Allgemeine Zeitung. Nr. 141. Augsburg, 20. Mai 1840.Ueber das politische und sociale Verhältniß zwischen Deutschland und Frankreich. (Beschluß.) Der Gegner spricht von unserem politischen Verfall, von der deutschen Lethargie, die aber doch nicht hindere, daß wir von Furcht vor den westlichen Nachbarn erfüllt sind und diese nur deshalb herabsetzen und klein machen, um jenes beunruhigende Gefühl in uns selbst zu beschwichtigen. Wir wissen, auf welche Erscheinungen er die Behauptung unsers politischen Verfalls baut, und wollen keine jene Erscheinungen in Abrede stellen. Es würde auch vergeblich seyn. Mit großer Sorgfalt und geheimer Freude hat man jenseits unserer Gränze Alles beobachtet und zu seinem Vortheil gedeutet, was sich bei uns als Zwietracht und Hemmung hervorthat. Die französische Presse unterließ nicht, triumphirend darauf hinzudeuten, daß uns versagt sey, über unsere eigenen, die deutschen Angelegenheiten mit Offenheit zu sprechen, und wir darauf angewiesen seyen, durch sie zu erfahren oder von ihr behandeln zu lassen, was bei uns Bedeutsames vorgehe. Das sey, fügt sie bei, ein von Frankreich alle Beachtung und Theilnahme verdienender Gegenstand. Dahinter kam dann die Aussicht auf Abstellung, auf Hülfe von französischem Einfluß, natürlich mit dem Anmuthen einer entsprechenden Entschädigung an Land und Leuten dafür und eines Protectorats für das Uebrige. Gleiche Theilnahme empfand man für die Hannoveraner, die nun im dritten Jahre einen beharrlichen und nicht vergeblichen Kampf für ihr gutes Recht bestehen, zumal nachdem durch die hannover'sche Regierung selbst verkündigt wurde, der Bundestag habe die Beschwerdeführenden abgewiesen. Das Alles werde sich ändern; die Rückkehr eines solchen Aergernisses werde unmöglich seyn, wenn erst Frankreich in die ihm gebührenden europäischen Rechte wieder eingetreten und in dem Fall seyn werde, seine mächtige Stimme für constitutionelles Recht und die Garantien der Völker hören zu lassen. Mit welchen Sympathien aber wendete man sich, als der kirchliche Hader ausbrach, nach dem Niederrhein, der nur unter französischer Aegide seiner kirchlichen und politischen Freiheit sicher und froh werden könnte! Nun ist es zwar mit der Besprechung öffentlicher Angelegenheiten unter uns nicht in dem Maaße schlimm bestellt, wie man glaubt, und die Allg. Zeitung selbst hat dafür auch in der jüngsten Zeit mehr als Ein Beispiel gegeben, und die Hoffnung steigt, daß die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, das politische Urtheil von Deutschland über seine innern Angelegenheiten durch den vernünftigen Gebrauch einer wohlgesinnten Presse bestimmter zu gestalten, bald allgemein seyn werde. Auch hat gerade das tiefbetrübende Ereigniß von Hannover gezeigt, daß die deutschen Völker in sich selbst die Kräfte und die Mittel finden, ihr Recht gegen einen Uebergriff zu schirmen, ohne gegen die eigene Regierung zum Schwerte zu greifen. In Bezug auf die kirchlichen Wirren endlich hat sich deutlich herausgestellt, daß der Streit weder Dogma noch Freiheit des Glaubens, sondern allein die Verwickelung der kanonistisch-publicistischen Frage über gemischten Ehen betraf, die, nachdem man sie bis auf den Grund beleuchtet hat, auf sich zu beruhen anfängt. Gleichwohl hindert dieser Gang unsers innern Processes welcher zeigt, daß auch Deutschland in großen Problemen der Gegenwart befangen und sie auf seine Weise zu lösen bemüht ist, die Fremden nicht, die unabweisbare Bedingung alles selbstständigen und innern Lebens, den geordneten Kampf streitender Ansichten im Innern des großen vielgegliederten politischen Körpers von Deutschland, für die Zeichen beginnender Auflösung und politischen Verfalls zu halten. Für Deutschland wird darin eine Aufforderung mehr erkannt werden, uns mit der Lösung der hier noch schwebenden Fragen und mit ihrer Entscheidung im Sinne der öffentlichen Meinung um so nachdrucksamer zu beschäftigen, damit wir dem nie ruhenden Gegner, statt des Stoffes für seine Meinung von unserm Verfall und seinen auf sie gegründeten Hoffnungen, das ungetrübte Bild eines in sich gesunden Volkes zeigen, das durch Eintracht stark, über seine Zustände befriedigt und bereit ist, jede Anmaßung und jeden Angriff auf sein Interesse und seine Würde nach Gebühr zu empfangen und abzuweisen. Je mehr durch uns geschieht eine solche Meinung zu begründen, desto besser werden wir für die Ruhe von Deutschland und für seine Sicherheit vor fremdem Angriffe sorgen. Nur den Gegner, den man für schwach und innerlich zerrissen hält, greift man leicht an; vor dem für stark und einträchtig geachteten hat jeder die gebührende Scheu und läßt ihn leicht in Ruhe. Dasselbe gilt in Bezug auf einen strategischen Punkt der Vertheidigung des südwestlichen Deutschlands bei einem Angriff vom Rhein her. Ihrer Zeitung gebührt das Verdienst, den Gegenstand zur freien Erörterung gebracht zu haben, der allerdings zu lang geruht und den Fremden Grund gegeben hat, uns mit jenen Anklagen der Versäumniß und Schlafsucht heimzusuchen, die wir gehört haben. Der Oberrhein ist den Angriffen bei Straßburg wie bei Basel offen: durch beide Thore kann der Feind ungehemmt in das Herz von Deutschland einrücken. Ihre Correspondenz brachte zwar vor einigen Tagen den Trost eines französischen Officiers, der meinte, wenn nur Ulm befestigt sey, habe es mit der Bedrohung des südwestlichen Deutschlands nicht viel zu bedeuten; eine dorthin über den Schwarzwald vorrückende feindliche Armee würde in jene Länder wie in eine Mausfalle gehen und bald von dem Landsturm und der Landwehr der zurückliegenden Gebirge eingeschlossen seyn, im Fall die Bevölkerung ihre alte Tapferkeit und Gesinnung noch jetzt bewahre. Dagegen aber ist zu erinnern, daß einer nach Ulm vorrückenden Armee eine zweite als Reserve nachrücken und ihre Erscheinung die ungeregelten Massen auch einer muthigen Landesbewaffnung um so leichter in Zaum halten würde, als sie mit Frankreich und seinen Mitteln in ungehemmtem Verkehr bleibe. Wir dürfen uns also über diese Lage, welche Baden mit Frankfurt und Darmstadt, dann Würtemberg mit einem Theile von Franken und alle die unermeßlichen Hülfsquellen dieser Länder dem Feind unvertheidigt preisgäbe, keine Täuschung machen lassen. Hat ein französischer Officier sich in der angegebenen Weise erklärt, so weiß er, warum er es gethan hat, und wollten wir in einem solchen Fall von dem Feinde Rath nehmen, so würden wir unsere Gutmüthigkeit oder Arglosigkeit nur von neuem dem Spotte des verschlagenen Feindes preisgeben. Das südliche Deutschland bietet, wie bekannt, drei Vertheidigungslinien: den Oberrhein, die Donau und den Inn. Von da ist der Weg nach Wien offen, im Fall der Feind seiner Flanken sicher ist. Der Inn ist befestigt, die Donau wird es bei Ingolstadt und muß es allerdings bei Ulm werden; aber die erste Linie am Oberrhein, welche durch Befestigung von Rastatt und durch Vorkehrungen im Schwarzwalde gebildet wird, darf darum nicht versäumt Ueber das politische und sociale Verhältniß zwischen Deutschland und Frankreich. (Beschluß.) Der Gegner spricht von unserem politischen Verfall, von der deutschen Lethargie, die aber doch nicht hindere, daß wir von Furcht vor den westlichen Nachbarn erfüllt sind und diese nur deshalb herabsetzen und klein machen, um jenes beunruhigende Gefühl in uns selbst zu beschwichtigen. Wir wissen, auf welche Erscheinungen er die Behauptung unsers politischen Verfalls baut, und wollen keine jene Erscheinungen in Abrede stellen. Es würde auch vergeblich seyn. Mit großer Sorgfalt und geheimer Freude hat man jenseits unserer Gränze Alles beobachtet und zu seinem Vortheil gedeutet, was sich bei uns als Zwietracht und Hemmung hervorthat. Die französische Presse unterließ nicht, triumphirend darauf hinzudeuten, daß uns versagt sey, über unsere eigenen, die deutschen Angelegenheiten mit Offenheit zu sprechen, und wir darauf angewiesen seyen, durch sie zu erfahren oder von ihr behandeln zu lassen, was bei uns Bedeutsames vorgehe. Das sey, fügt sie bei, ein von Frankreich alle Beachtung und Theilnahme verdienender Gegenstand. Dahinter kam dann die Aussicht auf Abstellung, auf Hülfe von französischem Einfluß, natürlich mit dem Anmuthen einer entsprechenden Entschädigung an Land und Leuten dafür und eines Protectorats für das Uebrige. Gleiche Theilnahme empfand man für die Hannoveraner, die nun im dritten Jahre einen beharrlichen und nicht vergeblichen Kampf für ihr gutes Recht bestehen, zumal nachdem durch die hannover'sche Regierung selbst verkündigt wurde, der Bundestag habe die Beschwerdeführenden abgewiesen. Das Alles werde sich ändern; die Rückkehr eines solchen Aergernisses werde unmöglich seyn, wenn erst Frankreich in die ihm gebührenden europäischen Rechte wieder eingetreten und in dem Fall seyn werde, seine mächtige Stimme für constitutionelles Recht und die Garantien der Völker hören zu lassen. Mit welchen Sympathien aber wendete man sich, als der kirchliche Hader ausbrach, nach dem Niederrhein, der nur unter französischer Aegide seiner kirchlichen und politischen Freiheit sicher und froh werden könnte! Nun ist es zwar mit der Besprechung öffentlicher Angelegenheiten unter uns nicht in dem Maaße schlimm bestellt, wie man glaubt, und die Allg. Zeitung selbst hat dafür auch in der jüngsten Zeit mehr als Ein Beispiel gegeben, und die Hoffnung steigt, daß die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, das politische Urtheil von Deutschland über seine innern Angelegenheiten durch den vernünftigen Gebrauch einer wohlgesinnten Presse bestimmter zu gestalten, bald allgemein seyn werde. Auch hat gerade das tiefbetrübende Ereigniß von Hannover gezeigt, daß die deutschen Völker in sich selbst die Kräfte und die Mittel finden, ihr Recht gegen einen Uebergriff zu schirmen, ohne gegen die eigene Regierung zum Schwerte zu greifen. In Bezug auf die kirchlichen Wirren endlich hat sich deutlich herausgestellt, daß der Streit weder Dogma noch Freiheit des Glaubens, sondern allein die Verwickelung der kanonistisch-publicistischen Frage über gemischten Ehen betraf, die, nachdem man sie bis auf den Grund beleuchtet hat, auf sich zu beruhen anfängt. Gleichwohl hindert dieser Gang unsers innern Processes welcher zeigt, daß auch Deutschland in großen Problemen der Gegenwart befangen und sie auf seine Weise zu lösen bemüht ist, die Fremden nicht, die unabweisbare Bedingung alles selbstständigen und innern Lebens, den geordneten Kampf streitender Ansichten im Innern des großen vielgegliederten politischen Körpers von Deutschland, für die Zeichen beginnender Auflösung und politischen Verfalls zu halten. Für Deutschland wird darin eine Aufforderung mehr erkannt werden, uns mit der Lösung der hier noch schwebenden Fragen und mit ihrer Entscheidung im Sinne der öffentlichen Meinung um so nachdrucksamer zu beschäftigen, damit wir dem nie ruhenden Gegner, statt des Stoffes für seine Meinung von unserm Verfall und seinen auf sie gegründeten Hoffnungen, das ungetrübte Bild eines in sich gesunden Volkes zeigen, das durch Eintracht stark, über seine Zustände befriedigt und bereit ist, jede Anmaßung und jeden Angriff auf sein Interesse und seine Würde nach Gebühr zu empfangen und abzuweisen. Je mehr durch uns geschieht eine solche Meinung zu begründen, desto besser werden wir für die Ruhe von Deutschland und für seine Sicherheit vor fremdem Angriffe sorgen. Nur den Gegner, den man für schwach und innerlich zerrissen hält, greift man leicht an; vor dem für stark und einträchtig geachteten hat jeder die gebührende Scheu und läßt ihn leicht in Ruhe. Dasselbe gilt in Bezug auf einen strategischen Punkt der Vertheidigung des südwestlichen Deutschlands bei einem Angriff vom Rhein her. Ihrer Zeitung gebührt das Verdienst, den Gegenstand zur freien Erörterung gebracht zu haben, der allerdings zu lang geruht und den Fremden Grund gegeben hat, uns mit jenen Anklagen der Versäumniß und Schlafsucht heimzusuchen, die wir gehört haben. Der Oberrhein ist den Angriffen bei Straßburg wie bei Basel offen: durch beide Thore kann der Feind ungehemmt in das Herz von Deutschland einrücken. Ihre Correspondenz brachte zwar vor einigen Tagen den Trost eines französischen Officiers, der meinte, wenn nur Ulm befestigt sey, habe es mit der Bedrohung des südwestlichen Deutschlands nicht viel zu bedeuten; eine dorthin über den Schwarzwald vorrückende feindliche Armee würde in jene Länder wie in eine Mausfalle gehen und bald von dem Landsturm und der Landwehr der zurückliegenden Gebirge eingeschlossen seyn, im Fall die Bevölkerung ihre alte Tapferkeit und Gesinnung noch jetzt bewahre. Dagegen aber ist zu erinnern, daß einer nach Ulm vorrückenden Armee eine zweite als Reserve nachrücken und ihre Erscheinung die ungeregelten Massen auch einer muthigen Landesbewaffnung um so leichter in Zaum halten würde, als sie mit Frankreich und seinen Mitteln in ungehemmtem Verkehr bleibe. Wir dürfen uns also über diese Lage, welche Baden mit Frankfurt und Darmstadt, dann Würtemberg mit einem Theile von Franken und alle die unermeßlichen Hülfsquellen dieser Länder dem Feind unvertheidigt preisgäbe, keine Täuschung machen lassen. Hat ein französischer Officier sich in der angegebenen Weise erklärt, so weiß er, warum er es gethan hat, und wollten wir in einem solchen Fall von dem Feinde Rath nehmen, so würden wir unsere Gutmüthigkeit oder Arglosigkeit nur von neuem dem Spotte des verschlagenen Feindes preisgeben. Das südliche Deutschland bietet, wie bekannt, drei Vertheidigungslinien: den Oberrhein, die Donau und den Inn. Von da ist der Weg nach Wien offen, im Fall der Feind seiner Flanken sicher ist. Der Inn ist befestigt, die Donau wird es bei Ingolstadt und muß es allerdings bei Ulm werden; aber die erste Linie am Oberrhein, welche durch Befestigung von Rastatt und durch Vorkehrungen im Schwarzwalde gebildet wird, darf darum nicht versäumt <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009" n="1121"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ueber das politische und sociale Verhältniß zwischen Deutschland und Frankreich</hi>.</hi> </head><lb/> <p>(Beschluß.)</p><lb/> <p>Der Gegner spricht von unserem politischen Verfall, von der deutschen Lethargie, die aber doch nicht hindere, daß wir von Furcht vor den westlichen Nachbarn erfüllt sind und diese nur deshalb herabsetzen und klein machen, um jenes beunruhigende Gefühl in uns selbst zu beschwichtigen.</p><lb/> <p>Wir wissen, auf welche Erscheinungen er die Behauptung unsers politischen Verfalls baut, und wollen keine jene Erscheinungen in Abrede stellen. Es würde auch vergeblich seyn. Mit großer Sorgfalt und geheimer Freude hat man jenseits unserer Gränze Alles beobachtet und zu seinem Vortheil gedeutet, was sich bei uns als Zwietracht und Hemmung hervorthat. Die französische Presse unterließ nicht, triumphirend darauf hinzudeuten, daß uns versagt sey, über unsere eigenen, die deutschen Angelegenheiten mit Offenheit zu sprechen, und wir darauf angewiesen seyen, durch sie zu erfahren oder von ihr behandeln zu lassen, was bei uns Bedeutsames vorgehe. Das sey, fügt sie bei, ein von Frankreich alle Beachtung und Theilnahme verdienender Gegenstand. Dahinter kam dann die Aussicht auf Abstellung, auf Hülfe von französischem Einfluß, natürlich mit dem Anmuthen einer entsprechenden Entschädigung an Land und Leuten dafür und eines Protectorats für das Uebrige. Gleiche Theilnahme empfand man für die Hannoveraner, die nun im dritten Jahre einen beharrlichen und nicht vergeblichen Kampf für ihr gutes Recht bestehen, zumal nachdem durch die hannover'sche Regierung selbst verkündigt wurde, der Bundestag habe die Beschwerdeführenden abgewiesen. Das Alles werde sich ändern; die Rückkehr eines solchen Aergernisses werde unmöglich seyn, wenn erst Frankreich in die ihm gebührenden europäischen Rechte wieder eingetreten und in dem Fall seyn werde, seine mächtige Stimme für constitutionelles Recht und die Garantien der Völker hören zu lassen. Mit welchen Sympathien aber wendete man sich, als der kirchliche Hader ausbrach, nach dem Niederrhein, der nur unter französischer Aegide seiner kirchlichen und politischen Freiheit sicher und froh werden könnte! Nun ist es zwar mit der Besprechung öffentlicher Angelegenheiten unter uns nicht in dem Maaße schlimm bestellt, wie man glaubt, und die Allg. Zeitung selbst hat dafür auch in der jüngsten Zeit mehr als Ein Beispiel gegeben, und die Hoffnung steigt, daß die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, das politische Urtheil von Deutschland über seine innern Angelegenheiten durch den vernünftigen Gebrauch einer wohlgesinnten Presse bestimmter zu gestalten, bald allgemein seyn werde. Auch hat gerade das tiefbetrübende Ereigniß von Hannover gezeigt, daß die deutschen Völker in sich selbst die Kräfte und die Mittel finden, ihr Recht gegen einen Uebergriff zu schirmen, ohne gegen die eigene Regierung zum Schwerte zu greifen. In Bezug auf die kirchlichen Wirren endlich hat sich deutlich herausgestellt, daß der Streit weder Dogma noch Freiheit des Glaubens, sondern allein die Verwickelung der kanonistisch-publicistischen Frage über gemischten Ehen betraf, die, nachdem man sie bis auf den Grund beleuchtet hat, auf sich zu beruhen anfängt. Gleichwohl hindert dieser Gang unsers innern Processes welcher zeigt, daß auch Deutschland in großen Problemen der Gegenwart befangen und sie auf seine Weise zu lösen bemüht ist, die Fremden nicht, die unabweisbare Bedingung alles selbstständigen und innern Lebens, den geordneten Kampf streitender Ansichten im Innern des großen vielgegliederten politischen Körpers von Deutschland, für die Zeichen beginnender Auflösung und politischen Verfalls zu halten. Für Deutschland wird darin eine Aufforderung mehr erkannt werden, uns mit der Lösung der hier noch schwebenden Fragen und mit ihrer Entscheidung im Sinne der öffentlichen Meinung um so nachdrucksamer zu beschäftigen, damit wir dem nie ruhenden Gegner, statt des Stoffes für seine Meinung von unserm Verfall und seinen auf sie gegründeten Hoffnungen, das ungetrübte Bild eines in sich gesunden Volkes zeigen, das durch Eintracht stark, über seine Zustände befriedigt und bereit ist, jede Anmaßung und jeden Angriff auf sein Interesse und seine Würde nach Gebühr zu empfangen und abzuweisen. Je mehr durch uns geschieht eine solche Meinung zu begründen, desto besser werden wir für die Ruhe von Deutschland und für seine Sicherheit vor fremdem Angriffe sorgen. Nur den Gegner, den man für schwach und innerlich zerrissen hält, greift man leicht an; vor dem für stark und einträchtig geachteten hat jeder die gebührende Scheu und läßt ihn leicht in Ruhe.</p><lb/> <p>Dasselbe gilt in Bezug auf einen strategischen Punkt der Vertheidigung des südwestlichen Deutschlands bei einem Angriff vom Rhein her. Ihrer Zeitung gebührt das Verdienst, den Gegenstand zur freien Erörterung gebracht zu haben, der allerdings zu lang geruht und den Fremden Grund gegeben hat, uns mit jenen Anklagen der Versäumniß und Schlafsucht heimzusuchen, die wir gehört haben. Der Oberrhein ist den Angriffen bei Straßburg wie bei Basel offen: durch beide Thore kann der Feind ungehemmt in das Herz von Deutschland einrücken. Ihre Correspondenz brachte zwar vor einigen Tagen den Trost eines französischen Officiers, der meinte, wenn nur Ulm befestigt sey, habe es mit der Bedrohung des südwestlichen Deutschlands nicht viel zu bedeuten; eine dorthin über den Schwarzwald vorrückende feindliche Armee würde in jene Länder wie in eine Mausfalle gehen und bald von dem Landsturm und der Landwehr der zurückliegenden Gebirge eingeschlossen seyn, im Fall die Bevölkerung ihre alte Tapferkeit und Gesinnung noch jetzt bewahre. Dagegen aber ist zu erinnern, daß einer nach Ulm vorrückenden Armee eine zweite als Reserve nachrücken und ihre Erscheinung die ungeregelten Massen auch einer muthigen Landesbewaffnung um so leichter in Zaum halten würde, als sie mit Frankreich und seinen Mitteln in ungehemmtem Verkehr bleibe. Wir dürfen uns also über diese Lage, welche Baden mit Frankfurt und Darmstadt, dann Würtemberg mit einem Theile von Franken und alle die unermeßlichen Hülfsquellen dieser Länder dem Feind unvertheidigt preisgäbe, keine Täuschung machen lassen. Hat ein französischer Officier sich in der angegebenen Weise erklärt, so weiß er, warum er es gethan hat, und wollten wir in einem solchen Fall von dem Feinde Rath nehmen, so würden wir unsere Gutmüthigkeit oder Arglosigkeit nur von neuem dem Spotte des verschlagenen Feindes preisgeben. Das südliche Deutschland bietet, wie bekannt, drei Vertheidigungslinien: den Oberrhein, die Donau und den Inn. Von da ist der Weg nach Wien offen, im Fall der Feind seiner Flanken sicher ist. 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Ueber das politische und sociale Verhältniß zwischen Deutschland und Frankreich.
(Beschluß.)
Der Gegner spricht von unserem politischen Verfall, von der deutschen Lethargie, die aber doch nicht hindere, daß wir von Furcht vor den westlichen Nachbarn erfüllt sind und diese nur deshalb herabsetzen und klein machen, um jenes beunruhigende Gefühl in uns selbst zu beschwichtigen.
Wir wissen, auf welche Erscheinungen er die Behauptung unsers politischen Verfalls baut, und wollen keine jene Erscheinungen in Abrede stellen. Es würde auch vergeblich seyn. Mit großer Sorgfalt und geheimer Freude hat man jenseits unserer Gränze Alles beobachtet und zu seinem Vortheil gedeutet, was sich bei uns als Zwietracht und Hemmung hervorthat. Die französische Presse unterließ nicht, triumphirend darauf hinzudeuten, daß uns versagt sey, über unsere eigenen, die deutschen Angelegenheiten mit Offenheit zu sprechen, und wir darauf angewiesen seyen, durch sie zu erfahren oder von ihr behandeln zu lassen, was bei uns Bedeutsames vorgehe. Das sey, fügt sie bei, ein von Frankreich alle Beachtung und Theilnahme verdienender Gegenstand. Dahinter kam dann die Aussicht auf Abstellung, auf Hülfe von französischem Einfluß, natürlich mit dem Anmuthen einer entsprechenden Entschädigung an Land und Leuten dafür und eines Protectorats für das Uebrige. Gleiche Theilnahme empfand man für die Hannoveraner, die nun im dritten Jahre einen beharrlichen und nicht vergeblichen Kampf für ihr gutes Recht bestehen, zumal nachdem durch die hannover'sche Regierung selbst verkündigt wurde, der Bundestag habe die Beschwerdeführenden abgewiesen. Das Alles werde sich ändern; die Rückkehr eines solchen Aergernisses werde unmöglich seyn, wenn erst Frankreich in die ihm gebührenden europäischen Rechte wieder eingetreten und in dem Fall seyn werde, seine mächtige Stimme für constitutionelles Recht und die Garantien der Völker hören zu lassen. Mit welchen Sympathien aber wendete man sich, als der kirchliche Hader ausbrach, nach dem Niederrhein, der nur unter französischer Aegide seiner kirchlichen und politischen Freiheit sicher und froh werden könnte! Nun ist es zwar mit der Besprechung öffentlicher Angelegenheiten unter uns nicht in dem Maaße schlimm bestellt, wie man glaubt, und die Allg. Zeitung selbst hat dafür auch in der jüngsten Zeit mehr als Ein Beispiel gegeben, und die Hoffnung steigt, daß die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, das politische Urtheil von Deutschland über seine innern Angelegenheiten durch den vernünftigen Gebrauch einer wohlgesinnten Presse bestimmter zu gestalten, bald allgemein seyn werde. Auch hat gerade das tiefbetrübende Ereigniß von Hannover gezeigt, daß die deutschen Völker in sich selbst die Kräfte und die Mittel finden, ihr Recht gegen einen Uebergriff zu schirmen, ohne gegen die eigene Regierung zum Schwerte zu greifen. In Bezug auf die kirchlichen Wirren endlich hat sich deutlich herausgestellt, daß der Streit weder Dogma noch Freiheit des Glaubens, sondern allein die Verwickelung der kanonistisch-publicistischen Frage über gemischten Ehen betraf, die, nachdem man sie bis auf den Grund beleuchtet hat, auf sich zu beruhen anfängt. Gleichwohl hindert dieser Gang unsers innern Processes welcher zeigt, daß auch Deutschland in großen Problemen der Gegenwart befangen und sie auf seine Weise zu lösen bemüht ist, die Fremden nicht, die unabweisbare Bedingung alles selbstständigen und innern Lebens, den geordneten Kampf streitender Ansichten im Innern des großen vielgegliederten politischen Körpers von Deutschland, für die Zeichen beginnender Auflösung und politischen Verfalls zu halten. Für Deutschland wird darin eine Aufforderung mehr erkannt werden, uns mit der Lösung der hier noch schwebenden Fragen und mit ihrer Entscheidung im Sinne der öffentlichen Meinung um so nachdrucksamer zu beschäftigen, damit wir dem nie ruhenden Gegner, statt des Stoffes für seine Meinung von unserm Verfall und seinen auf sie gegründeten Hoffnungen, das ungetrübte Bild eines in sich gesunden Volkes zeigen, das durch Eintracht stark, über seine Zustände befriedigt und bereit ist, jede Anmaßung und jeden Angriff auf sein Interesse und seine Würde nach Gebühr zu empfangen und abzuweisen. Je mehr durch uns geschieht eine solche Meinung zu begründen, desto besser werden wir für die Ruhe von Deutschland und für seine Sicherheit vor fremdem Angriffe sorgen. Nur den Gegner, den man für schwach und innerlich zerrissen hält, greift man leicht an; vor dem für stark und einträchtig geachteten hat jeder die gebührende Scheu und läßt ihn leicht in Ruhe.
Dasselbe gilt in Bezug auf einen strategischen Punkt der Vertheidigung des südwestlichen Deutschlands bei einem Angriff vom Rhein her. Ihrer Zeitung gebührt das Verdienst, den Gegenstand zur freien Erörterung gebracht zu haben, der allerdings zu lang geruht und den Fremden Grund gegeben hat, uns mit jenen Anklagen der Versäumniß und Schlafsucht heimzusuchen, die wir gehört haben. Der Oberrhein ist den Angriffen bei Straßburg wie bei Basel offen: durch beide Thore kann der Feind ungehemmt in das Herz von Deutschland einrücken. Ihre Correspondenz brachte zwar vor einigen Tagen den Trost eines französischen Officiers, der meinte, wenn nur Ulm befestigt sey, habe es mit der Bedrohung des südwestlichen Deutschlands nicht viel zu bedeuten; eine dorthin über den Schwarzwald vorrückende feindliche Armee würde in jene Länder wie in eine Mausfalle gehen und bald von dem Landsturm und der Landwehr der zurückliegenden Gebirge eingeschlossen seyn, im Fall die Bevölkerung ihre alte Tapferkeit und Gesinnung noch jetzt bewahre. Dagegen aber ist zu erinnern, daß einer nach Ulm vorrückenden Armee eine zweite als Reserve nachrücken und ihre Erscheinung die ungeregelten Massen auch einer muthigen Landesbewaffnung um so leichter in Zaum halten würde, als sie mit Frankreich und seinen Mitteln in ungehemmtem Verkehr bleibe. Wir dürfen uns also über diese Lage, welche Baden mit Frankfurt und Darmstadt, dann Würtemberg mit einem Theile von Franken und alle die unermeßlichen Hülfsquellen dieser Länder dem Feind unvertheidigt preisgäbe, keine Täuschung machen lassen. Hat ein französischer Officier sich in der angegebenen Weise erklärt, so weiß er, warum er es gethan hat, und wollten wir in einem solchen Fall von dem Feinde Rath nehmen, so würden wir unsere Gutmüthigkeit oder Arglosigkeit nur von neuem dem Spotte des verschlagenen Feindes preisgeben. Das südliche Deutschland bietet, wie bekannt, drei Vertheidigungslinien: den Oberrhein, die Donau und den Inn. Von da ist der Weg nach Wien offen, im Fall der Feind seiner Flanken sicher ist. Der Inn ist befestigt, die Donau wird es bei Ingolstadt und muß es allerdings bei Ulm werden; aber die erste Linie am Oberrhein, welche durch Befestigung von Rastatt und durch Vorkehrungen im Schwarzwalde gebildet wird, darf darum nicht versäumt
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