Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 144. Augsburg, 23. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

in Nordamerika, besonders im Mississippithal, wo sie 16 Bischöfe hat, welche 360,000 Franken für die Bedürfnisse ihrer Sprengel erhalten. Sie gründen in allen Sprengeln Seminare, Nonnenklöster, schicken Missionäre zu den Indiern und bekehren vor Allem Mitglieder der hundert protestantischen Secten, welche sich in Amerika durchkreuzen. Ihr Erfolg dort ist nicht zweifelhaft, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß die großen Staaten, welche sich im Thale des Mississippi erheben, in nicht sehr langer Zeit katholisch seyn werden. Die Folge wird zeigen, ob der neue katholische Eifer eine Wohlthat seyn wird. Die Missionen rechnen mit Zuversicht auf eine fast ungemessene Ausdehnung ihrer Hülfsmittel und ihrer Thätigkeit, und man kann sich eine Vorstellung von dem Einfluß machen, den sie schon jetzt ausüben, wenn man sieht, daß sie schon jetzt über 60 Bischöfe in ihrem Clerus besitzen.

Ich glaube nicht, daß die Propaganda zur Zeit ihrer größten Blüthe viel mehr Hülfsmittel hatte, als die gegenwärtigen; aber sie war damals durch bessere Köpfe geleitet als gegenwärtig. Ihre große Gefahr liegt in dem Corporationsgeist und in dem unmäßigen Ehrgeiz, den ihre hierarchische Organisation stimulirt, und der die Interessen der Menschheit denen eines Ordens und einer Kirche nur allzuleicht aufopfert.

Frankreich.

Die Art des Eindrucks, den die angekündigte Abholung der sterblichen Ueberreste Napoleons von St. Helena im Allgemeinen hervorbrachte, läßt sich schwer bestimmen; sicher ist nur, daß die Wirkung durchaus nicht geräuschvoll war, und nichts weniger als enthusiastischer Freude gleich sah. Die Feinde der Regierung sehen in der Sache nur einen Act der Heuchelei, nur eine grobe List, um das Volk, dessen Gunst sie, heißt es, verscherzt, durch neues Gaukelwerk von neuem zu gewinnen. Die Freunde der Ordnung dagegen, deren starke Seite nie muthvolles Selbstvertrauen war, fürchten Unordnungen für den Tag der feierlichen Rückkehr, und meinen, es sey unklug, den Gährungsstoffen der Gesellschaft eine so hübsche Gelegenheit zum Ausbruch zu geben. Der mittlere Bürger berechnet die Zahl der Fremden, die ein solches Fest nach Paris locken, und den Einfluß, den es überhaupt auf den Handel haben werde. Die jungen Leute sind größtentheils der Ansicht des National: man hätte besser gethan, die kaiserliche Asche in der poetischen Ferne ihres einsamen Exils zu lassen, wohin, wie nach einem geheimnißvollen Mekka die Erinnerung der Völker sich gewendet. St. Helena ist kein nackter und wüster Fels, der unwürdig wäre, ein so heiliges Kleinod zu bewahren. Haben doch die Berichte von der fast immer lenzigen Schönheit dieses Eilandes und der üppigen Fülle seiner Erzeugnisse einst in der Seele des ersten Consuls die Sehnsucht nach seinem Besitze erregt. St. Helena stand vor seiner regen und dem Wunderbaren holden Phantasie wie ein blühender Garten, den sich eine Fee des Oceans mitten im Meere aufgebaut und zur reizendsten Villeggiatura eingerichtet, wo jetzt aber brittische Raub- und Gewinnsucht ihre verhaßte Flagge aufgepflanzt habe. Der altenglische Humor muß etwas von diesen Träumen erfahren und dem Gefangenen darum bewilligt haben, was der Consul einst gewünscht, so daß sie dem großen Kaiser vergönnten, dahin seine Fesseln zu tragen, wohin sein Scepter einst vergebens sich ausgestreckt. Bitter mochte übrigens der Anblick des Oceans für den seyn, den vorzüglich das Meer an der glücklichen Durchführung seiner Plane hinderte; hätte er den Canal mit Erde ausfüllen können, sein Endziel, Englands Demüthigung, wäre ihm vielleicht gelungen, aber das Meer, das unerbittliche Meer, blieb stets der ewige Abgrund, der seine Hoffnungen, wie seine Schiffe verschlang. Sein Staub jedoch, der von all den irdischen Drangsalen und Erniedrigungen nichts mehr fühlt, der mochte immer an dem Orte ruhen, den Camoens dem Geist der Stürme zur Wohnung angewiesen, und wäre eine Stätte am Ufer der Seine nicht der eigene Wunsch des großen Mannes gewesen, ich wüßte keinen gültigen Grund, ihn seinem natürlichen Grabe, dem Grabe, das ihm das Schicksal gegeben, zu entreißen. Daß man die Invaliden, nicht die eherne Schlachtsäule oder den Triumphbogen gewählt, darüber sind gleichfalls Viele ungehalten, und es wird das Für und Wider in Cafes und Estaminets häufig und lebhaft erörtert. Gegen die Säule und den Triumphbogen läßt sich im Grunde nichts Erhebliches einwenden, aber es scheint mir ein angemessenerer Gedanke, die Gebeine des Mannes, der die Wiedererweckung der Religion zu seinen schönsten Triumphen rechnete, in einer Kirche beizusetzen, die gleichsam ein Pantheon berühmter Helden ist; hier wird er in befreundeter Gesellschaft ruhen; denn auch die Männer der alten Tage, deren Ueberreste in den Grüften dieses Tempels wohnen, würden, wenn sie zu neuem Leben auferständen, ihre Zeit und ihr Banner vergessend, dem Tapfersten der Tapfern, dem Feldherrn der Feldherren ihre gemeinsame Huldigung darbringen. In St. Denis könnten die alten Könige ihn nicht als ihresgleichen ansehen: das Andenken Ludwig XIV dürfte von unverlorenen Eroberungen, von dem Glanze der Künste, und der Umgebung großer Geister reden; Ludwig XI möchte es einfallen, der Gründung von Frankreichs Einheit zu erwähnen, kurz es würde nicht entschieden seyn, ob der Kaiser denn wirklich der erste unter den Königen wäre.

Die officielle Ankündigung in Betreff der sterblichen Reste Napoleons hat hier eine Wirkung hervorgebracht, die alle Erwartungen des Ministeriums übertraf. Das Nationalgefühl ist aufgeregt bis in seine abgründlichsten Tiefen, und der große Act der Gerechtigkeit, die Genugthuung, die dem Riesen unseres Jahrhunderts widerfährt und alle edeln Herzen dieses Erdballs erfreuen muß, erscheint den Franzosen als eine locale Privatsache, als eine Rehabilitation ihrer verletzten Nationaleitelkeit, als ein nachträgliches Pflaster für die Wunde von Waterloo! Ihr irrt euch: in der Person des auf St. Helena Geschiedenen wurde nicht Frankreich mißhandelt, sondern die Menschheit, wie auch die Leichenfeier, die jetzt stattfinden wird, keineswegs als eine Niederlage der auswärtigen Mächte zu betrachten ist, sondern als ein Sieg der Menschheit. Dem Lebenden galt der Kampf, nicht dem Todten, und daß man diesen den Franzosen nicht schon längst ausgeliefert hat, das ist nicht die Schuld der europäischen Potentaten, sondern einer kleinen Coterie großbritannischer Fuchsjäger und Stallknechte, die unterdessen den Hals gebrochen oder sich die Kehle abgeschnitten haben, wie z. B. der edle Londonderry, oder auch sonst zu Grunde gingen durch die Macht der Zeit und des Portweins. Wir haben bereits vor vielen Jahren in Deutschland dem großen Kaiser den schuldigen Tribut der Verehrung gezollt, und jetzt haben wir wohl das Recht, die Exaltation der heutigen Huldigungen mit etwas Gemüthsruhe zu betrachten. Aufrichtig gestanden, die Franzosen gebärden sich bei dieser Gelegenheit wie die Kinder, denen man ihr Spielzeug genommen hat und wieder zurückgibt: sobald sie es in Händen haben, werden sie es lachend zerschlagen und mit Füßen treten, und ich sehe schon voraus, wie viel schlechte Witze gerissen werden, wenn die große Procession anlangt mit den Reliquien von St. Helena. Jetzt schwärmen sie, die gutmüthig leichtsinnigen Franzosen. Sie sind mit den Lebenden so unzufrieden, daß sie Gott

in Nordamerika, besonders im Mississippithal, wo sie 16 Bischöfe hat, welche 360,000 Franken für die Bedürfnisse ihrer Sprengel erhalten. Sie gründen in allen Sprengeln Seminare, Nonnenklöster, schicken Missionäre zu den Indiern und bekehren vor Allem Mitglieder der hundert protestantischen Secten, welche sich in Amerika durchkreuzen. Ihr Erfolg dort ist nicht zweifelhaft, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß die großen Staaten, welche sich im Thale des Mississippi erheben, in nicht sehr langer Zeit katholisch seyn werden. Die Folge wird zeigen, ob der neue katholische Eifer eine Wohlthat seyn wird. Die Missionen rechnen mit Zuversicht auf eine fast ungemessene Ausdehnung ihrer Hülfsmittel und ihrer Thätigkeit, und man kann sich eine Vorstellung von dem Einfluß machen, den sie schon jetzt ausüben, wenn man sieht, daß sie schon jetzt über 60 Bischöfe in ihrem Clerus besitzen.

Ich glaube nicht, daß die Propaganda zur Zeit ihrer größten Blüthe viel mehr Hülfsmittel hatte, als die gegenwärtigen; aber sie war damals durch bessere Köpfe geleitet als gegenwärtig. Ihre große Gefahr liegt in dem Corporationsgeist und in dem unmäßigen Ehrgeiz, den ihre hierarchische Organisation stimulirt, und der die Interessen der Menschheit denen eines Ordens und einer Kirche nur allzuleicht aufopfert.

Frankreich.

Die Art des Eindrucks, den die angekündigte Abholung der sterblichen Ueberreste Napoleons von St. Helena im Allgemeinen hervorbrachte, läßt sich schwer bestimmen; sicher ist nur, daß die Wirkung durchaus nicht geräuschvoll war, und nichts weniger als enthusiastischer Freude gleich sah. Die Feinde der Regierung sehen in der Sache nur einen Act der Heuchelei, nur eine grobe List, um das Volk, dessen Gunst sie, heißt es, verscherzt, durch neues Gaukelwerk von neuem zu gewinnen. Die Freunde der Ordnung dagegen, deren starke Seite nie muthvolles Selbstvertrauen war, fürchten Unordnungen für den Tag der feierlichen Rückkehr, und meinen, es sey unklug, den Gährungsstoffen der Gesellschaft eine so hübsche Gelegenheit zum Ausbruch zu geben. Der mittlere Bürger berechnet die Zahl der Fremden, die ein solches Fest nach Paris locken, und den Einfluß, den es überhaupt auf den Handel haben werde. Die jungen Leute sind größtentheils der Ansicht des National: man hätte besser gethan, die kaiserliche Asche in der poetischen Ferne ihres einsamen Exils zu lassen, wohin, wie nach einem geheimnißvollen Mekka die Erinnerung der Völker sich gewendet. St. Helena ist kein nackter und wüster Fels, der unwürdig wäre, ein so heiliges Kleinod zu bewahren. Haben doch die Berichte von der fast immer lenzigen Schönheit dieses Eilandes und der üppigen Fülle seiner Erzeugnisse einst in der Seele des ersten Consuls die Sehnsucht nach seinem Besitze erregt. St. Helena stand vor seiner regen und dem Wunderbaren holden Phantasie wie ein blühender Garten, den sich eine Fee des Oceans mitten im Meere aufgebaut und zur reizendsten Villeggiatura eingerichtet, wo jetzt aber brittische Raub- und Gewinnsucht ihre verhaßte Flagge aufgepflanzt habe. Der altenglische Humor muß etwas von diesen Träumen erfahren und dem Gefangenen darum bewilligt haben, was der Consul einst gewünscht, so daß sie dem großen Kaiser vergönnten, dahin seine Fesseln zu tragen, wohin sein Scepter einst vergebens sich ausgestreckt. Bitter mochte übrigens der Anblick des Oceans für den seyn, den vorzüglich das Meer an der glücklichen Durchführung seiner Plane hinderte; hätte er den Canal mit Erde ausfüllen können, sein Endziel, Englands Demüthigung, wäre ihm vielleicht gelungen, aber das Meer, das unerbittliche Meer, blieb stets der ewige Abgrund, der seine Hoffnungen, wie seine Schiffe verschlang. Sein Staub jedoch, der von all den irdischen Drangsalen und Erniedrigungen nichts mehr fühlt, der mochte immer an dem Orte ruhen, den Camoens dem Geist der Stürme zur Wohnung angewiesen, und wäre eine Stätte am Ufer der Seine nicht der eigene Wunsch des großen Mannes gewesen, ich wüßte keinen gültigen Grund, ihn seinem natürlichen Grabe, dem Grabe, das ihm das Schicksal gegeben, zu entreißen. Daß man die Invaliden, nicht die eherne Schlachtsäule oder den Triumphbogen gewählt, darüber sind gleichfalls Viele ungehalten, und es wird das Für und Wider in Cafés und Estaminets häufig und lebhaft erörtert. Gegen die Säule und den Triumphbogen läßt sich im Grunde nichts Erhebliches einwenden, aber es scheint mir ein angemessenerer Gedanke, die Gebeine des Mannes, der die Wiedererweckung der Religion zu seinen schönsten Triumphen rechnete, in einer Kirche beizusetzen, die gleichsam ein Pantheon berühmter Helden ist; hier wird er in befreundeter Gesellschaft ruhen; denn auch die Männer der alten Tage, deren Ueberreste in den Grüften dieses Tempels wohnen, würden, wenn sie zu neuem Leben auferständen, ihre Zeit und ihr Banner vergessend, dem Tapfersten der Tapfern, dem Feldherrn der Feldherren ihre gemeinsame Huldigung darbringen. In St. Denis könnten die alten Könige ihn nicht als ihresgleichen ansehen: das Andenken Ludwig XIV dürfte von unverlorenen Eroberungen, von dem Glanze der Künste, und der Umgebung großer Geister reden; Ludwig XI möchte es einfallen, der Gründung von Frankreichs Einheit zu erwähnen, kurz es würde nicht entschieden seyn, ob der Kaiser denn wirklich der erste unter den Königen wäre.

Die officielle Ankündigung in Betreff der sterblichen Reste Napoleons hat hier eine Wirkung hervorgebracht, die alle Erwartungen des Ministeriums übertraf. Das Nationalgefühl ist aufgeregt bis in seine abgründlichsten Tiefen, und der große Act der Gerechtigkeit, die Genugthuung, die dem Riesen unseres Jahrhunderts widerfährt und alle edeln Herzen dieses Erdballs erfreuen muß, erscheint den Franzosen als eine locale Privatsache, als eine Rehabilitation ihrer verletzten Nationaleitelkeit, als ein nachträgliches Pflaster für die Wunde von Waterloo! Ihr irrt euch: in der Person des auf St. Helena Geschiedenen wurde nicht Frankreich mißhandelt, sondern die Menschheit, wie auch die Leichenfeier, die jetzt stattfinden wird, keineswegs als eine Niederlage der auswärtigen Mächte zu betrachten ist, sondern als ein Sieg der Menschheit. Dem Lebenden galt der Kampf, nicht dem Todten, und daß man diesen den Franzosen nicht schon längst ausgeliefert hat, das ist nicht die Schuld der europäischen Potentaten, sondern einer kleinen Coterie großbritannischer Fuchsjäger und Stallknechte, die unterdessen den Hals gebrochen oder sich die Kehle abgeschnitten haben, wie z. B. der edle Londonderry, oder auch sonst zu Grunde gingen durch die Macht der Zeit und des Portweins. Wir haben bereits vor vielen Jahren in Deutschland dem großen Kaiser den schuldigen Tribut der Verehrung gezollt, und jetzt haben wir wohl das Recht, die Exaltation der heutigen Huldigungen mit etwas Gemüthsruhe zu betrachten. Aufrichtig gestanden, die Franzosen gebärden sich bei dieser Gelegenheit wie die Kinder, denen man ihr Spielzeug genommen hat und wieder zurückgibt: sobald sie es in Händen haben, werden sie es lachend zerschlagen und mit Füßen treten, und ich sehe schon voraus, wie viel schlechte Witze gerissen werden, wenn die große Procession anlangt mit den Reliquien von St. Helena. Jetzt schwärmen sie, die gutmüthig leichtsinnigen Franzosen. Sie sind mit den Lebenden so unzufrieden, daß sie Gott

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0010" n="1146"/>
in Nordamerika, besonders im Mississippithal, wo sie 16 Bischöfe hat, welche 360,000 Franken für die Bedürfnisse ihrer Sprengel erhalten. Sie gründen in allen Sprengeln Seminare, Nonnenklöster, schicken Missionäre zu den Indiern und bekehren vor Allem Mitglieder der hundert protestantischen Secten, welche sich in Amerika durchkreuzen. Ihr Erfolg dort ist nicht zweifelhaft, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß die großen Staaten, welche sich im Thale des Mississippi erheben, in nicht sehr langer Zeit katholisch seyn werden. Die Folge wird zeigen, ob der neue katholische Eifer eine Wohlthat seyn wird. Die Missionen rechnen mit Zuversicht auf eine fast ungemessene Ausdehnung ihrer Hülfsmittel und ihrer Thätigkeit, und man kann sich eine Vorstellung von dem Einfluß machen, den sie schon jetzt ausüben, wenn man sieht, daß sie schon jetzt über 60 Bischöfe in ihrem Clerus besitzen.</p><lb/>
          <p>Ich glaube nicht, daß die Propaganda zur Zeit ihrer größten Blüthe viel mehr Hülfsmittel hatte, als die gegenwärtigen; aber sie war damals durch bessere Köpfe geleitet als gegenwärtig. Ihre große Gefahr liegt in dem Corporationsgeist und in dem unmäßigen Ehrgeiz, den ihre hierarchische Organisation stimulirt, und der die Interessen der Menschheit denen eines Ordens und einer Kirche nur allzuleicht aufopfert.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 14 Mai.</dateline>
          <p> Die Art des Eindrucks, den die angekündigte Abholung der sterblichen Ueberreste Napoleons von St. Helena im Allgemeinen hervorbrachte, läßt sich schwer bestimmen; sicher ist nur, daß die Wirkung durchaus nicht geräuschvoll war, und nichts weniger als enthusiastischer Freude gleich sah. Die Feinde der Regierung sehen in der Sache nur einen Act der Heuchelei, nur eine grobe List, um das Volk, dessen Gunst sie, heißt es, verscherzt, durch neues Gaukelwerk von neuem zu gewinnen. Die Freunde der Ordnung dagegen, deren starke Seite nie muthvolles Selbstvertrauen war, fürchten Unordnungen für den Tag der feierlichen Rückkehr, und meinen, es sey unklug, den Gährungsstoffen der Gesellschaft eine so hübsche Gelegenheit zum Ausbruch zu geben. Der mittlere Bürger berechnet die Zahl der Fremden, die ein solches Fest nach Paris locken, und den Einfluß, den es überhaupt auf den Handel haben werde. Die jungen Leute sind größtentheils der Ansicht des National: man hätte besser gethan, die kaiserliche Asche in der poetischen Ferne ihres einsamen Exils zu lassen, wohin, wie nach einem geheimnißvollen Mekka die Erinnerung der Völker sich gewendet. St. Helena ist kein nackter und wüster Fels, der unwürdig wäre, ein so heiliges Kleinod zu bewahren. Haben doch die Berichte von der fast immer lenzigen Schönheit dieses Eilandes und der üppigen Fülle seiner Erzeugnisse einst in der Seele des ersten Consuls die Sehnsucht nach seinem Besitze erregt. St. Helena stand vor seiner regen und dem Wunderbaren holden Phantasie wie ein blühender Garten, den sich eine Fee des Oceans mitten im Meere aufgebaut und zur reizendsten Villeggiatura eingerichtet, wo jetzt aber brittische Raub- und Gewinnsucht ihre verhaßte Flagge aufgepflanzt habe. Der altenglische Humor muß etwas von diesen Träumen erfahren und dem Gefangenen darum bewilligt haben, was der Consul einst gewünscht, so daß sie dem großen Kaiser vergönnten, dahin seine Fesseln zu tragen, wohin sein Scepter einst vergebens sich ausgestreckt. Bitter mochte übrigens der Anblick des Oceans für den seyn, den vorzüglich das Meer an der glücklichen Durchführung seiner Plane hinderte; hätte er den Canal mit Erde ausfüllen können, sein Endziel, Englands Demüthigung, wäre ihm vielleicht gelungen, aber das Meer, das unerbittliche Meer, blieb stets der ewige Abgrund, der seine Hoffnungen, wie seine Schiffe verschlang. Sein Staub jedoch, der von all den irdischen Drangsalen und Erniedrigungen nichts mehr fühlt, der mochte immer an dem Orte ruhen, den Camoens dem Geist der Stürme zur Wohnung angewiesen, und wäre eine Stätte am Ufer der Seine nicht der eigene Wunsch des großen Mannes gewesen, ich wüßte keinen gültigen Grund, ihn seinem natürlichen Grabe, dem Grabe, das ihm das Schicksal gegeben, zu entreißen. Daß man die Invaliden, nicht die eherne Schlachtsäule oder den Triumphbogen gewählt, darüber sind gleichfalls Viele ungehalten, und es wird das Für und Wider in Cafés und Estaminets häufig und lebhaft erörtert. Gegen die Säule und den Triumphbogen läßt sich im Grunde nichts Erhebliches einwenden, aber es scheint mir ein angemessenerer Gedanke, die Gebeine des Mannes, der die Wiedererweckung der Religion zu seinen schönsten Triumphen rechnete, in einer Kirche beizusetzen, die gleichsam ein Pantheon berühmter Helden ist; hier wird er in befreundeter Gesellschaft ruhen; denn auch die Männer der alten Tage, deren Ueberreste in den Grüften dieses Tempels wohnen, würden, wenn sie zu neuem Leben auferständen, ihre Zeit und ihr Banner vergessend, dem Tapfersten der Tapfern, dem Feldherrn der Feldherren ihre gemeinsame Huldigung darbringen. In St. Denis könnten die alten Könige ihn nicht als ihresgleichen ansehen: das Andenken Ludwig XIV dürfte von unverlorenen Eroberungen, von dem Glanze der Künste, und der Umgebung großer Geister reden; Ludwig XI möchte es einfallen, der Gründung von Frankreichs Einheit zu erwähnen, kurz es würde nicht entschieden seyn, ob der Kaiser denn wirklich der erste unter den Königen wäre.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 14 Mai.</dateline>
          <p> Die officielle Ankündigung in Betreff der sterblichen Reste Napoleons hat hier eine Wirkung hervorgebracht, die alle Erwartungen des Ministeriums übertraf. Das Nationalgefühl ist aufgeregt bis in seine abgründlichsten Tiefen, und der große Act der Gerechtigkeit, die Genugthuung, die dem Riesen unseres Jahrhunderts widerfährt und alle edeln Herzen dieses Erdballs erfreuen muß, erscheint den Franzosen als eine locale Privatsache, als eine Rehabilitation ihrer verletzten Nationaleitelkeit, als ein nachträgliches Pflaster für die Wunde von Waterloo! Ihr irrt euch: in der Person des auf St. Helena Geschiedenen wurde nicht Frankreich mißhandelt, sondern die Menschheit, wie auch die Leichenfeier, die jetzt stattfinden wird, keineswegs als eine Niederlage der auswärtigen Mächte zu betrachten ist, sondern als ein Sieg der Menschheit. Dem Lebenden galt der Kampf, nicht dem Todten, und daß man diesen den Franzosen nicht schon längst ausgeliefert hat, das ist nicht die Schuld der europäischen Potentaten, sondern einer kleinen Coterie großbritannischer Fuchsjäger und Stallknechte, die unterdessen den Hals gebrochen oder sich die Kehle abgeschnitten haben, wie z. B. der edle Londonderry, oder auch sonst zu Grunde gingen durch die Macht der Zeit und des Portweins. Wir haben bereits vor vielen Jahren in Deutschland dem großen Kaiser den schuldigen Tribut der Verehrung gezollt, und jetzt haben wir wohl das Recht, die Exaltation der heutigen Huldigungen mit etwas Gemüthsruhe zu betrachten. Aufrichtig gestanden, die Franzosen gebärden sich bei dieser Gelegenheit wie die Kinder, denen man ihr Spielzeug genommen hat und wieder zurückgibt: sobald sie es in Händen haben, werden sie es lachend zerschlagen und mit Füßen treten, und ich sehe schon voraus, wie viel schlechte Witze gerissen werden, wenn die große Procession anlangt mit den Reliquien von St. Helena. Jetzt schwärmen sie, die gutmüthig leichtsinnigen Franzosen. Sie sind mit den Lebenden so unzufrieden, daß sie Gott<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1146/0010] in Nordamerika, besonders im Mississippithal, wo sie 16 Bischöfe hat, welche 360,000 Franken für die Bedürfnisse ihrer Sprengel erhalten. Sie gründen in allen Sprengeln Seminare, Nonnenklöster, schicken Missionäre zu den Indiern und bekehren vor Allem Mitglieder der hundert protestantischen Secten, welche sich in Amerika durchkreuzen. Ihr Erfolg dort ist nicht zweifelhaft, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß die großen Staaten, welche sich im Thale des Mississippi erheben, in nicht sehr langer Zeit katholisch seyn werden. Die Folge wird zeigen, ob der neue katholische Eifer eine Wohlthat seyn wird. Die Missionen rechnen mit Zuversicht auf eine fast ungemessene Ausdehnung ihrer Hülfsmittel und ihrer Thätigkeit, und man kann sich eine Vorstellung von dem Einfluß machen, den sie schon jetzt ausüben, wenn man sieht, daß sie schon jetzt über 60 Bischöfe in ihrem Clerus besitzen. Ich glaube nicht, daß die Propaganda zur Zeit ihrer größten Blüthe viel mehr Hülfsmittel hatte, als die gegenwärtigen; aber sie war damals durch bessere Köpfe geleitet als gegenwärtig. Ihre große Gefahr liegt in dem Corporationsgeist und in dem unmäßigen Ehrgeiz, den ihre hierarchische Organisation stimulirt, und der die Interessen der Menschheit denen eines Ordens und einer Kirche nur allzuleicht aufopfert. Frankreich. _ Paris, 14 Mai. Die Art des Eindrucks, den die angekündigte Abholung der sterblichen Ueberreste Napoleons von St. Helena im Allgemeinen hervorbrachte, läßt sich schwer bestimmen; sicher ist nur, daß die Wirkung durchaus nicht geräuschvoll war, und nichts weniger als enthusiastischer Freude gleich sah. Die Feinde der Regierung sehen in der Sache nur einen Act der Heuchelei, nur eine grobe List, um das Volk, dessen Gunst sie, heißt es, verscherzt, durch neues Gaukelwerk von neuem zu gewinnen. Die Freunde der Ordnung dagegen, deren starke Seite nie muthvolles Selbstvertrauen war, fürchten Unordnungen für den Tag der feierlichen Rückkehr, und meinen, es sey unklug, den Gährungsstoffen der Gesellschaft eine so hübsche Gelegenheit zum Ausbruch zu geben. Der mittlere Bürger berechnet die Zahl der Fremden, die ein solches Fest nach Paris locken, und den Einfluß, den es überhaupt auf den Handel haben werde. Die jungen Leute sind größtentheils der Ansicht des National: man hätte besser gethan, die kaiserliche Asche in der poetischen Ferne ihres einsamen Exils zu lassen, wohin, wie nach einem geheimnißvollen Mekka die Erinnerung der Völker sich gewendet. St. Helena ist kein nackter und wüster Fels, der unwürdig wäre, ein so heiliges Kleinod zu bewahren. Haben doch die Berichte von der fast immer lenzigen Schönheit dieses Eilandes und der üppigen Fülle seiner Erzeugnisse einst in der Seele des ersten Consuls die Sehnsucht nach seinem Besitze erregt. St. Helena stand vor seiner regen und dem Wunderbaren holden Phantasie wie ein blühender Garten, den sich eine Fee des Oceans mitten im Meere aufgebaut und zur reizendsten Villeggiatura eingerichtet, wo jetzt aber brittische Raub- und Gewinnsucht ihre verhaßte Flagge aufgepflanzt habe. Der altenglische Humor muß etwas von diesen Träumen erfahren und dem Gefangenen darum bewilligt haben, was der Consul einst gewünscht, so daß sie dem großen Kaiser vergönnten, dahin seine Fesseln zu tragen, wohin sein Scepter einst vergebens sich ausgestreckt. Bitter mochte übrigens der Anblick des Oceans für den seyn, den vorzüglich das Meer an der glücklichen Durchführung seiner Plane hinderte; hätte er den Canal mit Erde ausfüllen können, sein Endziel, Englands Demüthigung, wäre ihm vielleicht gelungen, aber das Meer, das unerbittliche Meer, blieb stets der ewige Abgrund, der seine Hoffnungen, wie seine Schiffe verschlang. Sein Staub jedoch, der von all den irdischen Drangsalen und Erniedrigungen nichts mehr fühlt, der mochte immer an dem Orte ruhen, den Camoens dem Geist der Stürme zur Wohnung angewiesen, und wäre eine Stätte am Ufer der Seine nicht der eigene Wunsch des großen Mannes gewesen, ich wüßte keinen gültigen Grund, ihn seinem natürlichen Grabe, dem Grabe, das ihm das Schicksal gegeben, zu entreißen. Daß man die Invaliden, nicht die eherne Schlachtsäule oder den Triumphbogen gewählt, darüber sind gleichfalls Viele ungehalten, und es wird das Für und Wider in Cafés und Estaminets häufig und lebhaft erörtert. Gegen die Säule und den Triumphbogen läßt sich im Grunde nichts Erhebliches einwenden, aber es scheint mir ein angemessenerer Gedanke, die Gebeine des Mannes, der die Wiedererweckung der Religion zu seinen schönsten Triumphen rechnete, in einer Kirche beizusetzen, die gleichsam ein Pantheon berühmter Helden ist; hier wird er in befreundeter Gesellschaft ruhen; denn auch die Männer der alten Tage, deren Ueberreste in den Grüften dieses Tempels wohnen, würden, wenn sie zu neuem Leben auferständen, ihre Zeit und ihr Banner vergessend, dem Tapfersten der Tapfern, dem Feldherrn der Feldherren ihre gemeinsame Huldigung darbringen. In St. Denis könnten die alten Könige ihn nicht als ihresgleichen ansehen: das Andenken Ludwig XIV dürfte von unverlorenen Eroberungen, von dem Glanze der Künste, und der Umgebung großer Geister reden; Ludwig XI möchte es einfallen, der Gründung von Frankreichs Einheit zu erwähnen, kurz es würde nicht entschieden seyn, ob der Kaiser denn wirklich der erste unter den Königen wäre. _ Paris, 14 Mai. Die officielle Ankündigung in Betreff der sterblichen Reste Napoleons hat hier eine Wirkung hervorgebracht, die alle Erwartungen des Ministeriums übertraf. Das Nationalgefühl ist aufgeregt bis in seine abgründlichsten Tiefen, und der große Act der Gerechtigkeit, die Genugthuung, die dem Riesen unseres Jahrhunderts widerfährt und alle edeln Herzen dieses Erdballs erfreuen muß, erscheint den Franzosen als eine locale Privatsache, als eine Rehabilitation ihrer verletzten Nationaleitelkeit, als ein nachträgliches Pflaster für die Wunde von Waterloo! Ihr irrt euch: in der Person des auf St. Helena Geschiedenen wurde nicht Frankreich mißhandelt, sondern die Menschheit, wie auch die Leichenfeier, die jetzt stattfinden wird, keineswegs als eine Niederlage der auswärtigen Mächte zu betrachten ist, sondern als ein Sieg der Menschheit. Dem Lebenden galt der Kampf, nicht dem Todten, und daß man diesen den Franzosen nicht schon längst ausgeliefert hat, das ist nicht die Schuld der europäischen Potentaten, sondern einer kleinen Coterie großbritannischer Fuchsjäger und Stallknechte, die unterdessen den Hals gebrochen oder sich die Kehle abgeschnitten haben, wie z. B. der edle Londonderry, oder auch sonst zu Grunde gingen durch die Macht der Zeit und des Portweins. Wir haben bereits vor vielen Jahren in Deutschland dem großen Kaiser den schuldigen Tribut der Verehrung gezollt, und jetzt haben wir wohl das Recht, die Exaltation der heutigen Huldigungen mit etwas Gemüthsruhe zu betrachten. Aufrichtig gestanden, die Franzosen gebärden sich bei dieser Gelegenheit wie die Kinder, denen man ihr Spielzeug genommen hat und wieder zurückgibt: sobald sie es in Händen haben, werden sie es lachend zerschlagen und mit Füßen treten, und ich sehe schon voraus, wie viel schlechte Witze gerissen werden, wenn die große Procession anlangt mit den Reliquien von St. Helena. Jetzt schwärmen sie, die gutmüthig leichtsinnigen Franzosen. Sie sind mit den Lebenden so unzufrieden, daß sie Gott

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_144_18400523
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_144_18400523/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 144. Augsburg, 23. Mai 1840, S. 1146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_144_18400523/10>, abgerufen am 03.12.2024.