas Gebieterisches. Als Hr. Barrot nach seinen allgemeinen Redensarten auf die Details der Allianz zwischen dem Ministerium und der Linken überging, war er dem Ministerium nicht mehr nützlich, so sehr er dieß auch wollte. Schon in der Rede des Hrn. Thiers, wie geschickt sie auch war, hatte ein zarter Punkt die conservative Partei beunruhigt. So sagte Hr. Thiers: wir werden die Septembergesetze nicht ändern, sondern nur den Begriff „Attentat“ modificiren; diese Modification erklärte er dahin, daß die Preßvergehen, welche nicht mit einem mit bewaffneter Hand versuchten Complot in Verbindung stünden, künftighin vor die Jury verwiesen werden sollten. Was die Wahlreform betreffe, so sey dieß eine Frage der Zukunft. Gleichwohl bemerkte Hr. Thiers, daß die Charte den Wahlcensus oder die Wählbarkeit nicht festgesetzt habe, so daß die Wahlreform immerhin möglich sey. Diese Bemerkung, welche der Wahlreform Hoffnung gibt, war nicht eben geeignet, die conservative Partei zu beruhigen. Hr. Barrot erklärte, das die Linke von dem Ministerium nur eine Modification des Begriffs „Attentat“ in den Septembergesetzen und eine Hoffnung der Zukunft für die Wahlreform verlangt habe. Er erklärte, die Linke werde das Ministerium unter den von Hrn. Thiers angegebenen Bedingungen unterstützen; es existire in diesem Bündniß keine geheime Clausel. Wir wollen sehen. Offenbar ist es übrigens jetzt schon, daß die Linke die angegebenen Bedingungen in einem weitern Maaße versteht, als Hr. Thiers. * Das Zuströmen zu der Kammer am 25 März war noch bedeutender als am Tage zuvor. Man erwartete sehr lebhafte Debatten. Das Gerücht, daß in der Versammlung der ehemaligen 221 beschlossen worden sey, ein Amendement vorzuschlagen, erhöhte noch die Spannung. Die Tribunen waren überfüllt. In der königlichen Loge bemerkte man den Herzog von Orleans und den Herzog Alexander von Würtemberg. Der ganzen Physiognomie der Kammer sah man es an, welch wichtiges Resultat sich vorbereite. Wie gestern der Conseilpräsident, so eröffnete heute der zweitwichtige Mann des Cabinets, der Minister des Innern, Hr. v. Rémusat, die Discussion. Wenn, so begann er, er noch einen Zweifel darüber hätte hegen können, daß eigentlich keinerlei Principfragen mehr die Kammer trennen, so wäre ihm dieser Zweifel durch die gestrigen Debatten benommen worden. Habe doch gestern ein gewandter und glänzender Redner, das Organ einer bedeutenden Fraction der Kammer, alle Subtilität seines Geistes aufbieten müssen, um Differenzen zwischen den Parteien aufzufinden, aufreizende, sterile Zwiste wieder zu erwecken. (Nein, nein! Ja, ja!) Alle Discussionen, welche die Vergangenheit wieder heraufbeschwören, und längst gelöste Controversen wieder in die Debatte werfen, nenne er aufreizend, steril. Heute handle es sich darum, zu vereinen, eine Majorität zu gründen, welche die Gewalt unterstütze, der Regierung helfend zur Seite stehe. „Handelt es sich um Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung? Erinnern Sie sich wie rasch der letzte blutige Aufstand unterdrückt ward. Niemand wird uns größere Schwäche als unsern Vorgängern zutrauen. Handelt es sich von der Freiheit? Wir haben eine parlamentarische Regierung errungen. Handelt es sich vom Orient? Eine nationale Politik ward einstimmig in dieser Beziehung angenommen. Woher also die Antipathien, die man aufzufrischen sucht? – Aus alten Zwisten, die man wieder hervorsucht, und in die man den Groll, den Haß des Augenblicks säet. Um diese Leidenschaften zu bekämpfen, die nicht wieder hätten erstehen sollen, bedarf es eines offenen, loyalen Wortes und dieß hat mich auf diese Tribune geführt.“ – Der Minister ging darauf alle Einwürfe des Hrn. v. Lamartine Punkt für Punkt durch, und verweilte besonders bei dem Verhältniß zur Linken. Es wäre begreiflich, sagte er, wenn aus dem Schooß der Linken sich Reclamationen erhöben gegen die Erklärung des Ministeriums, daß es die Wahlreform der Zukunft übertrage und an den Septembergesetzen nur die Definition des Begriffs Attentat ändern wolle, auf daß nicht bloße Preßvergehen vor die Pairskammer gezogen werden können, wie der Laity'sche Prozeß; aber nein, aus der Linken erschalle Beistimmung, aus dem rechten Centrum dagegen der Kriegsruf. Das Ministerium befolge die Politik der alten Conservativen, und doch machten diese allein Opposition. – „Die Lage ist ernst, sagte der Minister am Schluß seiner Rede. Zwar ist die materielle Ordnung nicht gestört; aber die Gemüther sind beängstigt, sind betroffen über diese Majoritäten, die sich zersplittern, über diese Parteispaltungen, diese Nuancen unbestimmter Meinungen, diese schwankende Stellung der Staatsgewalt, diese unaufhörlichen Ministerwechsel. Bei diesem bedenklichen Schauspiel fragt man sich, ob die Repräsentativregierung in Frankreich möglich sey? Eine ernste Frage, eine Frage voll Gefahren, der Sie ein Ende machen müssen, wenn Sie überhaupt eine Regierung gründen wollen.“ (Beifall.) Eine lange Aufregung folgte dieser Rede. Es folgten zunächst die HH. Carné, Glais-Bizoin und Berryer, welch letzterer sich auf die feindlichste Weise gegen die englische Allianz und aufs entschiedenste für Mehemed Ali aussprach. Noch erwartete man an diesem Abend Hrn. Mauguin auf der Tribune, aber die Post ging ab, ehe er das Wort ergriffen hatte. Ungewißheit herrschte, ob die Discussion an diesem Abend zu Ende gehen werde. Von der conservativen Opposition wollte man an diesem Tag nur etwa 126 in der Kammer zählen. Es schien nicht volle Einigkeit unter ihnen über die Frage zu herrschen, ob man, abgesehen von den Grundsätzen, die vorliegende Forderung der geheimen Fonds bewilligen solle oder nicht. Daraus erklärt sich auch die wechselnde Sprache des Journal des Débats über diesen Punkt. Einen Einblick in die herrschende Unschlüssigkeit gewährte die Versammlung, welche die Partei der alten 221 am 25 März vor Beginn der Discussion des zweiten Tages hielt. Hr. Wüstemberg, der zuerst das Wort nahm, ermahnte seine Freunde einig zu bleiben und gegen die geheimen Fonds zu stimmen, dagegen bemerkte Hr. Vatout, es würde eine Gefahr für das Land seyn, wenn ein so hochbegabter Mann wie Hr. Thiers in der Opposition bliebe, ihr Votum für die geheimen Fonds wäre mehr ein Votum der Nothwendigkeit als des Vertrauens. Dieser Ansicht pflichteten auch General Laborde, Adjutant des Königs, und Hr. Liadières bei. Zuletzt hielt General Jacqueminot eine sehr heftige Rede, suchte zu beweisen, daß die 221 die Majorität hätten, und daß aus ihren Reihen innerhalb 24 Stunden ein Ministerium hervorgehen könne. Eine Transaction mit der Linken sey unmöglich. Am Schluß erklärte er, daß er eine Reduction von 100,000 Fr. an den geheimen Fonds beantragen werde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_090_18400330
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_090_18400330/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 90. Augsburg, 30. März 1840, S. 0716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_090_18400330/4>, abgerufen am 05.05.2024.