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Allgemeine Zeitung. Nr. 114. Augsburg, 23. April 1840.

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seyen, als daß es dem Ministerium möglich wäre, in fortlaufender Berührung mit denselben zu bleiben. Der Handelsminister erklärt, daß, so geneigt er auch sey, dem Ackerbau neue Aufmunterungen zu gewähren, er doch die Ansicht in Betreff des Nutzens der vorgeschlagenen Mittel nicht theile, und die seit mehreren Jahren von der Regierung eingeschlagene Bahn vorziehe. Nach weiterer Discussion zwischen den HH. Gauthier de Rumilly, Bugeaud, de la Bourdonnaye und Lamartine ward beschlossen, den Vorschlag in weitere Erwägung zu ziehen.

Den Sieg der Minister in der Pairskammersitzung vom 16 April hält das Journal des Debats für theuer erkauft. Dreiundfünfzig schwarze Kugeln, meint es, seyen eine bedeutende Minorität in einer Kammer, mit deren Klugheit und Mäßigung die völlige Verwerfung eines an und für sich so nothwendigen Gesetzes, wie das der geheimen Fonds, nicht wohl vereinbar wäre. Das Ministerium habe wohl, kaum einen solchen Widerstand von einer "Kammer von Kranken," wie sie die Journale der Linken nannten, erwartet. Die Haltung der Pairs während dieser langen Debatte habe klar gezeigt, daß das Ministerium zwar die Mehrzahl der Stimmen, keineswegs aber die Sympathien der Kammer auf seiner Seite habe. "Man erwartete (so schließt der Artikel) ein Resume von dem Herzog v. Broglie. Der erlauchte Berichterstatter beschränkte sich aber auf die Aeußerung, daß er zwischen seinem Berichte und den Reden des Ministeriums nur Wortverschiedenheiten, nicht die geringste Sachverschiedenheit habe finden können. Wir nehmen diese Erklärung gern an, und wollen sie uns merken; wir wollen eben so wenig, wie der Herzog v. Broglie das Ministerium über bloße Worte chicaniren. Möge das Cabinet dem in dem Berichte des Herzogs v. Broglie enthaltenen so vernünftigen Programm getreu bleiben; dieß ist Alles, was wir für unsern Theil verlangen."

(Courrier francais.) Die Annahme des Gesetzesentwurfs, die geheimen Fonds betreffend, war von Seite der Pairskammer durchaus kein Beweis des Vertrauens. Man tolerirt das Cabinet aus Unmacht, ihm zu schaden, und weil Gefahr dabei wäre, es zu stürzen. Die Kammer der Pairs duldet das Ministerium als eine Nothwendigkeit; nie aber hat ihr diese Resignation so viel gekostet. Die gesammte Pairie steht heutiges Tages in der Opposition; nur gibt es in derselben Opponenten zweierlei Art: die einen werfen schwarze, die andern weiße Kugeln in die Urne; letztere behalten sich die Freiheit der Epigramme und der Protestationen vor. In der Deputirtenkammer verwischt das Votum den Eindruck der Reden, denn dem Land liegt vor Allem an dem Votum; von diesem hängt die Regierung ab. In der Pairskammer ist das Gegentheil der Fall. Bekanntlich ist die Einregestrirung der Gesetze dort nur eine Sache der Form, und nicht auf das Votum darf man sehen, wenn man die Meinung der Majorität der Pairs kennen lernen will. Die Debatte über die geheimen Fonds zeugt von der feindseligen Stimmung der Pairie gegen das Ministerium; letzteres hat in der Pairskammer weder Gunst für seine Politik, noch Gerechtigkeit für seine Handlungen zu erwarten. Die conservative Partei in dieser Versammlung ist nicht weniger unversöhnlich, als in der Deputirtenkammer. Man muß sie beobachten, sie im Zaume halten und gelegentlich unterdrücken (!), denn man wird sie durch keine Concession entwaffnen. Meinungen können sich mildern, Interessen aber werden sich nie opfern. .. Unter den vorhergehenden Ministerien war die Pairie ein Werkzeug der Gewalt; jetzt wird sie eine Verlegenheit. Darf man sich da wundern, daß ihre Verfassung von der öffentlichen Meinung angegriffen, daß das Wort Reform in ihrem Saale laut wird, wie in dem der Deputirtenkammer? Das gegenwärtige Ministerium bringt weder die Wahlreform noch die Reform der Pairskammer; aber die Zukunft bleibt für beide Maaßregeln offen. Man erhält nur, was von Natur dauerhaft ist, und die Pairie wurde nicht für die Dauer constituirt."

Der Conseilpräsident hat auf die dringende Verwendung des Hrn. Dugabe den Personen, welche bei den letzten Emeuten der Arriege am meisten gelitten haben, eine Unterstützung von 25,000 Fr. bewilligt.

Das Capitole spricht von schlimmen Gerüchten, die über das Schicksal der nach Scherschel abgegangenen Expeditionscolonne in Paris verbreitet seyen; sie habe eine größere Niederlage erlitten als der Marschall Clauzel vor Constantine. Andere Journale wiederholen dieses Gerücht nach dem Capitole, vergessen aber, daß jene Expeditionscolonne schon seit Wochen von Scherschel wieder zurückgekehrt ist und in den Lagern bei Algier garnisonirt.

In der Pairskammer hat Graf Mole den Tact, Verstand und Anstand gehabt zu schweigen. Dafür ist Villemain aufgetreten, der einst dem Grafen Mole das ministerielle Leben sauer gemacht hatte. Es gibt nichts Bissigeres und Amüsanteres als diesen Hrn. Villemain, der eigentlich ohne alle Politik ist, aber seinen Geist, seinen Witz, seine Persönlichkeit zu Diensten aller Opposition hat, von der Linken wie von der Rechten, gestern gegen Mole, heute gegen Thiers, und immer aus denselben Motiven. Villemain und Cousin waren gegen Mole die intimsten Freunde; als Villemain Minister ward, verfolgte ihn Cousin, und diese Intimen haßten sich wie zwei Professoren, die über denselben Gegenstand Collegia lesen, grundgelehrte Männer vielleicht sind, und sich einer den andern beschuldigen das ABC nicht zu verstehen. Nun Cousin Minister ist, wird Villemain ihm Revanche geben. Sonderbar, daß diese Streitsucht niemals stärker war als bei den Ministern des öffentlichen Unterrichts. Wie Aktäon ward der arme, unschuldige, gar zu naive Don Alonzo darüber zerrissen; Villemain und Cousin bissen in die Seiten Salvandy's ein; heute werden wir den Hrn. Villemain dem Hrn. Cousin ins Fleisch hacken sehen. Von allen Miseren dieser miserablen Welt sind doch die gelehrten Miseren (man muß es leider gestehen) die miserabelsten, weil da die Eitelkeit - der faulste Fleck der Menschlichkeit - verwundbarer ist als irgendwo.

Das merkwürdigste Ereigniß im Laufe der letzten Pairsdebatten war, daß der Herzog v. Broglie nicht, wie man allgemein erwartet hatte, den Inhalt seines Berichts vertheidigte. Ich habe in meinen Briefen vom 12 und 14 darauf hingewiesen, daß Jedermann in diesem Berichte den Beweis sah, daß das Cabinet mit dem Rest der 221 (den sogenannten Conservativen) einig gehe, und ein weniger liberales System zu befolgen beabsichtige, als es in der Deputirtenkammer angekündigt hatte. Die Deputirten der Linken zählten auf heftige Debatten zwischen dem Referenten und Hrn. Thiers, und fanden sich beinahe in Masse in jeder der drei Sitzungen der Pairskammer ein. Ihre Erwartung wurde gänzlich getäuscht; der Herzog v. Broglie sagte kein Wort zur Vertheidigung des Inhalts seines Berichtes, und bestätigte durch dieses Stillschweigen die Verneinungen des Hrn. Thiers; nach den Erklärungen mehrerer Deputirten hat er sogar in der Sitzung vom 14 selbst den Stellen der Rede des Hrn. Thiers, worin seinen Behauptungen indirect widersprochen wurde, seine Billigung zugenickt. Man glaubt allgemein, nach Vorlesung seines Berichts, und auf das Zureden des Hrn. Thiers, ihn doch nicht

seyen, als daß es dem Ministerium möglich wäre, in fortlaufender Berührung mit denselben zu bleiben. Der Handelsminister erklärt, daß, so geneigt er auch sey, dem Ackerbau neue Aufmunterungen zu gewähren, er doch die Ansicht in Betreff des Nutzens der vorgeschlagenen Mittel nicht theile, und die seit mehreren Jahren von der Regierung eingeschlagene Bahn vorziehe. Nach weiterer Discussion zwischen den HH. Gauthier de Rumilly, Bugeaud, de la Bourdonnaye und Lamartine ward beschlossen, den Vorschlag in weitere Erwägung zu ziehen.

Den Sieg der Minister in der Pairskammersitzung vom 16 April hält das Journal des Débats für theuer erkauft. Dreiundfünfzig schwarze Kugeln, meint es, seyen eine bedeutende Minorität in einer Kammer, mit deren Klugheit und Mäßigung die völlige Verwerfung eines an und für sich so nothwendigen Gesetzes, wie das der geheimen Fonds, nicht wohl vereinbar wäre. Das Ministerium habe wohl, kaum einen solchen Widerstand von einer „Kammer von Kranken,“ wie sie die Journale der Linken nannten, erwartet. Die Haltung der Pairs während dieser langen Debatte habe klar gezeigt, daß das Ministerium zwar die Mehrzahl der Stimmen, keineswegs aber die Sympathien der Kammer auf seiner Seite habe. „Man erwartete (so schließt der Artikel) ein Resumé von dem Herzog v. Broglie. Der erlauchte Berichterstatter beschränkte sich aber auf die Aeußerung, daß er zwischen seinem Berichte und den Reden des Ministeriums nur Wortverschiedenheiten, nicht die geringste Sachverschiedenheit habe finden können. Wir nehmen diese Erklärung gern an, und wollen sie uns merken; wir wollen eben so wenig, wie der Herzog v. Broglie das Ministerium über bloße Worte chicaniren. Möge das Cabinet dem in dem Berichte des Herzogs v. Broglie enthaltenen so vernünftigen Programm getreu bleiben; dieß ist Alles, was wir für unsern Theil verlangen.“

(Courrier français.) Die Annahme des Gesetzesentwurfs, die geheimen Fonds betreffend, war von Seite der Pairskammer durchaus kein Beweis des Vertrauens. Man tolerirt das Cabinet aus Unmacht, ihm zu schaden, und weil Gefahr dabei wäre, es zu stürzen. Die Kammer der Pairs duldet das Ministerium als eine Nothwendigkeit; nie aber hat ihr diese Resignation so viel gekostet. Die gesammte Pairie steht heutiges Tages in der Opposition; nur gibt es in derselben Opponenten zweierlei Art: die einen werfen schwarze, die andern weiße Kugeln in die Urne; letztere behalten sich die Freiheit der Epigramme und der Protestationen vor. In der Deputirtenkammer verwischt das Votum den Eindruck der Reden, denn dem Land liegt vor Allem an dem Votum; von diesem hängt die Regierung ab. In der Pairskammer ist das Gegentheil der Fall. Bekanntlich ist die Einregestrirung der Gesetze dort nur eine Sache der Form, und nicht auf das Votum darf man sehen, wenn man die Meinung der Majorität der Pairs kennen lernen will. Die Debatte über die geheimen Fonds zeugt von der feindseligen Stimmung der Pairie gegen das Ministerium; letzteres hat in der Pairskammer weder Gunst für seine Politik, noch Gerechtigkeit für seine Handlungen zu erwarten. Die conservative Partei in dieser Versammlung ist nicht weniger unversöhnlich, als in der Deputirtenkammer. Man muß sie beobachten, sie im Zaume halten und gelegentlich unterdrücken (!), denn man wird sie durch keine Concession entwaffnen. Meinungen können sich mildern, Interessen aber werden sich nie opfern. .. Unter den vorhergehenden Ministerien war die Pairie ein Werkzeug der Gewalt; jetzt wird sie eine Verlegenheit. Darf man sich da wundern, daß ihre Verfassung von der öffentlichen Meinung angegriffen, daß das Wort Reform in ihrem Saale laut wird, wie in dem der Deputirtenkammer? Das gegenwärtige Ministerium bringt weder die Wahlreform noch die Reform der Pairskammer; aber die Zukunft bleibt für beide Maaßregeln offen. Man erhält nur, was von Natur dauerhaft ist, und die Pairie wurde nicht für die Dauer constituirt.“

Der Conseilpräsident hat auf die dringende Verwendung des Hrn. Dugabé den Personen, welche bei den letzten Emeuten der Arriège am meisten gelitten haben, eine Unterstützung von 25,000 Fr. bewilligt.

Das Capitole spricht von schlimmen Gerüchten, die über das Schicksal der nach Scherschel abgegangenen Expeditionscolonne in Paris verbreitet seyen; sie habe eine größere Niederlage erlitten als der Marschall Clauzel vor Constantine. Andere Journale wiederholen dieses Gerücht nach dem Capitole, vergessen aber, daß jene Expeditionscolonne schon seit Wochen von Scherschel wieder zurückgekehrt ist und in den Lagern bei Algier garnisonirt.

In der Pairskammer hat Graf Molé den Tact, Verstand und Anstand gehabt zu schweigen. Dafür ist Villemain aufgetreten, der einst dem Grafen Molé das ministerielle Leben sauer gemacht hatte. Es gibt nichts Bissigeres und Amüsanteres als diesen Hrn. Villemain, der eigentlich ohne alle Politik ist, aber seinen Geist, seinen Witz, seine Persönlichkeit zu Diensten aller Opposition hat, von der Linken wie von der Rechten, gestern gegen Molé, heute gegen Thiers, und immer aus denselben Motiven. Villemain und Cousin waren gegen Molé die intimsten Freunde; als Villemain Minister ward, verfolgte ihn Cousin, und diese Intimen haßten sich wie zwei Professoren, die über denselben Gegenstand Collegia lesen, grundgelehrte Männer vielleicht sind, und sich einer den andern beschuldigen das ABC nicht zu verstehen. Nun Cousin Minister ist, wird Villemain ihm Revanche geben. Sonderbar, daß diese Streitsucht niemals stärker war als bei den Ministern des öffentlichen Unterrichts. Wie Aktäon ward der arme, unschuldige, gar zu naive Don Alonzo darüber zerrissen; Villemain und Cousin bissen in die Seiten Salvandy's ein; heute werden wir den Hrn. Villemain dem Hrn. Cousin ins Fleisch hacken sehen. Von allen Miseren dieser miserablen Welt sind doch die gelehrten Miseren (man muß es leider gestehen) die miserabelsten, weil da die Eitelkeit – der faulste Fleck der Menschlichkeit – verwundbarer ist als irgendwo.

Das merkwürdigste Ereigniß im Laufe der letzten Pairsdebatten war, daß der Herzog v. Broglie nicht, wie man allgemein erwartet hatte, den Inhalt seines Berichts vertheidigte. Ich habe in meinen Briefen vom 12 und 14 darauf hingewiesen, daß Jedermann in diesem Berichte den Beweis sah, daß das Cabinet mit dem Rest der 221 (den sogenannten Conservativen) einig gehe, und ein weniger liberales System zu befolgen beabsichtige, als es in der Deputirtenkammer angekündigt hatte. Die Deputirten der Linken zählten auf heftige Debatten zwischen dem Referenten und Hrn. Thiers, und fanden sich beinahe in Masse in jeder der drei Sitzungen der Pairskammer ein. Ihre Erwartung wurde gänzlich getäuscht; der Herzog v. Broglie sagte kein Wort zur Vertheidigung des Inhalts seines Berichtes, und bestätigte durch dieses Stillschweigen die Verneinungen des Hrn. Thiers; nach den Erklärungen mehrerer Deputirten hat er sogar in der Sitzung vom 14 selbst den Stellen der Rede des Hrn. Thiers, worin seinen Behauptungen indirect widersprochen wurde, seine Billigung zugenickt. Man glaubt allgemein, nach Vorlesung seines Berichts, und auf das Zureden des Hrn. Thiers, ihn doch nicht

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[0908/0004] seyen, als daß es dem Ministerium möglich wäre, in fortlaufender Berührung mit denselben zu bleiben. Der Handelsminister erklärt, daß, so geneigt er auch sey, dem Ackerbau neue Aufmunterungen zu gewähren, er doch die Ansicht in Betreff des Nutzens der vorgeschlagenen Mittel nicht theile, und die seit mehreren Jahren von der Regierung eingeschlagene Bahn vorziehe. Nach weiterer Discussion zwischen den HH. Gauthier de Rumilly, Bugeaud, de la Bourdonnaye und Lamartine ward beschlossen, den Vorschlag in weitere Erwägung zu ziehen. Den Sieg der Minister in der Pairskammersitzung vom 16 April hält das Journal des Débats für theuer erkauft. Dreiundfünfzig schwarze Kugeln, meint es, seyen eine bedeutende Minorität in einer Kammer, mit deren Klugheit und Mäßigung die völlige Verwerfung eines an und für sich so nothwendigen Gesetzes, wie das der geheimen Fonds, nicht wohl vereinbar wäre. Das Ministerium habe wohl, kaum einen solchen Widerstand von einer „Kammer von Kranken,“ wie sie die Journale der Linken nannten, erwartet. Die Haltung der Pairs während dieser langen Debatte habe klar gezeigt, daß das Ministerium zwar die Mehrzahl der Stimmen, keineswegs aber die Sympathien der Kammer auf seiner Seite habe. „Man erwartete (so schließt der Artikel) ein Resumé von dem Herzog v. Broglie. Der erlauchte Berichterstatter beschränkte sich aber auf die Aeußerung, daß er zwischen seinem Berichte und den Reden des Ministeriums nur Wortverschiedenheiten, nicht die geringste Sachverschiedenheit habe finden können. Wir nehmen diese Erklärung gern an, und wollen sie uns merken; wir wollen eben so wenig, wie der Herzog v. Broglie das Ministerium über bloße Worte chicaniren. Möge das Cabinet dem in dem Berichte des Herzogs v. Broglie enthaltenen so vernünftigen Programm getreu bleiben; dieß ist Alles, was wir für unsern Theil verlangen.“ (Courrier français.) Die Annahme des Gesetzesentwurfs, die geheimen Fonds betreffend, war von Seite der Pairskammer durchaus kein Beweis des Vertrauens. Man tolerirt das Cabinet aus Unmacht, ihm zu schaden, und weil Gefahr dabei wäre, es zu stürzen. Die Kammer der Pairs duldet das Ministerium als eine Nothwendigkeit; nie aber hat ihr diese Resignation so viel gekostet. Die gesammte Pairie steht heutiges Tages in der Opposition; nur gibt es in derselben Opponenten zweierlei Art: die einen werfen schwarze, die andern weiße Kugeln in die Urne; letztere behalten sich die Freiheit der Epigramme und der Protestationen vor. In der Deputirtenkammer verwischt das Votum den Eindruck der Reden, denn dem Land liegt vor Allem an dem Votum; von diesem hängt die Regierung ab. In der Pairskammer ist das Gegentheil der Fall. Bekanntlich ist die Einregestrirung der Gesetze dort nur eine Sache der Form, und nicht auf das Votum darf man sehen, wenn man die Meinung der Majorität der Pairs kennen lernen will. Die Debatte über die geheimen Fonds zeugt von der feindseligen Stimmung der Pairie gegen das Ministerium; letzteres hat in der Pairskammer weder Gunst für seine Politik, noch Gerechtigkeit für seine Handlungen zu erwarten. Die conservative Partei in dieser Versammlung ist nicht weniger unversöhnlich, als in der Deputirtenkammer. Man muß sie beobachten, sie im Zaume halten und gelegentlich unterdrücken (!), denn man wird sie durch keine Concession entwaffnen. Meinungen können sich mildern, Interessen aber werden sich nie opfern. .. Unter den vorhergehenden Ministerien war die Pairie ein Werkzeug der Gewalt; jetzt wird sie eine Verlegenheit. Darf man sich da wundern, daß ihre Verfassung von der öffentlichen Meinung angegriffen, daß das Wort Reform in ihrem Saale laut wird, wie in dem der Deputirtenkammer? Das gegenwärtige Ministerium bringt weder die Wahlreform noch die Reform der Pairskammer; aber die Zukunft bleibt für beide Maaßregeln offen. Man erhält nur, was von Natur dauerhaft ist, und die Pairie wurde nicht für die Dauer constituirt.“ Der Conseilpräsident hat auf die dringende Verwendung des Hrn. Dugabé den Personen, welche bei den letzten Emeuten der Arriège am meisten gelitten haben, eine Unterstützung von 25,000 Fr. bewilligt. Das Capitole spricht von schlimmen Gerüchten, die über das Schicksal der nach Scherschel abgegangenen Expeditionscolonne in Paris verbreitet seyen; sie habe eine größere Niederlage erlitten als der Marschall Clauzel vor Constantine. Andere Journale wiederholen dieses Gerücht nach dem Capitole, vergessen aber, daß jene Expeditionscolonne schon seit Wochen von Scherschel wieder zurückgekehrt ist und in den Lagern bei Algier garnisonirt. _ Paris, 17 April. In der Pairskammer hat Graf Molé den Tact, Verstand und Anstand gehabt zu schweigen. Dafür ist Villemain aufgetreten, der einst dem Grafen Molé das ministerielle Leben sauer gemacht hatte. Es gibt nichts Bissigeres und Amüsanteres als diesen Hrn. Villemain, der eigentlich ohne alle Politik ist, aber seinen Geist, seinen Witz, seine Persönlichkeit zu Diensten aller Opposition hat, von der Linken wie von der Rechten, gestern gegen Molé, heute gegen Thiers, und immer aus denselben Motiven. Villemain und Cousin waren gegen Molé die intimsten Freunde; als Villemain Minister ward, verfolgte ihn Cousin, und diese Intimen haßten sich wie zwei Professoren, die über denselben Gegenstand Collegia lesen, grundgelehrte Männer vielleicht sind, und sich einer den andern beschuldigen das ABC nicht zu verstehen. Nun Cousin Minister ist, wird Villemain ihm Revanche geben. Sonderbar, daß diese Streitsucht niemals stärker war als bei den Ministern des öffentlichen Unterrichts. Wie Aktäon ward der arme, unschuldige, gar zu naive Don Alonzo darüber zerrissen; Villemain und Cousin bissen in die Seiten Salvandy's ein; heute werden wir den Hrn. Villemain dem Hrn. Cousin ins Fleisch hacken sehen. Von allen Miseren dieser miserablen Welt sind doch die gelehrten Miseren (man muß es leider gestehen) die miserabelsten, weil da die Eitelkeit – der faulste Fleck der Menschlichkeit – verwundbarer ist als irgendwo. _ Paris, 17 April. Das merkwürdigste Ereigniß im Laufe der letzten Pairsdebatten war, daß der Herzog v. Broglie nicht, wie man allgemein erwartet hatte, den Inhalt seines Berichts vertheidigte. Ich habe in meinen Briefen vom 12 und 14 darauf hingewiesen, daß Jedermann in diesem Berichte den Beweis sah, daß das Cabinet mit dem Rest der 221 (den sogenannten Conservativen) einig gehe, und ein weniger liberales System zu befolgen beabsichtige, als es in der Deputirtenkammer angekündigt hatte. Die Deputirten der Linken zählten auf heftige Debatten zwischen dem Referenten und Hrn. Thiers, und fanden sich beinahe in Masse in jeder der drei Sitzungen der Pairskammer ein. Ihre Erwartung wurde gänzlich getäuscht; der Herzog v. Broglie sagte kein Wort zur Vertheidigung des Inhalts seines Berichtes, und bestätigte durch dieses Stillschweigen die Verneinungen des Hrn. Thiers; nach den Erklärungen mehrerer Deputirten hat er sogar in der Sitzung vom 14 selbst den Stellen der Rede des Hrn. Thiers, worin seinen Behauptungen indirect widersprochen wurde, seine Billigung zugenickt. Man glaubt allgemein, nach Vorlesung seines Berichts, und auf das Zureden des Hrn. Thiers, ihn doch nicht

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 114. Augsburg, 23. April 1840, S. 0908. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_114_18400423/4>, abgerufen am 21.11.2024.