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Allgemeine Zeitung. Nr. 146. Augsburg, 25. Mai 1840.

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Daß wir uns bessern, daß wir aller Selbstsucht entsagen, daß wir kirchlich und politisch einig seyn sollen, gleich unsern Nachbarn in Osten und Westen, wissen wir schon lange. Man hat es uns schon vor dreihundert Jahren gesagt und wiederholt es fast täglich in den Zeitungen und Flugschriften. Aber wer nennt uns das Heilmittel und seine Anwendung? Hic labor ille domus, et inextricabilis error.

Holländische Ansichten.

(Beschluß.)

An keinen Staat knüpfen sich für Holland so alte innige Erinnerungen als an England: der gemeinschaftliche Protestantismus, die Religionskriege, die antifranzösischen Allianzen, besonders Wilhelms III Doppelreich, woran noch heute in England und Irland die orangistische Standarte mahnt. Holländische Familien kamen in England zu hohen Ehren, englische in Holland. Hier gab es auch Jahrhunderte hindurch berühmte eingeborne Namen, wie die Fagel, Tuyll, Dedel, Boreel, die, obgleich gute Patrioten, immer als die Repräsentanten der englischen Allianz betrachtet wurden. Doch alle diese Verbindungen waren torystisch, und sind durch die französische Revolution fast gänzlich unterbrochen worden. Auch gab es zu jeder Zeit nicht wenige Ursachen der Abneigung: die lange Rivalität zur See und in den Colonien, der aristokratische Hochmuth der Engländer gegenüber dem republicanischen der Holländer, endlich die Demüthigung der letztern in der französischen Zeit. Die Gründung des Königreichs der Niederlande sahen die Engländer bekanntlich ganz als ihr Werk an. Gewiß, wenn auch aus eigenem Interesse, haben sie die stärkste Hand dabei angelegt. Aber die Holländer sehen ihre eigene Wiedergeburt als ihr Werk an, die Erwerbung Belgiens als eine Entschädigung für verlorne Colonien, besonders für das Cap und Theile von Surinam; so war die Dankbarkeit nie ganz klar und aufrichtig. Seit 1830 und der Whigverwaltung ist aber der letzte Funke von Sympathie für England erloschen, Lord Palmerston ist die wahre bete noire der Holländer, und die belgische Krone, die sie doch selbst nicht mehr wollen, und die für das Cabinet von St. James die einzige und letzte Auskunft war, ist in ihren Augen ein schadenfrohes Werk des neidischen Albion.

Ganz anders ist es mit den Franzosen. Sie haben überall, wo nur einmal das Panier ihrer Revolution siegreich gestanden hat, ein dreifaches unverwüstliches Vorurtheil zu ihren Gunsten hinterlassen. Da man sich nichts Gutes zu ihnen versieht, so betrachtet man das, was sie einem in der Uebermacht lassen, als baaren Gewinn; wo sie nehmen, thun sie es als Herrscher mit gutem Anstand, gerade im Gegensatz zu den Holländern, die oft et dona ferentes undelicat und plump sind. Endlich aber hat das nivellirende Princip der Revolution überall eine Classe von Bürgern erschaffen oder zum ersten Rang erhoben, die, als neue Eigenthümer, Advocaten, Notare, Büralisten, Commis und Speculanten, an Zahl und Einfluß mächtig, ihrem Ursprung dankbar, den niedern Classen als Stütze zugleich und als Muster, wie weit man es bringen könne, vorleuchten - während der stille Bürger, der in Friedenszeiten sogenannte Wohldenkende, gelernt hat, dergleichen Katastrophen, so man Revolutionen und Restaurationen nennt, gleich Ungewittern mit dem Hut in der Hand über dem Kopf hinwegziehen zu lassen. Es ist oben schon angedeutet, in welchem Stücke die französische Revolution auf Holland stärker als auf Belgien eingewirkt hat. Doch schon ehe die alte Republik in diese neue praktische Schule einging, war französischem Einfluß auf die Bildung der höhern Stände vorgearbeitet. Als Sprache des allgemeinen Verkehrs war die französische immer in Holland nöthiger, daher auch verbreiteter und besser gesprochen, als in irgend einem andern Lande; dieß gilt von der burgundischen Zeit bis auf diese Stunde. Aber auch in der Litteratur sind die Franzosen früh als Ideale aufgestellt worden, und besonders hat dem holländischen Geschmack, der von aller Romantik entfernt ist, ihre correcte classische Poesie stets zugesagt. Nach solchem Muster haben die Holländer ihre eigene Sprache früh gefesselt, auf Alexandriner abgerichtet, in Formeln gezwängt und diese wieder in poetische und prosaische abgetheilt, in Rede- und Schriftsprache; die letztere hat später viele fremde, aber eingebürgerte Ausdrücke verbannt, sie durch abstracte mechanische Bildungen ersetzt und endlich sich selbst akademisch festgesetzt. Für den Geschäftsverkehr ist sie durch Bestimmtheit der Worte und Wendungen bequem, aber sie hat alle Jugendfrische verloren und steht darin der flamändischen Mundart nach, die ihre rohe Jugend im Freien fortlebt. - An solche Vorläufer nun konnte nach der Revolution französische Bildung ihre Fäden leicht weiter anknüpfen. Den politischen Umwandlungen folgten französische Centralisation und französisches Recht, zuerst praktisch, dann bildeten sie auch theoretisch eine jüngere Generation heran. In der vaterländischen Geschichte waren die Holländer schon vorher selten viel höher als zu Karl V hinaufgegangen; nun fiel, seit dem Quellenstudium des französischen Rechts, vollends alle Verwandtschaft mit dem großmütterlichen deutschen Reich, alles Interesse an altem Recht in Vergessenheit. Selbst die Aerzte suchten ihre Lehrer in Paris; Ehrgeizige im Civil und Militär gingen durch die polytechnische Schule; von allen Wissenschaften blieb nur die classische Philologie der alten Weise getreu, und sie ist es, die bei dem nationalen Aufschwung der letzten Jahre au ihre andern Schwestern wieder verjüngt hat. Aber die tiefen Spuren bleiben im Recht, in der Verwaltung und - woran man vielleicht am wenigsten denkt - in der Armee. Der Kern des niederländischen Heeres war 1814 natürlich französisch, noch jetzt sind fast alle Stabsofficiere aus dieser Schule; sie haben als Unterthanen des Königs Ludwig oder als vereinigte Franzosen den Ruhm der Napoleon'schen Waffen getheilt; später haben belgische Cameradschaft und belgische Garnisonen noch die Gewohnheiten, Ansichten, ja die Kunstsprache der großen Armee in Uebung erhalten. Gegen die lebhaften Jugenderinnerungen steht Waterloo fast zu vereinzelt, der zehntägige Feldzug zu unbedeutend da. Dazu kommen nun noch seit der belgischen Revolution die beschränkten Aussichten und eben jetzt neue Ersparnisse und Reductionen. Man kann gewiß nicht sagen, daß die Armee französisch gesinnt sey - die Franzosen sind dem Holländer Fremdlinge wie die Deutschen - gewiß gibt es in Holland überhaupt keine französische Partei, aber jener negative Zauber ist unglaublich stark: vom südlichen Nachbar wußte man stets, was zu erwarten war; für ihn spricht die ehrliche Feindschaft, während bei den östlichen Bundesgenossen die kalte Freundschaft erbittert.

Dieß führt uns zu den Deutschen, die wir bis zum Ende verspart haben, wenn auch im Sinne der Holländer nicht pour la bonne bouche. Es ist kaum nöthig zu erwähnen, daß in den Augen der Mehrzahl die Verwandtschaft, ich will nicht sagen Einheit der Nationalität nur auf antiquarischen Phantasien oder theoretischen Wünschen beruht. Aber wenn man, im Vergleich mit der Scheu vor Franzosen und Engländern, die Stimmung gegen die Deutschen fast Verachtung nennen muß, so ist es billig, die gemeinen Vorurtheile, die wohl immer mehr schwinden werden, nach der Natur der Dinge zu beleuchten und auch die Gegenseitigkeit in Anschlag zu bringen. Wie der

Daß wir uns bessern, daß wir aller Selbstsucht entsagen, daß wir kirchlich und politisch einig seyn sollen, gleich unsern Nachbarn in Osten und Westen, wissen wir schon lange. Man hat es uns schon vor dreihundert Jahren gesagt und wiederholt es fast täglich in den Zeitungen und Flugschriften. Aber wer nennt uns das Heilmittel und seine Anwendung? Hic labor ille domus, et inextricabilis error.

Holländische Ansichten.

(Beschluß.)

An keinen Staat knüpfen sich für Holland so alte innige Erinnerungen als an England: der gemeinschaftliche Protestantismus, die Religionskriege, die antifranzösischen Allianzen, besonders Wilhelms III Doppelreich, woran noch heute in England und Irland die orangistische Standarte mahnt. Holländische Familien kamen in England zu hohen Ehren, englische in Holland. Hier gab es auch Jahrhunderte hindurch berühmte eingeborne Namen, wie die Fagel, Tuyll, Dedel, Boreel, die, obgleich gute Patrioten, immer als die Repräsentanten der englischen Allianz betrachtet wurden. Doch alle diese Verbindungen waren torystisch, und sind durch die französische Revolution fast gänzlich unterbrochen worden. Auch gab es zu jeder Zeit nicht wenige Ursachen der Abneigung: die lange Rivalität zur See und in den Colonien, der aristokratische Hochmuth der Engländer gegenüber dem republicanischen der Holländer, endlich die Demüthigung der letztern in der französischen Zeit. Die Gründung des Königreichs der Niederlande sahen die Engländer bekanntlich ganz als ihr Werk an. Gewiß, wenn auch aus eigenem Interesse, haben sie die stärkste Hand dabei angelegt. Aber die Holländer sehen ihre eigene Wiedergeburt als ihr Werk an, die Erwerbung Belgiens als eine Entschädigung für verlorne Colonien, besonders für das Cap und Theile von Surinam; so war die Dankbarkeit nie ganz klar und aufrichtig. Seit 1830 und der Whigverwaltung ist aber der letzte Funke von Sympathie für England erloschen, Lord Palmerston ist die wahre bête noire der Holländer, und die belgische Krone, die sie doch selbst nicht mehr wollen, und die für das Cabinet von St. James die einzige und letzte Auskunft war, ist in ihren Augen ein schadenfrohes Werk des neidischen Albion.

Ganz anders ist es mit den Franzosen. Sie haben überall, wo nur einmal das Panier ihrer Revolution siegreich gestanden hat, ein dreifaches unverwüstliches Vorurtheil zu ihren Gunsten hinterlassen. Da man sich nichts Gutes zu ihnen versieht, so betrachtet man das, was sie einem in der Uebermacht lassen, als baaren Gewinn; wo sie nehmen, thun sie es als Herrscher mit gutem Anstand, gerade im Gegensatz zu den Holländern, die oft et dona ferentes undelicat und plump sind. Endlich aber hat das nivellirende Princip der Revolution überall eine Classe von Bürgern erschaffen oder zum ersten Rang erhoben, die, als neue Eigenthümer, Advocaten, Notare, Büralisten, Commis und Speculanten, an Zahl und Einfluß mächtig, ihrem Ursprung dankbar, den niedern Classen als Stütze zugleich und als Muster, wie weit man es bringen könne, vorleuchten – während der stille Bürger, der in Friedenszeiten sogenannte Wohldenkende, gelernt hat, dergleichen Katastrophen, so man Revolutionen und Restaurationen nennt, gleich Ungewittern mit dem Hut in der Hand über dem Kopf hinwegziehen zu lassen. Es ist oben schon angedeutet, in welchem Stücke die französische Revolution auf Holland stärker als auf Belgien eingewirkt hat. Doch schon ehe die alte Republik in diese neue praktische Schule einging, war französischem Einfluß auf die Bildung der höhern Stände vorgearbeitet. Als Sprache des allgemeinen Verkehrs war die französische immer in Holland nöthiger, daher auch verbreiteter und besser gesprochen, als in irgend einem andern Lande; dieß gilt von der burgundischen Zeit bis auf diese Stunde. Aber auch in der Litteratur sind die Franzosen früh als Ideale aufgestellt worden, und besonders hat dem holländischen Geschmack, der von aller Romantik entfernt ist, ihre correcte classische Poesie stets zugesagt. Nach solchem Muster haben die Holländer ihre eigene Sprache früh gefesselt, auf Alexandriner abgerichtet, in Formeln gezwängt und diese wieder in poetische und prosaische abgetheilt, in Rede- und Schriftsprache; die letztere hat später viele fremde, aber eingebürgerte Ausdrücke verbannt, sie durch abstracte mechanische Bildungen ersetzt und endlich sich selbst akademisch festgesetzt. Für den Geschäftsverkehr ist sie durch Bestimmtheit der Worte und Wendungen bequem, aber sie hat alle Jugendfrische verloren und steht darin der flamändischen Mundart nach, die ihre rohe Jugend im Freien fortlebt. – An solche Vorläufer nun konnte nach der Revolution französische Bildung ihre Fäden leicht weiter anknüpfen. Den politischen Umwandlungen folgten französische Centralisation und französisches Recht, zuerst praktisch, dann bildeten sie auch theoretisch eine jüngere Generation heran. In der vaterländischen Geschichte waren die Holländer schon vorher selten viel höher als zu Karl V hinaufgegangen; nun fiel, seit dem Quellenstudium des französischen Rechts, vollends alle Verwandtschaft mit dem großmütterlichen deutschen Reich, alles Interesse an altem Recht in Vergessenheit. Selbst die Aerzte suchten ihre Lehrer in Paris; Ehrgeizige im Civil und Militär gingen durch die polytechnische Schule; von allen Wissenschaften blieb nur die classische Philologie der alten Weise getreu, und sie ist es, die bei dem nationalen Aufschwung der letzten Jahre au ihre andern Schwestern wieder verjüngt hat. Aber die tiefen Spuren bleiben im Recht, in der Verwaltung und – woran man vielleicht am wenigsten denkt – in der Armee. Der Kern des niederländischen Heeres war 1814 natürlich französisch, noch jetzt sind fast alle Stabsofficiere aus dieser Schule; sie haben als Unterthanen des Königs Ludwig oder als vereinigte Franzosen den Ruhm der Napoleon'schen Waffen getheilt; später haben belgische Cameradschaft und belgische Garnisonen noch die Gewohnheiten, Ansichten, ja die Kunstsprache der großen Armee in Uebung erhalten. Gegen die lebhaften Jugenderinnerungen steht Waterloo fast zu vereinzelt, der zehntägige Feldzug zu unbedeutend da. Dazu kommen nun noch seit der belgischen Revolution die beschränkten Aussichten und eben jetzt neue Ersparnisse und Reductionen. Man kann gewiß nicht sagen, daß die Armee französisch gesinnt sey – die Franzosen sind dem Holländer Fremdlinge wie die Deutschen – gewiß gibt es in Holland überhaupt keine französische Partei, aber jener negative Zauber ist unglaublich stark: vom südlichen Nachbar wußte man stets, was zu erwarten war; für ihn spricht die ehrliche Feindschaft, während bei den östlichen Bundesgenossen die kalte Freundschaft erbittert.

Dieß führt uns zu den Deutschen, die wir bis zum Ende verspart haben, wenn auch im Sinne der Holländer nicht pour la bonne bouche. Es ist kaum nöthig zu erwähnen, daß in den Augen der Mehrzahl die Verwandtschaft, ich will nicht sagen Einheit der Nationalität nur auf antiquarischen Phantasien oder theoretischen Wünschen beruht. Aber wenn man, im Vergleich mit der Scheu vor Franzosen und Engländern, die Stimmung gegen die Deutschen fast Verachtung nennen muß, so ist es billig, die gemeinen Vorurtheile, die wohl immer mehr schwinden werden, nach der Natur der Dinge zu beleuchten und auch die Gegenseitigkeit in Anschlag zu bringen. Wie der

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[1163/0011] Daß wir uns bessern, daß wir aller Selbstsucht entsagen, daß wir kirchlich und politisch einig seyn sollen, gleich unsern Nachbarn in Osten und Westen, wissen wir schon lange. Man hat es uns schon vor dreihundert Jahren gesagt und wiederholt es fast täglich in den Zeitungen und Flugschriften. Aber wer nennt uns das Heilmittel und seine Anwendung? Hic labor ille domus, et inextricabilis error. Holländische Ansichten. (Beschluß.) An keinen Staat knüpfen sich für Holland so alte innige Erinnerungen als an England: der gemeinschaftliche Protestantismus, die Religionskriege, die antifranzösischen Allianzen, besonders Wilhelms III Doppelreich, woran noch heute in England und Irland die orangistische Standarte mahnt. Holländische Familien kamen in England zu hohen Ehren, englische in Holland. Hier gab es auch Jahrhunderte hindurch berühmte eingeborne Namen, wie die Fagel, Tuyll, Dedel, Boreel, die, obgleich gute Patrioten, immer als die Repräsentanten der englischen Allianz betrachtet wurden. Doch alle diese Verbindungen waren torystisch, und sind durch die französische Revolution fast gänzlich unterbrochen worden. Auch gab es zu jeder Zeit nicht wenige Ursachen der Abneigung: die lange Rivalität zur See und in den Colonien, der aristokratische Hochmuth der Engländer gegenüber dem republicanischen der Holländer, endlich die Demüthigung der letztern in der französischen Zeit. Die Gründung des Königreichs der Niederlande sahen die Engländer bekanntlich ganz als ihr Werk an. Gewiß, wenn auch aus eigenem Interesse, haben sie die stärkste Hand dabei angelegt. Aber die Holländer sehen ihre eigene Wiedergeburt als ihr Werk an, die Erwerbung Belgiens als eine Entschädigung für verlorne Colonien, besonders für das Cap und Theile von Surinam; so war die Dankbarkeit nie ganz klar und aufrichtig. Seit 1830 und der Whigverwaltung ist aber der letzte Funke von Sympathie für England erloschen, Lord Palmerston ist die wahre bête noire der Holländer, und die belgische Krone, die sie doch selbst nicht mehr wollen, und die für das Cabinet von St. James die einzige und letzte Auskunft war, ist in ihren Augen ein schadenfrohes Werk des neidischen Albion. Ganz anders ist es mit den Franzosen. Sie haben überall, wo nur einmal das Panier ihrer Revolution siegreich gestanden hat, ein dreifaches unverwüstliches Vorurtheil zu ihren Gunsten hinterlassen. Da man sich nichts Gutes zu ihnen versieht, so betrachtet man das, was sie einem in der Uebermacht lassen, als baaren Gewinn; wo sie nehmen, thun sie es als Herrscher mit gutem Anstand, gerade im Gegensatz zu den Holländern, die oft et dona ferentes undelicat und plump sind. Endlich aber hat das nivellirende Princip der Revolution überall eine Classe von Bürgern erschaffen oder zum ersten Rang erhoben, die, als neue Eigenthümer, Advocaten, Notare, Büralisten, Commis und Speculanten, an Zahl und Einfluß mächtig, ihrem Ursprung dankbar, den niedern Classen als Stütze zugleich und als Muster, wie weit man es bringen könne, vorleuchten – während der stille Bürger, der in Friedenszeiten sogenannte Wohldenkende, gelernt hat, dergleichen Katastrophen, so man Revolutionen und Restaurationen nennt, gleich Ungewittern mit dem Hut in der Hand über dem Kopf hinwegziehen zu lassen. Es ist oben schon angedeutet, in welchem Stücke die französische Revolution auf Holland stärker als auf Belgien eingewirkt hat. Doch schon ehe die alte Republik in diese neue praktische Schule einging, war französischem Einfluß auf die Bildung der höhern Stände vorgearbeitet. Als Sprache des allgemeinen Verkehrs war die französische immer in Holland nöthiger, daher auch verbreiteter und besser gesprochen, als in irgend einem andern Lande; dieß gilt von der burgundischen Zeit bis auf diese Stunde. Aber auch in der Litteratur sind die Franzosen früh als Ideale aufgestellt worden, und besonders hat dem holländischen Geschmack, der von aller Romantik entfernt ist, ihre correcte classische Poesie stets zugesagt. Nach solchem Muster haben die Holländer ihre eigene Sprache früh gefesselt, auf Alexandriner abgerichtet, in Formeln gezwängt und diese wieder in poetische und prosaische abgetheilt, in Rede- und Schriftsprache; die letztere hat später viele fremde, aber eingebürgerte Ausdrücke verbannt, sie durch abstracte mechanische Bildungen ersetzt und endlich sich selbst akademisch festgesetzt. Für den Geschäftsverkehr ist sie durch Bestimmtheit der Worte und Wendungen bequem, aber sie hat alle Jugendfrische verloren und steht darin der flamändischen Mundart nach, die ihre rohe Jugend im Freien fortlebt. – An solche Vorläufer nun konnte nach der Revolution französische Bildung ihre Fäden leicht weiter anknüpfen. Den politischen Umwandlungen folgten französische Centralisation und französisches Recht, zuerst praktisch, dann bildeten sie auch theoretisch eine jüngere Generation heran. In der vaterländischen Geschichte waren die Holländer schon vorher selten viel höher als zu Karl V hinaufgegangen; nun fiel, seit dem Quellenstudium des französischen Rechts, vollends alle Verwandtschaft mit dem großmütterlichen deutschen Reich, alles Interesse an altem Recht in Vergessenheit. Selbst die Aerzte suchten ihre Lehrer in Paris; Ehrgeizige im Civil und Militär gingen durch die polytechnische Schule; von allen Wissenschaften blieb nur die classische Philologie der alten Weise getreu, und sie ist es, die bei dem nationalen Aufschwung der letzten Jahre au ihre andern Schwestern wieder verjüngt hat. Aber die tiefen Spuren bleiben im Recht, in der Verwaltung und – woran man vielleicht am wenigsten denkt – in der Armee. Der Kern des niederländischen Heeres war 1814 natürlich französisch, noch jetzt sind fast alle Stabsofficiere aus dieser Schule; sie haben als Unterthanen des Königs Ludwig oder als vereinigte Franzosen den Ruhm der Napoleon'schen Waffen getheilt; später haben belgische Cameradschaft und belgische Garnisonen noch die Gewohnheiten, Ansichten, ja die Kunstsprache der großen Armee in Uebung erhalten. Gegen die lebhaften Jugenderinnerungen steht Waterloo fast zu vereinzelt, der zehntägige Feldzug zu unbedeutend da. Dazu kommen nun noch seit der belgischen Revolution die beschränkten Aussichten und eben jetzt neue Ersparnisse und Reductionen. Man kann gewiß nicht sagen, daß die Armee französisch gesinnt sey – die Franzosen sind dem Holländer Fremdlinge wie die Deutschen – gewiß gibt es in Holland überhaupt keine französische Partei, aber jener negative Zauber ist unglaublich stark: vom südlichen Nachbar wußte man stets, was zu erwarten war; für ihn spricht die ehrliche Feindschaft, während bei den östlichen Bundesgenossen die kalte Freundschaft erbittert. Dieß führt uns zu den Deutschen, die wir bis zum Ende verspart haben, wenn auch im Sinne der Holländer nicht pour la bonne bouche. Es ist kaum nöthig zu erwähnen, daß in den Augen der Mehrzahl die Verwandtschaft, ich will nicht sagen Einheit der Nationalität nur auf antiquarischen Phantasien oder theoretischen Wünschen beruht. Aber wenn man, im Vergleich mit der Scheu vor Franzosen und Engländern, die Stimmung gegen die Deutschen fast Verachtung nennen muß, so ist es billig, die gemeinen Vorurtheile, die wohl immer mehr schwinden werden, nach der Natur der Dinge zu beleuchten und auch die Gegenseitigkeit in Anschlag zu bringen. Wie der

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 146. Augsburg, 25. Mai 1840, S. 1163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_146_18400525/11>, abgerufen am 21.11.2024.