Allgemeine Zeitung. Nr. 104. Augsburg, 13. April 1840.Stellen in der Landesadministration sind mit Fremden besetzt, hauptsächlich Oesterreichern und Russen; man verlangt die Entfernung derselben, und die Besetzung der Aemter mit Eingebornen. Dazu kommt noch der allgemein im Lande verbreitete Glaube, daß Milosch bald wieder zurückkehren werde, um seine Rechte geltend zu machen, die durch die erzwungene Abdication keineswegs erloschen seyen. Dieß alles erhält das Land in Aufregung und macht dem Fürsten Michael fremde Unterstützung unentbehrlich; denn wie ausgezeichnet auch seine natürlichen Anlagen seyn mögen, sind diese doch noch gänzlich unentwickelt, und von der Festigkeit des Charakters, von welcher der abgesetzte Milosch so viel Proben gegeben, will man auch nicht den geringsten Keim, nicht die mindeste Spur in seinem Nachfolger entdecken. Man besorgt daher allgemein, daß die Zukunft des Landes schwankend, die Richtung der Regierung antinational, im Ganzen fremder Einfluß vorherrschend werden müsse, daher die innern Bewegungen, die sich für den Augenblick in Ermangelung andern Stoffs gegen die fremden Beamten und gegen den gewählten Sitz der Regierung äußern. - Nachrichten aus der Wallachei sprechen von Unruhen und gewaltthätigen Auftritten zwischen der wallachischen Miliz und den Bewohnern von Galacz, die nur mit Mühe unterdrückt worden seyen. Proceß des griechischen Patriarchen. Athen, 14 März. Es scheint ein Widerspruch darin zu liegen, das von dem Patriarchat in Konstantinopel abgefallene Rußland in dem heutigen Königreich Griechenland die Schritte, die es um ein Jahrhundert früher selbst gethan hat, für völlig falsch und verwerflich erklären zu sehen. Aber der Widerspruch ist nur scheinbar. Die russische Kirche zielt offenbar dahin, das Patriarchat von Konstantinopel in sich aufzunehmen und zwischen dem Kaiser und dem Patriarchen ein Verhältniß einzuleiten demjenigen ähnlich, welches zwischen dem Sultan und dem Imam von Mekka besteht. Mit der Umwandlung der russischen Kirche in die oströmische oder morgenländische ist der breite politische Unterbau fertig, um den namentlich Kaiser Nikolaus sich die unläugbarsten Verdienste erworben hat. Der Schutz, ausschließlich von Rußland dem Patriarchat gewährt, hat nothwendig eine erwünschte vermittelnde Angewöhnung zur Folge. Für diesen Schutz sind seit fünfzig und mehr Jahren die größten Anstrengungen gemacht, die größten Opfer gebracht worden, und wenn er manchmal unmächtig zu werden scheint, wie z. B. in dem letzten Streite Lord Ponsonby's gegen den Patriarchen, so entspringt diese Unmacht nicht aus Mangel an Kraft, sondern aus der richtigen Berechnung, daß Fehler des Gegners nicht gehindert werden dürfen. In Montenegro ist dieselbe religiöse Thätigkeit Rußlands sichtbar. Eine abgetrennte griechische Staatskirche wird für Rußland zu einem heterogenen Körper, der sich nicht bloß nicht recht assimiliren läßt, sondern sich am Ende wohl gar einfallen lassen könnte, mit Rußland auf einer und derselben Bahn in die Wette zu laufen. Konstantinopel, 22 März. Wir glauben, daß eine Nachweisung des Verfahrens Lord Ponsonby's in der Angelegenheit des Patriarchen immer noch an der Zeit ist. Es gehört dieser Schritt zu denen, die als Symptome eine entscheidende Wichtigkeit haben. Er beurkundet drei Thatbestände mit unwiderlegbarer Kraft: die über jede Rücksicht siegende Russenfurcht Lord Ponsonby's, die Unfähigkeit seinerseits, die Stellung Rußlands zur Pforte zu begreifen, und die äußerste Schwäche der Pforte. Eine vierte Thatsache, die übrigens dieses speciellen Beweises nicht bedarf, ist die Hülflosigkeit, in welcher die Pforte von ihren sogenannten Freunden gelassen wird. Dieß mag zum Theil auf die Personen fallen, welche die Mächte vertreten. Die Pforte hat in dem Hattischerif von Gülhaneh den guten Willen verkündigt, an die Stelle der Willkür Recht treten zu lassen. Die Mächte lobten sie deßhalb; aber was Lord Ponsonby verlangte, war unbedingte und alsogleiche Absetzung des Patriarchen, und zwar aus dem Grunde, weil er sie verlange; die übrigen Minister schwiegen und ließen geschehen. Die Pforte hat in ihrer dermaligen bedrängten Lage nichts nöthiger, als die Achtung der Mächte und das Vertrauen ihrer Unterthanen; aber was ist der Sultan nach außen und innen, wenn ein englischer Botschafter ihm Befehle zuschickt, die stärker sind als die Gesetze des Landes? Die Pforte hat durch eine Reihe von Maaßregeln das Bestreben an den Tag gelegt, ihre christlichen Unterthanen an sich zu schließen; aber was kann sie, wenn ein protestantischer Lord das kirchliche Haupt von Millionen dieser Unterthanen mit einem Worte zu Boden werfen und die Pforte dazu zwingen kann, in ihren eigenen Eingeweiden zu wüthen? Vor einigen Monaten war Lord Ponsonby der Vorderste, um über die Anmaßung Mehemed Ali's das Anathem zu rufen, weil dieser die Absetzung eines Dieners des Sultans verlangte; heute verlangte und erzwang er selbst die Absetzung eines andern, nicht weniger wichtigen Dieners des Sultans. Jener war ein Muselmann, dieser ein Christ. Man würde Lord Ponsonby Unrecht thun, wenn man in seiner Handlungsweise einen Plan suchen wollte. Er ist das getäuschte Werkzeug eines schmeichelnden Griechen, der an die Stelle des Patriarchen aus eigennützigen Absichten einen seiner Clienten setzen wollte. Es war genug, dem guten Lord von geheimer Neigung des Patriarchen zu den Russen zu sprechen, um ihn sofort mit unaufhaltbarem Eifer in der Intrigue ziehen zu machen. Daß der Patriarch in der Frage der gemischten Ehen seinen Glaubenskindern in Corfu anders sprach, als der protestantische Lord-Obercommissär, das ward für einen Angriff auf die Rechte der Königin erklärt, und darüber weiter keinen Streit zulassend, beschränkte sich Lord Ponsonby auf das einfache Begehren um Genugthuung, und stellte in drängenden Noten die einfache Frage: will die Pforte die Genugthuung geben oder will sie es nicht? Vergeblich versprach die Pforte, sogleich eine Untersuchung einzuleiten, und bat, im Namen ihrer Unabhängigkeit und der Gerechtigkeit überhaupt, im Namen des Hattischerifs von Gülhaneh auch, um die Schonung, ihr doch diese Formalität zuzugestehen, hinter der die Bestrafung des Patriarchen folgen werde. Lord Ponsonby antwortete, der Hattischerif habe nichts mit diesem Falle zu thun; er wolle klare Antwort auf seine klare Frage, nichts weiter. Reschid Pascha versuchte noch, hierauf zu erwiedern: "der Sultan werde ohne Zweifel die Genugthuung geben, aber dem Sultan allein stehe das Maaß der Strafe zu bemessen zu." Auch hierauf erhielt die Pforte nur die frühere Antwort. Sie leitete eilig die Untersuchung ein, und es ergab sich das seltsame Schauspiel, daß christliche Hirtenbriefe und Kirchensatzungen durch einen christlichen Botschafter vor das Tribunal der osmanischen Pforte gebracht, da geprüft und verdammt werden mußten! - Reschid Pascha suchte dieser Nothwendigkeit auszuweichen; er hätte gar gern andere Vorwände gehabt, um den Patriarchen abzusetzen, aber er fand keine, und wie Pilatus wusch er seine Hände und ließ geschehen! Ihm war der Patriarch das geistliche Haupt der griechischen Kirche. Lord Ponsonby aber beliebte selbst dem russischen Botschafter zu sagen: "Was ist denn an diesem Menschen, daß man ihn mir verweigere? Ein Pfeifenputzer des Stellen in der Landesadministration sind mit Fremden besetzt, hauptsächlich Oesterreichern und Russen; man verlangt die Entfernung derselben, und die Besetzung der Aemter mit Eingebornen. Dazu kommt noch der allgemein im Lande verbreitete Glaube, daß Milosch bald wieder zurückkehren werde, um seine Rechte geltend zu machen, die durch die erzwungene Abdication keineswegs erloschen seyen. Dieß alles erhält das Land in Aufregung und macht dem Fürsten Michael fremde Unterstützung unentbehrlich; denn wie ausgezeichnet auch seine natürlichen Anlagen seyn mögen, sind diese doch noch gänzlich unentwickelt, und von der Festigkeit des Charakters, von welcher der abgesetzte Milosch so viel Proben gegeben, will man auch nicht den geringsten Keim, nicht die mindeste Spur in seinem Nachfolger entdecken. Man besorgt daher allgemein, daß die Zukunft des Landes schwankend, die Richtung der Regierung antinational, im Ganzen fremder Einfluß vorherrschend werden müsse, daher die innern Bewegungen, die sich für den Augenblick in Ermangelung andern Stoffs gegen die fremden Beamten und gegen den gewählten Sitz der Regierung äußern. – Nachrichten aus der Wallachei sprechen von Unruhen und gewaltthätigen Auftritten zwischen der wallachischen Miliz und den Bewohnern von Galacz, die nur mit Mühe unterdrückt worden seyen. Proceß des griechischen Patriarchen. Athen, 14 März. Es scheint ein Widerspruch darin zu liegen, das von dem Patriarchat in Konstantinopel abgefallene Rußland in dem heutigen Königreich Griechenland die Schritte, die es um ein Jahrhundert früher selbst gethan hat, für völlig falsch und verwerflich erklären zu sehen. Aber der Widerspruch ist nur scheinbar. Die russische Kirche zielt offenbar dahin, das Patriarchat von Konstantinopel in sich aufzunehmen und zwischen dem Kaiser und dem Patriarchen ein Verhältniß einzuleiten demjenigen ähnlich, welches zwischen dem Sultan und dem Imam von Mekka besteht. Mit der Umwandlung der russischen Kirche in die oströmische oder morgenländische ist der breite politische Unterbau fertig, um den namentlich Kaiser Nikolaus sich die unläugbarsten Verdienste erworben hat. Der Schutz, ausschließlich von Rußland dem Patriarchat gewährt, hat nothwendig eine erwünschte vermittelnde Angewöhnung zur Folge. Für diesen Schutz sind seit fünfzig und mehr Jahren die größten Anstrengungen gemacht, die größten Opfer gebracht worden, und wenn er manchmal unmächtig zu werden scheint, wie z. B. in dem letzten Streite Lord Ponsonby's gegen den Patriarchen, so entspringt diese Unmacht nicht aus Mangel an Kraft, sondern aus der richtigen Berechnung, daß Fehler des Gegners nicht gehindert werden dürfen. In Montenegro ist dieselbe religiöse Thätigkeit Rußlands sichtbar. Eine abgetrennte griechische Staatskirche wird für Rußland zu einem heterogenen Körper, der sich nicht bloß nicht recht assimiliren läßt, sondern sich am Ende wohl gar einfallen lassen könnte, mit Rußland auf einer und derselben Bahn in die Wette zu laufen. Konstantinopel, 22 März. Wir glauben, daß eine Nachweisung des Verfahrens Lord Ponsonby's in der Angelegenheit des Patriarchen immer noch an der Zeit ist. Es gehört dieser Schritt zu denen, die als Symptome eine entscheidende Wichtigkeit haben. Er beurkundet drei Thatbestände mit unwiderlegbarer Kraft: die über jede Rücksicht siegende Russenfurcht Lord Ponsonby's, die Unfähigkeit seinerseits, die Stellung Rußlands zur Pforte zu begreifen, und die äußerste Schwäche der Pforte. Eine vierte Thatsache, die übrigens dieses speciellen Beweises nicht bedarf, ist die Hülflosigkeit, in welcher die Pforte von ihren sogenannten Freunden gelassen wird. Dieß mag zum Theil auf die Personen fallen, welche die Mächte vertreten. Die Pforte hat in dem Hattischerif von Gülhaneh den guten Willen verkündigt, an die Stelle der Willkür Recht treten zu lassen. Die Mächte lobten sie deßhalb; aber was Lord Ponsonby verlangte, war unbedingte und alsogleiche Absetzung des Patriarchen, und zwar aus dem Grunde, weil er sie verlange; die übrigen Minister schwiegen und ließen geschehen. Die Pforte hat in ihrer dermaligen bedrängten Lage nichts nöthiger, als die Achtung der Mächte und das Vertrauen ihrer Unterthanen; aber was ist der Sultan nach außen und innen, wenn ein englischer Botschafter ihm Befehle zuschickt, die stärker sind als die Gesetze des Landes? Die Pforte hat durch eine Reihe von Maaßregeln das Bestreben an den Tag gelegt, ihre christlichen Unterthanen an sich zu schließen; aber was kann sie, wenn ein protestantischer Lord das kirchliche Haupt von Millionen dieser Unterthanen mit einem Worte zu Boden werfen und die Pforte dazu zwingen kann, in ihren eigenen Eingeweiden zu wüthen? Vor einigen Monaten war Lord Ponsonby der Vorderste, um über die Anmaßung Mehemed Ali's das Anathem zu rufen, weil dieser die Absetzung eines Dieners des Sultans verlangte; heute verlangte und erzwang er selbst die Absetzung eines andern, nicht weniger wichtigen Dieners des Sultans. Jener war ein Muselmann, dieser ein Christ. Man würde Lord Ponsonby Unrecht thun, wenn man in seiner Handlungsweise einen Plan suchen wollte. Er ist das getäuschte Werkzeug eines schmeichelnden Griechen, der an die Stelle des Patriarchen aus eigennützigen Absichten einen seiner Clienten setzen wollte. Es war genug, dem guten Lord von geheimer Neigung des Patriarchen zu den Russen zu sprechen, um ihn sofort mit unaufhaltbarem Eifer in der Intrigue ziehen zu machen. Daß der Patriarch in der Frage der gemischten Ehen seinen Glaubenskindern in Corfu anders sprach, als der protestantische Lord-Obercommissär, das ward für einen Angriff auf die Rechte der Königin erklärt, und darüber weiter keinen Streit zulassend, beschränkte sich Lord Ponsonby auf das einfache Begehren um Genugthuung, und stellte in drängenden Noten die einfache Frage: will die Pforte die Genugthuung geben oder will sie es nicht? Vergeblich versprach die Pforte, sogleich eine Untersuchung einzuleiten, und bat, im Namen ihrer Unabhängigkeit und der Gerechtigkeit überhaupt, im Namen des Hattischerifs von Gülhaneh auch, um die Schonung, ihr doch diese Formalität zuzugestehen, hinter der die Bestrafung des Patriarchen folgen werde. Lord Ponsonby antwortete, der Hattischerif habe nichts mit diesem Falle zu thun; er wolle klare Antwort auf seine klare Frage, nichts weiter. Reschid Pascha versuchte noch, hierauf zu erwiedern: „der Sultan werde ohne Zweifel die Genugthuung geben, aber dem Sultan allein stehe das Maaß der Strafe zu bemessen zu.“ Auch hierauf erhielt die Pforte nur die frühere Antwort. Sie leitete eilig die Untersuchung ein, und es ergab sich das seltsame Schauspiel, daß christliche Hirtenbriefe und Kirchensatzungen durch einen christlichen Botschafter vor das Tribunal der osmanischen Pforte gebracht, da geprüft und verdammt werden mußten! – Reschid Pascha suchte dieser Nothwendigkeit auszuweichen; er hätte gar gern andere Vorwände gehabt, um den Patriarchen abzusetzen, aber er fand keine, und wie Pilatus wusch er seine Hände und ließ geschehen! Ihm war der Patriarch das geistliche Haupt der griechischen Kirche. 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Dieß alles erhält das Land in Aufregung und macht dem Fürsten Michael fremde Unterstützung unentbehrlich; denn wie ausgezeichnet auch seine natürlichen Anlagen seyn mögen, sind diese doch noch gänzlich unentwickelt, und von der Festigkeit des Charakters, von welcher der abgesetzte Milosch so viel Proben gegeben, will man auch nicht den geringsten Keim, nicht die mindeste Spur in seinem Nachfolger entdecken. Man besorgt daher allgemein, daß die Zukunft des Landes schwankend, die Richtung der Regierung antinational, im Ganzen fremder Einfluß vorherrschend werden müsse, daher die innern Bewegungen, die sich für den Augenblick in Ermangelung andern Stoffs gegen die fremden Beamten und gegen den gewählten Sitz der Regierung äußern. – Nachrichten aus der Wallachei sprechen von Unruhen und gewaltthätigen Auftritten zwischen der wallachischen Miliz und den Bewohnern von Galacz, die nur mit Mühe unterdrückt worden seyen.</p><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Proceß des griechischen Patriarchen</hi>.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Athen,</hi> 14 März.</dateline> <p> Es scheint ein Widerspruch darin zu liegen, das von dem Patriarchat in Konstantinopel abgefallene Rußland in dem heutigen Königreich Griechenland die Schritte, die es um ein Jahrhundert früher selbst gethan hat, für völlig falsch und verwerflich erklären zu sehen. Aber der Widerspruch ist nur scheinbar. Die russische Kirche zielt offenbar dahin, das Patriarchat von Konstantinopel in sich aufzunehmen und zwischen dem Kaiser und dem Patriarchen ein Verhältniß einzuleiten demjenigen ähnlich, welches zwischen dem Sultan und dem Imam von Mekka besteht. Mit der Umwandlung der russischen Kirche in die oströmische oder morgenländische ist der breite politische Unterbau fertig, um den namentlich Kaiser Nikolaus sich die unläugbarsten Verdienste erworben hat. Der Schutz, ausschließlich von Rußland dem Patriarchat gewährt, hat nothwendig eine erwünschte vermittelnde Angewöhnung zur Folge. Für diesen Schutz sind seit fünfzig und mehr Jahren die größten Anstrengungen gemacht, die größten Opfer gebracht worden, und wenn er manchmal unmächtig zu werden scheint, wie z. B. in dem letzten Streite Lord Ponsonby's gegen den Patriarchen, so entspringt diese Unmacht nicht aus Mangel an Kraft, sondern aus der richtigen Berechnung, daß Fehler des Gegners nicht gehindert werden dürfen. In Montenegro ist dieselbe religiöse Thätigkeit Rußlands sichtbar. Eine abgetrennte griechische Staatskirche wird für Rußland zu einem heterogenen Körper, der sich nicht bloß nicht recht assimiliren läßt, sondern sich am Ende wohl gar einfallen lassen könnte, mit Rußland auf einer und derselben Bahn in die Wette zu laufen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 22 März.</dateline> <p> Wir glauben, daß eine Nachweisung des Verfahrens Lord Ponsonby's in der Angelegenheit des Patriarchen immer noch an der Zeit ist. Es gehört dieser Schritt zu denen, die als Symptome eine entscheidende Wichtigkeit haben. 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Vergeblich versprach die Pforte, sogleich eine Untersuchung einzuleiten, und bat, im Namen ihrer Unabhängigkeit und der Gerechtigkeit überhaupt, im Namen des Hattischerifs von Gülhaneh auch, um die Schonung, ihr doch diese Formalität zuzugestehen, hinter der die Bestrafung des Patriarchen folgen werde. Lord Ponsonby antwortete, der Hattischerif habe nichts mit diesem Falle zu thun; er wolle klare Antwort auf seine klare Frage, nichts weiter. Reschid Pascha versuchte noch, hierauf zu erwiedern: „der Sultan werde ohne Zweifel die Genugthuung geben, aber dem Sultan allein stehe das Maaß der Strafe zu bemessen zu.“ Auch hierauf erhielt die Pforte nur die frühere Antwort. Sie leitete eilig die Untersuchung ein, und es ergab sich das seltsame Schauspiel, daß christliche Hirtenbriefe und Kirchensatzungen durch einen christlichen Botschafter vor das Tribunal der osmanischen Pforte gebracht, da geprüft und verdammt werden mußten! – Reschid Pascha suchte dieser Nothwendigkeit auszuweichen; er hätte gar gern andere Vorwände gehabt, um den Patriarchen abzusetzen, aber er fand keine, und wie Pilatus wusch er seine Hände und ließ geschehen! Ihm war der Patriarch das geistliche Haupt der griechischen Kirche. Lord Ponsonby aber beliebte selbst dem russischen Botschafter zu sagen: „Was ist denn an diesem Menschen, daß man ihn mir verweigere? Ein Pfeifenputzer des<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0827/0011]
Stellen in der Landesadministration sind mit Fremden besetzt, hauptsächlich Oesterreichern und Russen; man verlangt die Entfernung derselben, und die Besetzung der Aemter mit Eingebornen. Dazu kommt noch der allgemein im Lande verbreitete Glaube, daß Milosch bald wieder zurückkehren werde, um seine Rechte geltend zu machen, die durch die erzwungene Abdication keineswegs erloschen seyen. Dieß alles erhält das Land in Aufregung und macht dem Fürsten Michael fremde Unterstützung unentbehrlich; denn wie ausgezeichnet auch seine natürlichen Anlagen seyn mögen, sind diese doch noch gänzlich unentwickelt, und von der Festigkeit des Charakters, von welcher der abgesetzte Milosch so viel Proben gegeben, will man auch nicht den geringsten Keim, nicht die mindeste Spur in seinem Nachfolger entdecken. Man besorgt daher allgemein, daß die Zukunft des Landes schwankend, die Richtung der Regierung antinational, im Ganzen fremder Einfluß vorherrschend werden müsse, daher die innern Bewegungen, die sich für den Augenblick in Ermangelung andern Stoffs gegen die fremden Beamten und gegen den gewählten Sitz der Regierung äußern. – Nachrichten aus der Wallachei sprechen von Unruhen und gewaltthätigen Auftritten zwischen der wallachischen Miliz und den Bewohnern von Galacz, die nur mit Mühe unterdrückt worden seyen.
Proceß des griechischen Patriarchen.
_ Athen, 14 März. Es scheint ein Widerspruch darin zu liegen, das von dem Patriarchat in Konstantinopel abgefallene Rußland in dem heutigen Königreich Griechenland die Schritte, die es um ein Jahrhundert früher selbst gethan hat, für völlig falsch und verwerflich erklären zu sehen. Aber der Widerspruch ist nur scheinbar. Die russische Kirche zielt offenbar dahin, das Patriarchat von Konstantinopel in sich aufzunehmen und zwischen dem Kaiser und dem Patriarchen ein Verhältniß einzuleiten demjenigen ähnlich, welches zwischen dem Sultan und dem Imam von Mekka besteht. Mit der Umwandlung der russischen Kirche in die oströmische oder morgenländische ist der breite politische Unterbau fertig, um den namentlich Kaiser Nikolaus sich die unläugbarsten Verdienste erworben hat. Der Schutz, ausschließlich von Rußland dem Patriarchat gewährt, hat nothwendig eine erwünschte vermittelnde Angewöhnung zur Folge. Für diesen Schutz sind seit fünfzig und mehr Jahren die größten Anstrengungen gemacht, die größten Opfer gebracht worden, und wenn er manchmal unmächtig zu werden scheint, wie z. B. in dem letzten Streite Lord Ponsonby's gegen den Patriarchen, so entspringt diese Unmacht nicht aus Mangel an Kraft, sondern aus der richtigen Berechnung, daß Fehler des Gegners nicht gehindert werden dürfen. In Montenegro ist dieselbe religiöse Thätigkeit Rußlands sichtbar. Eine abgetrennte griechische Staatskirche wird für Rußland zu einem heterogenen Körper, der sich nicht bloß nicht recht assimiliren läßt, sondern sich am Ende wohl gar einfallen lassen könnte, mit Rußland auf einer und derselben Bahn in die Wette zu laufen.
_ Konstantinopel, 22 März. Wir glauben, daß eine Nachweisung des Verfahrens Lord Ponsonby's in der Angelegenheit des Patriarchen immer noch an der Zeit ist. Es gehört dieser Schritt zu denen, die als Symptome eine entscheidende Wichtigkeit haben. Er beurkundet drei Thatbestände mit unwiderlegbarer Kraft: die über jede Rücksicht siegende Russenfurcht Lord Ponsonby's, die Unfähigkeit seinerseits, die Stellung Rußlands zur Pforte zu begreifen, und die äußerste Schwäche der Pforte. Eine vierte Thatsache, die übrigens dieses speciellen Beweises nicht bedarf, ist die Hülflosigkeit, in welcher die Pforte von ihren sogenannten Freunden gelassen wird. Dieß mag zum Theil auf die Personen fallen, welche die Mächte vertreten.
Die Pforte hat in dem Hattischerif von Gülhaneh den guten Willen verkündigt, an die Stelle der Willkür Recht treten zu lassen. Die Mächte lobten sie deßhalb; aber was Lord Ponsonby verlangte, war unbedingte und alsogleiche Absetzung des Patriarchen, und zwar aus dem Grunde, weil er sie verlange; die übrigen Minister schwiegen und ließen geschehen. Die Pforte hat in ihrer dermaligen bedrängten Lage nichts nöthiger, als die Achtung der Mächte und das Vertrauen ihrer Unterthanen; aber was ist der Sultan nach außen und innen, wenn ein englischer Botschafter ihm Befehle zuschickt, die stärker sind als die Gesetze des Landes? Die Pforte hat durch eine Reihe von Maaßregeln das Bestreben an den Tag gelegt, ihre christlichen Unterthanen an sich zu schließen; aber was kann sie, wenn ein protestantischer Lord das kirchliche Haupt von Millionen dieser Unterthanen mit einem Worte zu Boden werfen und die Pforte dazu zwingen kann, in ihren eigenen Eingeweiden zu wüthen? Vor einigen Monaten war Lord Ponsonby der Vorderste, um über die Anmaßung Mehemed Ali's das Anathem zu rufen, weil dieser die Absetzung eines Dieners des Sultans verlangte; heute verlangte und erzwang er selbst die Absetzung eines andern, nicht weniger wichtigen Dieners des Sultans. Jener war ein Muselmann, dieser ein Christ.
Man würde Lord Ponsonby Unrecht thun, wenn man in seiner Handlungsweise einen Plan suchen wollte. Er ist das getäuschte Werkzeug eines schmeichelnden Griechen, der an die Stelle des Patriarchen aus eigennützigen Absichten einen seiner Clienten setzen wollte. Es war genug, dem guten Lord von geheimer Neigung des Patriarchen zu den Russen zu sprechen, um ihn sofort mit unaufhaltbarem Eifer in der Intrigue ziehen zu machen. Daß der Patriarch in der Frage der gemischten Ehen seinen Glaubenskindern in Corfu anders sprach, als der protestantische Lord-Obercommissär, das ward für einen Angriff auf die Rechte der Königin erklärt, und darüber weiter keinen Streit zulassend, beschränkte sich Lord Ponsonby auf das einfache Begehren um Genugthuung, und stellte in drängenden Noten die einfache Frage: will die Pforte die Genugthuung geben oder will sie es nicht? Vergeblich versprach die Pforte, sogleich eine Untersuchung einzuleiten, und bat, im Namen ihrer Unabhängigkeit und der Gerechtigkeit überhaupt, im Namen des Hattischerifs von Gülhaneh auch, um die Schonung, ihr doch diese Formalität zuzugestehen, hinter der die Bestrafung des Patriarchen folgen werde. Lord Ponsonby antwortete, der Hattischerif habe nichts mit diesem Falle zu thun; er wolle klare Antwort auf seine klare Frage, nichts weiter. Reschid Pascha versuchte noch, hierauf zu erwiedern: „der Sultan werde ohne Zweifel die Genugthuung geben, aber dem Sultan allein stehe das Maaß der Strafe zu bemessen zu.“ Auch hierauf erhielt die Pforte nur die frühere Antwort. Sie leitete eilig die Untersuchung ein, und es ergab sich das seltsame Schauspiel, daß christliche Hirtenbriefe und Kirchensatzungen durch einen christlichen Botschafter vor das Tribunal der osmanischen Pforte gebracht, da geprüft und verdammt werden mußten! – Reschid Pascha suchte dieser Nothwendigkeit auszuweichen; er hätte gar gern andere Vorwände gehabt, um den Patriarchen abzusetzen, aber er fand keine, und wie Pilatus wusch er seine Hände und ließ geschehen! Ihm war der Patriarch das geistliche Haupt der griechischen Kirche. Lord Ponsonby aber beliebte selbst dem russischen Botschafter zu sagen: „Was ist denn an diesem Menschen, daß man ihn mir verweigere? Ein Pfeifenputzer des
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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