Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 121. Augsburg, 30. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Das französische Handelssystem.

Die Nothwendigkeit der freien Circulation der Mittel der Subsistenz drängt sich täglich mehr auf, und wird sich, trotz des gegenwärtigen Widerstands der Kammern, nicht mehr lange abhalten lassen. Frankreich producirt von Jahr zu Jahr mehr für Ausfuhr, und muß sich also der allgemeinen Concurrenz in den Preisen unterwerfen, die es aber nicht aushalten kann, wenn es den Taglohn durch künstliche Brodpreise steigert. England, das einen so großen Vorsprung vor andern Nationen durch seine Maschinen und Capitalien besaß, findet, daß er nicht mehr hinreichend ist, und daß es seine Korngesetze nächstens modificiren muß. So geht es auch hier, und es ist vor Allem die Concurrenz der deutschen Fabriken, welche sie dazu nöthigt. Es ist daher mit Gewißheit vorauszusagen, daß beide Staaten, wenn sie sehen werden, daß diese Maaßregel unumgänglich geworden ist, wenigstens versuchen werden, neben der directen Erleichterung ihrer Fabrikbevölkerung durch Aufhebung der den Vieh- und Getreidehandel beschränkenden Gesetze, noch einen Vortheil durch Stipulirung der Herabsetzung der Zölle des deutschen Zollvereins auf fremde Fabricate zu erreichen. Wer den Bericht von Bowring gelesen hat, kann keinen Zweifel darüber hegen, daß es so gehen werde, und die deutschen Staaten scheinen geneigt, darauf einzugehen, was ein großer Fehler und ein ganz unnöthiges Opfer wäre; denn die Interessen, welche sich in beiden Ländern an den künstlichen Preis von Getreide und Vieh knüpfen, sind so groß und ihre politische Stellung so mächtig, daß nur die Nothwendigkeit sie zwingen kann, sich der Herabsetzung zu fügen, und die Sache, wenn sie überhaupt geschieht, geschehen muß, ob sich daran eine Herabsetzung des deutschen Tarifs auf Fabricate knüpft oder nicht. Das Opfer, welches Deutschland bringen würde, wäre um so größer, als die Herabsetzung der Zölle auf Korn die englischen Fabricanten ohnehin schon in den Stand setzte, den deutschen Fabricanten auf allen, selbst auf den deutschen Märkten eine noch größere Concurrenz entgegenzustellen. Wenn England und Frankreich ihre Zölle auf fremde Fabricate unter die deutschen herabsetzen, dann wird es Zeit seyn, auch die deutschen zu reduciren.

Der Bericht über die hiesige Industrieausstellung ist vor einigen Tagen erschienen und enthält manche Lehren für deutsche Regierungen und Fabricanten, welche sie bei den bevorstehenden Zollunterhandlungen wohl berücksichtigen sollten. Er enthält viele Data über Handelsstatistik, und gibt bei jedem Industriezweig eine interessante Auseinandersetzung der Fortschritte, welche er gemacht hat, der Richtung, welche er nimmt, und der Nachtheile, unter denen er leidet. Im Allgemeinen gibt er einen sehr vortheilhaften Begriff von den Fortschritten, welche in Frankreich seit fünf Jahren gemacht worden, und noch mehr von denen, welche im Werden begriffen sind. Denn nach der nicht sehr billigen Art, wie diese Berichte abgefaßt, werden die Erfindungen, welche noch keine große commercielle Ausdehnung genommen haben, nur oberflächlich berührt, und die Belohnungen, welche sie verdienen, auf die Zukunft ausgesetzt. Maschinenbau, Wollen- und Leinspinnerei, einige Theile von Metallarbeit, wie z. B. Sensen- und Feilenfabrication, Lederbereitung, Uhrmacherei, haben große Fortschritte gemacht, und eine Menge kleiner Industrien, welche kaum bemerklich scheinen, haben eine Ausdehnung genommen, die fast unglaublich scheint. So z. B. führt der Bericht an, daß Frankreich jährlich für 400,000 Franken elastisches Gummi aus Amerika einführt und für 4 Millionen Producte daraus nach Amerika allein wieder ausführt. So hat man angefangen, Palmenfasern und ähnliche Materialien zu feinem Flechtwerk aus Westindien roh einzuführen, und die Fabrication daraus hat, besonders in den Gefängnissen, überaus zugenommen. Die Kosten des Materials betragen, trotz der Entfernung, nicht über 15 und oft nicht über Ein Procent des Werths des Fabricats. Früher wurden beträchtlich mehr Maschinen ein- als ausgeführt, aber jetzt beträgt die Ausfuhr das Doppelte der Einfuhr, und übersteigt 6 Millionen Fr. Die Lederfabrication von Paris, welche durch die Anwendung von Schwefelsäure so gesunken war, daß das hiesige Leder am Ende unverkäuflich geworden, ist auf die alten Methoden zurückgekommen, und hat sich namentlich in Maroquin so verbessert, daß es jetzt nach England ausgeführt wird.

Ustrialows Geschichte Rußlands.

Zwei Dinge müssen beim Durchlesen dieser Geschichte besonders auffallen, erstens die ganz veränderte Ansicht, welche dieselbe von der polnischen Geschichte gibt, und zweitens der Geist der Abgeschlossenheit von dem übrigen Europa, welcher sich darin ausspricht. Rußland stellt sich mit seiner Kirche und mit seinen Staatseinrichtungen dem ganzen europäischen Westen schroff gegenüber, und wenn der Verfasser nachweist, daß das russische Mittelalter von dem westeuropäischen wesentlich verschieden gewesen, und gar kein Feudalsystem je bestanden habe, so fühlt man unwillkürlich, daß damit auch das Fundament unserer westeuropäischen Cultur fehle, und der Grund der Verschiedenheit kein zufälliger sey, sondern in der frühern Entwicklung des Volks liege. Die Entwicklung des deutschen Feudalsystems ist in den Kriegszügen Karls des Großen zu suchen; es ist ursprünglich nichts als eine durch die Noth gebotene Corruption der alten allgemeinen Wehrverfassung. In Rußland ist allerdings durchaus von keinem Feudalsystem die Rede, aber die Erklärung dieser Erscheinung gibt der Verfasser nicht, denn er fängt seine Geschichte mit der Niederlassung der Normannen im slavischen Lande an, und entwirft uns von jenem Zeitpunkt an eine Geschichte des russischen Staats, aber keine des russischen Volks. Dieser Zug geht durch das ganze Buch und ist äußerst charakteristisch, denn man kann sich kaum anders denken, als daß diese Auffassung absichtlich ist. Seit dem dreizehnten Jahrhundert spielen die Großrussen die Hauptrolle; im ursprünglichen russischen Staate sind die Kleinrussen das Hauptvolk und Kiew war der Centralpunkt des russischen Reichs. Alle großrussischen Städte sind ursprünglich kleinrussische Colonien auf finnischem Gebiet. Als Batu hereinbrach, wurde das altrussische Reich und die alte Hauptstadt Kiew zerstört und verwüstet, und nur im nördlichen Rußland blieben ärmliche Fürstenthümer, welche wegen ihrer Schwäche und Unbedeutenheit mehr von dem wilden Feind verschont blieben, bis sie ein Jahrhundert später allmählich erstarkten und endlich mit der Horde einen Kampf wagen konnten. In der Zeit der Mongolenherrschaft bildete sich der großrussische Stamm aus, dessen Nationalität wesentlich in seiner Kirche lag, der von Europa gänzlich abgeschieden war, und fast nur mit mongolisch-tatarischen Horden, mit Litthauen und den schwachen finnischen Völkern in Verhältnissen stand. Den mongolisch-tatarischen Horden anfangs völlig unterworfen, hierauf mit ihnen gegen Litthauen

Das französische Handelssystem.

Die Nothwendigkeit der freien Circulation der Mittel der Subsistenz drängt sich täglich mehr auf, und wird sich, trotz des gegenwärtigen Widerstands der Kammern, nicht mehr lange abhalten lassen. Frankreich producirt von Jahr zu Jahr mehr für Ausfuhr, und muß sich also der allgemeinen Concurrenz in den Preisen unterwerfen, die es aber nicht aushalten kann, wenn es den Taglohn durch künstliche Brodpreise steigert. England, das einen so großen Vorsprung vor andern Nationen durch seine Maschinen und Capitalien besaß, findet, daß er nicht mehr hinreichend ist, und daß es seine Korngesetze nächstens modificiren muß. So geht es auch hier, und es ist vor Allem die Concurrenz der deutschen Fabriken, welche sie dazu nöthigt. Es ist daher mit Gewißheit vorauszusagen, daß beide Staaten, wenn sie sehen werden, daß diese Maaßregel unumgänglich geworden ist, wenigstens versuchen werden, neben der directen Erleichterung ihrer Fabrikbevölkerung durch Aufhebung der den Vieh- und Getreidehandel beschränkenden Gesetze, noch einen Vortheil durch Stipulirung der Herabsetzung der Zölle des deutschen Zollvereins auf fremde Fabricate zu erreichen. Wer den Bericht von Bowring gelesen hat, kann keinen Zweifel darüber hegen, daß es so gehen werde, und die deutschen Staaten scheinen geneigt, darauf einzugehen, was ein großer Fehler und ein ganz unnöthiges Opfer wäre; denn die Interessen, welche sich in beiden Ländern an den künstlichen Preis von Getreide und Vieh knüpfen, sind so groß und ihre politische Stellung so mächtig, daß nur die Nothwendigkeit sie zwingen kann, sich der Herabsetzung zu fügen, und die Sache, wenn sie überhaupt geschieht, geschehen muß, ob sich daran eine Herabsetzung des deutschen Tarifs auf Fabricate knüpft oder nicht. Das Opfer, welches Deutschland bringen würde, wäre um so größer, als die Herabsetzung der Zölle auf Korn die englischen Fabricanten ohnehin schon in den Stand setzte, den deutschen Fabricanten auf allen, selbst auf den deutschen Märkten eine noch größere Concurrenz entgegenzustellen. Wenn England und Frankreich ihre Zölle auf fremde Fabricate unter die deutschen herabsetzen, dann wird es Zeit seyn, auch die deutschen zu reduciren.

Der Bericht über die hiesige Industrieausstellung ist vor einigen Tagen erschienen und enthält manche Lehren für deutsche Regierungen und Fabricanten, welche sie bei den bevorstehenden Zollunterhandlungen wohl berücksichtigen sollten. Er enthält viele Data über Handelsstatistik, und gibt bei jedem Industriezweig eine interessante Auseinandersetzung der Fortschritte, welche er gemacht hat, der Richtung, welche er nimmt, und der Nachtheile, unter denen er leidet. Im Allgemeinen gibt er einen sehr vortheilhaften Begriff von den Fortschritten, welche in Frankreich seit fünf Jahren gemacht worden, und noch mehr von denen, welche im Werden begriffen sind. Denn nach der nicht sehr billigen Art, wie diese Berichte abgefaßt, werden die Erfindungen, welche noch keine große commercielle Ausdehnung genommen haben, nur oberflächlich berührt, und die Belohnungen, welche sie verdienen, auf die Zukunft ausgesetzt. Maschinenbau, Wollen- und Leinspinnerei, einige Theile von Metallarbeit, wie z. B. Sensen- und Feilenfabrication, Lederbereitung, Uhrmacherei, haben große Fortschritte gemacht, und eine Menge kleiner Industrien, welche kaum bemerklich scheinen, haben eine Ausdehnung genommen, die fast unglaublich scheint. So z. B. führt der Bericht an, daß Frankreich jährlich für 400,000 Franken elastisches Gummi aus Amerika einführt und für 4 Millionen Producte daraus nach Amerika allein wieder ausführt. So hat man angefangen, Palmenfasern und ähnliche Materialien zu feinem Flechtwerk aus Westindien roh einzuführen, und die Fabrication daraus hat, besonders in den Gefängnissen, überaus zugenommen. Die Kosten des Materials betragen, trotz der Entfernung, nicht über 15 und oft nicht über Ein Procent des Werths des Fabricats. Früher wurden beträchtlich mehr Maschinen ein- als ausgeführt, aber jetzt beträgt die Ausfuhr das Doppelte der Einfuhr, und übersteigt 6 Millionen Fr. Die Lederfabrication von Paris, welche durch die Anwendung von Schwefelsäure so gesunken war, daß das hiesige Leder am Ende unverkäuflich geworden, ist auf die alten Methoden zurückgekommen, und hat sich namentlich in Maroquin so verbessert, daß es jetzt nach England ausgeführt wird.

Ustrialows Geschichte Rußlands.

Zwei Dinge müssen beim Durchlesen dieser Geschichte besonders auffallen, erstens die ganz veränderte Ansicht, welche dieselbe von der polnischen Geschichte gibt, und zweitens der Geist der Abgeschlossenheit von dem übrigen Europa, welcher sich darin ausspricht. Rußland stellt sich mit seiner Kirche und mit seinen Staatseinrichtungen dem ganzen europäischen Westen schroff gegenüber, und wenn der Verfasser nachweist, daß das russische Mittelalter von dem westeuropäischen wesentlich verschieden gewesen, und gar kein Feudalsystem je bestanden habe, so fühlt man unwillkürlich, daß damit auch das Fundament unserer westeuropäischen Cultur fehle, und der Grund der Verschiedenheit kein zufälliger sey, sondern in der frühern Entwicklung des Volks liege. Die Entwicklung des deutschen Feudalsystems ist in den Kriegszügen Karls des Großen zu suchen; es ist ursprünglich nichts als eine durch die Noth gebotene Corruption der alten allgemeinen Wehrverfassung. In Rußland ist allerdings durchaus von keinem Feudalsystem die Rede, aber die Erklärung dieser Erscheinung gibt der Verfasser nicht, denn er fängt seine Geschichte mit der Niederlassung der Normannen im slavischen Lande an, und entwirft uns von jenem Zeitpunkt an eine Geschichte des russischen Staats, aber keine des russischen Volks. Dieser Zug geht durch das ganze Buch und ist äußerst charakteristisch, denn man kann sich kaum anders denken, als daß diese Auffassung absichtlich ist. Seit dem dreizehnten Jahrhundert spielen die Großrussen die Hauptrolle; im ursprünglichen russischen Staate sind die Kleinrussen das Hauptvolk und Kiew war der Centralpunkt des russischen Reichs. Alle großrussischen Städte sind ursprünglich kleinrussische Colonien auf finnischem Gebiet. Als Batu hereinbrach, wurde das altrussische Reich und die alte Hauptstadt Kiew zerstört und verwüstet, und nur im nördlichen Rußland blieben ärmliche Fürstenthümer, welche wegen ihrer Schwäche und Unbedeutenheit mehr von dem wilden Feind verschont blieben, bis sie ein Jahrhundert später allmählich erstarkten und endlich mit der Horde einen Kampf wagen konnten. In der Zeit der Mongolenherrschaft bildete sich der großrussische Stamm aus, dessen Nationalität wesentlich in seiner Kirche lag, der von Europa gänzlich abgeschieden war, und fast nur mit mongolisch-tatarischen Horden, mit Litthauen und den schwachen finnischen Völkern in Verhältnissen stand. Den mongolisch-tatarischen Horden anfangs völlig unterworfen, hierauf mit ihnen gegen Litthauen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0009" n="0961"/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Das französische Handelssystem</hi>.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 24 April.</dateline>
          <p> Die Nothwendigkeit der freien Circulation der Mittel der Subsistenz drängt sich täglich mehr auf, und wird sich, trotz des gegenwärtigen Widerstands der Kammern, nicht mehr lange abhalten lassen. Frankreich producirt von Jahr zu Jahr mehr für Ausfuhr, und muß sich also der allgemeinen Concurrenz in den Preisen unterwerfen, die es aber nicht aushalten kann, wenn es den Taglohn durch künstliche Brodpreise steigert. England, das einen so großen Vorsprung vor andern Nationen durch seine Maschinen und Capitalien besaß, findet, daß er nicht mehr hinreichend ist, und daß es seine Korngesetze nächstens modificiren muß. So geht es auch hier, und es ist vor Allem die Concurrenz der deutschen Fabriken, welche sie dazu nöthigt. Es ist daher mit Gewißheit vorauszusagen, daß beide Staaten, wenn sie sehen werden, daß diese Maaßregel unumgänglich geworden ist, wenigstens versuchen werden, neben der directen Erleichterung ihrer Fabrikbevölkerung durch Aufhebung der den Vieh- und Getreidehandel beschränkenden Gesetze, noch einen Vortheil durch Stipulirung der Herabsetzung der Zölle des deutschen Zollvereins auf fremde Fabricate zu erreichen. Wer den Bericht von Bowring gelesen hat, kann keinen Zweifel darüber hegen, daß es so gehen werde, und die deutschen Staaten scheinen geneigt, darauf einzugehen, was ein großer Fehler und ein ganz unnöthiges Opfer wäre; denn die Interessen, welche sich in beiden Ländern an den künstlichen Preis von Getreide und Vieh knüpfen, sind so groß und ihre politische Stellung so mächtig, daß nur die Nothwendigkeit sie zwingen kann, sich der Herabsetzung zu fügen, und die Sache, wenn sie überhaupt geschieht, geschehen muß, ob sich daran eine Herabsetzung des deutschen Tarifs auf Fabricate knüpft oder nicht. Das Opfer, welches Deutschland bringen würde, wäre um so größer, als die Herabsetzung der Zölle auf Korn die englischen Fabricanten ohnehin schon in den Stand setzte, den deutschen Fabricanten auf allen, selbst auf den deutschen Märkten eine noch größere Concurrenz entgegenzustellen. Wenn England und Frankreich ihre Zölle auf fremde Fabricate unter die deutschen herabsetzen, dann wird es Zeit seyn, auch die deutschen zu reduciren.</p><lb/>
          <p>Der Bericht über die hiesige Industrieausstellung ist vor einigen Tagen erschienen und enthält manche Lehren für deutsche Regierungen und Fabricanten, welche sie bei den bevorstehenden Zollunterhandlungen wohl berücksichtigen sollten. Er enthält viele Data über Handelsstatistik, und gibt bei jedem Industriezweig eine interessante Auseinandersetzung der Fortschritte, welche er gemacht hat, der Richtung, welche er nimmt, und der Nachtheile, unter denen er leidet. Im Allgemeinen gibt er einen sehr vortheilhaften Begriff von den Fortschritten, welche in Frankreich seit fünf Jahren gemacht worden, und noch mehr von denen, welche im Werden begriffen sind. Denn nach der nicht sehr billigen Art, wie diese Berichte abgefaßt, werden die Erfindungen, welche noch keine große commercielle Ausdehnung genommen haben, nur oberflächlich berührt, und die Belohnungen, welche sie verdienen, auf die Zukunft ausgesetzt. Maschinenbau, Wollen- und Leinspinnerei, einige Theile von Metallarbeit, wie z. B. Sensen- und Feilenfabrication, Lederbereitung, Uhrmacherei, haben große Fortschritte gemacht, und eine Menge kleiner Industrien, welche kaum bemerklich scheinen, haben eine Ausdehnung genommen, die fast unglaublich scheint. So z. B. führt der Bericht an, daß Frankreich jährlich für 400,000 Franken elastisches Gummi aus Amerika einführt und für 4 Millionen Producte daraus nach Amerika allein wieder ausführt. So hat man angefangen, Palmenfasern und ähnliche Materialien zu feinem Flechtwerk aus Westindien roh einzuführen, und die Fabrication daraus hat, besonders in den Gefängnissen, überaus zugenommen. Die Kosten des Materials betragen, trotz der Entfernung, nicht über 15 und oft nicht über Ein Procent des Werths des Fabricats. Früher wurden beträchtlich mehr Maschinen ein- als ausgeführt, aber jetzt beträgt die Ausfuhr das Doppelte der Einfuhr, und übersteigt 6 Millionen Fr. Die Lederfabrication von Paris, welche durch die Anwendung von Schwefelsäure so gesunken war, daß das hiesige Leder am Ende unverkäuflich geworden, ist auf die alten Methoden zurückgekommen, und hat sich namentlich in Maroquin so verbessert, daß es jetzt nach England ausgeführt wird.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ustrialows Geschichte Rußlands</hi>.</hi> </head><lb/>
        <p>Zwei Dinge müssen beim Durchlesen dieser Geschichte besonders auffallen, erstens die ganz veränderte Ansicht, welche dieselbe von der polnischen Geschichte gibt, und zweitens der Geist der Abgeschlossenheit von dem übrigen Europa, welcher sich darin ausspricht. Rußland stellt sich mit seiner Kirche und mit seinen Staatseinrichtungen dem ganzen europäischen Westen schroff gegenüber, und wenn der Verfasser nachweist, daß das russische Mittelalter von dem westeuropäischen wesentlich verschieden gewesen, und gar kein Feudalsystem je bestanden habe, so fühlt man unwillkürlich, daß damit auch das Fundament unserer westeuropäischen Cultur fehle, und der Grund der Verschiedenheit kein zufälliger sey, sondern in der frühern Entwicklung des Volks liege. Die Entwicklung des deutschen Feudalsystems ist in den Kriegszügen Karls des Großen zu suchen; es ist ursprünglich nichts als eine durch die Noth gebotene Corruption der alten allgemeinen Wehrverfassung. In Rußland ist allerdings durchaus von keinem Feudalsystem die Rede, aber die Erklärung dieser Erscheinung gibt der Verfasser nicht, denn er fängt seine Geschichte mit der Niederlassung der Normannen im slavischen Lande an, und entwirft uns von jenem Zeitpunkt an eine Geschichte des russischen <hi rendition="#g">Staats</hi>, aber keine des russischen <hi rendition="#g">Volks</hi>. Dieser Zug geht durch das ganze Buch und ist äußerst charakteristisch, denn man kann sich kaum anders denken, als daß diese Auffassung absichtlich ist. Seit dem dreizehnten Jahrhundert spielen die Großrussen die Hauptrolle; im ursprünglichen russischen Staate sind die Kleinrussen das Hauptvolk und Kiew war der Centralpunkt des russischen Reichs. Alle großrussischen Städte sind ursprünglich kleinrussische Colonien auf finnischem Gebiet. Als Batu hereinbrach, wurde das altrussische Reich und die alte Hauptstadt Kiew zerstört und verwüstet, und nur im nördlichen Rußland blieben ärmliche Fürstenthümer, welche wegen ihrer Schwäche und Unbedeutenheit mehr von dem wilden Feind verschont blieben, bis sie ein Jahrhundert später allmählich erstarkten und endlich mit der Horde einen Kampf wagen konnten. In der Zeit der Mongolenherrschaft bildete sich der großrussische Stamm aus, dessen Nationalität wesentlich in seiner Kirche lag, der von Europa gänzlich abgeschieden war, und fast nur mit mongolisch-tatarischen Horden, mit Litthauen und den schwachen finnischen Völkern in Verhältnissen stand. Den mongolisch-tatarischen Horden anfangs völlig unterworfen, hierauf mit ihnen gegen Litthauen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0961/0009] Das französische Handelssystem. _ Paris, 24 April. Die Nothwendigkeit der freien Circulation der Mittel der Subsistenz drängt sich täglich mehr auf, und wird sich, trotz des gegenwärtigen Widerstands der Kammern, nicht mehr lange abhalten lassen. Frankreich producirt von Jahr zu Jahr mehr für Ausfuhr, und muß sich also der allgemeinen Concurrenz in den Preisen unterwerfen, die es aber nicht aushalten kann, wenn es den Taglohn durch künstliche Brodpreise steigert. England, das einen so großen Vorsprung vor andern Nationen durch seine Maschinen und Capitalien besaß, findet, daß er nicht mehr hinreichend ist, und daß es seine Korngesetze nächstens modificiren muß. So geht es auch hier, und es ist vor Allem die Concurrenz der deutschen Fabriken, welche sie dazu nöthigt. Es ist daher mit Gewißheit vorauszusagen, daß beide Staaten, wenn sie sehen werden, daß diese Maaßregel unumgänglich geworden ist, wenigstens versuchen werden, neben der directen Erleichterung ihrer Fabrikbevölkerung durch Aufhebung der den Vieh- und Getreidehandel beschränkenden Gesetze, noch einen Vortheil durch Stipulirung der Herabsetzung der Zölle des deutschen Zollvereins auf fremde Fabricate zu erreichen. Wer den Bericht von Bowring gelesen hat, kann keinen Zweifel darüber hegen, daß es so gehen werde, und die deutschen Staaten scheinen geneigt, darauf einzugehen, was ein großer Fehler und ein ganz unnöthiges Opfer wäre; denn die Interessen, welche sich in beiden Ländern an den künstlichen Preis von Getreide und Vieh knüpfen, sind so groß und ihre politische Stellung so mächtig, daß nur die Nothwendigkeit sie zwingen kann, sich der Herabsetzung zu fügen, und die Sache, wenn sie überhaupt geschieht, geschehen muß, ob sich daran eine Herabsetzung des deutschen Tarifs auf Fabricate knüpft oder nicht. Das Opfer, welches Deutschland bringen würde, wäre um so größer, als die Herabsetzung der Zölle auf Korn die englischen Fabricanten ohnehin schon in den Stand setzte, den deutschen Fabricanten auf allen, selbst auf den deutschen Märkten eine noch größere Concurrenz entgegenzustellen. Wenn England und Frankreich ihre Zölle auf fremde Fabricate unter die deutschen herabsetzen, dann wird es Zeit seyn, auch die deutschen zu reduciren. Der Bericht über die hiesige Industrieausstellung ist vor einigen Tagen erschienen und enthält manche Lehren für deutsche Regierungen und Fabricanten, welche sie bei den bevorstehenden Zollunterhandlungen wohl berücksichtigen sollten. Er enthält viele Data über Handelsstatistik, und gibt bei jedem Industriezweig eine interessante Auseinandersetzung der Fortschritte, welche er gemacht hat, der Richtung, welche er nimmt, und der Nachtheile, unter denen er leidet. Im Allgemeinen gibt er einen sehr vortheilhaften Begriff von den Fortschritten, welche in Frankreich seit fünf Jahren gemacht worden, und noch mehr von denen, welche im Werden begriffen sind. Denn nach der nicht sehr billigen Art, wie diese Berichte abgefaßt, werden die Erfindungen, welche noch keine große commercielle Ausdehnung genommen haben, nur oberflächlich berührt, und die Belohnungen, welche sie verdienen, auf die Zukunft ausgesetzt. Maschinenbau, Wollen- und Leinspinnerei, einige Theile von Metallarbeit, wie z. B. Sensen- und Feilenfabrication, Lederbereitung, Uhrmacherei, haben große Fortschritte gemacht, und eine Menge kleiner Industrien, welche kaum bemerklich scheinen, haben eine Ausdehnung genommen, die fast unglaublich scheint. So z. B. führt der Bericht an, daß Frankreich jährlich für 400,000 Franken elastisches Gummi aus Amerika einführt und für 4 Millionen Producte daraus nach Amerika allein wieder ausführt. So hat man angefangen, Palmenfasern und ähnliche Materialien zu feinem Flechtwerk aus Westindien roh einzuführen, und die Fabrication daraus hat, besonders in den Gefängnissen, überaus zugenommen. Die Kosten des Materials betragen, trotz der Entfernung, nicht über 15 und oft nicht über Ein Procent des Werths des Fabricats. Früher wurden beträchtlich mehr Maschinen ein- als ausgeführt, aber jetzt beträgt die Ausfuhr das Doppelte der Einfuhr, und übersteigt 6 Millionen Fr. Die Lederfabrication von Paris, welche durch die Anwendung von Schwefelsäure so gesunken war, daß das hiesige Leder am Ende unverkäuflich geworden, ist auf die alten Methoden zurückgekommen, und hat sich namentlich in Maroquin so verbessert, daß es jetzt nach England ausgeführt wird. Ustrialows Geschichte Rußlands. Zwei Dinge müssen beim Durchlesen dieser Geschichte besonders auffallen, erstens die ganz veränderte Ansicht, welche dieselbe von der polnischen Geschichte gibt, und zweitens der Geist der Abgeschlossenheit von dem übrigen Europa, welcher sich darin ausspricht. Rußland stellt sich mit seiner Kirche und mit seinen Staatseinrichtungen dem ganzen europäischen Westen schroff gegenüber, und wenn der Verfasser nachweist, daß das russische Mittelalter von dem westeuropäischen wesentlich verschieden gewesen, und gar kein Feudalsystem je bestanden habe, so fühlt man unwillkürlich, daß damit auch das Fundament unserer westeuropäischen Cultur fehle, und der Grund der Verschiedenheit kein zufälliger sey, sondern in der frühern Entwicklung des Volks liege. Die Entwicklung des deutschen Feudalsystems ist in den Kriegszügen Karls des Großen zu suchen; es ist ursprünglich nichts als eine durch die Noth gebotene Corruption der alten allgemeinen Wehrverfassung. In Rußland ist allerdings durchaus von keinem Feudalsystem die Rede, aber die Erklärung dieser Erscheinung gibt der Verfasser nicht, denn er fängt seine Geschichte mit der Niederlassung der Normannen im slavischen Lande an, und entwirft uns von jenem Zeitpunkt an eine Geschichte des russischen Staats, aber keine des russischen Volks. Dieser Zug geht durch das ganze Buch und ist äußerst charakteristisch, denn man kann sich kaum anders denken, als daß diese Auffassung absichtlich ist. Seit dem dreizehnten Jahrhundert spielen die Großrussen die Hauptrolle; im ursprünglichen russischen Staate sind die Kleinrussen das Hauptvolk und Kiew war der Centralpunkt des russischen Reichs. Alle großrussischen Städte sind ursprünglich kleinrussische Colonien auf finnischem Gebiet. Als Batu hereinbrach, wurde das altrussische Reich und die alte Hauptstadt Kiew zerstört und verwüstet, und nur im nördlichen Rußland blieben ärmliche Fürstenthümer, welche wegen ihrer Schwäche und Unbedeutenheit mehr von dem wilden Feind verschont blieben, bis sie ein Jahrhundert später allmählich erstarkten und endlich mit der Horde einen Kampf wagen konnten. In der Zeit der Mongolenherrschaft bildete sich der großrussische Stamm aus, dessen Nationalität wesentlich in seiner Kirche lag, der von Europa gänzlich abgeschieden war, und fast nur mit mongolisch-tatarischen Horden, mit Litthauen und den schwachen finnischen Völkern in Verhältnissen stand. Den mongolisch-tatarischen Horden anfangs völlig unterworfen, hierauf mit ihnen gegen Litthauen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_121_18400430
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_121_18400430/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 121. Augsburg, 30. April 1840, S. 0961. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_121_18400430/9>, abgerufen am 02.05.2024.