Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 106. Augsburg, 15. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Noch ein paar deutsche Glossen zu französischen Kritiken.

Sie theilten vor einiger Zeit in Ihren Blättern einen längern Aufsatz mit, worin sich Marmier, einer der geistvollern Mitarbeiter der Revue des deux Mondes, ausführlich über das deutsche Bildungsleben neuester Zeit verbreitete. Die Abhandlung war in der That anziehend genug, und doch sprach der Name des Verfassers im voraus ein lebhafteres Interesse an, als die Arbeit wirklich rechtfertigte. Hr. Marmier hat Deutschland bereist und studirt; er ist Mitglied einer in den Norden gesandten wissenschaftlichen Commission gewesen, und die Gastfreundschaft deutscher Gelehrten hat mit bereitwilligem Entgegenkommen dem Fremdling das Verständniß unseres nationalen Lebens aufzuschließen versucht. Bei solchen Empfehlungen erschien die Voraussetzung nicht allzu kühn, Hr. Marmier werde mit der seinem Volk eigenen lebhaften und geistreichen Weise der Auffassung eine genauere Kenntniß der Thatsachen und ein gründlicheres Begreifen des deutschen Geistes verbinden, als sich dieß in Frankreich gemeinhin vorzufinden pflegt. Jene erste Erwartung hat denn auch Hr. Marmier glänzend erfüllt. Gleich im Anfang - mit wie anmuthigen Genrebildchen des litterarischen Lebens weiß der liebenswürdige Miniaturmaler seinen Aufsatz zu eröffnen! Wie schalkhaft verräth er uns das Geheimniß der Mittel und Wege, durch die ein hochansehnlicher Mann Deutschlands, der Universitätsprofessor und künftige Consistorialrath O. L. B. Wolff, in unglaublich kurzer Zeit das Material zu einem Buch über Paris gesammelt! Wie köstlich ist die Verlegenheit einer großen litterarischen Jury geschildert, wenn sie Mittheilungen eines Heidelberger Gelehrten empfängt, durch deren hieroglyphische Gelehrsamkeit selbst sie, die Gottberufene, nicht durchzudringen vermag! Was aber die ernsthaftere Seite jener Voraussetzung, die gewissenhafte Kenntniß des gegenwärtigen Thatbestandes deutscher Litteratur betrifft, so will es uns - Hr. Marmier besinnt sich wohl auf die Aeußerung Mephisto's:
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist,
- so will es uns fast scheinen, als sey des Verfassers Aufenthalt auf deutscher Erde ziemlich unfruchtbar gewesen. Es fehlt nicht an guten Einfällen und einzelnen treffenden Bemerkungen, aber wir vermissen die große ruhige Einsicht in den geschichtlichen Zusammenhang unserer Bildung, ein scharfes Trennen und Gruppiren der sich bewegenden Gedankenmassen, ein gründliches Aufzeigen der charakteristischen Wendepunkte, durch die der deutsche Geist in neuester Zeit gegangen. Beispielsweise - was berichtet der Verfasser von dem Verhältniß der Romantik zur Gegenwart der Litteratur, von der Wechseldurchdringung unserer Theologie und Philosophie, von dem bildenden Erfolg, den das Durchsprechen großer geschichtlicher Streitfragen, wie die Kölner und hannover'sche Angelegenheit gewirkt, von der Bedeutung, in der Bücher wie das Leben Jesu von Strauß, der Görres'sche Athanasius, die europäische Pentarchie und ihresgleichen der öffentlichen Meinung erschienen sind, von der speculativen Bewegung, in die sich der deutsche Norden immer tiefer verflochten findet, von der poetischen Frische und Fruchtbarkeit des Südens und Westens? Wenn bei so bestellten Kenntnissen der Verfasser gleichwohl das etwas mißliche Geschäft unternimmt, den Berichterstatter über die geistige Bewegung eines großen Volks zu machen, so erregt eine so unbefangene Zuversicht den heitersten Eindruck; ja man würde uns einen Mangel an artiger Sitte und gutem Humor vorwerfen können, wollten wir den Behauptungen des fremden Reviewers im Ernste mit schwerfälligen Gegenausführungen begegnen. Wir wollen daher auch das Gemälde deutscher Litteraturzustände nicht durch ein ähnliches französischer erwiedern, obwohl man ganz ohne Spott von diesen wohl sagen könnte: difficile est satyram non scribere; von deutschem Standpunkt jedoch knüpfen wir für deutsche Leser einige Bemerkungen an die Abstimmungen des ausländischen Berichterstatters.

Marmier tadelt das Flüssige, ewig Jugendliche, Unbegränzte unserer sprachlichen Bewegung. Man sieht, sie ist ihm etwas Ungeheuerliches diese Sprache, deren schaffende Triebkraft nicht einen Augenblick stillsteht, deren Reichthum sich in dem Rahmen eines Wörterbuchs nicht einfangen und abschließen läßt, deren unendliche Bildungsfähigkeit sich immer wieder unter der Hand ihres neuesten Meisters zu neuen Redegebilden voll eigenthümlicher Schönheit entfaltet. Darüber ist mit dem Fremden nicht zu rechten; was er von seinem Standpunkte der Centralisation, der akademischen Zucht aus als eine Schwäche verklagt, diese frische Ungebundenheit und geheimnißvolle Jugend unserer Sprache, das wird der Deutsche immerhin als einen ihrer kostbarsten Vorzüge verehren. Eben deßhalb aber, weil das deutsche Wort in seiner Fülle und Biegsamkeit sich fügsam jedem Wunsch des Genius erweist, ist die Sprachmengerei vieler neueren Schriftsteller aufs entschiedendste zu rügen. Campe's Purismus war eine kindische Spielerei: er opferte den Geist dem Buchstaben, die Wahrheit des Gedankens dem Worte; dieser schulmeisterlichen Engherzigkeit hat man längst ihr Recht widerfahren lassen; es begegnet aber nun das Umgekehrte, daß unsere Schriftsteller beim dritten Wort einen Brocken Französisch in den Mund nehmen und aufs lebhafteste an den Doctor Cajus in den lustigen Weibern erinnern. Solches Verfahren zeugt von wenig Achtung für die keusche Würde unserer Muttersprache, von geringem Tact für die einfache Schönheit der Darstellung. Folgen wir jedoch dem fremden Kritiker. Marmier vermerkt es übel, daß in Deutschland der Philosoph, der Geschichtschreiber, der Romandichter jeder eine andere Prosa schreibe, daß sich die Darstellung verschieden nach der innern Verschiedenheit der behandelten Gegenstände gliedre. In der That, das ist ein seltsamer Vorwurf; an ihm wird es einleuchtend, welche Begriffsverwirrung in den ästhetischen Bestimmungen des modernen Frankreichs herrsche. Hat doch auch im Alterthum, das sich wahrlich in solchen Dingen auf die feinsten Unterschiede verstand, Platon der Philosoph anders geschrieben, als Aeschines der Redner, oder Thucydides der Geschichtschreiber! Wir Deutschen setzen das Geheimniß der schönen Darstellung in die richtige Vermittlung der Individualität des Schriftstellers mit den natürlichen Voraussetzungen des zu beherrschenden Gedankenstoffs; wir halten Werke wie z. B. Segurs russischen Feldzug mit ihrem schillernden Phrasenaufwand unter der Würde der Geschichte, und wir beklagen es, daß auch bei uns in neuester Zeit eine mehr genreartige Behandlung einzureißen droht, die alle herkömmlichen und natürlichen Ordnungen verrückt und die eigenthümliche Würde der gelehrten, kritischen, geschichtlichen Prosa aufgehen läßt in der Allgemeinheit eines sogenannten interessanten Styls. Marmier freilich denkt anders; er tadelt sogar, daß in Deutschland fast jeder Schriftsteller einen besondern individuell durchhauchten Styl schreibe! Wollte Gott, die Thatsache wäre nur wahr, den Tadel könnten wir uns schon

Noch ein paar deutsche Glossen zu französischen Kritiken.

Sie theilten vor einiger Zeit in Ihren Blättern einen längern Aufsatz mit, worin sich Marmier, einer der geistvollern Mitarbeiter der Revue des deux Mondes, ausführlich über das deutsche Bildungsleben neuester Zeit verbreitete. Die Abhandlung war in der That anziehend genug, und doch sprach der Name des Verfassers im voraus ein lebhafteres Interesse an, als die Arbeit wirklich rechtfertigte. Hr. Marmier hat Deutschland bereist und studirt; er ist Mitglied einer in den Norden gesandten wissenschaftlichen Commission gewesen, und die Gastfreundschaft deutscher Gelehrten hat mit bereitwilligem Entgegenkommen dem Fremdling das Verständniß unseres nationalen Lebens aufzuschließen versucht. Bei solchen Empfehlungen erschien die Voraussetzung nicht allzu kühn, Hr. Marmier werde mit der seinem Volk eigenen lebhaften und geistreichen Weise der Auffassung eine genauere Kenntniß der Thatsachen und ein gründlicheres Begreifen des deutschen Geistes verbinden, als sich dieß in Frankreich gemeinhin vorzufinden pflegt. Jene erste Erwartung hat denn auch Hr. Marmier glänzend erfüllt. Gleich im Anfang – mit wie anmuthigen Genrebildchen des litterarischen Lebens weiß der liebenswürdige Miniaturmaler seinen Aufsatz zu eröffnen! Wie schalkhaft verräth er uns das Geheimniß der Mittel und Wege, durch die ein hochansehnlicher Mann Deutschlands, der Universitätsprofessor und künftige Consistorialrath O. L. B. Wolff, in unglaublich kurzer Zeit das Material zu einem Buch über Paris gesammelt! Wie köstlich ist die Verlegenheit einer großen litterarischen Jury geschildert, wenn sie Mittheilungen eines Heidelberger Gelehrten empfängt, durch deren hieroglyphische Gelehrsamkeit selbst sie, die Gottberufene, nicht durchzudringen vermag! Was aber die ernsthaftere Seite jener Voraussetzung, die gewissenhafte Kenntniß des gegenwärtigen Thatbestandes deutscher Litteratur betrifft, so will es uns – Hr. Marmier besinnt sich wohl auf die Aeußerung Mephisto's:
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist,
– so will es uns fast scheinen, als sey des Verfassers Aufenthalt auf deutscher Erde ziemlich unfruchtbar gewesen. Es fehlt nicht an guten Einfällen und einzelnen treffenden Bemerkungen, aber wir vermissen die große ruhige Einsicht in den geschichtlichen Zusammenhang unserer Bildung, ein scharfes Trennen und Gruppiren der sich bewegenden Gedankenmassen, ein gründliches Aufzeigen der charakteristischen Wendepunkte, durch die der deutsche Geist in neuester Zeit gegangen. Beispielsweise – was berichtet der Verfasser von dem Verhältniß der Romantik zur Gegenwart der Litteratur, von der Wechseldurchdringung unserer Theologie und Philosophie, von dem bildenden Erfolg, den das Durchsprechen großer geschichtlicher Streitfragen, wie die Kölner und hannover'sche Angelegenheit gewirkt, von der Bedeutung, in der Bücher wie das Leben Jesu von Strauß, der Görres'sche Athanasius, die europäische Pentarchie und ihresgleichen der öffentlichen Meinung erschienen sind, von der speculativen Bewegung, in die sich der deutsche Norden immer tiefer verflochten findet, von der poetischen Frische und Fruchtbarkeit des Südens und Westens? Wenn bei so bestellten Kenntnissen der Verfasser gleichwohl das etwas mißliche Geschäft unternimmt, den Berichterstatter über die geistige Bewegung eines großen Volks zu machen, so erregt eine so unbefangene Zuversicht den heitersten Eindruck; ja man würde uns einen Mangel an artiger Sitte und gutem Humor vorwerfen können, wollten wir den Behauptungen des fremden Reviewers im Ernste mit schwerfälligen Gegenausführungen begegnen. Wir wollen daher auch das Gemälde deutscher Litteraturzustände nicht durch ein ähnliches französischer erwiedern, obwohl man ganz ohne Spott von diesen wohl sagen könnte: difficile est satyram non scribere; von deutschem Standpunkt jedoch knüpfen wir für deutsche Leser einige Bemerkungen an die Abstimmungen des ausländischen Berichterstatters.

Marmier tadelt das Flüssige, ewig Jugendliche, Unbegränzte unserer sprachlichen Bewegung. Man sieht, sie ist ihm etwas Ungeheuerliches diese Sprache, deren schaffende Triebkraft nicht einen Augenblick stillsteht, deren Reichthum sich in dem Rahmen eines Wörterbuchs nicht einfangen und abschließen läßt, deren unendliche Bildungsfähigkeit sich immer wieder unter der Hand ihres neuesten Meisters zu neuen Redegebilden voll eigenthümlicher Schönheit entfaltet. Darüber ist mit dem Fremden nicht zu rechten; was er von seinem Standpunkte der Centralisation, der akademischen Zucht aus als eine Schwäche verklagt, diese frische Ungebundenheit und geheimnißvolle Jugend unserer Sprache, das wird der Deutsche immerhin als einen ihrer kostbarsten Vorzüge verehren. Eben deßhalb aber, weil das deutsche Wort in seiner Fülle und Biegsamkeit sich fügsam jedem Wunsch des Genius erweist, ist die Sprachmengerei vieler neueren Schriftsteller aufs entschiedendste zu rügen. Campe's Purismus war eine kindische Spielerei: er opferte den Geist dem Buchstaben, die Wahrheit des Gedankens dem Worte; dieser schulmeisterlichen Engherzigkeit hat man längst ihr Recht widerfahren lassen; es begegnet aber nun das Umgekehrte, daß unsere Schriftsteller beim dritten Wort einen Brocken Französisch in den Mund nehmen und aufs lebhafteste an den Doctor Cajus in den lustigen Weibern erinnern. Solches Verfahren zeugt von wenig Achtung für die keusche Würde unserer Muttersprache, von geringem Tact für die einfache Schönheit der Darstellung. Folgen wir jedoch dem fremden Kritiker. Marmier vermerkt es übel, daß in Deutschland der Philosoph, der Geschichtschreiber, der Romandichter jeder eine andere Prosa schreibe, daß sich die Darstellung verschieden nach der innern Verschiedenheit der behandelten Gegenstände gliedre. In der That, das ist ein seltsamer Vorwurf; an ihm wird es einleuchtend, welche Begriffsverwirrung in den ästhetischen Bestimmungen des modernen Frankreichs herrsche. Hat doch auch im Alterthum, das sich wahrlich in solchen Dingen auf die feinsten Unterschiede verstand, Platon der Philosoph anders geschrieben, als Aeschines der Redner, oder Thucydides der Geschichtschreiber! Wir Deutschen setzen das Geheimniß der schönen Darstellung in die richtige Vermittlung der Individualität des Schriftstellers mit den natürlichen Voraussetzungen des zu beherrschenden Gedankenstoffs; wir halten Werke wie z. B. Segurs russischen Feldzug mit ihrem schillernden Phrasenaufwand unter der Würde der Geschichte, und wir beklagen es, daß auch bei uns in neuester Zeit eine mehr genreartige Behandlung einzureißen droht, die alle herkömmlichen und natürlichen Ordnungen verrückt und die eigenthümliche Würde der gelehrten, kritischen, geschichtlichen Prosa aufgehen läßt in der Allgemeinheit eines sogenannten interessanten Styls. Marmier freilich denkt anders; er tadelt sogar, daß in Deutschland fast jeder Schriftsteller einen besondern individuell durchhauchten Styl schreibe! Wollte Gott, die Thatsache wäre nur wahr, den Tadel könnten wir uns schon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0009" n="0841"/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Noch ein paar deutsche Glossen zu französischen Kritiken</hi>.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Vom Rhein,</hi> Ende März.</dateline>
          <p> Sie theilten vor einiger Zeit in Ihren Blättern einen längern Aufsatz mit, worin sich Marmier, einer der geistvollern Mitarbeiter der Revue des deux Mondes, ausführlich über das deutsche Bildungsleben neuester Zeit verbreitete. Die Abhandlung war in der That anziehend genug, und doch sprach der Name des Verfassers im voraus ein lebhafteres Interesse an, als die Arbeit wirklich rechtfertigte. Hr. Marmier hat Deutschland bereist und studirt; er ist Mitglied einer in den Norden gesandten wissenschaftlichen Commission gewesen, und die Gastfreundschaft deutscher Gelehrten hat mit bereitwilligem Entgegenkommen dem Fremdling das Verständniß unseres nationalen Lebens aufzuschließen versucht. Bei solchen Empfehlungen erschien die Voraussetzung nicht allzu kühn, Hr. Marmier werde mit der seinem Volk eigenen lebhaften und geistreichen Weise der Auffassung eine genauere Kenntniß der Thatsachen und ein gründlicheres Begreifen des deutschen Geistes verbinden, als sich dieß in Frankreich gemeinhin vorzufinden pflegt. Jene erste Erwartung hat denn auch Hr. Marmier glänzend erfüllt. Gleich im Anfang &#x2013; mit wie anmuthigen Genrebildchen des litterarischen Lebens weiß der liebenswürdige Miniaturmaler seinen Aufsatz zu eröffnen! Wie schalkhaft verräth er uns das Geheimniß der Mittel und Wege, durch die ein hochansehnlicher Mann Deutschlands, der Universitätsprofessor und künftige Consistorialrath O. L. B. Wolff, in unglaublich kurzer Zeit das Material zu einem Buch über Paris gesammelt! Wie köstlich ist die Verlegenheit einer großen litterarischen Jury geschildert, wenn sie Mittheilungen eines Heidelberger Gelehrten empfängt, durch deren hieroglyphische Gelehrsamkeit selbst sie, die Gottberufene, nicht durchzudringen vermag! Was aber die ernsthaftere Seite jener Voraussetzung, die gewissenhafte Kenntniß des gegenwärtigen Thatbestandes deutscher Litteratur betrifft, so will es uns &#x2013; Hr. Marmier besinnt sich wohl auf die Aeußerung Mephisto's:<lb/>
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist,<lb/>
&#x2013; so will es uns fast scheinen, als sey des Verfassers Aufenthalt auf deutscher Erde ziemlich unfruchtbar gewesen. Es fehlt nicht an guten Einfällen und einzelnen treffenden Bemerkungen, aber wir vermissen die große ruhige Einsicht in den geschichtlichen Zusammenhang unserer Bildung, ein scharfes Trennen und Gruppiren der sich bewegenden Gedankenmassen, ein gründliches Aufzeigen der charakteristischen Wendepunkte, durch die der deutsche Geist in neuester Zeit gegangen. Beispielsweise &#x2013; was berichtet der Verfasser von dem Verhältniß der Romantik zur Gegenwart der Litteratur, von der Wechseldurchdringung unserer Theologie und Philosophie, von dem bildenden Erfolg, den das Durchsprechen großer geschichtlicher Streitfragen, wie die Kölner und hannover'sche Angelegenheit gewirkt, von der Bedeutung, in der Bücher wie das Leben Jesu von Strauß, der Görres'sche Athanasius, die europäische Pentarchie und ihresgleichen der öffentlichen Meinung erschienen sind, von der speculativen Bewegung, in die sich der deutsche Norden immer tiefer verflochten findet, von der poetischen Frische und Fruchtbarkeit des Südens und Westens? Wenn bei so bestellten Kenntnissen der Verfasser gleichwohl das etwas mißliche Geschäft unternimmt, den Berichterstatter über die geistige Bewegung eines großen Volks zu machen, so erregt eine so unbefangene Zuversicht den heitersten Eindruck; ja man würde uns einen Mangel an artiger Sitte und gutem Humor vorwerfen können, wollten wir den Behauptungen des fremden Reviewers im Ernste mit schwerfälligen Gegenausführungen begegnen. Wir wollen daher auch das Gemälde deutscher Litteraturzustände nicht durch ein ähnliches französischer erwiedern, obwohl man ganz ohne Spott von diesen wohl sagen könnte: difficile est satyram non scribere; von deutschem Standpunkt jedoch knüpfen wir für deutsche Leser einige Bemerkungen an die Abstimmungen des ausländischen Berichterstatters.</p><lb/>
          <p>Marmier tadelt das Flüssige, ewig Jugendliche, Unbegränzte unserer sprachlichen Bewegung. Man sieht, sie ist ihm etwas Ungeheuerliches diese Sprache, deren schaffende Triebkraft nicht einen Augenblick stillsteht, deren Reichthum sich in dem Rahmen eines Wörterbuchs nicht einfangen und abschließen läßt, deren unendliche Bildungsfähigkeit sich immer wieder unter der Hand ihres neuesten Meisters zu neuen Redegebilden voll eigenthümlicher Schönheit entfaltet. Darüber ist mit dem Fremden nicht zu rechten; was er von seinem Standpunkte der Centralisation, der akademischen Zucht aus als eine Schwäche verklagt, diese frische Ungebundenheit und geheimnißvolle Jugend unserer Sprache, das wird der Deutsche immerhin als einen ihrer kostbarsten Vorzüge verehren. Eben deßhalb aber, weil das deutsche Wort in seiner Fülle und Biegsamkeit sich fügsam jedem Wunsch des Genius erweist, ist die Sprachmengerei vieler neueren Schriftsteller aufs entschiedendste zu rügen. Campe's Purismus war eine kindische Spielerei: er opferte den Geist dem Buchstaben, die Wahrheit des Gedankens dem Worte; dieser schulmeisterlichen Engherzigkeit hat man längst ihr Recht widerfahren lassen; es begegnet aber nun das Umgekehrte, daß unsere Schriftsteller beim dritten Wort einen Brocken Französisch in den Mund nehmen und aufs lebhafteste an den Doctor Cajus in den lustigen Weibern erinnern. Solches Verfahren zeugt von wenig Achtung für die keusche Würde unserer Muttersprache, von geringem Tact für die einfache Schönheit der Darstellung. Folgen wir jedoch dem fremden Kritiker. Marmier vermerkt es übel, daß in Deutschland der Philosoph, der Geschichtschreiber, der Romandichter jeder eine andere Prosa schreibe, daß sich die Darstellung verschieden nach der innern Verschiedenheit der behandelten Gegenstände gliedre. In der That, das ist ein seltsamer Vorwurf; an ihm wird es einleuchtend, welche Begriffsverwirrung in den ästhetischen Bestimmungen des modernen Frankreichs herrsche. Hat doch auch im Alterthum, das sich wahrlich in solchen Dingen auf die feinsten Unterschiede verstand, Platon der Philosoph anders geschrieben, als Aeschines der Redner, oder Thucydides der Geschichtschreiber! Wir Deutschen setzen das Geheimniß der schönen Darstellung in die richtige Vermittlung der Individualität des Schriftstellers mit den natürlichen Voraussetzungen des zu beherrschenden Gedankenstoffs; wir halten Werke wie z. B. Segurs russischen Feldzug mit ihrem schillernden Phrasenaufwand unter der Würde der Geschichte, und wir beklagen es, daß auch bei uns in neuester Zeit eine mehr genreartige Behandlung einzureißen droht, die alle herkömmlichen und natürlichen Ordnungen verrückt und die eigenthümliche Würde der gelehrten, kritischen, geschichtlichen Prosa aufgehen läßt in der Allgemeinheit eines sogenannten interessanten Styls. Marmier freilich denkt anders; er tadelt sogar, daß in Deutschland fast jeder Schriftsteller einen besondern individuell durchhauchten Styl schreibe! Wollte Gott, die Thatsache wäre nur wahr, den Tadel könnten wir uns schon<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0841/0009] Noch ein paar deutsche Glossen zu französischen Kritiken. _ Vom Rhein, Ende März. Sie theilten vor einiger Zeit in Ihren Blättern einen längern Aufsatz mit, worin sich Marmier, einer der geistvollern Mitarbeiter der Revue des deux Mondes, ausführlich über das deutsche Bildungsleben neuester Zeit verbreitete. Die Abhandlung war in der That anziehend genug, und doch sprach der Name des Verfassers im voraus ein lebhafteres Interesse an, als die Arbeit wirklich rechtfertigte. Hr. Marmier hat Deutschland bereist und studirt; er ist Mitglied einer in den Norden gesandten wissenschaftlichen Commission gewesen, und die Gastfreundschaft deutscher Gelehrten hat mit bereitwilligem Entgegenkommen dem Fremdling das Verständniß unseres nationalen Lebens aufzuschließen versucht. Bei solchen Empfehlungen erschien die Voraussetzung nicht allzu kühn, Hr. Marmier werde mit der seinem Volk eigenen lebhaften und geistreichen Weise der Auffassung eine genauere Kenntniß der Thatsachen und ein gründlicheres Begreifen des deutschen Geistes verbinden, als sich dieß in Frankreich gemeinhin vorzufinden pflegt. Jene erste Erwartung hat denn auch Hr. Marmier glänzend erfüllt. Gleich im Anfang – mit wie anmuthigen Genrebildchen des litterarischen Lebens weiß der liebenswürdige Miniaturmaler seinen Aufsatz zu eröffnen! Wie schalkhaft verräth er uns das Geheimniß der Mittel und Wege, durch die ein hochansehnlicher Mann Deutschlands, der Universitätsprofessor und künftige Consistorialrath O. L. B. Wolff, in unglaublich kurzer Zeit das Material zu einem Buch über Paris gesammelt! Wie köstlich ist die Verlegenheit einer großen litterarischen Jury geschildert, wenn sie Mittheilungen eines Heidelberger Gelehrten empfängt, durch deren hieroglyphische Gelehrsamkeit selbst sie, die Gottberufene, nicht durchzudringen vermag! Was aber die ernsthaftere Seite jener Voraussetzung, die gewissenhafte Kenntniß des gegenwärtigen Thatbestandes deutscher Litteratur betrifft, so will es uns – Hr. Marmier besinnt sich wohl auf die Aeußerung Mephisto's: Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist, – so will es uns fast scheinen, als sey des Verfassers Aufenthalt auf deutscher Erde ziemlich unfruchtbar gewesen. Es fehlt nicht an guten Einfällen und einzelnen treffenden Bemerkungen, aber wir vermissen die große ruhige Einsicht in den geschichtlichen Zusammenhang unserer Bildung, ein scharfes Trennen und Gruppiren der sich bewegenden Gedankenmassen, ein gründliches Aufzeigen der charakteristischen Wendepunkte, durch die der deutsche Geist in neuester Zeit gegangen. Beispielsweise – was berichtet der Verfasser von dem Verhältniß der Romantik zur Gegenwart der Litteratur, von der Wechseldurchdringung unserer Theologie und Philosophie, von dem bildenden Erfolg, den das Durchsprechen großer geschichtlicher Streitfragen, wie die Kölner und hannover'sche Angelegenheit gewirkt, von der Bedeutung, in der Bücher wie das Leben Jesu von Strauß, der Görres'sche Athanasius, die europäische Pentarchie und ihresgleichen der öffentlichen Meinung erschienen sind, von der speculativen Bewegung, in die sich der deutsche Norden immer tiefer verflochten findet, von der poetischen Frische und Fruchtbarkeit des Südens und Westens? Wenn bei so bestellten Kenntnissen der Verfasser gleichwohl das etwas mißliche Geschäft unternimmt, den Berichterstatter über die geistige Bewegung eines großen Volks zu machen, so erregt eine so unbefangene Zuversicht den heitersten Eindruck; ja man würde uns einen Mangel an artiger Sitte und gutem Humor vorwerfen können, wollten wir den Behauptungen des fremden Reviewers im Ernste mit schwerfälligen Gegenausführungen begegnen. Wir wollen daher auch das Gemälde deutscher Litteraturzustände nicht durch ein ähnliches französischer erwiedern, obwohl man ganz ohne Spott von diesen wohl sagen könnte: difficile est satyram non scribere; von deutschem Standpunkt jedoch knüpfen wir für deutsche Leser einige Bemerkungen an die Abstimmungen des ausländischen Berichterstatters. Marmier tadelt das Flüssige, ewig Jugendliche, Unbegränzte unserer sprachlichen Bewegung. Man sieht, sie ist ihm etwas Ungeheuerliches diese Sprache, deren schaffende Triebkraft nicht einen Augenblick stillsteht, deren Reichthum sich in dem Rahmen eines Wörterbuchs nicht einfangen und abschließen läßt, deren unendliche Bildungsfähigkeit sich immer wieder unter der Hand ihres neuesten Meisters zu neuen Redegebilden voll eigenthümlicher Schönheit entfaltet. Darüber ist mit dem Fremden nicht zu rechten; was er von seinem Standpunkte der Centralisation, der akademischen Zucht aus als eine Schwäche verklagt, diese frische Ungebundenheit und geheimnißvolle Jugend unserer Sprache, das wird der Deutsche immerhin als einen ihrer kostbarsten Vorzüge verehren. Eben deßhalb aber, weil das deutsche Wort in seiner Fülle und Biegsamkeit sich fügsam jedem Wunsch des Genius erweist, ist die Sprachmengerei vieler neueren Schriftsteller aufs entschiedendste zu rügen. Campe's Purismus war eine kindische Spielerei: er opferte den Geist dem Buchstaben, die Wahrheit des Gedankens dem Worte; dieser schulmeisterlichen Engherzigkeit hat man längst ihr Recht widerfahren lassen; es begegnet aber nun das Umgekehrte, daß unsere Schriftsteller beim dritten Wort einen Brocken Französisch in den Mund nehmen und aufs lebhafteste an den Doctor Cajus in den lustigen Weibern erinnern. Solches Verfahren zeugt von wenig Achtung für die keusche Würde unserer Muttersprache, von geringem Tact für die einfache Schönheit der Darstellung. Folgen wir jedoch dem fremden Kritiker. Marmier vermerkt es übel, daß in Deutschland der Philosoph, der Geschichtschreiber, der Romandichter jeder eine andere Prosa schreibe, daß sich die Darstellung verschieden nach der innern Verschiedenheit der behandelten Gegenstände gliedre. In der That, das ist ein seltsamer Vorwurf; an ihm wird es einleuchtend, welche Begriffsverwirrung in den ästhetischen Bestimmungen des modernen Frankreichs herrsche. Hat doch auch im Alterthum, das sich wahrlich in solchen Dingen auf die feinsten Unterschiede verstand, Platon der Philosoph anders geschrieben, als Aeschines der Redner, oder Thucydides der Geschichtschreiber! Wir Deutschen setzen das Geheimniß der schönen Darstellung in die richtige Vermittlung der Individualität des Schriftstellers mit den natürlichen Voraussetzungen des zu beherrschenden Gedankenstoffs; wir halten Werke wie z. B. Segurs russischen Feldzug mit ihrem schillernden Phrasenaufwand unter der Würde der Geschichte, und wir beklagen es, daß auch bei uns in neuester Zeit eine mehr genreartige Behandlung einzureißen droht, die alle herkömmlichen und natürlichen Ordnungen verrückt und die eigenthümliche Würde der gelehrten, kritischen, geschichtlichen Prosa aufgehen läßt in der Allgemeinheit eines sogenannten interessanten Styls. Marmier freilich denkt anders; er tadelt sogar, daß in Deutschland fast jeder Schriftsteller einen besondern individuell durchhauchten Styl schreibe! Wollte Gott, die Thatsache wäre nur wahr, den Tadel könnten wir uns schon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_106_18400415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_106_18400415/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 106. Augsburg, 15. April 1840, S. 0841. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_106_18400415/9>, abgerufen am 23.11.2024.