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Allgemeine Zeitung. Nr. 119. Augsburg, 28. April 1840.

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Orts. Cabrera will denselben forciren, seine Infanterie muß aber weichen; da sprengt er, von seiner Hitze verleitet, an der Spitze seiner berittenen Ordonnanzen vorwärts und chargirt den Feind in den Straßen; doch zwei Kugeln, welche beide in seinen Schenkel fahren, werfen ihn nieder, und nur mit höchster Anstrengung wird er dem gewissen Tod entrissen; seine Soldaten, ihn todt wähnend, zerstreuen sich abermals, und unser Held, nur von einigen Wenigen begleitet, begibt sich nach la Cena, um seine Wunden zu heilen. Wegen Mangels eines guten Chirurgen konnten aber die steckengebliebenen Kugeln nicht herausgeschnitten werden. In diesem Zustande erfährt Cabrera, daß die Feinde, seine Abwesenheit benutzend, sich des wichtigen Punktes Villareal de los Infantes bemächtigt hätten. Mit äußerster Mühe und Anstrengung wird er aufs Pferd gehoben, überfällt mit seinen wenigen Ordonnanzen den Feind, verjagt denselben und kehrt beinahe hergestellt nach la Cena zurück, da durch die Bewegung des Pferdes sich die Kugeln von selbst vom Körper gelöst hatten.

China und England.

In welchem Lichte erscheint Großbritannien den Staatsmännern und Gelehrten des Reiches der Mitte? Haben sie, wir wollen nicht sagen, einen richtigen Begriff, sondern auch nur die leiseste Ahnung von der Macht und der Ländermasse des brittischen Reichs, die wie ein demantener Gürtel die Erde umschlingt? Haben wohl die weisen Rathe Sr. Majestät, deren Regierung mit den stolzen Worten Tao kuang, Licht der Vernunft bezeichnet wird, die in beiden Beziehungen ihnen gleich furchtbaren, die schaffenden wie die zerstörenden Kräfte der europäischen Civilisation reiflich erwogen, als sie die Beherrscherin der Meere zu einem Kampfe herausforderten, bei welchem China in keinem Fall etwas gewinnen, wohl aber Alles, seine nationale Selbstständigkeit verlieren kann? Wissen sie, daß jetzt ein Krieg beginnt auf Leben und Tod, und stehen sie vielleicht gar gerüstet da, um dem eindringenden Feind mit überwiegender Gewalt entgegen zu treten? O nein! diese auf leeren Wortkram und ihre gehaltlose Wissenschaft stolzen Pedanten der östlichen Erde wahnen vielmehr, es würden alle Kaufherren des großen westlichen Oceans in der innersten Seele erzittern ob der hochfliegenden Erlasse des erhabenen Himmelssohnes, wodurch sie und die Erzeugnisse ihres Landes auf ewige Zeiten verbannt werden von dem heiligen Boden des Jao und Schun; sie würden alsbald zurücksegeln in ihre barbarische Heimath, von kraftloser Sehnsucht erfüllt nach den vollen Fleischtöpfen Aegyptens, nach den reichlichen Gewinnsten ehemaliger Zeiten, geflossen aus dem gnädig gestatteten Handelsverkehre mit den gesegneten Gauen der Blume der Mitte. Daß dieß keine leere Muthmaßung, sondern buchstäbliche Wahrheit ist, davon zeugt der ganze abenteuerliche Hochmuth der Chinesen, davon zeugt was sie selbst, in ihren neuesten officiellen Werken und Bekanntmachungen, über alle Europäer und namentlich über England und die Engländer berichten. Weit entfernt, daß die Söhne der Han - wie fälschlich behauptet wird, und zwar selbst in Calcutta, wo man doch besser unterrichtet seyn sollte und könnte - an der Spitze eines gewaltigen anti-englischen Bundes stünden, der sich von dem gelben Flusse bis zum Euphrat, von dem Altai bis zu den südlichsten Ausgängen des Himalayagebirges erstrecke, scheinen die großen Geister des Reiches der Mitte nicht einmal zu wissen, daß die gigantische Macht, welche sie jetzt zum Kampfe herausforderten, sobald es beliebt oder für nothwendig erachtet wird, ohne große Schwierigkeiten Streifzüge unternehmen könnte in die Kreise Jun nan und Sse tschuen, nach Bhutan und Tibet. Wir haben durch die Pekinger Staatszeitung, welche den Engländern in Canton regelmäßig zukommt, nichts von Truppenbewegungen vernommen an dem südwestlichen Gränzsaume des Reiches und es wurden daselbst, wie es einer weisen Vorsicht wohl geziemt hätte, keine Beobachtungsheere aufgestellt.

Wir lesen in dem officiellen Verzeichnisse der Länder welche der gegenwärtigen Dynastie einen Tribut dargebracht haben - und dieß geschah nach chinesischen Staatsmaximen von Seite Englands durch die Gesandtschaft des Lord Macartney - folgende denkwürdige Notiz:

"Das Reich England ist ein Lehn von Holland. Die Kleider, so wie die Manieren im Essen und Trinken sind sich gleich bei den Einwohnern dieser beiden Reiche. England ist sehr reich. Die Mannsleute tragen viel Tuch und trinken Wein sehr gerne. Die unverheiratheten Frauenzimmer wollen eine schmale Taille haben, deßhalb schnüren sie sich; ihr Haar lassen sie in Locken über die Schultern herabhängen. Sie tragen enge Kleider und Unterröcke; wenn sie ausgehen, ziehen sie aber weitere Kleider an. Sie schnupfen Tabak aus Dosen von Gold und Pappendeckel." *)*)

In den Denkwürdigkeiten der Reiche innerhalb des Meeres, nach der neuen Ausgabe vom Jahr 1793, heißt es:

"England ist ein Reich, aus dreien Inseln bestehend, westlich von Schweden, Dänemark, Holland und Frankreich, welche vier Länder durch den nordwestlichen Ocean davon getrennt werden. Von Schweden nimmt das Meer eine östliche Richtung und umgibt Rußland; östlich von Rußland ist Sibirien. Den nördlichen Ocean kann man nicht umschiffen; er bleibt immer zugefroren und wird deßhalb Eismeer genannt. .... Das Reich England producirt Silber, allerlei Gattungen wollener Tücher, Kamelott, Glas und dergleichen Dinge."

Dieß ist Alles, was Juen Juen, der nach seiner Weise sehr gelehrte Generalgouverneur von Kuang tong und Kuang si, in seinen im Laufe des Jahrs 1830 zu Canton erschienenen Denkwürdigkeiten der südlichen Lande, über Großbritannien zu berichten wußte. Und diese unwissenden, von sich und ihrer Macht berauschten Barbaren - auch sonst auf Erden steht nicht selten eine große äußerliche Cultur im engsten Bunde mit innerer Barbarei - sie sollten nun ganz Asien gegen Großbritannien aufgewiegelt haben! Es ist unglaublich. Es ist unmöglich! - Und das Opium, welches dem kaiserlichen Commissar ausgeliefert werden mußte, lag es denn nicht innerhalb des chinesischen Reiches? Schon seit einigen Jahrzehnten liegt die Opiumflotte, aus fünfundzwanzig bis dreißig Schiffen bestehend, bei einer Insel, Lin ting oder der einsame Nagel genannt (22° 6' nördl. Br., 114° 1' 30" östl. L. v. Gr.), vor Anker; ich selbst sah sie, als wir im Jahr 1830 in der Entfernung einiger englischen Meilen daran vorübersegelten - und diese von vier- bis fünfhundert Chinesen bewohnte Insel, deren Umfang auf drei bis vier deutsche Quadratmeilen sich belaufen mag, gehört doch wohl eben so gut zum Mittelreiche, wie White, wie Guernsey und Jersey zu England.

Es ist unverzeihlich, daß bis jetzt in keiner englischen Zeitung oder Flugschrift eine ausführliche Darlegung der im Ganzen so einfachen Streitpunkte zwischen Großbritannien und dem Mittelreiche gegeben wurde, in würdiger, historischer Haltung.

*) Die Tabakspflanze ist in China einheimisch. Die Chinesen haben lange vor der Entdeckung Amerika's Tabak geraucht; man hat aber niemals im Reiche der Mitte Tabak geschnupft. Deßhalb wird das Tabakschnupfen der Bewohner des großen westlichen Oceans als eine besondere Merkwürdigkeit hervorgehoben.

Orts. Cabrera will denselben forciren, seine Infanterie muß aber weichen; da sprengt er, von seiner Hitze verleitet, an der Spitze seiner berittenen Ordonnanzen vorwärts und chargirt den Feind in den Straßen; doch zwei Kugeln, welche beide in seinen Schenkel fahren, werfen ihn nieder, und nur mit höchster Anstrengung wird er dem gewissen Tod entrissen; seine Soldaten, ihn todt wähnend, zerstreuen sich abermals, und unser Held, nur von einigen Wenigen begleitet, begibt sich nach la Cena, um seine Wunden zu heilen. Wegen Mangels eines guten Chirurgen konnten aber die steckengebliebenen Kugeln nicht herausgeschnitten werden. In diesem Zustande erfährt Cabrera, daß die Feinde, seine Abwesenheit benutzend, sich des wichtigen Punktes Villareal de los Infantes bemächtigt hätten. Mit äußerster Mühe und Anstrengung wird er aufs Pferd gehoben, überfällt mit seinen wenigen Ordonnanzen den Feind, verjagt denselben und kehrt beinahe hergestellt nach la Cena zurück, da durch die Bewegung des Pferdes sich die Kugeln von selbst vom Körper gelöst hatten.

China und England.

In welchem Lichte erscheint Großbritannien den Staatsmännern und Gelehrten des Reiches der Mitte? Haben sie, wir wollen nicht sagen, einen richtigen Begriff, sondern auch nur die leiseste Ahnung von der Macht und der Ländermasse des brittischen Reichs, die wie ein demantener Gürtel die Erde umschlingt? Haben wohl die weisen Rathe Sr. Majestät, deren Regierung mit den stolzen Worten Tao kuang, Licht der Vernunft bezeichnet wird, die in beiden Beziehungen ihnen gleich furchtbaren, die schaffenden wie die zerstörenden Kräfte der europäischen Civilisation reiflich erwogen, als sie die Beherrscherin der Meere zu einem Kampfe herausforderten, bei welchem China in keinem Fall etwas gewinnen, wohl aber Alles, seine nationale Selbstständigkeit verlieren kann? Wissen sie, daß jetzt ein Krieg beginnt auf Leben und Tod, und stehen sie vielleicht gar gerüstet da, um dem eindringenden Feind mit überwiegender Gewalt entgegen zu treten? O nein! diese auf leeren Wortkram und ihre gehaltlose Wissenschaft stolzen Pedanten der östlichen Erde wahnen vielmehr, es würden alle Kaufherren des großen westlichen Oceans in der innersten Seele erzittern ob der hochfliegenden Erlasse des erhabenen Himmelssohnes, wodurch sie und die Erzeugnisse ihres Landes auf ewige Zeiten verbannt werden von dem heiligen Boden des Jao und Schun; sie würden alsbald zurücksegeln in ihre barbarische Heimath, von kraftloser Sehnsucht erfüllt nach den vollen Fleischtöpfen Aegyptens, nach den reichlichen Gewinnsten ehemaliger Zeiten, geflossen aus dem gnädig gestatteten Handelsverkehre mit den gesegneten Gauen der Blume der Mitte. Daß dieß keine leere Muthmaßung, sondern buchstäbliche Wahrheit ist, davon zeugt der ganze abenteuerliche Hochmuth der Chinesen, davon zeugt was sie selbst, in ihren neuesten officiellen Werken und Bekanntmachungen, über alle Europäer und namentlich über England und die Engländer berichten. Weit entfernt, daß die Söhne der Han – wie fälschlich behauptet wird, und zwar selbst in Calcutta, wo man doch besser unterrichtet seyn sollte und könnte – an der Spitze eines gewaltigen anti-englischen Bundes stünden, der sich von dem gelben Flusse bis zum Euphrat, von dem Altai bis zu den südlichsten Ausgängen des Himalayagebirges erstrecke, scheinen die großen Geister des Reiches der Mitte nicht einmal zu wissen, daß die gigantische Macht, welche sie jetzt zum Kampfe herausforderten, sobald es beliebt oder für nothwendig erachtet wird, ohne große Schwierigkeiten Streifzüge unternehmen könnte in die Kreise Jun nan und Sse tschuen, nach Bhutan und Tibet. Wir haben durch die Pekinger Staatszeitung, welche den Engländern in Canton regelmäßig zukommt, nichts von Truppenbewegungen vernommen an dem südwestlichen Gränzsaume des Reiches und es wurden daselbst, wie es einer weisen Vorsicht wohl geziemt hätte, keine Beobachtungsheere aufgestellt.

Wir lesen in dem officiellen Verzeichnisse der Länder welche der gegenwärtigen Dynastie einen Tribut dargebracht haben – und dieß geschah nach chinesischen Staatsmaximen von Seite Englands durch die Gesandtschaft des Lord Macartney – folgende denkwürdige Notiz:

„Das Reich England ist ein Lehn von Holland. Die Kleider, so wie die Manieren im Essen und Trinken sind sich gleich bei den Einwohnern dieser beiden Reiche. England ist sehr reich. Die Mannsleute tragen viel Tuch und trinken Wein sehr gerne. Die unverheiratheten Frauenzimmer wollen eine schmale Taille haben, deßhalb schnüren sie sich; ihr Haar lassen sie in Locken über die Schultern herabhängen. Sie tragen enge Kleider und Unterröcke; wenn sie ausgehen, ziehen sie aber weitere Kleider an. Sie schnupfen Tabak aus Dosen von Gold und Pappendeckel.“ *)*)

In den Denkwürdigkeiten der Reiche innerhalb des Meeres, nach der neuen Ausgabe vom Jahr 1793, heißt es:

„England ist ein Reich, aus dreien Inseln bestehend, westlich von Schweden, Dänemark, Holland und Frankreich, welche vier Länder durch den nordwestlichen Ocean davon getrennt werden. Von Schweden nimmt das Meer eine östliche Richtung und umgibt Rußland; östlich von Rußland ist Sibirien. Den nördlichen Ocean kann man nicht umschiffen; er bleibt immer zugefroren und wird deßhalb Eismeer genannt. .... Das Reich England producirt Silber, allerlei Gattungen wollener Tücher, Kamelott, Glas und dergleichen Dinge.“

Dieß ist Alles, was Juen Juen, der nach seiner Weise sehr gelehrte Generalgouverneur von Kuang tong und Kuang si, in seinen im Laufe des Jahrs 1830 zu Canton erschienenen Denkwürdigkeiten der südlichen Lande, über Großbritannien zu berichten wußte. Und diese unwissenden, von sich und ihrer Macht berauschten Barbaren – auch sonst auf Erden steht nicht selten eine große äußerliche Cultur im engsten Bunde mit innerer Barbarei – sie sollten nun ganz Asien gegen Großbritannien aufgewiegelt haben! Es ist unglaublich. Es ist unmöglich! – Und das Opium, welches dem kaiserlichen Commissar ausgeliefert werden mußte, lag es denn nicht innerhalb des chinesischen Reiches? Schon seit einigen Jahrzehnten liegt die Opiumflotte, aus fünfundzwanzig bis dreißig Schiffen bestehend, bei einer Insel, Lin ting oder der einsame Nagel genannt (22° 6' nördl. Br., 114° 1' 30" östl. L. v. Gr.), vor Anker; ich selbst sah sie, als wir im Jahr 1830 in der Entfernung einiger englischen Meilen daran vorübersegelten – und diese von vier- bis fünfhundert Chinesen bewohnte Insel, deren Umfang auf drei bis vier deutsche Quadratmeilen sich belaufen mag, gehört doch wohl eben so gut zum Mittelreiche, wie White, wie Guernsey und Jersey zu England.

Es ist unverzeihlich, daß bis jetzt in keiner englischen Zeitung oder Flugschrift eine ausführliche Darlegung der im Ganzen so einfachen Streitpunkte zwischen Großbritannien und dem Mittelreiche gegeben wurde, in würdiger, historischer Haltung.

*) Die Tabakspflanze ist in China einheimisch. Die Chinesen haben lange vor der Entdeckung Amerika's Tabak geraucht; man hat aber niemals im Reiche der Mitte Tabak geschnupft. Deßhalb wird das Tabakschnupfen der Bewohner des großen westlichen Oceans als eine besondere Merkwürdigkeit hervorgehoben.
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[0947/0011] Orts. Cabrera will denselben forciren, seine Infanterie muß aber weichen; da sprengt er, von seiner Hitze verleitet, an der Spitze seiner berittenen Ordonnanzen vorwärts und chargirt den Feind in den Straßen; doch zwei Kugeln, welche beide in seinen Schenkel fahren, werfen ihn nieder, und nur mit höchster Anstrengung wird er dem gewissen Tod entrissen; seine Soldaten, ihn todt wähnend, zerstreuen sich abermals, und unser Held, nur von einigen Wenigen begleitet, begibt sich nach la Cena, um seine Wunden zu heilen. Wegen Mangels eines guten Chirurgen konnten aber die steckengebliebenen Kugeln nicht herausgeschnitten werden. In diesem Zustande erfährt Cabrera, daß die Feinde, seine Abwesenheit benutzend, sich des wichtigen Punktes Villareal de los Infantes bemächtigt hätten. 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O nein! diese auf leeren Wortkram und ihre gehaltlose Wissenschaft stolzen Pedanten der östlichen Erde wahnen vielmehr, es würden alle Kaufherren des großen westlichen Oceans in der innersten Seele erzittern ob der hochfliegenden Erlasse des erhabenen Himmelssohnes, wodurch sie und die Erzeugnisse ihres Landes auf ewige Zeiten verbannt werden von dem heiligen Boden des Jao und Schun; sie würden alsbald zurücksegeln in ihre barbarische Heimath, von kraftloser Sehnsucht erfüllt nach den vollen Fleischtöpfen Aegyptens, nach den reichlichen Gewinnsten ehemaliger Zeiten, geflossen aus dem gnädig gestatteten Handelsverkehre mit den gesegneten Gauen der Blume der Mitte. Daß dieß keine leere Muthmaßung, sondern buchstäbliche Wahrheit ist, davon zeugt der ganze abenteuerliche Hochmuth der Chinesen, davon zeugt was sie selbst, in ihren neuesten officiellen Werken und Bekanntmachungen, über alle Europäer und namentlich über England und die Engländer berichten. Weit entfernt, daß die Söhne der Han – wie fälschlich behauptet wird, und zwar selbst in Calcutta, wo man doch besser unterrichtet seyn sollte und könnte – an der Spitze eines gewaltigen anti-englischen Bundes stünden, der sich von dem gelben Flusse bis zum Euphrat, von dem Altai bis zu den südlichsten Ausgängen des Himalayagebirges erstrecke, scheinen die großen Geister des Reiches der Mitte nicht einmal zu wissen, daß die gigantische Macht, welche sie jetzt zum Kampfe herausforderten, sobald es beliebt oder für nothwendig erachtet wird, ohne große Schwierigkeiten Streifzüge unternehmen könnte in die Kreise Jun nan und Sse tschuen, nach Bhutan und Tibet. Wir haben durch die Pekinger Staatszeitung, welche den Engländern in Canton regelmäßig zukommt, nichts von Truppenbewegungen vernommen an dem südwestlichen Gränzsaume des Reiches und es wurden daselbst, wie es einer weisen Vorsicht wohl geziemt hätte, keine Beobachtungsheere aufgestellt. Wir lesen in dem officiellen Verzeichnisse der Länder welche der gegenwärtigen Dynastie einen Tribut dargebracht haben – und dieß geschah nach chinesischen Staatsmaximen von Seite Englands durch die Gesandtschaft des Lord Macartney – folgende denkwürdige Notiz: „Das Reich England ist ein Lehn von Holland. Die Kleider, so wie die Manieren im Essen und Trinken sind sich gleich bei den Einwohnern dieser beiden Reiche. England ist sehr reich. Die Mannsleute tragen viel Tuch und trinken Wein sehr gerne. Die unverheiratheten Frauenzimmer wollen eine schmale Taille haben, deßhalb schnüren sie sich; ihr Haar lassen sie in Locken über die Schultern herabhängen. Sie tragen enge Kleider und Unterröcke; wenn sie ausgehen, ziehen sie aber weitere Kleider an. Sie schnupfen Tabak aus Dosen von Gold und Pappendeckel.“ *) *) In den Denkwürdigkeiten der Reiche innerhalb des Meeres, nach der neuen Ausgabe vom Jahr 1793, heißt es: „England ist ein Reich, aus dreien Inseln bestehend, westlich von Schweden, Dänemark, Holland und Frankreich, welche vier Länder durch den nordwestlichen Ocean davon getrennt werden. Von Schweden nimmt das Meer eine östliche Richtung und umgibt Rußland; östlich von Rußland ist Sibirien. Den nördlichen Ocean kann man nicht umschiffen; er bleibt immer zugefroren und wird deßhalb Eismeer genannt. .... Das Reich England producirt Silber, allerlei Gattungen wollener Tücher, Kamelott, Glas und dergleichen Dinge.“ Dieß ist Alles, was Juen Juen, der nach seiner Weise sehr gelehrte Generalgouverneur von Kuang tong und Kuang si, in seinen im Laufe des Jahrs 1830 zu Canton erschienenen Denkwürdigkeiten der südlichen Lande, über Großbritannien zu berichten wußte. Und diese unwissenden, von sich und ihrer Macht berauschten Barbaren – auch sonst auf Erden steht nicht selten eine große äußerliche Cultur im engsten Bunde mit innerer Barbarei – sie sollten nun ganz Asien gegen Großbritannien aufgewiegelt haben! Es ist unglaublich. Es ist unmöglich! – Und das Opium, welches dem kaiserlichen Commissar ausgeliefert werden mußte, lag es denn nicht innerhalb des chinesischen Reiches? Schon seit einigen Jahrzehnten liegt die Opiumflotte, aus fünfundzwanzig bis dreißig Schiffen bestehend, bei einer Insel, Lin ting oder der einsame Nagel genannt (22° 6' nördl. Br., 114° 1' 30" östl. L. v. Gr.), vor Anker; ich selbst sah sie, als wir im Jahr 1830 in der Entfernung einiger englischen Meilen daran vorübersegelten – und diese von vier- bis fünfhundert Chinesen bewohnte Insel, deren Umfang auf drei bis vier deutsche Quadratmeilen sich belaufen mag, gehört doch wohl eben so gut zum Mittelreiche, wie White, wie Guernsey und Jersey zu England. Es ist unverzeihlich, daß bis jetzt in keiner englischen Zeitung oder Flugschrift eine ausführliche Darlegung der im Ganzen so einfachen Streitpunkte zwischen Großbritannien und dem Mittelreiche gegeben wurde, in würdiger, historischer Haltung. *) Die Tabakspflanze ist in China einheimisch. Die Chinesen haben lange vor der Entdeckung Amerika's Tabak geraucht; man hat aber niemals im Reiche der Mitte Tabak geschnupft. Deßhalb wird das Tabakschnupfen der Bewohner des großen westlichen Oceans als eine besondere Merkwürdigkeit hervorgehoben.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 119. Augsburg, 28. April 1840, S. 0947. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_119_18400428/11>, abgerufen am 27.04.2024.