Allgemeine Zeitung. Nr. 104. Augsburg, 13. April 1840.Dr. Bowring über den Zollverein. Hamburg, 3 April. Dr. Bowrings Bericht über den deutschen Zollverband ist endlich erschienen und umfaßt mit den angehängten Tabellen 289 Seiten. Der Verfasser erkennt die Vortheile an, welche Deutschland durch den Verband gewonnen hat; nachtheilig könne der Verein nur dann wirken, wenn man auf kleinliche Interessen zu viel Gewicht legte. Das deutsche Nationalgefühl habe der Verein aus den Regionen der Phantasie in den Kreis des wirklichen Lebens herabgezogen, und bei aufgeklärter Leitung dürfte er nicht bloß das Wohl der Vereinsstaaten im Innern befördern, sondern auch ihren Verkehr über die ganze Welt verbreiten. Der Verein sey nicht aus feindseligen Absichten gegen den Handel anderer Staaten entstanden; er habe im Bedürfniß des deutschen Volks gelegen, und wenn der Zolltarif den brittischen Producten Abbruch gethan habe, so seyen die brittischen Gesetze selbst daran Schuld, weil man den Deutschen den Ueberfluß ihres Ackerbaues nicht abgenommen habe. Der Zollverein vertrete nun die Angelegenheiten von 26 Millionen Menschen aus den gebildetsten und reichsten Theilen Europa's, und habe das wichtige Resultat erlebt, die Aufmerksamkeit und Furcht mehr als Einer benachbarten Nation zu erwecken. Von seinem Einfluß auf brittischen Interessen zu sprechen, sey jetzt zu spät. Er bestehe und werde nicht leicht aufzulösen seyn (is not likely to be broken up). Wolle man etwas erzielen, so müsse man mit dem ganzen Verein unterhandeln, der natürlich mehr Gewicht habe, als die einzelnen Staaten unter sich hätten an den Tag legen können. Dr. Bowring äußert die Meinung, daß man in Deutschland weniger um Fabriken sich bekümmern würde, wäre den Erzeugnissen unseres Bodens ein fremder Markt geöffnet, und behauptet, daß der Verein die Fabriken zum Nachtheil des Landbaues begünstigt habe. Falsche Handelsgrundsätze, sagt er, seyen in Deutschland eben so allgemein wie anderwärts verbreitet und zum Volksirrthum (public error) geworden. Die heimischen Fabriken durch hohe Zölle gegen fremde Waaren schützen, sey das gewöhnliche Geschrei; aber von dem Verlust, den der Verbraucher dabei erleide, sey nicht die Rede. Dagegen könnten wir unsererseits nun große Einwendungen machen; aber sie mögen für jetzt unterbleiben; nur so viel sey erlaubt hinzuzufügen, daß Deutschland wohl thun werde, bei seinem Irrthum zu bleiben, bis uns die Engländer ernstliche Beweise von ihrer Bekehrung gegeben haben. Einstweilen gesteht Dr. Bowring ein, daß England die Vortheile, die es errungen habe, nicht ausschließlich behalten könne; daß wir in Canälen, Straßen, Eisenbahnen und im Maschinenbau große Fortschritte gemacht haben, und raschen Schrittes Großbritannien folgen. Zuletzt hält er noch der Mäßigkeit und Sparsamkeit der deutschen Arbeiter eine Lobrede, spricht mit Wohlgefallen von der allgemein verbreiteten Erziehung und Bildung und hebt besonders die Berliner Gewerbschule hervor, die einst die schönsten Früchte tragen werde. Gegen den Zolltarif hat Dr. Bowring zwei Einwendungen zu machen: 1) gegen die zu hohen Zölle; 2) gegen die Art und Weise, wie sie erhoben werden. Statt 10 bis 15 Procent, wie man gesagt habe, belaufen sich die Zölle auf Fabricate von 20 bis 80 Procent (?) und, nach dem Gewicht gerechnet, seyen die ordinären Waaren viel höher als die feinen besteuert. Auf baumwollene Waaren mache dieß einen Unterschied von 3 1/2 bis auf 120 Procent. Auch gegen die Transitzölle hat er Vieles einzuwenden. Der Gegenstand sey gar zu verwickelt und stehe mit dem einfachen Charakter der Zollgesetze nicht in Einklang. Der Freiheit der Hansestädte redet er das Wort, und wünscht, daß sie nicht mit dem Verein in Verbindung treten. In Beziehung auf England sagt er Folgendes: "Soll unser Handel von vielen Millionen nicht verloren gehen, so ist nur Ein Weg einzuschlagen: der Zolltarif von England muß, pari passu, mit dem Tarif der Vereinsstaaten abgeändert werden. Dieß ist so augenscheinlich, so wesentlich, so dauernd mit dem Wohle von 50 Millionen Britten und Deutschen verknüpft, daß ich nicht daran zweifle, daß erhebliche Abänderungen auf beiden Seiten mit Freuden gemacht und zugestanden werden." Weiter sagt er: "Unser Maschinenausfuhrverbot hat nichts geholfen; englische Maschinen werden überall gefunden. Das Verbot hat eigentlich bloß uns selbst geschadet; hätte es nicht bestanden, so hätten wir den Maschinenhandel ausschließlich behalten." Zuletzt fügt Dr. Bowring noch hinzu: "In verschiedener Beziehung kann sich Deutschland, was die Mittel zur Fabrication betrifft, einer Ueberlegenheit über England rühmen. Das Zeichnen versteht man dort besser; Metalle werden mit mehr Erfolg bearbeitet; Chemie ist dort weiter, als bei uns; und wenn auch deutsches Genie in Erfindungen nicht ausgezeichnet ist, so zeichnet es sich doch durch Bedachtsamkeit und große Beharrlichkeit aus." Schließlich empfiehlt Dr. Bowring eine Abänderung in den englischen Korngesetzen, und in den Zöllen auf Holz. Für Deutschland seyen die englischen Korngesetze nicht besser als eine Lotterie; in England wirken sie äußerst nachtheilig auf den Geldmarkt und erzeugen unerwartete Handelskrisen, die sich über ganz Europa verbreiten. Entschließe sich England nicht bald zu einer Abänderung dieser Gesetze, so werde es zu spät seyn, mit dem deutschen Zollverein in Unterhandlung zu treten; denn er werde seinen Ueberfluß an Getreide selbst verzehren, oder es werden sich andere Auswege öffnen. Der Unterschied in den Kornpreisen auf englischen Märkten sey außerordentlich, und im Durchschnitt genommen habe er von 1817 bis 1839 zwischen 39 und 94 Schilling per Quarter geschwankt. Merkwürdig ist die Zunahme in der Einfuhr geistiger Getränke aus den Vereinsstaaten zur Wiederausfuhr nach den Colonien. Von 1829 bis 1833 wurden im Durchschnitt bloß 47,351 Gallonen, von 1834 bis 1838 aber 199,174 Gallonen nach England gebracht. Die Zölle auf Seidenwaaren, Leinen seyen in Großbritannien viel zu hoch, um gegenseitigen Verkehr zu erlauben; auf Leinen z. B. betragen sie über 40 Procent statt 20, wie es im Tarif bestimmt ist, und auf Seidenwaaren 50 bis 70 Proc. statt 30 Proc. Im Ganzen ist der Bericht ein schätzbares Actenstück, und sehr freisinnig geschrieben. Wenn aber zwischen England und Deutschland eine Annäherung stattfinden sollte, so ist zu wünschen, daß die Zugeständnisse dem Werthe der Aus- und Einfuhr nach bestimmt, und nicht bloß Getreide und Holz berücksichtigt werden. England muß unsere Leinen und Seidenwaaren, unsere baumwollenen Strümpfe etc., unsere landwirthschaftlichen Erzeugnisse zulassen, wenn irgend ein Vertrag mit Vortheil geschlossen werden soll. "Pari passu" muß die Sache geschehen, wie es Dr. Bowring wohl selbst eingesehen hat. Dr. Bowring über den Zollverein. Hamburg, 3 April. Dr. Bowrings Bericht über den deutschen Zollverband ist endlich erschienen und umfaßt mit den angehängten Tabellen 289 Seiten. Der Verfasser erkennt die Vortheile an, welche Deutschland durch den Verband gewonnen hat; nachtheilig könne der Verein nur dann wirken, wenn man auf kleinliche Interessen zu viel Gewicht legte. Das deutsche Nationalgefühl habe der Verein aus den Regionen der Phantasie in den Kreis des wirklichen Lebens herabgezogen, und bei aufgeklärter Leitung dürfte er nicht bloß das Wohl der Vereinsstaaten im Innern befördern, sondern auch ihren Verkehr über die ganze Welt verbreiten. Der Verein sey nicht aus feindseligen Absichten gegen den Handel anderer Staaten entstanden; er habe im Bedürfniß des deutschen Volks gelegen, und wenn der Zolltarif den brittischen Producten Abbruch gethan habe, so seyen die brittischen Gesetze selbst daran Schuld, weil man den Deutschen den Ueberfluß ihres Ackerbaues nicht abgenommen habe. Der Zollverein vertrete nun die Angelegenheiten von 26 Millionen Menschen aus den gebildetsten und reichsten Theilen Europa's, und habe das wichtige Resultat erlebt, die Aufmerksamkeit und Furcht mehr als Einer benachbarten Nation zu erwecken. Von seinem Einfluß auf brittischen Interessen zu sprechen, sey jetzt zu spät. Er bestehe und werde nicht leicht aufzulösen seyn (is not likely to be broken up). Wolle man etwas erzielen, so müsse man mit dem ganzen Verein unterhandeln, der natürlich mehr Gewicht habe, als die einzelnen Staaten unter sich hätten an den Tag legen können. Dr. Bowring äußert die Meinung, daß man in Deutschland weniger um Fabriken sich bekümmern würde, wäre den Erzeugnissen unseres Bodens ein fremder Markt geöffnet, und behauptet, daß der Verein die Fabriken zum Nachtheil des Landbaues begünstigt habe. Falsche Handelsgrundsätze, sagt er, seyen in Deutschland eben so allgemein wie anderwärts verbreitet und zum Volksirrthum (public error) geworden. Die heimischen Fabriken durch hohe Zölle gegen fremde Waaren schützen, sey das gewöhnliche Geschrei; aber von dem Verlust, den der Verbraucher dabei erleide, sey nicht die Rede. Dagegen könnten wir unsererseits nun große Einwendungen machen; aber sie mögen für jetzt unterbleiben; nur so viel sey erlaubt hinzuzufügen, daß Deutschland wohl thun werde, bei seinem Irrthum zu bleiben, bis uns die Engländer ernstliche Beweise von ihrer Bekehrung gegeben haben. Einstweilen gesteht Dr. Bowring ein, daß England die Vortheile, die es errungen habe, nicht ausschließlich behalten könne; daß wir in Canälen, Straßen, Eisenbahnen und im Maschinenbau große Fortschritte gemacht haben, und raschen Schrittes Großbritannien folgen. Zuletzt hält er noch der Mäßigkeit und Sparsamkeit der deutschen Arbeiter eine Lobrede, spricht mit Wohlgefallen von der allgemein verbreiteten Erziehung und Bildung und hebt besonders die Berliner Gewerbschule hervor, die einst die schönsten Früchte tragen werde. Gegen den Zolltarif hat Dr. Bowring zwei Einwendungen zu machen: 1) gegen die zu hohen Zölle; 2) gegen die Art und Weise, wie sie erhoben werden. Statt 10 bis 15 Procent, wie man gesagt habe, belaufen sich die Zölle auf Fabricate von 20 bis 80 Procent (?) und, nach dem Gewicht gerechnet, seyen die ordinären Waaren viel höher als die feinen besteuert. Auf baumwollene Waaren mache dieß einen Unterschied von 3 1/2 bis auf 120 Procent. Auch gegen die Transitzölle hat er Vieles einzuwenden. Der Gegenstand sey gar zu verwickelt und stehe mit dem einfachen Charakter der Zollgesetze nicht in Einklang. Der Freiheit der Hansestädte redet er das Wort, und wünscht, daß sie nicht mit dem Verein in Verbindung treten. In Beziehung auf England sagt er Folgendes: „Soll unser Handel von vielen Millionen nicht verloren gehen, so ist nur Ein Weg einzuschlagen: der Zolltarif von England muß, pari passu, mit dem Tarif der Vereinsstaaten abgeändert werden. Dieß ist so augenscheinlich, so wesentlich, so dauernd mit dem Wohle von 50 Millionen Britten und Deutschen verknüpft, daß ich nicht daran zweifle, daß erhebliche Abänderungen auf beiden Seiten mit Freuden gemacht und zugestanden werden.“ Weiter sagt er: „Unser Maschinenausfuhrverbot hat nichts geholfen; englische Maschinen werden überall gefunden. Das Verbot hat eigentlich bloß uns selbst geschadet; hätte es nicht bestanden, so hätten wir den Maschinenhandel ausschließlich behalten.“ Zuletzt fügt Dr. Bowring noch hinzu: „In verschiedener Beziehung kann sich Deutschland, was die Mittel zur Fabrication betrifft, einer Ueberlegenheit über England rühmen. Das Zeichnen versteht man dort besser; Metalle werden mit mehr Erfolg bearbeitet; Chemie ist dort weiter, als bei uns; und wenn auch deutsches Genie in Erfindungen nicht ausgezeichnet ist, so zeichnet es sich doch durch Bedachtsamkeit und große Beharrlichkeit aus.“ Schließlich empfiehlt Dr. Bowring eine Abänderung in den englischen Korngesetzen, und in den Zöllen auf Holz. Für Deutschland seyen die englischen Korngesetze nicht besser als eine Lotterie; in England wirken sie äußerst nachtheilig auf den Geldmarkt und erzeugen unerwartete Handelskrisen, die sich über ganz Europa verbreiten. Entschließe sich England nicht bald zu einer Abänderung dieser Gesetze, so werde es zu spät seyn, mit dem deutschen Zollverein in Unterhandlung zu treten; denn er werde seinen Ueberfluß an Getreide selbst verzehren, oder es werden sich andere Auswege öffnen. Der Unterschied in den Kornpreisen auf englischen Märkten sey außerordentlich, und im Durchschnitt genommen habe er von 1817 bis 1839 zwischen 39 und 94 Schilling per Quarter geschwankt. Merkwürdig ist die Zunahme in der Einfuhr geistiger Getränke aus den Vereinsstaaten zur Wiederausfuhr nach den Colonien. Von 1829 bis 1833 wurden im Durchschnitt bloß 47,351 Gallonen, von 1834 bis 1838 aber 199,174 Gallonen nach England gebracht. Die Zölle auf Seidenwaaren, Leinen seyen in Großbritannien viel zu hoch, um gegenseitigen Verkehr zu erlauben; auf Leinen z. B. betragen sie über 40 Procent statt 20, wie es im Tarif bestimmt ist, und auf Seidenwaaren 50 bis 70 Proc. statt 30 Proc. Im Ganzen ist der Bericht ein schätzbares Actenstück, und sehr freisinnig geschrieben. Wenn aber zwischen England und Deutschland eine Annäherung stattfinden sollte, so ist zu wünschen, daß die Zugeständnisse dem Werthe der Aus- und Einfuhr nach bestimmt, und nicht bloß Getreide und Holz berücksichtigt werden. England muß unsere Leinen und Seidenwaaren, unsere baumwollenen Strümpfe etc., unsere landwirthschaftlichen Erzeugnisse zulassen, wenn irgend ein Vertrag mit Vortheil geschlossen werden soll. „Pari passu“ muß die Sache geschehen, wie es Dr. Bowring wohl selbst eingesehen hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0009" n="0825"/> </div> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Dr. <hi rendition="#g">Bowring über den Zollverein</hi>.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Hamburg,</hi> 3 April.</dateline> <p> Dr. Bowrings Bericht über den deutschen Zollverband ist endlich erschienen und umfaßt mit den angehängten Tabellen 289 Seiten. Der Verfasser erkennt die Vortheile an, welche Deutschland durch den Verband gewonnen hat; nachtheilig könne der Verein nur dann wirken, wenn man auf kleinliche Interessen zu viel Gewicht legte. Das deutsche Nationalgefühl habe der Verein aus den Regionen der Phantasie in den Kreis des wirklichen Lebens herabgezogen, und bei aufgeklärter Leitung dürfte er nicht bloß das Wohl der Vereinsstaaten im Innern befördern, sondern auch ihren Verkehr über die ganze Welt verbreiten. Der Verein sey nicht aus feindseligen Absichten gegen den Handel anderer Staaten entstanden; er habe im Bedürfniß des deutschen Volks gelegen, und wenn der Zolltarif den brittischen Producten Abbruch gethan habe, so seyen die brittischen Gesetze selbst daran Schuld, weil man den Deutschen den Ueberfluß ihres Ackerbaues nicht abgenommen habe. Der Zollverein vertrete nun die Angelegenheiten von 26 Millionen Menschen aus den gebildetsten und reichsten Theilen Europa's, und habe das wichtige Resultat erlebt, die Aufmerksamkeit und Furcht mehr als Einer benachbarten Nation zu erwecken. Von seinem Einfluß auf brittischen Interessen zu sprechen, sey jetzt zu spät. Er bestehe und werde nicht leicht aufzulösen seyn (is not likely to be broken up). Wolle man etwas erzielen, so müsse man mit dem ganzen Verein unterhandeln, der natürlich mehr Gewicht habe, als die einzelnen Staaten unter sich hätten an den Tag legen können.</p><lb/> <p>Dr. Bowring äußert die Meinung, daß man in Deutschland weniger um Fabriken sich bekümmern würde, wäre den Erzeugnissen unseres Bodens ein fremder Markt geöffnet, und behauptet, daß der Verein die Fabriken zum Nachtheil des Landbaues begünstigt habe. Falsche Handelsgrundsätze, sagt er, seyen in Deutschland eben so allgemein wie anderwärts verbreitet und zum Volksirrthum (public error) geworden. Die heimischen Fabriken durch hohe Zölle gegen fremde Waaren schützen, sey das gewöhnliche Geschrei; aber von dem Verlust, den der Verbraucher dabei erleide, sey nicht die Rede.</p><lb/> <p>Dagegen könnten wir unsererseits nun große Einwendungen machen; aber sie mögen für jetzt unterbleiben; nur so viel sey erlaubt hinzuzufügen, daß Deutschland wohl thun werde, bei seinem Irrthum zu bleiben, bis uns die Engländer ernstliche Beweise von ihrer Bekehrung gegeben haben. Einstweilen gesteht Dr. Bowring ein, daß England die Vortheile, die es errungen habe, nicht ausschließlich behalten könne; daß wir in Canälen, Straßen, Eisenbahnen und im Maschinenbau große Fortschritte gemacht haben, und raschen Schrittes Großbritannien folgen. Zuletzt hält er noch der Mäßigkeit und Sparsamkeit der deutschen Arbeiter eine Lobrede, spricht mit Wohlgefallen von der allgemein verbreiteten Erziehung und Bildung und hebt besonders die Berliner Gewerbschule hervor, die einst die schönsten Früchte tragen werde.</p><lb/> <p>Gegen den Zolltarif hat Dr. Bowring zwei Einwendungen zu machen: 1) gegen die zu hohen Zölle; 2) gegen die Art und Weise, wie sie erhoben werden. Statt 10 bis 15 Procent, wie man gesagt habe, belaufen sich die Zölle auf Fabricate von 20 bis 80 Procent (?) und, nach dem Gewicht gerechnet, seyen die ordinären Waaren viel höher als die feinen besteuert. Auf baumwollene Waaren mache dieß einen Unterschied von 3 1/2 bis auf 120 Procent. Auch gegen die Transitzölle hat er Vieles einzuwenden. Der Gegenstand sey gar zu verwickelt und stehe mit dem einfachen Charakter der Zollgesetze nicht in Einklang. Der Freiheit der Hansestädte redet er das Wort, und wünscht, daß sie nicht mit dem Verein in Verbindung treten. In Beziehung auf England sagt er Folgendes: „Soll unser Handel von vielen Millionen nicht verloren gehen, so ist nur Ein Weg einzuschlagen: <hi rendition="#g">der Zolltarif von England muß</hi>, <hi rendition="#i">pari passu</hi>, <hi rendition="#g">mit dem Tarif der Vereinsstaaten abgeändert werden</hi>. Dieß ist so augenscheinlich, so wesentlich, so dauernd mit dem Wohle von 50 Millionen Britten und Deutschen verknüpft, daß ich nicht daran zweifle, daß erhebliche Abänderungen auf beiden Seiten mit Freuden gemacht und zugestanden werden.“ Weiter sagt er: „Unser Maschinenausfuhrverbot hat nichts geholfen; englische Maschinen werden überall gefunden. Das Verbot hat eigentlich bloß uns selbst geschadet; hätte es nicht bestanden, so hätten wir den Maschinenhandel ausschließlich behalten.“ Zuletzt fügt Dr. Bowring noch hinzu: „In verschiedener Beziehung kann sich Deutschland, was die Mittel zur Fabrication betrifft, einer Ueberlegenheit über England rühmen. Das Zeichnen versteht man dort besser; Metalle werden mit mehr Erfolg bearbeitet; Chemie ist dort weiter, als bei uns; und wenn auch deutsches Genie in Erfindungen nicht ausgezeichnet ist, so zeichnet es sich doch durch Bedachtsamkeit und große Beharrlichkeit aus.“</p><lb/> <p>Schließlich empfiehlt Dr. Bowring eine Abänderung in den englischen Korngesetzen, und in den Zöllen auf Holz. Für Deutschland seyen die englischen Korngesetze nicht besser als eine Lotterie; in England wirken sie äußerst nachtheilig auf den Geldmarkt und erzeugen unerwartete Handelskrisen, die sich über ganz Europa verbreiten. Entschließe sich England nicht bald zu einer Abänderung dieser Gesetze, so werde es zu spät seyn, mit dem deutschen Zollverein in Unterhandlung zu treten; denn er werde seinen Ueberfluß an Getreide selbst verzehren, oder es werden sich andere Auswege öffnen. Der Unterschied in den Kornpreisen auf englischen Märkten sey außerordentlich, und im Durchschnitt genommen habe er von 1817 bis 1839 zwischen 39 und 94 Schilling per Quarter geschwankt. Merkwürdig ist die Zunahme in der Einfuhr geistiger Getränke aus den Vereinsstaaten zur Wiederausfuhr nach den Colonien. Von 1829 bis 1833 wurden im Durchschnitt bloß 47,351 Gallonen, von 1834 bis 1838 aber 199,174 Gallonen nach England gebracht. Die Zölle auf Seidenwaaren, Leinen seyen in Großbritannien viel zu hoch, um gegenseitigen Verkehr zu erlauben; auf Leinen z. B. betragen sie über 40 Procent statt 20, wie es im Tarif bestimmt ist, und auf Seidenwaaren 50 bis 70 Proc. statt 30 Proc.</p><lb/> <p>Im Ganzen ist der Bericht ein schätzbares Actenstück, und sehr freisinnig geschrieben. Wenn aber zwischen England und Deutschland eine Annäherung stattfinden sollte, so ist zu wünschen, daß die Zugeständnisse dem Werthe der Aus- und Einfuhr nach bestimmt, und nicht bloß Getreide und Holz berücksichtigt werden. England muß unsere Leinen und Seidenwaaren, unsere baumwollenen Strümpfe etc., unsere landwirthschaftlichen Erzeugnisse zulassen, wenn irgend ein Vertrag mit Vortheil geschlossen werden soll. „Pari passu“ muß die Sache geschehen, wie es Dr. Bowring wohl selbst eingesehen hat.</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [0825/0009]
Dr. Bowring über den Zollverein.
_ Hamburg, 3 April. Dr. Bowrings Bericht über den deutschen Zollverband ist endlich erschienen und umfaßt mit den angehängten Tabellen 289 Seiten. Der Verfasser erkennt die Vortheile an, welche Deutschland durch den Verband gewonnen hat; nachtheilig könne der Verein nur dann wirken, wenn man auf kleinliche Interessen zu viel Gewicht legte. Das deutsche Nationalgefühl habe der Verein aus den Regionen der Phantasie in den Kreis des wirklichen Lebens herabgezogen, und bei aufgeklärter Leitung dürfte er nicht bloß das Wohl der Vereinsstaaten im Innern befördern, sondern auch ihren Verkehr über die ganze Welt verbreiten. Der Verein sey nicht aus feindseligen Absichten gegen den Handel anderer Staaten entstanden; er habe im Bedürfniß des deutschen Volks gelegen, und wenn der Zolltarif den brittischen Producten Abbruch gethan habe, so seyen die brittischen Gesetze selbst daran Schuld, weil man den Deutschen den Ueberfluß ihres Ackerbaues nicht abgenommen habe. Der Zollverein vertrete nun die Angelegenheiten von 26 Millionen Menschen aus den gebildetsten und reichsten Theilen Europa's, und habe das wichtige Resultat erlebt, die Aufmerksamkeit und Furcht mehr als Einer benachbarten Nation zu erwecken. Von seinem Einfluß auf brittischen Interessen zu sprechen, sey jetzt zu spät. Er bestehe und werde nicht leicht aufzulösen seyn (is not likely to be broken up). Wolle man etwas erzielen, so müsse man mit dem ganzen Verein unterhandeln, der natürlich mehr Gewicht habe, als die einzelnen Staaten unter sich hätten an den Tag legen können.
Dr. Bowring äußert die Meinung, daß man in Deutschland weniger um Fabriken sich bekümmern würde, wäre den Erzeugnissen unseres Bodens ein fremder Markt geöffnet, und behauptet, daß der Verein die Fabriken zum Nachtheil des Landbaues begünstigt habe. Falsche Handelsgrundsätze, sagt er, seyen in Deutschland eben so allgemein wie anderwärts verbreitet und zum Volksirrthum (public error) geworden. Die heimischen Fabriken durch hohe Zölle gegen fremde Waaren schützen, sey das gewöhnliche Geschrei; aber von dem Verlust, den der Verbraucher dabei erleide, sey nicht die Rede.
Dagegen könnten wir unsererseits nun große Einwendungen machen; aber sie mögen für jetzt unterbleiben; nur so viel sey erlaubt hinzuzufügen, daß Deutschland wohl thun werde, bei seinem Irrthum zu bleiben, bis uns die Engländer ernstliche Beweise von ihrer Bekehrung gegeben haben. Einstweilen gesteht Dr. Bowring ein, daß England die Vortheile, die es errungen habe, nicht ausschließlich behalten könne; daß wir in Canälen, Straßen, Eisenbahnen und im Maschinenbau große Fortschritte gemacht haben, und raschen Schrittes Großbritannien folgen. Zuletzt hält er noch der Mäßigkeit und Sparsamkeit der deutschen Arbeiter eine Lobrede, spricht mit Wohlgefallen von der allgemein verbreiteten Erziehung und Bildung und hebt besonders die Berliner Gewerbschule hervor, die einst die schönsten Früchte tragen werde.
Gegen den Zolltarif hat Dr. Bowring zwei Einwendungen zu machen: 1) gegen die zu hohen Zölle; 2) gegen die Art und Weise, wie sie erhoben werden. Statt 10 bis 15 Procent, wie man gesagt habe, belaufen sich die Zölle auf Fabricate von 20 bis 80 Procent (?) und, nach dem Gewicht gerechnet, seyen die ordinären Waaren viel höher als die feinen besteuert. Auf baumwollene Waaren mache dieß einen Unterschied von 3 1/2 bis auf 120 Procent. Auch gegen die Transitzölle hat er Vieles einzuwenden. Der Gegenstand sey gar zu verwickelt und stehe mit dem einfachen Charakter der Zollgesetze nicht in Einklang. Der Freiheit der Hansestädte redet er das Wort, und wünscht, daß sie nicht mit dem Verein in Verbindung treten. In Beziehung auf England sagt er Folgendes: „Soll unser Handel von vielen Millionen nicht verloren gehen, so ist nur Ein Weg einzuschlagen: der Zolltarif von England muß, pari passu, mit dem Tarif der Vereinsstaaten abgeändert werden. Dieß ist so augenscheinlich, so wesentlich, so dauernd mit dem Wohle von 50 Millionen Britten und Deutschen verknüpft, daß ich nicht daran zweifle, daß erhebliche Abänderungen auf beiden Seiten mit Freuden gemacht und zugestanden werden.“ Weiter sagt er: „Unser Maschinenausfuhrverbot hat nichts geholfen; englische Maschinen werden überall gefunden. Das Verbot hat eigentlich bloß uns selbst geschadet; hätte es nicht bestanden, so hätten wir den Maschinenhandel ausschließlich behalten.“ Zuletzt fügt Dr. Bowring noch hinzu: „In verschiedener Beziehung kann sich Deutschland, was die Mittel zur Fabrication betrifft, einer Ueberlegenheit über England rühmen. Das Zeichnen versteht man dort besser; Metalle werden mit mehr Erfolg bearbeitet; Chemie ist dort weiter, als bei uns; und wenn auch deutsches Genie in Erfindungen nicht ausgezeichnet ist, so zeichnet es sich doch durch Bedachtsamkeit und große Beharrlichkeit aus.“
Schließlich empfiehlt Dr. Bowring eine Abänderung in den englischen Korngesetzen, und in den Zöllen auf Holz. Für Deutschland seyen die englischen Korngesetze nicht besser als eine Lotterie; in England wirken sie äußerst nachtheilig auf den Geldmarkt und erzeugen unerwartete Handelskrisen, die sich über ganz Europa verbreiten. Entschließe sich England nicht bald zu einer Abänderung dieser Gesetze, so werde es zu spät seyn, mit dem deutschen Zollverein in Unterhandlung zu treten; denn er werde seinen Ueberfluß an Getreide selbst verzehren, oder es werden sich andere Auswege öffnen. Der Unterschied in den Kornpreisen auf englischen Märkten sey außerordentlich, und im Durchschnitt genommen habe er von 1817 bis 1839 zwischen 39 und 94 Schilling per Quarter geschwankt. Merkwürdig ist die Zunahme in der Einfuhr geistiger Getränke aus den Vereinsstaaten zur Wiederausfuhr nach den Colonien. Von 1829 bis 1833 wurden im Durchschnitt bloß 47,351 Gallonen, von 1834 bis 1838 aber 199,174 Gallonen nach England gebracht. Die Zölle auf Seidenwaaren, Leinen seyen in Großbritannien viel zu hoch, um gegenseitigen Verkehr zu erlauben; auf Leinen z. B. betragen sie über 40 Procent statt 20, wie es im Tarif bestimmt ist, und auf Seidenwaaren 50 bis 70 Proc. statt 30 Proc.
Im Ganzen ist der Bericht ein schätzbares Actenstück, und sehr freisinnig geschrieben. Wenn aber zwischen England und Deutschland eine Annäherung stattfinden sollte, so ist zu wünschen, daß die Zugeständnisse dem Werthe der Aus- und Einfuhr nach bestimmt, und nicht bloß Getreide und Holz berücksichtigt werden. England muß unsere Leinen und Seidenwaaren, unsere baumwollenen Strümpfe etc., unsere landwirthschaftlichen Erzeugnisse zulassen, wenn irgend ein Vertrag mit Vortheil geschlossen werden soll. „Pari passu“ muß die Sache geschehen, wie es Dr. Bowring wohl selbst eingesehen hat.
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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