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Allgemeine Zeitung. Nr. 99. Augsburg, 8. April 1840.

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Fragen, und mögen vielleicht auch für die Folge noch als die Arme erscheinen, um welche die Kraftäußerungen der größern politischen Körper unsers Welttheils sich concentriren. Dem aufmerksamen Beobachter muß sich der Gedanke aufdringen, daß das Ziel, welches drei Mächte nie aus dem Auge verlieren, nach welchem sie unabläßlich streben, eins und dasselbe ist: die Begründung einer weltherrschenden Macht, die Unterordnung aller fremden Interessen unter die eigenen. Dieß Streben äußert sich bei Großbritannien offen und ohne Hehl, gleichsam zum Schutze des bestehenden und anerkannten Uebergewichts; bei Frankreich heimlich, jedoch mit dem Gelüste und der Energie eines ungebändigten Ehrgeizes; bei Rußland nach einem großen, auf Jahrhunderte berechneten Plan, wobei es ihm gleichgültig ist, ob es gerade in einem gegebenen Moment vorwärts schreitet, ob es Jahre lang auf demselben Ruhepunkt stehen bleibt, oder gar einige Rückschritte macht, gleichsam um den Beobachter irre zu führen. Zum Glück ist die Gefahr von keiner Seite imminent, denn so lange die Verbindung zweier oder dreier Nationen der Uebermacht der einen die Wage zu halten vermag, ist das Gleichgewicht nicht ernstlich bedroht, und die natürliche Ordnung der Dinge muß bei drängender Gefahr Coalitionen zum Vorschein bringen, die auch den Uebermächtigen beugen. Erst dann wäre die Welt mit einer allgemeinen Herrschaft bedroht, wenn die Coalition der Mindermächtigen durch die Verhältnisse erschwert wäre oder wegen Mangels hinlänglicher Kräfte unwirksam bleiben müßte. Daß bis zu diesem Punkte die Sachen nicht so bald gedeihen können, ist wohl augenscheinlich. Nur Frankreich könnte durch das compacte Wesen seiner Nation, durch die ungeheuere Beweglichkeit und Energie ihres Charakters, durch die Kühnheit der Entwürfe, durch die weltherausfordernde Verwegenheit in der Ausführung ihrer Plane zum zweitenmal auf den bedrohlichen Standpunkt sich hinaufschwingen, auf dem es bereits einmal gestanden hatte. Doch nicht immer hat sich dem Verwegenen das Glück bewährt, der Raschheit der That nicht immer die Raschheit des Erfolgs entsprochen, und nicht jeder Tag schafft Napoleone. Selbst wenn Frankreich seinen furchtbaren Alliirten, das Revolutionsprincip, heraufbeschwören sollte, um in das Herz seiner Gegner Zwietracht zu säen, so stößt es auf einen nicht minder gewaltigen Gegner, die Vaterlandsliebe, die Liebe der Völker zu unabhängiger Selbstständigkeit, endlich auf die bereits uns gegebenen Erfahrungen. Denn nie zeigte sich Freiheit im Gefolg der französischen Waffen; nur ein unerträgliches Joch, nur Sklaverei brachten sie über die eroberten Länder. In Wahrheit scheint man jenem Princip zu viel Ehre angethan zu haben, wenn man es über die Maßen gefürchtet hat, und befremden müßte es, wenn vielleicht das Streben, diesem oder ihm entgegengesetzten Grundsätzen Vorschub zu leisten, einige Wirksamkeit auf die Annäherung oder Abstoßung der transigirenden Parteien geübt haben sollte. Fast scheint dieß der Fall zu seyn, und in diesem Sinn kann behauptet werden, daß der eigentliche Gesichtspunkt der orientalischen Angelegenheiten verrückt ward, so wie ohne Noth Interessen des Ehrgeizes, die doch vertagt werden konnten, daran geknüpft wurden. Letztere tauchten nicht sogleich in ihrer heutigen Intensität auf, sondern nur allmählich gelangten sie zu diesem Punkt, ja sie schlummerten noch zur Zeit der Unterzeichnung der Collectivnote in der Hauptstadt des osmanischen Reichs. Man entkleide daher die Frage dieser fremdartigen Elemente, und sie wird leicht entschieden. Nur so kann der Weltfriede erhalten, eine Ausgleichung erzielt werden, da die Frage sich dann als eine Frage des Rechts darstellt, die offenbar zu Gunsten der Pforte entschieden werden muß. Mehemed Ali erweckt dann keine Sympathie mehr. Man würde der menschlichen Natur Unrecht thun, wenn man ihre Gefühle für einen Mann in Anspruch nähme, der seine Macht gegen den kehrte, von dem er sie erhielt, der die Menschen, deren Loos seiner Obhut anvertraut ward, als eine Heerde betrachtet, die ihn bereichern soll, der immer rücksichtslos gegen außen, ein Tyrann im eigenen Lande war. Nur Gründe eines selbstsüchtigen Ehrgeizes könnten zum Schutze seiner Sache verleiten, oder ein mißverstandenes Princip, das man überall unterstützen zu sollen wähnt, wo es in der Form von Revolte oder gänzlicher Umwälzung zum Vorschein kommt. Offenbar übel angebracht, fast unerklärlich ist ein solches Trachten in den orientalischen Wirren, aber ebenso unpassend dürfte das entgegengesetzte Streben seyn, andern Principien neue Grundlage bei dieser Gelegenheit zu verschaffen. Man entferne, ich wiederhole es, fremdartige Elemente der Principien, man vertage die Ansprüche des Ehrgeizes, die Befriedigung der Machtgier, und man wird nicht lange im Zweifel bleiben, wie die orientalischen Angelegenheiten zu ordnen sind. Das eine dieser Elemente ward ohnehin bei den Haaren in die Frage gezogen, es wird durch ein negatives Verhalten in dieser Hinsicht von selbst aus der Frage treten; das andere versucht reellen Kampf, sein Substrat ist im gegenwärtigen Augenblick vorzugsweise Chiwa, die Dardanellen, oder Bospor, vielleicht auch Algier. Der Zug nach Chiwa hebt sich von selbst auf; es bleiben noch die übrigen zwei Punkte; man bringe sie aufs Reine; dann nimmt Großbritannien eine Stellung ein, von der aus ihm erlaubt seyn wird, eine entschiednere Sprache gegen Frankreich zu führen, im Falle dieses in seinen bisherigen Gesinnungen der Pforte und dem Vicekönig gegenüber verharren wollte, denn fortan würde England durch nichts mehr gehindert, sich an die drei Continentalmächte unbesorgt anzulehnen. Es ist nicht lange her, seit ich in Ihrem Blatte die entgegengesetzte Ansicht aussprach, daß nämlich die türkisch-ägyptische Frage sogleich entschieden, die europäische ajournirt werden sollte. Dieß schien damals rathsam und ausführbar; heute ist es schlechterdings unmöglich geworden, weil das großbritannische Ministerconseil selbst durch die Hervorhebung gewisser Punkte aus dem Brunnow-Palmerston'schen Pacificationsentwurfe vom 23 und 25 Dec. die ganze Aufmerksamkeit der Russen auf die Verhältnisse der zwei Meerengen concentrirt hat, dieser Punkt daher unmöglich mehr en passant berührt werden darf. Der letzte Moment, wo eine anticipirte Entscheidung der rein orientalischen Streitsache sich als möglich darstellte, war die Berathung des Ministerconseils über den erwähnten Pacificationsentwurf. Man stieß sich nämlich vorzüglich an der Bestimmung desselben, daß während, im Falle einer Bedrohung Konstantinopels durch die Aegyptier, Rußland seine Schiffe und seine Hülfstruppen in den Bospor senden würde, die Seemacht der andern Mächte von dieser Meerenge ausgeschlossen und im Marmora-Meer aufgestellt werden sollte. Dieß sey erniedrigend für die übrigen Mächte, behauptete man, und gefährlich für die Folge, weil die Beistimmung zu diesem Artikel als eine halbe Anerkennung des Vertrags von Hunkiar Skelessi erschiene, und eine Art Präjudiz für künftige Fälle abgeben könnte. Hätte man, statt diesen Punkt so emsig zu discutiren und so auffallend hervorzuheben, wie es wirklich geschah, ihn lieber gänzlich mit Stillschweigen übergangen und dafür den Zusatz der einfachen Clausel vorgeschlagen, daß der entworfene Tractat als consumirt und alle seine Bestimmungen als aufgehoben zu betrachten seyen, sobald das rechtliche Verhältniß zwischen dem Sultan und dem Vicekönig durch Güte oder Gewalt hergestellt seyn werde, so wäre die definitive Entscheidung der Dardanellen- und Bosporfrage von selbst auf eine gelegenere Zeit verschoben

Fragen, und mögen vielleicht auch für die Folge noch als die Arme erscheinen, um welche die Kraftäußerungen der größern politischen Körper unsers Welttheils sich concentriren. Dem aufmerksamen Beobachter muß sich der Gedanke aufdringen, daß das Ziel, welches drei Mächte nie aus dem Auge verlieren, nach welchem sie unabläßlich streben, eins und dasselbe ist: die Begründung einer weltherrschenden Macht, die Unterordnung aller fremden Interessen unter die eigenen. Dieß Streben äußert sich bei Großbritannien offen und ohne Hehl, gleichsam zum Schutze des bestehenden und anerkannten Uebergewichts; bei Frankreich heimlich, jedoch mit dem Gelüste und der Energie eines ungebändigten Ehrgeizes; bei Rußland nach einem großen, auf Jahrhunderte berechneten Plan, wobei es ihm gleichgültig ist, ob es gerade in einem gegebenen Moment vorwärts schreitet, ob es Jahre lang auf demselben Ruhepunkt stehen bleibt, oder gar einige Rückschritte macht, gleichsam um den Beobachter irre zu führen. Zum Glück ist die Gefahr von keiner Seite imminent, denn so lange die Verbindung zweier oder dreier Nationen der Uebermacht der einen die Wage zu halten vermag, ist das Gleichgewicht nicht ernstlich bedroht, und die natürliche Ordnung der Dinge muß bei drängender Gefahr Coalitionen zum Vorschein bringen, die auch den Uebermächtigen beugen. Erst dann wäre die Welt mit einer allgemeinen Herrschaft bedroht, wenn die Coalition der Mindermächtigen durch die Verhältnisse erschwert wäre oder wegen Mangels hinlänglicher Kräfte unwirksam bleiben müßte. Daß bis zu diesem Punkte die Sachen nicht so bald gedeihen können, ist wohl augenscheinlich. Nur Frankreich könnte durch das compacte Wesen seiner Nation, durch die ungeheuere Beweglichkeit und Energie ihres Charakters, durch die Kühnheit der Entwürfe, durch die weltherausfordernde Verwegenheit in der Ausführung ihrer Plane zum zweitenmal auf den bedrohlichen Standpunkt sich hinaufschwingen, auf dem es bereits einmal gestanden hatte. Doch nicht immer hat sich dem Verwegenen das Glück bewährt, der Raschheit der That nicht immer die Raschheit des Erfolgs entsprochen, und nicht jeder Tag schafft Napoleone. Selbst wenn Frankreich seinen furchtbaren Alliirten, das Revolutionsprincip, heraufbeschwören sollte, um in das Herz seiner Gegner Zwietracht zu säen, so stößt es auf einen nicht minder gewaltigen Gegner, die Vaterlandsliebe, die Liebe der Völker zu unabhängiger Selbstständigkeit, endlich auf die bereits uns gegebenen Erfahrungen. Denn nie zeigte sich Freiheit im Gefolg der französischen Waffen; nur ein unerträgliches Joch, nur Sklaverei brachten sie über die eroberten Länder. In Wahrheit scheint man jenem Princip zu viel Ehre angethan zu haben, wenn man es über die Maßen gefürchtet hat, und befremden müßte es, wenn vielleicht das Streben, diesem oder ihm entgegengesetzten Grundsätzen Vorschub zu leisten, einige Wirksamkeit auf die Annäherung oder Abstoßung der transigirenden Parteien geübt haben sollte. Fast scheint dieß der Fall zu seyn, und in diesem Sinn kann behauptet werden, daß der eigentliche Gesichtspunkt der orientalischen Angelegenheiten verrückt ward, so wie ohne Noth Interessen des Ehrgeizes, die doch vertagt werden konnten, daran geknüpft wurden. Letztere tauchten nicht sogleich in ihrer heutigen Intensität auf, sondern nur allmählich gelangten sie zu diesem Punkt, ja sie schlummerten noch zur Zeit der Unterzeichnung der Collectivnote in der Hauptstadt des osmanischen Reichs. Man entkleide daher die Frage dieser fremdartigen Elemente, und sie wird leicht entschieden. Nur so kann der Weltfriede erhalten, eine Ausgleichung erzielt werden, da die Frage sich dann als eine Frage des Rechts darstellt, die offenbar zu Gunsten der Pforte entschieden werden muß. Mehemed Ali erweckt dann keine Sympathie mehr. Man würde der menschlichen Natur Unrecht thun, wenn man ihre Gefühle für einen Mann in Anspruch nähme, der seine Macht gegen den kehrte, von dem er sie erhielt, der die Menschen, deren Loos seiner Obhut anvertraut ward, als eine Heerde betrachtet, die ihn bereichern soll, der immer rücksichtslos gegen außen, ein Tyrann im eigenen Lande war. Nur Gründe eines selbstsüchtigen Ehrgeizes könnten zum Schutze seiner Sache verleiten, oder ein mißverstandenes Princip, das man überall unterstützen zu sollen wähnt, wo es in der Form von Revolte oder gänzlicher Umwälzung zum Vorschein kommt. Offenbar übel angebracht, fast unerklärlich ist ein solches Trachten in den orientalischen Wirren, aber ebenso unpassend dürfte das entgegengesetzte Streben seyn, andern Principien neue Grundlage bei dieser Gelegenheit zu verschaffen. Man entferne, ich wiederhole es, fremdartige Elemente der Principien, man vertage die Ansprüche des Ehrgeizes, die Befriedigung der Machtgier, und man wird nicht lange im Zweifel bleiben, wie die orientalischen Angelegenheiten zu ordnen sind. Das eine dieser Elemente ward ohnehin bei den Haaren in die Frage gezogen, es wird durch ein negatives Verhalten in dieser Hinsicht von selbst aus der Frage treten; das andere versucht reellen Kampf, sein Substrat ist im gegenwärtigen Augenblick vorzugsweise Chiwa, die Dardanellen, oder Bospor, vielleicht auch Algier. Der Zug nach Chiwa hebt sich von selbst auf; es bleiben noch die übrigen zwei Punkte; man bringe sie aufs Reine; dann nimmt Großbritannien eine Stellung ein, von der aus ihm erlaubt seyn wird, eine entschiednere Sprache gegen Frankreich zu führen, im Falle dieses in seinen bisherigen Gesinnungen der Pforte und dem Vicekönig gegenüber verharren wollte, denn fortan würde England durch nichts mehr gehindert, sich an die drei Continentalmächte unbesorgt anzulehnen. Es ist nicht lange her, seit ich in Ihrem Blatte die entgegengesetzte Ansicht aussprach, daß nämlich die türkisch-ägyptische Frage sogleich entschieden, die europäische ajournirt werden sollte. Dieß schien damals rathsam und ausführbar; heute ist es schlechterdings unmöglich geworden, weil das großbritannische Ministerconseil selbst durch die Hervorhebung gewisser Punkte aus dem Brunnow-Palmerston'schen Pacificationsentwurfe vom 23 und 25 Dec. die ganze Aufmerksamkeit der Russen auf die Verhältnisse der zwei Meerengen concentrirt hat, dieser Punkt daher unmöglich mehr en passant berührt werden darf. Der letzte Moment, wo eine anticipirte Entscheidung der rein orientalischen Streitsache sich als möglich darstellte, war die Berathung des Ministerconseils über den erwähnten Pacificationsentwurf. Man stieß sich nämlich vorzüglich an der Bestimmung desselben, daß während, im Falle einer Bedrohung Konstantinopels durch die Aegyptier, Rußland seine Schiffe und seine Hülfstruppen in den Bospor senden würde, die Seemacht der andern Mächte von dieser Meerenge ausgeschlossen und im Marmora-Meer aufgestellt werden sollte. Dieß sey erniedrigend für die übrigen Mächte, behauptete man, und gefährlich für die Folge, weil die Beistimmung zu diesem Artikel als eine halbe Anerkennung des Vertrags von Hunkiar Skelessi erschiene, und eine Art Präjudiz für künftige Fälle abgeben könnte. Hätte man, statt diesen Punkt so emsig zu discutiren und so auffallend hervorzuheben, wie es wirklich geschah, ihn lieber gänzlich mit Stillschweigen übergangen und dafür den Zusatz der einfachen Clausel vorgeschlagen, daß der entworfene Tractat als consumirt und alle seine Bestimmungen als aufgehoben zu betrachten seyen, sobald das rechtliche Verhältniß zwischen dem Sultan und dem Vicekönig durch Güte oder Gewalt hergestellt seyn werde, so wäre die definitive Entscheidung der Dardanellen- und Bosporfrage von selbst auf eine gelegenere Zeit verschoben

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Fragen, und mögen vielleicht auch für die Folge noch als die Arme erscheinen, um welche die Kraftäußerungen der größern politischen Körper unsers Welttheils sich concentriren. Dem aufmerksamen Beobachter muß sich der Gedanke aufdringen, daß das Ziel, welches drei Mächte nie aus dem Auge verlieren, nach welchem sie unabläßlich streben, eins und dasselbe ist: die Begründung einer weltherrschenden Macht, die Unterordnung aller fremden Interessen unter die eigenen. Dieß Streben äußert sich bei Großbritannien offen und ohne Hehl, gleichsam zum Schutze des bestehenden und anerkannten Uebergewichts; bei Frankreich heimlich, jedoch mit dem Gelüste und der Energie eines ungebändigten Ehrgeizes; bei Rußland nach einem großen, auf Jahrhunderte berechneten Plan, wobei es ihm gleichgültig ist, ob es gerade in einem gegebenen Moment vorwärts schreitet, ob es Jahre lang auf demselben Ruhepunkt stehen bleibt, oder gar einige Rückschritte macht, gleichsam um den Beobachter irre zu führen. Zum Glück ist die Gefahr von keiner Seite imminent, denn so lange die Verbindung zweier oder dreier Nationen der Uebermacht der einen die Wage zu halten vermag, ist das Gleichgewicht nicht ernstlich bedroht, und die natürliche Ordnung der Dinge <hi rendition="#g">muß</hi> bei drängender Gefahr Coalitionen zum Vorschein bringen, die auch den Uebermächtigen beugen. Erst dann wäre die Welt mit einer allgemeinen Herrschaft bedroht, wenn die Coalition der Mindermächtigen durch die Verhältnisse erschwert wäre oder wegen Mangels hinlänglicher Kräfte unwirksam bleiben müßte. Daß bis zu diesem Punkte die Sachen nicht so bald gedeihen können, ist wohl augenscheinlich. Nur Frankreich könnte durch das compacte Wesen seiner Nation, durch die ungeheuere Beweglichkeit und Energie ihres Charakters, durch die Kühnheit der Entwürfe, durch die weltherausfordernde Verwegenheit in der Ausführung ihrer Plane zum zweitenmal auf den bedrohlichen Standpunkt sich hinaufschwingen, auf dem es bereits einmal gestanden hatte. Doch nicht immer hat sich dem Verwegenen das Glück bewährt, der Raschheit der That nicht immer die Raschheit des Erfolgs entsprochen, und nicht jeder Tag schafft Napoleone. Selbst wenn Frankreich seinen furchtbaren Alliirten, das Revolutionsprincip, heraufbeschwören sollte, um in das Herz seiner Gegner Zwietracht zu säen, so stößt es auf einen nicht minder gewaltigen Gegner, die Vaterlandsliebe, die Liebe der Völker zu unabhängiger Selbstständigkeit, endlich auf die bereits uns gegebenen Erfahrungen. Denn nie zeigte sich Freiheit im Gefolg der französischen Waffen; nur ein unerträgliches Joch, nur Sklaverei brachten sie über die eroberten Länder. In Wahrheit scheint man jenem Princip zu viel Ehre angethan zu haben, wenn man es über die Maßen gefürchtet hat, und befremden müßte es, wenn vielleicht das Streben, diesem oder ihm entgegengesetzten Grundsätzen Vorschub zu leisten, einige Wirksamkeit auf die Annäherung oder Abstoßung der transigirenden Parteien geübt haben sollte. Fast scheint dieß der Fall zu seyn, und in diesem Sinn kann behauptet werden, daß der eigentliche Gesichtspunkt der orientalischen Angelegenheiten verrückt ward, so wie ohne Noth Interessen des Ehrgeizes, die doch vertagt werden konnten, daran geknüpft wurden. Letztere tauchten nicht sogleich in ihrer heutigen Intensität auf, sondern nur allmählich gelangten sie zu diesem Punkt, ja sie schlummerten noch zur Zeit der Unterzeichnung der Collectivnote in der Hauptstadt des osmanischen Reichs. Man entkleide daher die Frage dieser fremdartigen Elemente, und sie wird leicht entschieden. Nur so kann der Weltfriede erhalten, eine Ausgleichung erzielt werden, da die Frage sich dann als eine Frage des Rechts darstellt, die offenbar zu Gunsten der Pforte entschieden werden muß. Mehemed Ali erweckt dann keine Sympathie mehr. Man würde der menschlichen Natur Unrecht thun, wenn man ihre Gefühle für einen Mann in Anspruch nähme, der seine Macht gegen den kehrte, von dem er sie erhielt, der die Menschen, deren Loos seiner Obhut anvertraut ward, als eine Heerde betrachtet, die ihn bereichern soll, der immer rücksichtslos gegen außen, ein Tyrann im eigenen Lande war. Nur Gründe eines selbstsüchtigen Ehrgeizes könnten zum Schutze seiner Sache verleiten, oder ein mißverstandenes Princip, das man überall unterstützen zu sollen wähnt, wo es in der Form von Revolte oder gänzlicher Umwälzung zum Vorschein kommt. Offenbar übel angebracht, fast unerklärlich ist ein solches Trachten in den orientalischen Wirren, aber ebenso unpassend dürfte das entgegengesetzte Streben seyn, andern Principien neue Grundlage bei dieser Gelegenheit zu verschaffen. Man entferne, ich wiederhole es, fremdartige Elemente der Principien, man vertage die Ansprüche des Ehrgeizes, die Befriedigung der Machtgier, und man wird nicht lange im Zweifel bleiben, wie die orientalischen Angelegenheiten zu ordnen sind. Das eine dieser Elemente ward ohnehin bei den Haaren in die Frage gezogen, es wird durch ein negatives Verhalten in dieser Hinsicht von selbst aus der Frage treten; das andere versucht reellen Kampf, sein Substrat ist im gegenwärtigen Augenblick vorzugsweise Chiwa, die Dardanellen, oder Bospor, vielleicht auch Algier. Der Zug nach Chiwa hebt sich von selbst auf; es bleiben noch die übrigen zwei Punkte; man bringe sie aufs Reine; dann nimmt Großbritannien eine Stellung ein, von der aus ihm erlaubt seyn wird, eine entschiednere Sprache gegen Frankreich zu führen, im Falle dieses in seinen bisherigen Gesinnungen der Pforte und dem Vicekönig gegenüber verharren wollte, denn fortan würde England durch nichts mehr gehindert, sich an die drei Continentalmächte unbesorgt anzulehnen. Es ist nicht lange her, seit ich in Ihrem Blatte die entgegengesetzte Ansicht aussprach, daß nämlich die türkisch-ägyptische Frage sogleich entschieden, die europäische ajournirt werden sollte. Dieß schien damals rathsam und ausführbar; heute ist es schlechterdings unmöglich geworden, weil das großbritannische Ministerconseil selbst durch die Hervorhebung gewisser Punkte aus dem Brunnow-Palmerston'schen Pacificationsentwurfe vom 23 und 25 Dec. die ganze Aufmerksamkeit der Russen auf die Verhältnisse der zwei Meerengen concentrirt hat, dieser Punkt daher unmöglich mehr en passant berührt werden darf. Der letzte Moment, wo eine anticipirte Entscheidung der rein orientalischen Streitsache sich als möglich darstellte, war die Berathung des Ministerconseils über den erwähnten Pacificationsentwurf. Man stieß sich nämlich vorzüglich an der Bestimmung desselben, daß während, im Falle einer Bedrohung Konstantinopels durch die Aegyptier, Rußland seine Schiffe und seine Hülfstruppen in den Bospor senden würde, die Seemacht der andern Mächte von dieser Meerenge ausgeschlossen und im Marmora-Meer aufgestellt werden sollte. Dieß sey erniedrigend für die übrigen Mächte, behauptete man, und gefährlich für die Folge, weil die Beistimmung zu diesem Artikel als eine halbe Anerkennung des Vertrags von Hunkiar Skelessi erschiene, und eine Art Präjudiz für künftige Fälle abgeben könnte. Hätte man, statt diesen Punkt so emsig zu discutiren und so auffallend hervorzuheben, wie es wirklich geschah, ihn lieber gänzlich mit Stillschweigen übergangen und dafür den Zusatz der einfachen Clausel vorgeschlagen, daß der entworfene Tractat als consumirt und alle seine Bestimmungen als aufgehoben zu betrachten seyen, sobald das rechtliche Verhältniß zwischen dem Sultan und dem Vicekönig durch Güte oder Gewalt hergestellt seyn werde, so wäre die definitive Entscheidung der Dardanellen- und Bosporfrage von selbst auf eine gelegenere Zeit verschoben<lb/></p>
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[0787/0003] Fragen, und mögen vielleicht auch für die Folge noch als die Arme erscheinen, um welche die Kraftäußerungen der größern politischen Körper unsers Welttheils sich concentriren. Dem aufmerksamen Beobachter muß sich der Gedanke aufdringen, daß das Ziel, welches drei Mächte nie aus dem Auge verlieren, nach welchem sie unabläßlich streben, eins und dasselbe ist: die Begründung einer weltherrschenden Macht, die Unterordnung aller fremden Interessen unter die eigenen. Dieß Streben äußert sich bei Großbritannien offen und ohne Hehl, gleichsam zum Schutze des bestehenden und anerkannten Uebergewichts; bei Frankreich heimlich, jedoch mit dem Gelüste und der Energie eines ungebändigten Ehrgeizes; bei Rußland nach einem großen, auf Jahrhunderte berechneten Plan, wobei es ihm gleichgültig ist, ob es gerade in einem gegebenen Moment vorwärts schreitet, ob es Jahre lang auf demselben Ruhepunkt stehen bleibt, oder gar einige Rückschritte macht, gleichsam um den Beobachter irre zu führen. Zum Glück ist die Gefahr von keiner Seite imminent, denn so lange die Verbindung zweier oder dreier Nationen der Uebermacht der einen die Wage zu halten vermag, ist das Gleichgewicht nicht ernstlich bedroht, und die natürliche Ordnung der Dinge muß bei drängender Gefahr Coalitionen zum Vorschein bringen, die auch den Uebermächtigen beugen. Erst dann wäre die Welt mit einer allgemeinen Herrschaft bedroht, wenn die Coalition der Mindermächtigen durch die Verhältnisse erschwert wäre oder wegen Mangels hinlänglicher Kräfte unwirksam bleiben müßte. Daß bis zu diesem Punkte die Sachen nicht so bald gedeihen können, ist wohl augenscheinlich. Nur Frankreich könnte durch das compacte Wesen seiner Nation, durch die ungeheuere Beweglichkeit und Energie ihres Charakters, durch die Kühnheit der Entwürfe, durch die weltherausfordernde Verwegenheit in der Ausführung ihrer Plane zum zweitenmal auf den bedrohlichen Standpunkt sich hinaufschwingen, auf dem es bereits einmal gestanden hatte. Doch nicht immer hat sich dem Verwegenen das Glück bewährt, der Raschheit der That nicht immer die Raschheit des Erfolgs entsprochen, und nicht jeder Tag schafft Napoleone. Selbst wenn Frankreich seinen furchtbaren Alliirten, das Revolutionsprincip, heraufbeschwören sollte, um in das Herz seiner Gegner Zwietracht zu säen, so stößt es auf einen nicht minder gewaltigen Gegner, die Vaterlandsliebe, die Liebe der Völker zu unabhängiger Selbstständigkeit, endlich auf die bereits uns gegebenen Erfahrungen. Denn nie zeigte sich Freiheit im Gefolg der französischen Waffen; nur ein unerträgliches Joch, nur Sklaverei brachten sie über die eroberten Länder. In Wahrheit scheint man jenem Princip zu viel Ehre angethan zu haben, wenn man es über die Maßen gefürchtet hat, und befremden müßte es, wenn vielleicht das Streben, diesem oder ihm entgegengesetzten Grundsätzen Vorschub zu leisten, einige Wirksamkeit auf die Annäherung oder Abstoßung der transigirenden Parteien geübt haben sollte. Fast scheint dieß der Fall zu seyn, und in diesem Sinn kann behauptet werden, daß der eigentliche Gesichtspunkt der orientalischen Angelegenheiten verrückt ward, so wie ohne Noth Interessen des Ehrgeizes, die doch vertagt werden konnten, daran geknüpft wurden. Letztere tauchten nicht sogleich in ihrer heutigen Intensität auf, sondern nur allmählich gelangten sie zu diesem Punkt, ja sie schlummerten noch zur Zeit der Unterzeichnung der Collectivnote in der Hauptstadt des osmanischen Reichs. Man entkleide daher die Frage dieser fremdartigen Elemente, und sie wird leicht entschieden. Nur so kann der Weltfriede erhalten, eine Ausgleichung erzielt werden, da die Frage sich dann als eine Frage des Rechts darstellt, die offenbar zu Gunsten der Pforte entschieden werden muß. Mehemed Ali erweckt dann keine Sympathie mehr. Man würde der menschlichen Natur Unrecht thun, wenn man ihre Gefühle für einen Mann in Anspruch nähme, der seine Macht gegen den kehrte, von dem er sie erhielt, der die Menschen, deren Loos seiner Obhut anvertraut ward, als eine Heerde betrachtet, die ihn bereichern soll, der immer rücksichtslos gegen außen, ein Tyrann im eigenen Lande war. Nur Gründe eines selbstsüchtigen Ehrgeizes könnten zum Schutze seiner Sache verleiten, oder ein mißverstandenes Princip, das man überall unterstützen zu sollen wähnt, wo es in der Form von Revolte oder gänzlicher Umwälzung zum Vorschein kommt. Offenbar übel angebracht, fast unerklärlich ist ein solches Trachten in den orientalischen Wirren, aber ebenso unpassend dürfte das entgegengesetzte Streben seyn, andern Principien neue Grundlage bei dieser Gelegenheit zu verschaffen. Man entferne, ich wiederhole es, fremdartige Elemente der Principien, man vertage die Ansprüche des Ehrgeizes, die Befriedigung der Machtgier, und man wird nicht lange im Zweifel bleiben, wie die orientalischen Angelegenheiten zu ordnen sind. Das eine dieser Elemente ward ohnehin bei den Haaren in die Frage gezogen, es wird durch ein negatives Verhalten in dieser Hinsicht von selbst aus der Frage treten; das andere versucht reellen Kampf, sein Substrat ist im gegenwärtigen Augenblick vorzugsweise Chiwa, die Dardanellen, oder Bospor, vielleicht auch Algier. Der Zug nach Chiwa hebt sich von selbst auf; es bleiben noch die übrigen zwei Punkte; man bringe sie aufs Reine; dann nimmt Großbritannien eine Stellung ein, von der aus ihm erlaubt seyn wird, eine entschiednere Sprache gegen Frankreich zu führen, im Falle dieses in seinen bisherigen Gesinnungen der Pforte und dem Vicekönig gegenüber verharren wollte, denn fortan würde England durch nichts mehr gehindert, sich an die drei Continentalmächte unbesorgt anzulehnen. Es ist nicht lange her, seit ich in Ihrem Blatte die entgegengesetzte Ansicht aussprach, daß nämlich die türkisch-ägyptische Frage sogleich entschieden, die europäische ajournirt werden sollte. Dieß schien damals rathsam und ausführbar; heute ist es schlechterdings unmöglich geworden, weil das großbritannische Ministerconseil selbst durch die Hervorhebung gewisser Punkte aus dem Brunnow-Palmerston'schen Pacificationsentwurfe vom 23 und 25 Dec. die ganze Aufmerksamkeit der Russen auf die Verhältnisse der zwei Meerengen concentrirt hat, dieser Punkt daher unmöglich mehr en passant berührt werden darf. Der letzte Moment, wo eine anticipirte Entscheidung der rein orientalischen Streitsache sich als möglich darstellte, war die Berathung des Ministerconseils über den erwähnten Pacificationsentwurf. Man stieß sich nämlich vorzüglich an der Bestimmung desselben, daß während, im Falle einer Bedrohung Konstantinopels durch die Aegyptier, Rußland seine Schiffe und seine Hülfstruppen in den Bospor senden würde, die Seemacht der andern Mächte von dieser Meerenge ausgeschlossen und im Marmora-Meer aufgestellt werden sollte. Dieß sey erniedrigend für die übrigen Mächte, behauptete man, und gefährlich für die Folge, weil die Beistimmung zu diesem Artikel als eine halbe Anerkennung des Vertrags von Hunkiar Skelessi erschiene, und eine Art Präjudiz für künftige Fälle abgeben könnte. Hätte man, statt diesen Punkt so emsig zu discutiren und so auffallend hervorzuheben, wie es wirklich geschah, ihn lieber gänzlich mit Stillschweigen übergangen und dafür den Zusatz der einfachen Clausel vorgeschlagen, daß der entworfene Tractat als consumirt und alle seine Bestimmungen als aufgehoben zu betrachten seyen, sobald das rechtliche Verhältniß zwischen dem Sultan und dem Vicekönig durch Güte oder Gewalt hergestellt seyn werde, so wäre die definitive Entscheidung der Dardanellen- und Bosporfrage von selbst auf eine gelegenere Zeit verschoben

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 99. Augsburg, 8. April 1840, S. 0787. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_099_18400408/3>, abgerufen am 21.11.2024.