Allgemeine Zeitung. Nr. 95. Augsburg, 4. April 1840.Geschwader nach Tanger zu segeln. - Das Journal des Debats gibt zugleich Auszüge aus dem Marseiller Sud, welcher die Nachricht der Kriegserklärung noch etwas bezweifelt. Muley-Abderhaman und sein Minister Sidi-Bendriß seyen kluge vorsichtige Männer, welche sich nicht leichtsinnig in ein solches Unternehmen stürzen würden. Ueberdieß habe der Kaiser, welcher gegenwärtig in der Stadt Marokko, also vom Kriegsschauplatz weit entfernt sich befindet, seine regulären Truppen selbst nöthig, um sein Ansehen unter den wilden Bewohnern seines großen Reichs aufrecht zu erhalten: es sey daher gar nicht wahrscheinlich, daß er eine Armee in die Provinz Oran senden werde. Weder die vorgeblichen Aufreizungen der Engländer, noch die Abtretung von Tlemsan durch Abd-El-Kader würden den Kaiser zu einem solchen Entschluß bringen. Indessen könne er einige fanatische Gränzstämme nicht hindern, sich als Freiwillige unter Abd-El-Kaders Fahne einzureihen. Ein Krieg mit Marokko, meint das Marseiller Blatt, wäre für Frankreich sehr kostspielig, und ein Bombardement von Tanger oder eine Blokade sämmtlicher Seehäfen Marokko's würde schwerlich zu einem Resultat führen, da die Macht dieses Reichs hauptsächlich nur in seinen beiden großen Binnenstädten bestehe. Uebrigens sey es immerhin rathsam, einige Fahrzeuge an die Küste von Marokko abzusenden, wäre es auch nur, um dem Kaiser einen guten Vorwand zu geben, trotz des fanatischen Geschreis seiner Unterthanen dem Emir jede Unterstützung zu verweigern. Muley Abderhaman habe ohnehin Abd-El-Kaders Ehrgeiz zu fürchten; denn letzterer gehe bereits mit dem Plan um, sich ganz Marokko's bei erster Gelegenheit zu bemächtigen. - Abd-El-Kaders Umtriebe beschränken sich übrigens nicht bloß auf Marokko. Ein Schreiben des Journal des Debats aus Toulon vom 24 März meldet, Emissäre Abd-El-Kaders durchzögen die Regentschaft Tunis in allen Richtungen, und predigten überall den "heiligen Krieg" gegen die Franzosen. Eine große Aufregung herrsche unter den dortigen Arabern. Am Schlusse seines Schreibens bemerkt der Correspondent des Journal des Debats, es gebe in Algier und Toulon mehrere Personen, welche beharrlich glaubten, England reize insgeheim Tunis und Marokko zum Krieg und versehe sie mit Waffen und Munition. Das Journal des Debats bemerkt hiezu: "Es ist nicht das erstemal, daß gegen England dergleichen Beschuldigungen erhoben werden; aber eben weil dieselben so schwer sind, muß die öffentliche Meinung sich hüten, ihnen ohne Beweise Glauben zu schenken. Es handelt sich hier um die Ehre einer civilisirten und christlichen Regierung, welche man eines gehässigen Einverständnisses mit Barbaren anklagt, deren blutdürstige Wildheit ganz Europa einen gerechten Abscheu einflößt. Wohl mögen Kaufleute, Privatleute Waffen und Pulver an der Küste Afrikas verkauft haben, wie sie deren in Amerika und selbst in Frankreich verkaufen. Man kann hierin nur eine Handelsspeculation sehen, welche nicht einmal auf unserer Algierer Küste stattgefunden, und die von der englischen Regierung an der Küste Marokko's verboten würde, wenn dieser barbarische Staat wirklich mit Frankreich im Kriege wäre." Das Journal des Debats bezweifelt die Journalberichte, daß die auf dem Kampfplatz bei Uad-Lalleg gefundenen Flinten von englischem Fabricat gewesen seyen; dagegen wisse man, daß die französische Regierung selbst dem Vertrag an der Tafna zufolge an den Emir einige hundert Flinten verkauft habe. Endlich gibt das Journal des Debats einen Auszug aus einer kürzlich erschienenen Broschüre der HH. Falbe und Grenville Temple. Diese Herren begleiteten die Expedition nach Constantine. Nach der Erstürmung dieser Stadt fanden sie in dem Hause, das sie bewohnten, einige leere Pulverpakete mit der Etiquette: " Poudre de chasse a 6 Fr. 50 C. le Kilogr. - Poudrerie royale de Saint Chamas, Marseille. (Dieß ist eine bekannte Pulverfabrik in Marseille.) Sie brachten solche ins Hauptquartier; Pulverpakete mit Etiquetten in englischer oder überhaupt anderer als französischer Sprache waren nicht gefunden worden. Als diese Herren später Tunis besuchten, zogen sie genaue Erkundigungen ein über die im Laufe des Jahres 1837 eingelaufenen Schiffe, welche mit Waffen und Kriegsmunition befrachtet waren. Unter fünfzehn Schiffen waren 1 von Livorno, 1 von Triest, 1 von Malta und 12 von Marseille gekommen. Das Commerce will über die Vorfälle in Tanger folgende directe Nachrichten aus Gibraltar erhalten haben. "Im Laufe des Februars während des großen Bairamfestes brach eine Masse von Arabern der Landschaft bewaffnet in die Stadt Tanger ein und insultirte die Christen, welche, ohne Unterschied der Nationalität, gezwungen wurden, sich in ihren Häusern zu verbarricadiren. Der Generalconsul von Frankreich hatte alle Vorsichtsmaaßregeln getroffen, um die Franzosen und ihr Eigenthum in Sicherheit zu bringen. Alle Consulargebäude wurden von Kugeln durchlöchert; inzwischen machten die Araber keinen Versuch, sie mit stürmender Hand zu nehmen. Der Generalconsul, welcher sich auf der Terrasse zeigen wollte, wurde durch eine Kugel am Ohre verletzt. Dieser Zustand dauerte acht Tage. Man rühmt sehr die Energie, welche der französische Agent entwickelte, bedauert aber, daß Frankreich seit dem Einfall Abd-El-Kaders vor Tanger kein Geschwader in Station gelassen hat. Nur eine kleine Corvette war daselbst angekommen. Es herrschte große Unruhe im Lande." Briefe aus Gibraltar vom 14 März, welche in Marseille eingetroffen, erwähnen mit keiner Sylbe der Kriegserklärung Marokko's. Es ist daher gar nicht wahrscheinlich, daß man am 18 März in Mahon ein Ereigniß erfahren haben konnte, von dem man in Gibraltar am 14 nichts gewußt. Der Handelsstand von Marseille war wieder ganz beruhigt. In den Depeschen, welche die französische Regierung aus Tanger vom 7 März erhalten, deutete - versichert der Constitutionnel - gar nichts auf eine nahe Kriegserklärung; in dieser Stadt war es wieder völlig ruhig geworden. Paris, 26 März. Es scheint, daß Hr. Guizot sich sehr in London gefällt, und daß er auf dem besten Fuß mit Lord Palmerston steht. Er hat bis jetzt allerdings große Reserve beobachten müssen, da er ohne Instructionen gelassen wurde, und nur nach Inspirationen sich äußern konnte; allein er ist genug mit den hiesigen Verhältnissen bekannt, um zu wissen, was jedem Ministerium frommt, und wie es die auswärtige Politik zu beurtheilen und zu handhaben hat. Das Engouement, das er für Lord Palmerston fühlt, ist daher das sicherste Zeichen, daß wir uns nicht von England entfernen, sondern mit demselben gehen werden, um die orientalische Frage, die doch voran steht, zur allgemeinen Zufriedenheit lösen zu können. Ist diese einmal beseitigt, so ist es jedem Ministerium ein Leichtes, die Allianz mit England streng einzuhalten, und auf diese Weise den Frieden Europa's zu wahren. Lord Palmerston soll freilich bei dem Satze beharren, daß Mehemed Ali nicht auf Kosten der Pforte vergrößert werden dürfe; allein er soll auch bereits so weit gekommen seyn, einzusehen, daß es kaum ein Mittel gibt, ihm Zwang anthun zu können, und daß nur auf dem Wege der Unterhandlung ein Resultat zu erreichen ist, welches man bis jetzt vergebens gesucht hat, und zu dem man nie anders gelangen wird. Dieß ist Alles, was man hier wünschen kann, und was die Sache sehr vereinfacht, weil wir dann unbefangener in der Conferenz uns bewegen können, die in London Geschwader nach Tanger zu segeln. – Das Journal des Débats gibt zugleich Auszüge aus dem Marseiller Sud, welcher die Nachricht der Kriegserklärung noch etwas bezweifelt. Muley-Abderhaman und sein Minister Sidi-Bendriß seyen kluge vorsichtige Männer, welche sich nicht leichtsinnig in ein solches Unternehmen stürzen würden. Ueberdieß habe der Kaiser, welcher gegenwärtig in der Stadt Marokko, also vom Kriegsschauplatz weit entfernt sich befindet, seine regulären Truppen selbst nöthig, um sein Ansehen unter den wilden Bewohnern seines großen Reichs aufrecht zu erhalten: es sey daher gar nicht wahrscheinlich, daß er eine Armee in die Provinz Oran senden werde. Weder die vorgeblichen Aufreizungen der Engländer, noch die Abtretung von Tlemsan durch Abd-El-Kader würden den Kaiser zu einem solchen Entschluß bringen. Indessen könne er einige fanatische Gränzstämme nicht hindern, sich als Freiwillige unter Abd-El-Kaders Fahne einzureihen. Ein Krieg mit Marokko, meint das Marseiller Blatt, wäre für Frankreich sehr kostspielig, und ein Bombardement von Tanger oder eine Blokade sämmtlicher Seehäfen Marokko's würde schwerlich zu einem Resultat führen, da die Macht dieses Reichs hauptsächlich nur in seinen beiden großen Binnenstädten bestehe. Uebrigens sey es immerhin rathsam, einige Fahrzeuge an die Küste von Marokko abzusenden, wäre es auch nur, um dem Kaiser einen guten Vorwand zu geben, trotz des fanatischen Geschreis seiner Unterthanen dem Emir jede Unterstützung zu verweigern. Muley Abderhaman habe ohnehin Abd-El-Kaders Ehrgeiz zu fürchten; denn letzterer gehe bereits mit dem Plan um, sich ganz Marokko's bei erster Gelegenheit zu bemächtigen. – Abd-El-Kaders Umtriebe beschränken sich übrigens nicht bloß auf Marokko. Ein Schreiben des Journal des Débats aus Toulon vom 24 März meldet, Emissäre Abd-El-Kaders durchzögen die Regentschaft Tunis in allen Richtungen, und predigten überall den „heiligen Krieg“ gegen die Franzosen. Eine große Aufregung herrsche unter den dortigen Arabern. Am Schlusse seines Schreibens bemerkt der Correspondent des Journal des Débats, es gebe in Algier und Toulon mehrere Personen, welche beharrlich glaubten, England reize insgeheim Tunis und Marokko zum Krieg und versehe sie mit Waffen und Munition. Das Journal des Débats bemerkt hiezu: „Es ist nicht das erstemal, daß gegen England dergleichen Beschuldigungen erhoben werden; aber eben weil dieselben so schwer sind, muß die öffentliche Meinung sich hüten, ihnen ohne Beweise Glauben zu schenken. Es handelt sich hier um die Ehre einer civilisirten und christlichen Regierung, welche man eines gehässigen Einverständnisses mit Barbaren anklagt, deren blutdürstige Wildheit ganz Europa einen gerechten Abscheu einflößt. Wohl mögen Kaufleute, Privatleute Waffen und Pulver an der Küste Afrikas verkauft haben, wie sie deren in Amerika und selbst in Frankreich verkaufen. Man kann hierin nur eine Handelsspeculation sehen, welche nicht einmal auf unserer Algierer Küste stattgefunden, und die von der englischen Regierung an der Küste Marokko's verboten würde, wenn dieser barbarische Staat wirklich mit Frankreich im Kriege wäre.“ Das Journal des Débats bezweifelt die Journalberichte, daß die auf dem Kampfplatz bei Uad-Lalleg gefundenen Flinten von englischem Fabricat gewesen seyen; dagegen wisse man, daß die französische Regierung selbst dem Vertrag an der Tafna zufolge an den Emir einige hundert Flinten verkauft habe. Endlich gibt das Journal des Débats einen Auszug aus einer kürzlich erschienenen Broschüre der HH. Falbe und Grenville Temple. Diese Herren begleiteten die Expedition nach Constantine. Nach der Erstürmung dieser Stadt fanden sie in dem Hause, das sie bewohnten, einige leere Pulverpakete mit der Etiquette: „ Poudre de chasse à 6 Fr. 50 C. le Kilogr. – Poudrerie royale de Saint Chamas, Marseille. (Dieß ist eine bekannte Pulverfabrik in Marseille.) Sie brachten solche ins Hauptquartier; Pulverpakete mit Etiquetten in englischer oder überhaupt anderer als französischer Sprache waren nicht gefunden worden. Als diese Herren später Tunis besuchten, zogen sie genaue Erkundigungen ein über die im Laufe des Jahres 1837 eingelaufenen Schiffe, welche mit Waffen und Kriegsmunition befrachtet waren. Unter fünfzehn Schiffen waren 1 von Livorno, 1 von Triest, 1 von Malta und 12 von Marseille gekommen. Das Commerce will über die Vorfälle in Tanger folgende directe Nachrichten aus Gibraltar erhalten haben. „Im Laufe des Februars während des großen Bairamfestes brach eine Masse von Arabern der Landschaft bewaffnet in die Stadt Tanger ein und insultirte die Christen, welche, ohne Unterschied der Nationalität, gezwungen wurden, sich in ihren Häusern zu verbarricadiren. Der Generalconsul von Frankreich hatte alle Vorsichtsmaaßregeln getroffen, um die Franzosen und ihr Eigenthum in Sicherheit zu bringen. Alle Consulargebäude wurden von Kugeln durchlöchert; inzwischen machten die Araber keinen Versuch, sie mit stürmender Hand zu nehmen. Der Generalconsul, welcher sich auf der Terrasse zeigen wollte, wurde durch eine Kugel am Ohre verletzt. Dieser Zustand dauerte acht Tage. Man rühmt sehr die Energie, welche der französische Agent entwickelte, bedauert aber, daß Frankreich seit dem Einfall Abd-El-Kaders vor Tanger kein Geschwader in Station gelassen hat. Nur eine kleine Corvette war daselbst angekommen. Es herrschte große Unruhe im Lande.“ Briefe aus Gibraltar vom 14 März, welche in Marseille eingetroffen, erwähnen mit keiner Sylbe der Kriegserklärung Marokko's. Es ist daher gar nicht wahrscheinlich, daß man am 18 März in Mahon ein Ereigniß erfahren haben konnte, von dem man in Gibraltar am 14 nichts gewußt. Der Handelsstand von Marseille war wieder ganz beruhigt. In den Depeschen, welche die französische Regierung aus Tanger vom 7 März erhalten, deutete – versichert der Constitutionnel – gar nichts auf eine nahe Kriegserklärung; in dieser Stadt war es wieder völlig ruhig geworden. Paris, 26 März. Es scheint, daß Hr. Guizot sich sehr in London gefällt, und daß er auf dem besten Fuß mit Lord Palmerston steht. Er hat bis jetzt allerdings große Reserve beobachten müssen, da er ohne Instructionen gelassen wurde, und nur nach Inspirationen sich äußern konnte; allein er ist genug mit den hiesigen Verhältnissen bekannt, um zu wissen, was jedem Ministerium frommt, und wie es die auswärtige Politik zu beurtheilen und zu handhaben hat. Das Engouement, das er für Lord Palmerston fühlt, ist daher das sicherste Zeichen, daß wir uns nicht von England entfernen, sondern mit demselben gehen werden, um die orientalische Frage, die doch voran steht, zur allgemeinen Zufriedenheit lösen zu können. Ist diese einmal beseitigt, so ist es jedem Ministerium ein Leichtes, die Allianz mit England streng einzuhalten, und auf diese Weise den Frieden Europa's zu wahren. Lord Palmerston soll freilich bei dem Satze beharren, daß Mehemed Ali nicht auf Kosten der Pforte vergrößert werden dürfe; allein er soll auch bereits so weit gekommen seyn, einzusehen, daß es kaum ein Mittel gibt, ihm Zwang anthun zu können, und daß nur auf dem Wege der Unterhandlung ein Resultat zu erreichen ist, welches man bis jetzt vergebens gesucht hat, und zu dem man nie anders gelangen wird. 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Weder die vorgeblichen Aufreizungen der Engländer, noch die Abtretung von Tlemsan durch Abd-El-Kader würden den Kaiser zu einem solchen Entschluß bringen. Indessen könne er einige fanatische Gränzstämme nicht hindern, sich als Freiwillige unter Abd-El-Kaders Fahne einzureihen. Ein Krieg mit Marokko, meint das Marseiller Blatt, wäre für Frankreich sehr kostspielig, und ein Bombardement von Tanger oder eine Blokade sämmtlicher Seehäfen Marokko's würde schwerlich zu einem Resultat führen, da die Macht dieses Reichs hauptsächlich nur in seinen beiden großen Binnenstädten bestehe. Uebrigens sey es immerhin rathsam, einige Fahrzeuge an die Küste von Marokko abzusenden, wäre es auch nur, um dem Kaiser einen guten Vorwand zu geben, trotz des fanatischen Geschreis seiner Unterthanen dem Emir jede Unterstützung zu verweigern. Muley Abderhaman habe ohnehin Abd-El-Kaders Ehrgeiz zu fürchten; denn letzterer gehe bereits mit dem Plan um, sich ganz Marokko's bei erster Gelegenheit zu bemächtigen. – Abd-El-Kaders Umtriebe beschränken sich übrigens nicht bloß auf Marokko. Ein Schreiben des <hi rendition="#g">Journal des Débats</hi> aus Toulon vom 24 März meldet, Emissäre Abd-El-Kaders durchzögen die Regentschaft Tunis in allen Richtungen, und predigten überall den „heiligen Krieg“ gegen die Franzosen. Eine große Aufregung herrsche unter den dortigen Arabern. Am Schlusse seines Schreibens bemerkt der Correspondent des Journal des Débats, es gebe in Algier und Toulon mehrere Personen, welche beharrlich glaubten, England reize insgeheim Tunis und Marokko zum Krieg und versehe sie mit Waffen und Munition. Das Journal des Débats bemerkt hiezu: „Es ist nicht das erstemal, daß gegen England dergleichen Beschuldigungen erhoben werden; aber eben weil dieselben so schwer sind, muß die öffentliche Meinung sich hüten, ihnen ohne Beweise Glauben zu schenken. Es handelt sich hier um die Ehre einer civilisirten und christlichen Regierung, welche man eines gehässigen Einverständnisses mit Barbaren anklagt, deren blutdürstige Wildheit ganz Europa einen gerechten Abscheu einflößt. Wohl mögen Kaufleute, Privatleute Waffen und Pulver an der Küste Afrikas verkauft haben, wie sie deren in Amerika und selbst in Frankreich verkaufen. Man kann hierin nur eine Handelsspeculation sehen, welche nicht einmal auf unserer Algierer Küste stattgefunden, und die von der englischen Regierung an der Küste Marokko's verboten würde, wenn dieser barbarische Staat wirklich mit Frankreich im Kriege wäre.“ Das <hi rendition="#g">Journal des Débats</hi> bezweifelt die Journalberichte, daß die auf dem Kampfplatz bei Uad-Lalleg gefundenen Flinten von englischem Fabricat gewesen seyen; dagegen wisse man, daß die französische Regierung selbst dem Vertrag an der Tafna zufolge an den Emir einige hundert Flinten verkauft habe. Endlich gibt das Journal des Débats einen Auszug aus einer kürzlich erschienenen Broschüre der HH. Falbe und Grenville Temple. Diese Herren begleiteten die Expedition nach Constantine. 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Das Engouement, das er für Lord Palmerston fühlt, ist daher das sicherste Zeichen, daß wir uns nicht von England entfernen, sondern mit demselben gehen werden, um die orientalische Frage, die doch voran steht, zur allgemeinen Zufriedenheit lösen zu können. Ist diese einmal beseitigt, so ist es jedem Ministerium ein Leichtes, die Allianz mit England streng einzuhalten, und auf diese Weise den Frieden Europa's zu wahren. Lord Palmerston soll freilich bei dem Satze beharren, daß Mehemed Ali nicht auf Kosten der Pforte vergrößert werden dürfe; allein er soll auch bereits so weit gekommen seyn, einzusehen, daß es kaum ein Mittel gibt, ihm Zwang anthun zu können, und daß nur auf dem Wege der Unterhandlung ein Resultat zu erreichen ist, welches man bis jetzt vergebens gesucht hat, und zu dem man nie anders gelangen wird. 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Geschwader nach Tanger zu segeln. – Das Journal des Débats gibt zugleich Auszüge aus dem Marseiller Sud, welcher die Nachricht der Kriegserklärung noch etwas bezweifelt. Muley-Abderhaman und sein Minister Sidi-Bendriß seyen kluge vorsichtige Männer, welche sich nicht leichtsinnig in ein solches Unternehmen stürzen würden. Ueberdieß habe der Kaiser, welcher gegenwärtig in der Stadt Marokko, also vom Kriegsschauplatz weit entfernt sich befindet, seine regulären Truppen selbst nöthig, um sein Ansehen unter den wilden Bewohnern seines großen Reichs aufrecht zu erhalten: es sey daher gar nicht wahrscheinlich, daß er eine Armee in die Provinz Oran senden werde. Weder die vorgeblichen Aufreizungen der Engländer, noch die Abtretung von Tlemsan durch Abd-El-Kader würden den Kaiser zu einem solchen Entschluß bringen. Indessen könne er einige fanatische Gränzstämme nicht hindern, sich als Freiwillige unter Abd-El-Kaders Fahne einzureihen. Ein Krieg mit Marokko, meint das Marseiller Blatt, wäre für Frankreich sehr kostspielig, und ein Bombardement von Tanger oder eine Blokade sämmtlicher Seehäfen Marokko's würde schwerlich zu einem Resultat führen, da die Macht dieses Reichs hauptsächlich nur in seinen beiden großen Binnenstädten bestehe. Uebrigens sey es immerhin rathsam, einige Fahrzeuge an die Küste von Marokko abzusenden, wäre es auch nur, um dem Kaiser einen guten Vorwand zu geben, trotz des fanatischen Geschreis seiner Unterthanen dem Emir jede Unterstützung zu verweigern. Muley Abderhaman habe ohnehin Abd-El-Kaders Ehrgeiz zu fürchten; denn letzterer gehe bereits mit dem Plan um, sich ganz Marokko's bei erster Gelegenheit zu bemächtigen. – Abd-El-Kaders Umtriebe beschränken sich übrigens nicht bloß auf Marokko. Ein Schreiben des Journal des Débats aus Toulon vom 24 März meldet, Emissäre Abd-El-Kaders durchzögen die Regentschaft Tunis in allen Richtungen, und predigten überall den „heiligen Krieg“ gegen die Franzosen. Eine große Aufregung herrsche unter den dortigen Arabern. Am Schlusse seines Schreibens bemerkt der Correspondent des Journal des Débats, es gebe in Algier und Toulon mehrere Personen, welche beharrlich glaubten, England reize insgeheim Tunis und Marokko zum Krieg und versehe sie mit Waffen und Munition. Das Journal des Débats bemerkt hiezu: „Es ist nicht das erstemal, daß gegen England dergleichen Beschuldigungen erhoben werden; aber eben weil dieselben so schwer sind, muß die öffentliche Meinung sich hüten, ihnen ohne Beweise Glauben zu schenken. Es handelt sich hier um die Ehre einer civilisirten und christlichen Regierung, welche man eines gehässigen Einverständnisses mit Barbaren anklagt, deren blutdürstige Wildheit ganz Europa einen gerechten Abscheu einflößt. Wohl mögen Kaufleute, Privatleute Waffen und Pulver an der Küste Afrikas verkauft haben, wie sie deren in Amerika und selbst in Frankreich verkaufen. Man kann hierin nur eine Handelsspeculation sehen, welche nicht einmal auf unserer Algierer Küste stattgefunden, und die von der englischen Regierung an der Küste Marokko's verboten würde, wenn dieser barbarische Staat wirklich mit Frankreich im Kriege wäre.“ Das Journal des Débats bezweifelt die Journalberichte, daß die auf dem Kampfplatz bei Uad-Lalleg gefundenen Flinten von englischem Fabricat gewesen seyen; dagegen wisse man, daß die französische Regierung selbst dem Vertrag an der Tafna zufolge an den Emir einige hundert Flinten verkauft habe. Endlich gibt das Journal des Débats einen Auszug aus einer kürzlich erschienenen Broschüre der HH. Falbe und Grenville Temple. Diese Herren begleiteten die Expedition nach Constantine. Nach der Erstürmung dieser Stadt fanden sie in dem Hause, das sie bewohnten, einige leere Pulverpakete mit der Etiquette: „ Poudre de chasse à 6 Fr. 50 C. le Kilogr. – Poudrerie royale de Saint Chamas, Marseille. (Dieß ist eine bekannte Pulverfabrik in Marseille.) Sie brachten solche ins Hauptquartier; Pulverpakete mit Etiquetten in englischer oder überhaupt anderer als französischer Sprache waren nicht gefunden worden. Als diese Herren später Tunis besuchten, zogen sie genaue Erkundigungen ein über die im Laufe des Jahres 1837 eingelaufenen Schiffe, welche mit Waffen und Kriegsmunition befrachtet waren. Unter fünfzehn Schiffen waren 1 von Livorno, 1 von Triest, 1 von Malta und 12 von Marseille gekommen.
Das Commerce will über die Vorfälle in Tanger folgende directe Nachrichten aus Gibraltar erhalten haben. „Im Laufe des Februars während des großen Bairamfestes brach eine Masse von Arabern der Landschaft bewaffnet in die Stadt Tanger ein und insultirte die Christen, welche, ohne Unterschied der Nationalität, gezwungen wurden, sich in ihren Häusern zu verbarricadiren. Der Generalconsul von Frankreich hatte alle Vorsichtsmaaßregeln getroffen, um die Franzosen und ihr Eigenthum in Sicherheit zu bringen. Alle Consulargebäude wurden von Kugeln durchlöchert; inzwischen machten die Araber keinen Versuch, sie mit stürmender Hand zu nehmen. Der Generalconsul, welcher sich auf der Terrasse zeigen wollte, wurde durch eine Kugel am Ohre verletzt. Dieser Zustand dauerte acht Tage. Man rühmt sehr die Energie, welche der französische Agent entwickelte, bedauert aber, daß Frankreich seit dem Einfall Abd-El-Kaders vor Tanger kein Geschwader in Station gelassen hat. Nur eine kleine Corvette war daselbst angekommen. Es herrschte große Unruhe im Lande.“
Briefe aus Gibraltar vom 14 März, welche in Marseille eingetroffen, erwähnen mit keiner Sylbe der Kriegserklärung Marokko's. Es ist daher gar nicht wahrscheinlich, daß man am 18 März in Mahon ein Ereigniß erfahren haben konnte, von dem man in Gibraltar am 14 nichts gewußt. Der Handelsstand von Marseille war wieder ganz beruhigt. In den Depeschen, welche die französische Regierung aus Tanger vom 7 März erhalten, deutete – versichert der Constitutionnel – gar nichts auf eine nahe Kriegserklärung; in dieser Stadt war es wieder völlig ruhig geworden.
_ Paris, 26 März. Es scheint, daß Hr. Guizot sich sehr in London gefällt, und daß er auf dem besten Fuß mit Lord Palmerston steht. Er hat bis jetzt allerdings große Reserve beobachten müssen, da er ohne Instructionen gelassen wurde, und nur nach Inspirationen sich äußern konnte; allein er ist genug mit den hiesigen Verhältnissen bekannt, um zu wissen, was jedem Ministerium frommt, und wie es die auswärtige Politik zu beurtheilen und zu handhaben hat. Das Engouement, das er für Lord Palmerston fühlt, ist daher das sicherste Zeichen, daß wir uns nicht von England entfernen, sondern mit demselben gehen werden, um die orientalische Frage, die doch voran steht, zur allgemeinen Zufriedenheit lösen zu können. Ist diese einmal beseitigt, so ist es jedem Ministerium ein Leichtes, die Allianz mit England streng einzuhalten, und auf diese Weise den Frieden Europa's zu wahren. Lord Palmerston soll freilich bei dem Satze beharren, daß Mehemed Ali nicht auf Kosten der Pforte vergrößert werden dürfe; allein er soll auch bereits so weit gekommen seyn, einzusehen, daß es kaum ein Mittel gibt, ihm Zwang anthun zu können, und daß nur auf dem Wege der Unterhandlung ein Resultat zu erreichen ist, welches man bis jetzt vergebens gesucht hat, und zu dem man nie anders gelangen wird. Dieß ist Alles, was man hier wünschen kann, und was die Sache sehr vereinfacht, weil wir dann unbefangener in der Conferenz uns bewegen können, die in London
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