Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 134. Augsburg, 13. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

wissen wir mehr von ihnen, als daß sie da und wir eben auf ihnen stehen, unter und nicht über uns sind? Nicht im gelehrten Buche suchen wir hierüber Aufklärung; wo haben wir die Zeit, Bücher zu lesen, da wir jeden Tag einen Beitrag zum großen Buche der Geschichte selbst liefern müssen; und gar über die Entstehung und Bildung der Erde! Aber in der Form, die heute keiner ernsten Arbeit mehr unwürdig erscheint, in einem Blatte wie die Allg. Zeitung, das Publicum über die interessantesten Räthsel seiner Wiege, seiner Heimath zu unterrichten, ihm den rechten Weg zu fernerem und fruchtbarem Nachdenken zu eröffnen, den Menschen mit philosopischer Würdigung seiner eigenen Kleinheit und der unendlichen Größe der göttlichen Werke zu erfüllen, und auch den Laien auf sanftem Wege in den Tempel der Erkenntniß zu leiten, scheint mir ein eben so verdienstvolles als zeitgemäßes Beginnen, dem wir, unsrerseits, unsern innigsten Dank zu zollen nicht anstehen dürfen.

Oesterreich.

Der Kaiser von Oesterreich erließ bekanntlich jüngst einen Gnadenact für jene Italiener, die, wegen politischer Vergehungen verurtheilt, in der früher ertheilten Amnestie nicht mit begriffen waren. Auf gleiche Weise wurden auch sämmtliche in Ungarn aus gleichem Grunde verhaftet gewesene Personen, vier an der Zahl, auf freien Fuß gesetzt. Der Constitutionnel begleitet den auf die Italiener bezüglichen Artikel der Mailänder Zeitung mit folgenden Worten: "L'Empereur d'Autriche a fait une noble action! Les autres Souverains de l'Italie sentiront aussi qu'il est temps de fermer les plaies politiques par un sage oubli du passe!" Wir wollen unsererseits an diese Aeußerung des Constitutionnels einige Bemerkungen knüpfen. Niemand wird in Abrede stellen, daß in den angeführten Worten des französischen Journals ein Wunsch ausgesprochen sey, den jeder Menschenfreund in tiefster Seele mit fühlen muß. Wer würde so grausam seyn zu wünschen, daß die Strafe über die Zeit der unbestrittensten Nothwendigkeit hinaus dauere? Wir müssen aber billig fragen: sind die übrigen Regierungen Italiens in der Lage, eine solche vollständige Amnestie eintreten zu lassen? Wir fragen ferner: warum gibt der Constitutionnel diesen Rath nicht dem König Ludwig Philipp? Niemand zweifelt an den Gesinnungen des Königs der Franzosen, und dennoch scheint er nicht vorbereitet, eine solche Begnadigung in gleicher Ausdehnung zu gewähren. *) Es springt von selbst in die Augen, daß, um mit der österreichischen Regierung in dieser Beziehung gleichen Schritt gehen zu können, man wie diese die vollkommene Ueberzeugung haben müsse, eine solche Maaßregel ohne irgend eine Gefährde gestatten zu dürfen. Daß diese Ueberzeugung vorhanden, spricht mehr als Alles für die Zweckmäßigkeit und den wohlabgewogenen Gang der österreichischen Verwaltung. Man schildert sie tyrannisch, und wir sehen sie milde, wo sie es nur immer seyn kann; man nennt sie obscur, und sie ist die erste auf der Bahn einer aufgeklärten Philanthropie; man nennt sie schwach, und sie fühlt sich kräftig genug zu unternehmen, was viele für stark gepriesene nicht vermögen; man kritisirt ihre Institutionen, ihre Grundsätze, die Anwendung derselben, und diese Institutionen setzen sie in die Lage, überall das Uebel im Keim zu ersticken, die Wohlfahrt und die öffentliche Ruhe des Landes mit Nachdruck zu wahren, und minder streng seyn zu dürfen, früher und vollständiger Gnade eintreten lassen zu können, als es andere Regierungen bei denselben milden Gesinnungen, die wir wenigstens voraussetzen, vermögen. Wie geschehen endlich solche Gnadenacte in Oesterreich? Sind sie berechnet, Aufsehen zu erregen? nein! Erscheinen Manifeste? nein! Pactirt man mit den Verbrechern, schmeichelt man der öffentlichen Meinung? nein! Es ist nicht möglich, mit weniger Charlatanerie zu Werke zu gehen. In Italien ertheilt man die Amnestie nicht vor dem Einzug in Mailand; man sucht nicht sich enthusiastische Acclamationen auf indirectem Wege zu ermitteln. In Ungarn ertheilt man diesen Act der Gnade nicht früher, als bis die landtägliche Bewilligung der Recruten und Contribution schon in ihrer ganzen Ausdehnung erfolgt ist; man erkauft keine schuldige Verpflichtung; man sagt nicht: "Ich gebe, wenn ihr gebt!" man spricht vielmehr auf frühere Gesuche ganz klar aus, daß die königliche Weisheit den geeigneten Augenblick zur Gnade schon selbst zu finden und zu bestimmen wissen werde. In Mailand erscheint am Abend des Krönungstags eine kaiserliche Entschließung von wenig Zeilen an die dortigen Behörden gerichtet in der Zeitung. Niemand hatte am Morgen noch eine Ahnung davon. Ein ähnlicher Erlaß ergeht neuerlichst an die ungarische Hofkanzlei, und hiermit ist die Sache beendet.

Was wiegen gegen solche Thatsachen alle gehässigen Diatriben politischer Schwätzer? Wäre die Regierung wohl bei Sinnen, wenn sie unter solchen Umständen ihre Verwaltungsprincipien im Wesentlichen nach den mißverstandenen Theorien jeder vorübergehenden Meinungsrichtung einrichten wollte? Daß sie nicht stationär ist, daß sie zu jeglicher wahren Verbesserung willig die Hand bietet, daß sie jede unnütze Schranke, jedes verjährte Vorurtheil gern beseitigt, obwohl sie keine Sprünge macht, daß sie nicht zurückgeht, sondern vorwärts schreitet, kann in jedem Verwaltungszweige nachgewiesen werden. Ungarn bedarf am meisten heilsamer Reformen, weil es am wenigsten bei den Verbesserungsmaaßregeln der andern Provinzen betheiligt war. Nach allem, was wir hören, hat die Regierung in neuester Zeit diesem Lande die angelegentlichste Sorge gewidmet, und die ungarischen Patrioten sind nicht minder beeifert, diesen Bestrebungen entgegenzukommen. Unter diesen Umständen darf man den Zeitpunkt nicht mehr als allzu entfernt betrachten, wo die besonnene Weisheit der österreichischen Regierung, die den Flor ihrer andern Provinzen mit jedem Tag höher hebt, auch hier ein nicht minder glänzendes Resultat herbeiführen werde.

Dieses erleuchtete, ehrliche, ruhige Walten muß seine Anerkennung im Herzen des Volks finden, und darin eine Stärke und Kraft, die, wie wir oben gezeigt, die Regierung zu größerer Milde befähigt, als die Verhältnisse anderer Länder ihren Regierungen zu gestatten scheinen. Aber nicht nur die eigenen Länder, auch das deutsche Gesammtinteresse hat eine mächtige Bürgschaft an dieser immer mehr hervortretenden innern Kräftigung des österreichischen Staats. Blickt man dabei auf die Eintracht der Gesinnung, die Oesterreich und Preußen inniger als je verbindet, so scheint deutsche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, selbst bei freiester Fortbildung nationaler Stammeseigenthümlichkeiten, auf eben so fester und unverrückbarer Basis zu stehen, als westliche und nördliche Centralisation in ihrer consequentesten Kraftanstrengung nur immer zu bieten vermögen. Wir dürfen ohne Furcht und ohne Mißgunst nach allen Richtungen blicken; wir haben uns über Vieles zu freuen und nur wenig zu beneiden.

Preußen.

Ueber den Brand der Stadt Kremmen erfährt man erst jetzt die nähern Details, die zum Theil höchst ergreifend sind. Das Feuer brach wahrscheinlich durch Unvorsichtigkeit

*) Eine theilweise Amnestie wurde, wie bekannt, jetzt auch in Frankreich bewilligt.

wissen wir mehr von ihnen, als daß sie da und wir eben auf ihnen stehen, unter und nicht über uns sind? Nicht im gelehrten Buche suchen wir hierüber Aufklärung; wo haben wir die Zeit, Bücher zu lesen, da wir jeden Tag einen Beitrag zum großen Buche der Geschichte selbst liefern müssen; und gar über die Entstehung und Bildung der Erde! Aber in der Form, die heute keiner ernsten Arbeit mehr unwürdig erscheint, in einem Blatte wie die Allg. Zeitung, das Publicum über die interessantesten Räthsel seiner Wiege, seiner Heimath zu unterrichten, ihm den rechten Weg zu fernerem und fruchtbarem Nachdenken zu eröffnen, den Menschen mit philosopischer Würdigung seiner eigenen Kleinheit und der unendlichen Größe der göttlichen Werke zu erfüllen, und auch den Laien auf sanftem Wege in den Tempel der Erkenntniß zu leiten, scheint mir ein eben so verdienstvolles als zeitgemäßes Beginnen, dem wir, unsrerseits, unsern innigsten Dank zu zollen nicht anstehen dürfen.

Oesterreich.

Der Kaiser von Oesterreich erließ bekanntlich jüngst einen Gnadenact für jene Italiener, die, wegen politischer Vergehungen verurtheilt, in der früher ertheilten Amnestie nicht mit begriffen waren. Auf gleiche Weise wurden auch sämmtliche in Ungarn aus gleichem Grunde verhaftet gewesene Personen, vier an der Zahl, auf freien Fuß gesetzt. Der Constitutionnel begleitet den auf die Italiener bezüglichen Artikel der Mailänder Zeitung mit folgenden Worten: „L'Empereur d'Autriche a fait une noble action! Les autres Souverains de l'Italie sentiront aussi qu'il est temps de fermer les plaies politiques par un sage oubli du passé!“ Wir wollen unsererseits an diese Aeußerung des Constitutionnels einige Bemerkungen knüpfen. Niemand wird in Abrede stellen, daß in den angeführten Worten des französischen Journals ein Wunsch ausgesprochen sey, den jeder Menschenfreund in tiefster Seele mit fühlen muß. Wer würde so grausam seyn zu wünschen, daß die Strafe über die Zeit der unbestrittensten Nothwendigkeit hinaus dauere? Wir müssen aber billig fragen: sind die übrigen Regierungen Italiens in der Lage, eine solche vollständige Amnestie eintreten zu lassen? Wir fragen ferner: warum gibt der Constitutionnel diesen Rath nicht dem König Ludwig Philipp? Niemand zweifelt an den Gesinnungen des Königs der Franzosen, und dennoch scheint er nicht vorbereitet, eine solche Begnadigung in gleicher Ausdehnung zu gewähren. *) Es springt von selbst in die Augen, daß, um mit der österreichischen Regierung in dieser Beziehung gleichen Schritt gehen zu können, man wie diese die vollkommene Ueberzeugung haben müsse, eine solche Maaßregel ohne irgend eine Gefährde gestatten zu dürfen. Daß diese Ueberzeugung vorhanden, spricht mehr als Alles für die Zweckmäßigkeit und den wohlabgewogenen Gang der österreichischen Verwaltung. Man schildert sie tyrannisch, und wir sehen sie milde, wo sie es nur immer seyn kann; man nennt sie obscur, und sie ist die erste auf der Bahn einer aufgeklärten Philanthropie; man nennt sie schwach, und sie fühlt sich kräftig genug zu unternehmen, was viele für stark gepriesene nicht vermögen; man kritisirt ihre Institutionen, ihre Grundsätze, die Anwendung derselben, und diese Institutionen setzen sie in die Lage, überall das Uebel im Keim zu ersticken, die Wohlfahrt und die öffentliche Ruhe des Landes mit Nachdruck zu wahren, und minder streng seyn zu dürfen, früher und vollständiger Gnade eintreten lassen zu können, als es andere Regierungen bei denselben milden Gesinnungen, die wir wenigstens voraussetzen, vermögen. Wie geschehen endlich solche Gnadenacte in Oesterreich? Sind sie berechnet, Aufsehen zu erregen? nein! Erscheinen Manifeste? nein! Pactirt man mit den Verbrechern, schmeichelt man der öffentlichen Meinung? nein! Es ist nicht möglich, mit weniger Charlatanerie zu Werke zu gehen. In Italien ertheilt man die Amnestie nicht vor dem Einzug in Mailand; man sucht nicht sich enthusiastische Acclamationen auf indirectem Wege zu ermitteln. In Ungarn ertheilt man diesen Act der Gnade nicht früher, als bis die landtägliche Bewilligung der Recruten und Contribution schon in ihrer ganzen Ausdehnung erfolgt ist; man erkauft keine schuldige Verpflichtung; man sagt nicht: „Ich gebe, wenn ihr gebt!“ man spricht vielmehr auf frühere Gesuche ganz klar aus, daß die königliche Weisheit den geeigneten Augenblick zur Gnade schon selbst zu finden und zu bestimmen wissen werde. In Mailand erscheint am Abend des Krönungstags eine kaiserliche Entschließung von wenig Zeilen an die dortigen Behörden gerichtet in der Zeitung. Niemand hatte am Morgen noch eine Ahnung davon. Ein ähnlicher Erlaß ergeht neuerlichst an die ungarische Hofkanzlei, und hiermit ist die Sache beendet.

Was wiegen gegen solche Thatsachen alle gehässigen Diatriben politischer Schwätzer? Wäre die Regierung wohl bei Sinnen, wenn sie unter solchen Umständen ihre Verwaltungsprincipien im Wesentlichen nach den mißverstandenen Theorien jeder vorübergehenden Meinungsrichtung einrichten wollte? Daß sie nicht stationär ist, daß sie zu jeglicher wahren Verbesserung willig die Hand bietet, daß sie jede unnütze Schranke, jedes verjährte Vorurtheil gern beseitigt, obwohl sie keine Sprünge macht, daß sie nicht zurückgeht, sondern vorwärts schreitet, kann in jedem Verwaltungszweige nachgewiesen werden. Ungarn bedarf am meisten heilsamer Reformen, weil es am wenigsten bei den Verbesserungsmaaßregeln der andern Provinzen betheiligt war. Nach allem, was wir hören, hat die Regierung in neuester Zeit diesem Lande die angelegentlichste Sorge gewidmet, und die ungarischen Patrioten sind nicht minder beeifert, diesen Bestrebungen entgegenzukommen. Unter diesen Umständen darf man den Zeitpunkt nicht mehr als allzu entfernt betrachten, wo die besonnene Weisheit der österreichischen Regierung, die den Flor ihrer andern Provinzen mit jedem Tag höher hebt, auch hier ein nicht minder glänzendes Resultat herbeiführen werde.

Dieses erleuchtete, ehrliche, ruhige Walten muß seine Anerkennung im Herzen des Volks finden, und darin eine Stärke und Kraft, die, wie wir oben gezeigt, die Regierung zu größerer Milde befähigt, als die Verhältnisse anderer Länder ihren Regierungen zu gestatten scheinen. Aber nicht nur die eigenen Länder, auch das deutsche Gesammtinteresse hat eine mächtige Bürgschaft an dieser immer mehr hervortretenden innern Kräftigung des österreichischen Staats. Blickt man dabei auf die Eintracht der Gesinnung, die Oesterreich und Preußen inniger als je verbindet, so scheint deutsche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, selbst bei freiester Fortbildung nationaler Stammeseigenthümlichkeiten, auf eben so fester und unverrückbarer Basis zu stehen, als westliche und nördliche Centralisation in ihrer consequentesten Kraftanstrengung nur immer zu bieten vermögen. Wir dürfen ohne Furcht und ohne Mißgunst nach allen Richtungen blicken; wir haben uns über Vieles zu freuen und nur wenig zu beneiden.

Preußen.

Ueber den Brand der Stadt Kremmen erfährt man erst jetzt die nähern Details, die zum Theil höchst ergreifend sind. Das Feuer brach wahrscheinlich durch Unvorsichtigkeit

*) Eine theilweise Amnestie wurde, wie bekannt, jetzt auch in Frankreich bewilligt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0012" n="1068"/>
wissen wir mehr von ihnen, als daß sie da und wir eben auf ihnen stehen, unter und nicht über uns sind? Nicht im gelehrten Buche suchen wir hierüber Aufklärung; wo haben wir die Zeit, Bücher zu lesen, da wir jeden Tag einen Beitrag zum großen Buche der Geschichte selbst liefern müssen; und gar über die Entstehung und Bildung der Erde! Aber in der Form, die heute keiner ernsten Arbeit mehr unwürdig erscheint, in einem Blatte wie die Allg. Zeitung, das Publicum über die interessantesten Räthsel seiner Wiege, seiner Heimath zu unterrichten, ihm den rechten Weg zu fernerem und fruchtbarem Nachdenken zu eröffnen, den Menschen mit philosopischer Würdigung seiner eigenen Kleinheit und der unendlichen Größe der göttlichen Werke zu erfüllen, und auch den Laien auf sanftem Wege in den Tempel der Erkenntniß zu leiten, scheint mir ein eben so verdienstvolles als zeitgemäßes Beginnen, dem wir, unsrerseits, unsern innigsten Dank zu zollen nicht anstehen dürfen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Oesterreich.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline> <hi rendition="#b">Vom Main.</hi> </dateline>
          <p> Der Kaiser von Oesterreich erließ bekanntlich jüngst einen Gnadenact für jene Italiener, die, wegen politischer Vergehungen verurtheilt, in der früher ertheilten Amnestie nicht mit begriffen waren. Auf gleiche Weise wurden auch sämmtliche in Ungarn aus gleichem Grunde verhaftet gewesene Personen, vier an der Zahl, auf freien Fuß gesetzt. Der Constitutionnel begleitet den auf die Italiener bezüglichen Artikel der Mailänder Zeitung mit folgenden Worten: &#x201E;L'Empereur d'Autriche a fait une noble action! Les autres Souverains de l'Italie sentiront aussi qu'il est temps de fermer les plaies politiques par un sage oubli du passé!&#x201C; Wir wollen unsererseits an diese Aeußerung des Constitutionnels einige Bemerkungen knüpfen. Niemand wird in Abrede stellen, daß in den angeführten Worten des französischen Journals ein Wunsch ausgesprochen sey, den jeder Menschenfreund in tiefster Seele mit fühlen muß. Wer würde so grausam seyn zu wünschen, daß die Strafe über die Zeit der unbestrittensten Nothwendigkeit hinaus dauere? Wir müssen aber billig fragen: sind die übrigen Regierungen Italiens in der Lage, eine solche vollständige Amnestie eintreten zu lassen? Wir fragen ferner: warum gibt der Constitutionnel diesen Rath nicht dem König Ludwig Philipp? Niemand zweifelt an den Gesinnungen des Königs der Franzosen, und dennoch scheint er nicht vorbereitet, eine solche Begnadigung in gleicher Ausdehnung zu gewähren. <note place="foot" n="*)"><p>Eine theilweise Amnestie wurde, wie bekannt, jetzt auch in Frankreich bewilligt.</p></note> Es springt von selbst in die Augen, daß, um mit der österreichischen Regierung in dieser Beziehung gleichen Schritt gehen zu können, man wie diese die vollkommene Ueberzeugung haben müsse, eine solche Maaßregel ohne irgend eine Gefährde gestatten zu dürfen. Daß diese Ueberzeugung vorhanden, spricht mehr als Alles für die Zweckmäßigkeit und den wohlabgewogenen Gang der österreichischen Verwaltung. Man schildert sie tyrannisch, und wir sehen sie milde, wo sie es nur immer seyn kann; man nennt sie obscur, und sie ist die erste auf der Bahn einer aufgeklärten Philanthropie; man nennt sie schwach, und sie fühlt sich kräftig genug zu unternehmen, was viele für stark gepriesene nicht vermögen; man kritisirt ihre Institutionen, ihre Grundsätze, die Anwendung derselben, und diese Institutionen setzen sie in die Lage, überall das Uebel im Keim zu ersticken, die Wohlfahrt und die öffentliche Ruhe des Landes mit Nachdruck zu wahren, und minder streng seyn zu dürfen, früher und vollständiger Gnade eintreten lassen zu können, als es andere Regierungen bei denselben milden Gesinnungen, die wir wenigstens voraussetzen, vermögen. Wie geschehen endlich solche Gnadenacte in Oesterreich? Sind sie berechnet, Aufsehen zu erregen? nein! Erscheinen Manifeste? nein! Pactirt man mit den Verbrechern, schmeichelt man der öffentlichen Meinung? nein! Es ist nicht möglich, mit weniger Charlatanerie zu Werke zu gehen. In Italien ertheilt man die Amnestie nicht <hi rendition="#g">vor</hi> dem Einzug in Mailand; man sucht nicht sich enthusiastische Acclamationen auf indirectem Wege zu ermitteln. In Ungarn ertheilt man diesen Act der Gnade nicht früher, als bis die landtägliche Bewilligung der Recruten und Contribution schon in ihrer ganzen Ausdehnung erfolgt ist; man erkauft keine schuldige Verpflichtung; man sagt nicht: &#x201E;Ich gebe, wenn <hi rendition="#g">ihr</hi> gebt!&#x201C; man spricht vielmehr auf frühere Gesuche ganz klar aus, daß die königliche Weisheit den geeigneten Augenblick zur Gnade schon selbst zu finden und zu bestimmen wissen werde. In Mailand erscheint am Abend des Krönungstags eine kaiserliche Entschließung von wenig Zeilen an die dortigen Behörden gerichtet in der Zeitung. Niemand hatte am Morgen noch eine Ahnung davon. Ein ähnlicher Erlaß ergeht neuerlichst an die ungarische Hofkanzlei, und hiermit ist die Sache beendet.</p><lb/>
          <p>Was wiegen gegen solche Thatsachen alle gehässigen Diatriben politischer Schwätzer? Wäre die Regierung wohl bei Sinnen, wenn sie unter solchen Umständen ihre Verwaltungsprincipien im Wesentlichen nach den mißverstandenen Theorien jeder vorübergehenden Meinungsrichtung einrichten wollte? Daß sie nicht stationär ist, daß sie zu jeglicher wahren Verbesserung willig die Hand bietet, daß sie jede unnütze Schranke, jedes verjährte Vorurtheil gern beseitigt, obwohl sie keine Sprünge macht, daß sie nicht zurückgeht, sondern vorwärts schreitet, kann in jedem Verwaltungszweige nachgewiesen werden. Ungarn bedarf am meisten heilsamer Reformen, weil es am wenigsten bei den Verbesserungsmaaßregeln der andern Provinzen betheiligt war. Nach allem, was wir hören, hat die Regierung in neuester Zeit diesem Lande die angelegentlichste Sorge gewidmet, und die ungarischen Patrioten sind nicht minder beeifert, diesen Bestrebungen entgegenzukommen. Unter diesen Umständen darf man den Zeitpunkt nicht mehr als allzu entfernt betrachten, wo die besonnene Weisheit der österreichischen Regierung, die den Flor ihrer andern Provinzen mit jedem Tag höher hebt, auch hier ein nicht minder glänzendes Resultat herbeiführen werde.</p><lb/>
          <p>Dieses erleuchtete, ehrliche, ruhige Walten muß seine Anerkennung im Herzen des Volks finden, und darin eine Stärke und Kraft, die, wie wir oben gezeigt, die Regierung zu größerer Milde befähigt, als die Verhältnisse anderer Länder ihren Regierungen zu gestatten scheinen. Aber nicht nur die eigenen Länder, auch das deutsche Gesammtinteresse hat eine mächtige Bürgschaft an dieser immer mehr hervortretenden innern Kräftigung des österreichischen Staats. Blickt man dabei auf die Eintracht der Gesinnung, die Oesterreich und Preußen inniger als je verbindet, so scheint deutsche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, selbst bei freiester Fortbildung nationaler Stammeseigenthümlichkeiten, auf eben so fester und unverrückbarer Basis zu stehen, als westliche und nördliche Centralisation in ihrer consequentesten Kraftanstrengung nur immer zu bieten vermögen. Wir dürfen ohne Furcht und ohne Mißgunst nach allen Richtungen blicken; wir haben uns über Vieles zu freuen und nur wenig zu beneiden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Preußen.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 7 Mai.</dateline>
          <p> Ueber den Brand der Stadt Kremmen erfährt man erst jetzt die nähern Details, die zum Theil höchst ergreifend sind. Das Feuer brach wahrscheinlich durch Unvorsichtigkeit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1068/0012] wissen wir mehr von ihnen, als daß sie da und wir eben auf ihnen stehen, unter und nicht über uns sind? Nicht im gelehrten Buche suchen wir hierüber Aufklärung; wo haben wir die Zeit, Bücher zu lesen, da wir jeden Tag einen Beitrag zum großen Buche der Geschichte selbst liefern müssen; und gar über die Entstehung und Bildung der Erde! Aber in der Form, die heute keiner ernsten Arbeit mehr unwürdig erscheint, in einem Blatte wie die Allg. Zeitung, das Publicum über die interessantesten Räthsel seiner Wiege, seiner Heimath zu unterrichten, ihm den rechten Weg zu fernerem und fruchtbarem Nachdenken zu eröffnen, den Menschen mit philosopischer Würdigung seiner eigenen Kleinheit und der unendlichen Größe der göttlichen Werke zu erfüllen, und auch den Laien auf sanftem Wege in den Tempel der Erkenntniß zu leiten, scheint mir ein eben so verdienstvolles als zeitgemäßes Beginnen, dem wir, unsrerseits, unsern innigsten Dank zu zollen nicht anstehen dürfen. Oesterreich. _ Vom Main. Der Kaiser von Oesterreich erließ bekanntlich jüngst einen Gnadenact für jene Italiener, die, wegen politischer Vergehungen verurtheilt, in der früher ertheilten Amnestie nicht mit begriffen waren. Auf gleiche Weise wurden auch sämmtliche in Ungarn aus gleichem Grunde verhaftet gewesene Personen, vier an der Zahl, auf freien Fuß gesetzt. Der Constitutionnel begleitet den auf die Italiener bezüglichen Artikel der Mailänder Zeitung mit folgenden Worten: „L'Empereur d'Autriche a fait une noble action! Les autres Souverains de l'Italie sentiront aussi qu'il est temps de fermer les plaies politiques par un sage oubli du passé!“ Wir wollen unsererseits an diese Aeußerung des Constitutionnels einige Bemerkungen knüpfen. Niemand wird in Abrede stellen, daß in den angeführten Worten des französischen Journals ein Wunsch ausgesprochen sey, den jeder Menschenfreund in tiefster Seele mit fühlen muß. Wer würde so grausam seyn zu wünschen, daß die Strafe über die Zeit der unbestrittensten Nothwendigkeit hinaus dauere? Wir müssen aber billig fragen: sind die übrigen Regierungen Italiens in der Lage, eine solche vollständige Amnestie eintreten zu lassen? Wir fragen ferner: warum gibt der Constitutionnel diesen Rath nicht dem König Ludwig Philipp? Niemand zweifelt an den Gesinnungen des Königs der Franzosen, und dennoch scheint er nicht vorbereitet, eine solche Begnadigung in gleicher Ausdehnung zu gewähren. *) Es springt von selbst in die Augen, daß, um mit der österreichischen Regierung in dieser Beziehung gleichen Schritt gehen zu können, man wie diese die vollkommene Ueberzeugung haben müsse, eine solche Maaßregel ohne irgend eine Gefährde gestatten zu dürfen. Daß diese Ueberzeugung vorhanden, spricht mehr als Alles für die Zweckmäßigkeit und den wohlabgewogenen Gang der österreichischen Verwaltung. Man schildert sie tyrannisch, und wir sehen sie milde, wo sie es nur immer seyn kann; man nennt sie obscur, und sie ist die erste auf der Bahn einer aufgeklärten Philanthropie; man nennt sie schwach, und sie fühlt sich kräftig genug zu unternehmen, was viele für stark gepriesene nicht vermögen; man kritisirt ihre Institutionen, ihre Grundsätze, die Anwendung derselben, und diese Institutionen setzen sie in die Lage, überall das Uebel im Keim zu ersticken, die Wohlfahrt und die öffentliche Ruhe des Landes mit Nachdruck zu wahren, und minder streng seyn zu dürfen, früher und vollständiger Gnade eintreten lassen zu können, als es andere Regierungen bei denselben milden Gesinnungen, die wir wenigstens voraussetzen, vermögen. Wie geschehen endlich solche Gnadenacte in Oesterreich? Sind sie berechnet, Aufsehen zu erregen? nein! Erscheinen Manifeste? nein! Pactirt man mit den Verbrechern, schmeichelt man der öffentlichen Meinung? nein! Es ist nicht möglich, mit weniger Charlatanerie zu Werke zu gehen. In Italien ertheilt man die Amnestie nicht vor dem Einzug in Mailand; man sucht nicht sich enthusiastische Acclamationen auf indirectem Wege zu ermitteln. In Ungarn ertheilt man diesen Act der Gnade nicht früher, als bis die landtägliche Bewilligung der Recruten und Contribution schon in ihrer ganzen Ausdehnung erfolgt ist; man erkauft keine schuldige Verpflichtung; man sagt nicht: „Ich gebe, wenn ihr gebt!“ man spricht vielmehr auf frühere Gesuche ganz klar aus, daß die königliche Weisheit den geeigneten Augenblick zur Gnade schon selbst zu finden und zu bestimmen wissen werde. In Mailand erscheint am Abend des Krönungstags eine kaiserliche Entschließung von wenig Zeilen an die dortigen Behörden gerichtet in der Zeitung. Niemand hatte am Morgen noch eine Ahnung davon. Ein ähnlicher Erlaß ergeht neuerlichst an die ungarische Hofkanzlei, und hiermit ist die Sache beendet. Was wiegen gegen solche Thatsachen alle gehässigen Diatriben politischer Schwätzer? Wäre die Regierung wohl bei Sinnen, wenn sie unter solchen Umständen ihre Verwaltungsprincipien im Wesentlichen nach den mißverstandenen Theorien jeder vorübergehenden Meinungsrichtung einrichten wollte? Daß sie nicht stationär ist, daß sie zu jeglicher wahren Verbesserung willig die Hand bietet, daß sie jede unnütze Schranke, jedes verjährte Vorurtheil gern beseitigt, obwohl sie keine Sprünge macht, daß sie nicht zurückgeht, sondern vorwärts schreitet, kann in jedem Verwaltungszweige nachgewiesen werden. Ungarn bedarf am meisten heilsamer Reformen, weil es am wenigsten bei den Verbesserungsmaaßregeln der andern Provinzen betheiligt war. Nach allem, was wir hören, hat die Regierung in neuester Zeit diesem Lande die angelegentlichste Sorge gewidmet, und die ungarischen Patrioten sind nicht minder beeifert, diesen Bestrebungen entgegenzukommen. Unter diesen Umständen darf man den Zeitpunkt nicht mehr als allzu entfernt betrachten, wo die besonnene Weisheit der österreichischen Regierung, die den Flor ihrer andern Provinzen mit jedem Tag höher hebt, auch hier ein nicht minder glänzendes Resultat herbeiführen werde. Dieses erleuchtete, ehrliche, ruhige Walten muß seine Anerkennung im Herzen des Volks finden, und darin eine Stärke und Kraft, die, wie wir oben gezeigt, die Regierung zu größerer Milde befähigt, als die Verhältnisse anderer Länder ihren Regierungen zu gestatten scheinen. Aber nicht nur die eigenen Länder, auch das deutsche Gesammtinteresse hat eine mächtige Bürgschaft an dieser immer mehr hervortretenden innern Kräftigung des österreichischen Staats. Blickt man dabei auf die Eintracht der Gesinnung, die Oesterreich und Preußen inniger als je verbindet, so scheint deutsche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, selbst bei freiester Fortbildung nationaler Stammeseigenthümlichkeiten, auf eben so fester und unverrückbarer Basis zu stehen, als westliche und nördliche Centralisation in ihrer consequentesten Kraftanstrengung nur immer zu bieten vermögen. Wir dürfen ohne Furcht und ohne Mißgunst nach allen Richtungen blicken; wir haben uns über Vieles zu freuen und nur wenig zu beneiden. Preußen. _ Berlin, 7 Mai. Ueber den Brand der Stadt Kremmen erfährt man erst jetzt die nähern Details, die zum Theil höchst ergreifend sind. Das Feuer brach wahrscheinlich durch Unvorsichtigkeit *) Eine theilweise Amnestie wurde, wie bekannt, jetzt auch in Frankreich bewilligt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_134_18400513
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_134_18400513/12
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 134. Augsburg, 13. Mai 1840, S. 1068. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_134_18400513/12>, abgerufen am 23.11.2024.