Allgemeine Zeitung. Nr. 120. Augsburg, 29. April 1840.Türkei. Konstantinopel, 8 April. Eine ernste Spaltung unter den türkischen Ministern in der Angelegenheit des Vicekönigs droht mit einer neuen Verwirrung. Während Chosrew Pascha entschieden für die Intervention der Mächte gestimmt ist, erklären sich die übrigen für die Anknüpfung directer Unterhandlungen ohne fremde Vermittelung, und Reschid Pascha, ermüdet von den Anstrengungen, denen er sich in der letzten Zeit überließ, schwankt zwischen beiden und droht aus Ueberdruß mit Niederlegung seines Portefeuilles. Dieses Ereigniß wird ohne Zweifel wichtige Folgen nach sich ziehen. Entweder wird ein Versuch gemacht werden, sich mit dem Vicekönig zu vergleichen, oder man wird trachten, auf den Grund dieser plötzlichen Sinnesänderung des größten Theils des großherrlichen Divans zu kommen. Im letzten Falle dürfte die Sache mit einer bedeutenden Anzahl von Absetzungen und Verbannungen endigen; denn daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen seyn müsse, sieht ein jeder ein. - Die Angelegenheit Campiniano's ist bereits erledigt. Sie wissen, daß das Urtheil der Pforte auf Exil gelautet hatte, und daß Philippopel als Verbannungsort bestimmt ward. Die zahlreichen Freunde Campiniano's wußten den Hofpodar der Wallachei dahin zu bringen, daß er selbst für ihn bei der Pforte intercedirte und um Milderung der Strafe, namentlich um Bestimmung eines andern Verbannungsorts, und zwar innerhalb der Gränzen der Wallachei, einkam. Die Pforte willfahrte diesem Gesuche und bezeichnete Marzineni, unweit Bucharest, als das künftige Exil Campiniano's. Aegypten. Das Echo de l'Orient vom 4 April enthält in Bezug auf die bekannten Ereignisse in Damask folgenden Auszug eines Schreibens aus Bairut vom 6 März 1840 "Nicht ohne ein Gefühl des Entsetzens schreibe ich Ihnen von der Katastrophe, welche die unschuldig angeklagte israelitische Gemeinde von Damask in Trauer versetzt. Folgendes ist der Hergang der Sache: Am 5 Febr. verschwand ein katholischer Priester, der seit vierzig Jahren in Damask wohnte und dort auch die Heilkunde ausübte, nebst seinem Diener aus der Stadt. Am Tage nach seinem plötzlichen Verschwinden erklärten verschiedene Christen, daß sie ihn bei einem jüdischen Barbier gesehen hätten, und um ihren Planen freien Lauf zu lassen, führten sie letzteren vor den Pascha, wo ihm sogleich 500 Stockstreiche gegeben und Qualen, ärger als der Tod, angethan wurden, um den Unglücklichen dahin zu bringen, einige seiner Glaubensgenossen zu denunciren, da ihm unter dieser Bedingung seine Begnadigung versprochen wurde. Der Barbier, glaubend daß er durch die Geständnisse, welche die Tortur von ihm verlangte, seine Befreiung erwirken werde, gab sieben vornehme Israeliten als seine Mitschuldigen an, mit dem Beifügen, daß ihm diese 300 Piaster für die Ermordung des Priesters, indem man Christenblut für die ungesäuerten Brode der nächsten Ostern brauche, geboten hätten, er sich aber geweigert habe, ihren Anforderungen Folge zu leisten. Gleich nach dieser Erklärung ließ der Pascha die von dem Barbier angezeigten Israeliten verhaften und verschiedenen Torturen unterwerfen. Die Betheurung der Angeklagten, daß die Bibel und der Talmud den Israeliten nicht bloß den Genuß des Menschen- sondern sogar des Thierblutes streng verbieten, war vergebens; man schlug sie in Ketten, warf sie in den Kerker und ersann jeden Tag für sie neue Qualen, neue Foltern. Später verhaftete man noch andere Israeliten nebst dreien ihrer Rabbiner; man knebelte, man schlug sie mit solcher Grausamkeit, daß das Fleisch stückweise von ihren zuckenden Gliedmaßen herabfiel. Als man sie fragte, ob die Israeliten sich des Christenblutes zu ihren ungesäuerten Broden bedienten, antworteten sie mit Festigkeit, daß, wenn dieß wahr wäre, es in den heiligen Gesetzen geschrieben seyn würde. Sämmtliche Kinder der Judenschule wurden gleichfalls verhaftet und mit Ketten beladen; man verabreichte ihnen alle 24 Stunden ein Stück Brod und etwas Wasser, und ihren Müttern wurde nicht erlaubt, sie zu besuchen, in der Hoffnung, auf diese Art von den Kindern irgend ein Bekenntniß zu erpressen. Ein Israelite, der sich noch auf freiem Fuße befand, ging zum Statthalter, und bewies ihm durch Thatsachen, daß die Beschuldigung hinsichtlich des Gebrauchs von Christenblut zu den ungesäuerten Broden von mehreren Regierungen für abgeschmackt und unzulässig erkannt worden sey, und daß die Aussage des Barbiers nur deßhalb stattgefunden habe, um den Qualen einer längern Tortur zu entgehen; allein diese Erklärungen hatten nur Mißhandlungen für den Urheber derselben zur Folge. Die Häuser der Angeklagten wurden niedergerissen, in der Hoffnung, die Leichname der beiden Christen zu finden; da jedoch alle Nachforschungen vergebens waren, nahm man abermals zu unerhörten Torturen seine Zuflucht, und nun bestätigten die Angeklagten die falsche Erklärung des Barbiers durch ihr Geständniß, in der Hoffnung, daß man sie zum Tode verurtheilen und so ihre Leiden enden würde. Man fragte sie, wo sie das Blut aufbewahrt hätten, und sie sagten, es einem der Ihrigen übergeben zu haben, der, als er dieß läugnete, einer so grausamen Tortur unterworfen wurde, daß er, um seinen Qualen ein Ende zu machen, endlich erklärte, er habe das Blut in seinem eigenen Hause aufbewahrt; der Unglückliche wurde halb todt nach Hause geschleppt; hier deutete er auf einen Schrank, man fand aber in demselben nur eine Summe Geldes, mit der er sich zu retten hoffte. In seiner Erwartung getäuscht, mußte er neue Torturen erleiden, und ging endlich zum Islam über. Ein Astrolog hat erklärt, daß der Priester von den Juden ermordet worden sey ... Wehe dem Lande, wo die Justiz nach astrologischen Angaben verwaltet wird! Der jüdische Barbier Negrin ist auch zum Islam übergetreten, um sich den Qualen der Tortur zu entziehen. Dieß ist die Lage der unglücklichen Israeliten von Damask." Türkei. Konstantinopel, 8 April. Eine ernste Spaltung unter den türkischen Ministern in der Angelegenheit des Vicekönigs droht mit einer neuen Verwirrung. Während Chosrew Pascha entschieden für die Intervention der Mächte gestimmt ist, erklären sich die übrigen für die Anknüpfung directer Unterhandlungen ohne fremde Vermittelung, und Reschid Pascha, ermüdet von den Anstrengungen, denen er sich in der letzten Zeit überließ, schwankt zwischen beiden und droht aus Ueberdruß mit Niederlegung seines Portefeuilles. Dieses Ereigniß wird ohne Zweifel wichtige Folgen nach sich ziehen. Entweder wird ein Versuch gemacht werden, sich mit dem Vicekönig zu vergleichen, oder man wird trachten, auf den Grund dieser plötzlichen Sinnesänderung des größten Theils des großherrlichen Divans zu kommen. Im letzten Falle dürfte die Sache mit einer bedeutenden Anzahl von Absetzungen und Verbannungen endigen; denn daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen seyn müsse, sieht ein jeder ein. – Die Angelegenheit Campiniano's ist bereits erledigt. Sie wissen, daß das Urtheil der Pforte auf Exil gelautet hatte, und daß Philippopel als Verbannungsort bestimmt ward. Die zahlreichen Freunde Campiniano's wußten den Hofpodar der Wallachei dahin zu bringen, daß er selbst für ihn bei der Pforte intercedirte und um Milderung der Strafe, namentlich um Bestimmung eines andern Verbannungsorts, und zwar innerhalb der Gränzen der Wallachei, einkam. Die Pforte willfahrte diesem Gesuche und bezeichnete Marzineni, unweit Bucharest, als das künftige Exil Campiniano's. Aegypten. Das Echo de l'Orient vom 4 April enthält in Bezug auf die bekannten Ereignisse in Damask folgenden Auszug eines Schreibens aus Bairut vom 6 März 1840 „Nicht ohne ein Gefühl des Entsetzens schreibe ich Ihnen von der Katastrophe, welche die unschuldig angeklagte israelitische Gemeinde von Damask in Trauer versetzt. Folgendes ist der Hergang der Sache: Am 5 Febr. verschwand ein katholischer Priester, der seit vierzig Jahren in Damask wohnte und dort auch die Heilkunde ausübte, nebst seinem Diener aus der Stadt. Am Tage nach seinem plötzlichen Verschwinden erklärten verschiedene Christen, daß sie ihn bei einem jüdischen Barbier gesehen hätten, und um ihren Planen freien Lauf zu lassen, führten sie letzteren vor den Pascha, wo ihm sogleich 500 Stockstreiche gegeben und Qualen, ärger als der Tod, angethan wurden, um den Unglücklichen dahin zu bringen, einige seiner Glaubensgenossen zu denunciren, da ihm unter dieser Bedingung seine Begnadigung versprochen wurde. Der Barbier, glaubend daß er durch die Geständnisse, welche die Tortur von ihm verlangte, seine Befreiung erwirken werde, gab sieben vornehme Israeliten als seine Mitschuldigen an, mit dem Beifügen, daß ihm diese 300 Piaster für die Ermordung des Priesters, indem man Christenblut für die ungesäuerten Brode der nächsten Ostern brauche, geboten hätten, er sich aber geweigert habe, ihren Anforderungen Folge zu leisten. Gleich nach dieser Erklärung ließ der Pascha die von dem Barbier angezeigten Israeliten verhaften und verschiedenen Torturen unterwerfen. Die Betheurung der Angeklagten, daß die Bibel und der Talmud den Israeliten nicht bloß den Genuß des Menschen- sondern sogar des Thierblutes streng verbieten, war vergebens; man schlug sie in Ketten, warf sie in den Kerker und ersann jeden Tag für sie neue Qualen, neue Foltern. Später verhaftete man noch andere Israeliten nebst dreien ihrer Rabbiner; man knebelte, man schlug sie mit solcher Grausamkeit, daß das Fleisch stückweise von ihren zuckenden Gliedmaßen herabfiel. Als man sie fragte, ob die Israeliten sich des Christenblutes zu ihren ungesäuerten Broden bedienten, antworteten sie mit Festigkeit, daß, wenn dieß wahr wäre, es in den heiligen Gesetzen geschrieben seyn würde. Sämmtliche Kinder der Judenschule wurden gleichfalls verhaftet und mit Ketten beladen; man verabreichte ihnen alle 24 Stunden ein Stück Brod und etwas Wasser, und ihren Müttern wurde nicht erlaubt, sie zu besuchen, in der Hoffnung, auf diese Art von den Kindern irgend ein Bekenntniß zu erpressen. Ein Israelite, der sich noch auf freiem Fuße befand, ging zum Statthalter, und bewies ihm durch Thatsachen, daß die Beschuldigung hinsichtlich des Gebrauchs von Christenblut zu den ungesäuerten Broden von mehreren Regierungen für abgeschmackt und unzulässig erkannt worden sey, und daß die Aussage des Barbiers nur deßhalb stattgefunden habe, um den Qualen einer längern Tortur zu entgehen; allein diese Erklärungen hatten nur Mißhandlungen für den Urheber derselben zur Folge. Die Häuser der Angeklagten wurden niedergerissen, in der Hoffnung, die Leichname der beiden Christen zu finden; da jedoch alle Nachforschungen vergebens waren, nahm man abermals zu unerhörten Torturen seine Zuflucht, und nun bestätigten die Angeklagten die falsche Erklärung des Barbiers durch ihr Geständniß, in der Hoffnung, daß man sie zum Tode verurtheilen und so ihre Leiden enden würde. Man fragte sie, wo sie das Blut aufbewahrt hätten, und sie sagten, es einem der Ihrigen übergeben zu haben, der, als er dieß läugnete, einer so grausamen Tortur unterworfen wurde, daß er, um seinen Qualen ein Ende zu machen, endlich erklärte, er habe das Blut in seinem eigenen Hause aufbewahrt; der Unglückliche wurde halb todt nach Hause geschleppt; hier deutete er auf einen Schrank, man fand aber in demselben nur eine Summe Geldes, mit der er sich zu retten hoffte. In seiner Erwartung getäuscht, mußte er neue Torturen erleiden, und ging endlich zum Islam über. Ein Astrolog hat erklärt, daß der Priester von den Juden ermordet worden sey ... Wehe dem Lande, wo die Justiz nach astrologischen Angaben verwaltet wird! Der jüdische Barbier Negrin ist auch zum Islam übergetreten, um sich den Qualen der Tortur zu entziehen. 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Entweder wird ein Versuch gemacht werden, sich mit dem Vicekönig zu vergleichen, oder man wird trachten, auf den Grund dieser plötzlichen Sinnesänderung des größten Theils des großherrlichen Divans zu kommen. Im letzten Falle dürfte die Sache mit einer bedeutenden Anzahl von Absetzungen und Verbannungen endigen; denn daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen seyn müsse, sieht ein jeder ein. – Die Angelegenheit Campiniano's ist bereits erledigt. Sie wissen, daß das Urtheil der Pforte auf Exil gelautet hatte, und daß Philippopel als Verbannungsort bestimmt ward. Die zahlreichen Freunde Campiniano's wußten den Hofpodar der Wallachei dahin zu bringen, daß er selbst für ihn bei der Pforte intercedirte und um Milderung der Strafe, namentlich um Bestimmung eines andern Verbannungsorts, und zwar innerhalb der Gränzen der Wallachei, einkam. 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Am Tage nach seinem plötzlichen Verschwinden erklärten verschiedene Christen, daß sie ihn bei einem jüdischen Barbier gesehen hätten, und um ihren Planen freien Lauf zu lassen, führten sie letzteren vor den Pascha, wo ihm sogleich 500 Stockstreiche gegeben und Qualen, ärger als der Tod, angethan wurden, um den Unglücklichen dahin zu bringen, einige seiner Glaubensgenossen zu denunciren, da ihm unter dieser Bedingung seine Begnadigung versprochen wurde. Der Barbier, glaubend daß er durch die Geständnisse, welche die Tortur von ihm verlangte, seine Befreiung erwirken werde, gab sieben vornehme Israeliten als seine Mitschuldigen an, mit dem Beifügen, daß ihm diese 300 Piaster für die Ermordung des Priesters, indem man Christenblut für die ungesäuerten Brode der nächsten Ostern brauche, geboten hätten, er sich aber geweigert habe, ihren Anforderungen Folge zu leisten. Gleich nach dieser Erklärung ließ der Pascha die von dem Barbier angezeigten Israeliten verhaften und verschiedenen Torturen unterwerfen. Die Betheurung der Angeklagten, daß die Bibel und der Talmud den Israeliten nicht bloß den Genuß des Menschen- sondern sogar des Thierblutes streng verbieten, war vergebens; man schlug sie in Ketten, warf sie in den Kerker und ersann jeden Tag für sie neue Qualen, neue Foltern. Später verhaftete man noch andere Israeliten nebst dreien ihrer Rabbiner; man knebelte, man schlug sie mit solcher Grausamkeit, daß das Fleisch stückweise von ihren zuckenden Gliedmaßen herabfiel. Als man sie fragte, ob die Israeliten sich des Christenblutes zu ihren ungesäuerten Broden bedienten, antworteten sie mit Festigkeit, daß, wenn dieß wahr wäre, es in den heiligen Gesetzen geschrieben seyn würde. Sämmtliche Kinder der Judenschule wurden gleichfalls verhaftet und mit Ketten beladen; man verabreichte ihnen alle 24 Stunden ein Stück Brod und etwas Wasser, und ihren Müttern wurde nicht erlaubt, sie zu besuchen, in der Hoffnung, auf diese Art von den Kindern irgend ein Bekenntniß zu erpressen. Ein Israelite, der sich noch auf freiem Fuße befand, ging zum Statthalter, und bewies ihm durch Thatsachen, daß die Beschuldigung hinsichtlich des Gebrauchs von Christenblut zu den ungesäuerten Broden von mehreren Regierungen für abgeschmackt und unzulässig erkannt worden sey, und daß die Aussage des Barbiers nur deßhalb stattgefunden habe, um den Qualen einer längern Tortur zu entgehen; allein diese Erklärungen hatten nur Mißhandlungen für den Urheber derselben zur Folge. Die Häuser der Angeklagten wurden niedergerissen, in der Hoffnung, die Leichname der beiden Christen zu finden; da jedoch alle Nachforschungen vergebens waren, nahm man abermals zu unerhörten Torturen seine Zuflucht, und nun bestätigten die Angeklagten die falsche Erklärung des Barbiers durch ihr Geständniß, in der Hoffnung, daß man sie zum Tode verurtheilen und so ihre Leiden enden würde. Man fragte sie, wo sie das Blut aufbewahrt hätten, und sie sagten, es einem der Ihrigen übergeben zu haben, der, als er dieß läugnete, einer so grausamen Tortur unterworfen wurde, daß er, um seinen Qualen ein Ende zu machen, endlich erklärte, er habe das Blut in seinem eigenen Hause aufbewahrt; der Unglückliche wurde halb todt nach Hause geschleppt; hier deutete er auf einen Schrank, man fand aber in demselben nur eine Summe Geldes, mit der er sich zu retten hoffte. In seiner Erwartung getäuscht, mußte er neue Torturen erleiden, und ging endlich zum Islam über. Ein Astrolog hat erklärt, daß der Priester von den Juden ermordet worden sey ... Wehe dem Lande, wo die Justiz nach astrologischen Angaben verwaltet wird! Der jüdische Barbier Negrin ist auch zum Islam übergetreten, um sich den Qualen der Tortur zu entziehen. Dieß ist die Lage der unglücklichen Israeliten von Damask.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0960/0008]
Türkei.
_ Konstantinopel, 8 April. Eine ernste Spaltung unter den türkischen Ministern in der Angelegenheit des Vicekönigs droht mit einer neuen Verwirrung. Während Chosrew Pascha entschieden für die Intervention der Mächte gestimmt ist, erklären sich die übrigen für die Anknüpfung directer Unterhandlungen ohne fremde Vermittelung, und Reschid Pascha, ermüdet von den Anstrengungen, denen er sich in der letzten Zeit überließ, schwankt zwischen beiden und droht aus Ueberdruß mit Niederlegung seines Portefeuilles. Dieses Ereigniß wird ohne Zweifel wichtige Folgen nach sich ziehen. Entweder wird ein Versuch gemacht werden, sich mit dem Vicekönig zu vergleichen, oder man wird trachten, auf den Grund dieser plötzlichen Sinnesänderung des größten Theils des großherrlichen Divans zu kommen. Im letzten Falle dürfte die Sache mit einer bedeutenden Anzahl von Absetzungen und Verbannungen endigen; denn daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen seyn müsse, sieht ein jeder ein. – Die Angelegenheit Campiniano's ist bereits erledigt. Sie wissen, daß das Urtheil der Pforte auf Exil gelautet hatte, und daß Philippopel als Verbannungsort bestimmt ward. Die zahlreichen Freunde Campiniano's wußten den Hofpodar der Wallachei dahin zu bringen, daß er selbst für ihn bei der Pforte intercedirte und um Milderung der Strafe, namentlich um Bestimmung eines andern Verbannungsorts, und zwar innerhalb der Gränzen der Wallachei, einkam. Die Pforte willfahrte diesem Gesuche und bezeichnete Marzineni, unweit Bucharest, als das künftige Exil Campiniano's.
Aegypten.
Das Echo de l'Orient vom 4 April enthält in Bezug auf die bekannten Ereignisse in Damask folgenden Auszug eines Schreibens aus Bairut vom 6 März 1840 „Nicht ohne ein Gefühl des Entsetzens schreibe ich Ihnen von der Katastrophe, welche die unschuldig angeklagte israelitische Gemeinde von Damask in Trauer versetzt. Folgendes ist der Hergang der Sache: Am 5 Febr. verschwand ein katholischer Priester, der seit vierzig Jahren in Damask wohnte und dort auch die Heilkunde ausübte, nebst seinem Diener aus der Stadt. Am Tage nach seinem plötzlichen Verschwinden erklärten verschiedene Christen, daß sie ihn bei einem jüdischen Barbier gesehen hätten, und um ihren Planen freien Lauf zu lassen, führten sie letzteren vor den Pascha, wo ihm sogleich 500 Stockstreiche gegeben und Qualen, ärger als der Tod, angethan wurden, um den Unglücklichen dahin zu bringen, einige seiner Glaubensgenossen zu denunciren, da ihm unter dieser Bedingung seine Begnadigung versprochen wurde. Der Barbier, glaubend daß er durch die Geständnisse, welche die Tortur von ihm verlangte, seine Befreiung erwirken werde, gab sieben vornehme Israeliten als seine Mitschuldigen an, mit dem Beifügen, daß ihm diese 300 Piaster für die Ermordung des Priesters, indem man Christenblut für die ungesäuerten Brode der nächsten Ostern brauche, geboten hätten, er sich aber geweigert habe, ihren Anforderungen Folge zu leisten. Gleich nach dieser Erklärung ließ der Pascha die von dem Barbier angezeigten Israeliten verhaften und verschiedenen Torturen unterwerfen. Die Betheurung der Angeklagten, daß die Bibel und der Talmud den Israeliten nicht bloß den Genuß des Menschen- sondern sogar des Thierblutes streng verbieten, war vergebens; man schlug sie in Ketten, warf sie in den Kerker und ersann jeden Tag für sie neue Qualen, neue Foltern. Später verhaftete man noch andere Israeliten nebst dreien ihrer Rabbiner; man knebelte, man schlug sie mit solcher Grausamkeit, daß das Fleisch stückweise von ihren zuckenden Gliedmaßen herabfiel. Als man sie fragte, ob die Israeliten sich des Christenblutes zu ihren ungesäuerten Broden bedienten, antworteten sie mit Festigkeit, daß, wenn dieß wahr wäre, es in den heiligen Gesetzen geschrieben seyn würde. Sämmtliche Kinder der Judenschule wurden gleichfalls verhaftet und mit Ketten beladen; man verabreichte ihnen alle 24 Stunden ein Stück Brod und etwas Wasser, und ihren Müttern wurde nicht erlaubt, sie zu besuchen, in der Hoffnung, auf diese Art von den Kindern irgend ein Bekenntniß zu erpressen. Ein Israelite, der sich noch auf freiem Fuße befand, ging zum Statthalter, und bewies ihm durch Thatsachen, daß die Beschuldigung hinsichtlich des Gebrauchs von Christenblut zu den ungesäuerten Broden von mehreren Regierungen für abgeschmackt und unzulässig erkannt worden sey, und daß die Aussage des Barbiers nur deßhalb stattgefunden habe, um den Qualen einer längern Tortur zu entgehen; allein diese Erklärungen hatten nur Mißhandlungen für den Urheber derselben zur Folge. Die Häuser der Angeklagten wurden niedergerissen, in der Hoffnung, die Leichname der beiden Christen zu finden; da jedoch alle Nachforschungen vergebens waren, nahm man abermals zu unerhörten Torturen seine Zuflucht, und nun bestätigten die Angeklagten die falsche Erklärung des Barbiers durch ihr Geständniß, in der Hoffnung, daß man sie zum Tode verurtheilen und so ihre Leiden enden würde. Man fragte sie, wo sie das Blut aufbewahrt hätten, und sie sagten, es einem der Ihrigen übergeben zu haben, der, als er dieß läugnete, einer so grausamen Tortur unterworfen wurde, daß er, um seinen Qualen ein Ende zu machen, endlich erklärte, er habe das Blut in seinem eigenen Hause aufbewahrt; der Unglückliche wurde halb todt nach Hause geschleppt; hier deutete er auf einen Schrank, man fand aber in demselben nur eine Summe Geldes, mit der er sich zu retten hoffte. In seiner Erwartung getäuscht, mußte er neue Torturen erleiden, und ging endlich zum Islam über. Ein Astrolog hat erklärt, daß der Priester von den Juden ermordet worden sey ... Wehe dem Lande, wo die Justiz nach astrologischen Angaben verwaltet wird! Der jüdische Barbier Negrin ist auch zum Islam übergetreten, um sich den Qualen der Tortur zu entziehen. Dieß ist die Lage der unglücklichen Israeliten von Damask.“
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