Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 148. Augsburg, 27. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

sämmtlich um die "Vergiftung der Chinesen", und wundervoll, so abnorm ist das Gewissen dieser Herren gestaltet - es verdiente dieß wohl bei einer neuen Geschichte der Seele bemerkt zu werden - daß es, so lange ihre Freunde das Staatsschiff lenkten, regungslos dalag; kaum hatten aber ihre Gegner das Ruder ergriffen, so geriethen dieselben Gewissen, wie präparirte Froschschenkel zwischen einer galvanischen Säule, in wunderliche Zuckungen.

King. Have you heard the argument? Is there no offence
in't?
Hamlet. No, no, they do but jest, poison in jest; no offence
i'the world.

Der edle Herzog scheint aber freilich nicht bedacht zu haben, daß er selbst durch diese denkwürdigen Worte, welche zwar dem Kundigen nichts Neues sagten, die chinesische Regierung wegen all der Unbill, wegen all der herben Reden in den officiellen Erlassen, worüber er sich so bitter beklagt, rechtfertigt; denn welche Worte wären derb genug, um das Betragen einer Nation zu schildern, die darüber zu Rathe sitzt, wie der Schmuggelhandel erweitert werden könnte, und dieß nicht mit einem gleichgültigen Stoffe, den die Laune eines orientalischen Despoten seinen Unterthanen vorenthält, sondern mit einem, der gleich verderblich ist für den Körper wie für den Geist! Wäre es nicht eine gerechte Nemesis, wenn die dadurch beleidigte und gefährdete Regierung eines großen Volks "Schmach und Schande in Fülle über solch eine Nation gehäuft hätte, wie niemals zuvor geschehen ist in der Weltgeschichte?" Aber, sagt man, einige der Beamten des Kreises Kuang tong wußten doch um den Schmuggelhandel; sie duldeten ihn, bestochen von den fremden Kaufleuten; man kann also nicht behaupten, daß die Regierung des Mittelreichs nicht darum gewußt hätte; diese Regierung hatte also kein Recht, die armen Kaufleute, welche im Vertrauen auf die herkömmliche Bestechlichkeit Contrebande in das Land brachten, der Güter und auf kurze Zeit selbst der Freiheit zu berauben. Diesen Ansichten zufolge wäre es jetzt in England selbst nicht mehr erlaubt, einem Schmuggler das geringste Leid zuzufügen; denn niemals - Earl Stanhope sagte es bei vollem Haus und Niemand hat widersprochen - niemals ward das Schmuggelgeschäft in den vereinigten Reichen in größerer Ausdehnung betrieben, als in diesem Augenblick, und dieß zwar von Personen, welche die höchste Stellung einnehmen in der bürgerlichen Gesellschaft (by persons of the highest rank).

Doch der edle Herzog erkennt sicherlich selbst das Ungegründete der ganzen, zur Rechtfertigung des Kriegs gegen China aufgewendeten blinkenden Rednerei. Unvermeidliche Umstände, hervorgegangen aus der Herrschaft der Engländer in Asien, entsprungen aus dem nothwendigen Entwicklungsgang der Menschheit, haben den Kampf zwischen Großbritannien und China hervorgerufen - das Opiumgeschäft ist bloß die zufällige, freilich aber für England höchst ärgerliche Veranlassung zum Ausbruch des seit längerer Zeit angehäuften Krankheitsstoffes.

Wir können hier nicht umhin, im Namen der chinesischen Historiographie gegen einen Scherz zu protestiren, den sich Lord Melbourne in Betreff der Annalen des Mittelreichs erlaubte. "Das Verbot der Einfuhr des Opiums", bemerkt der edle Lord, "ward erst im Jahr 1796 erlassen, und man wird damit einverstanden seyn, daß für ein Reich, welches seine Geschichte auf vierzigtausend Jahre zurückführt, ein Zeitraum von vierzig Jahren kaum der Erwähnung werth ist." Wir gestehen, daß wir die Logik dieses Satzes auf sich beruhen lassen müssen. Ein wahrer Witz ist, wie ein geistreicher Schriftsteller treffend bemerkt, nichts Anderes als ein geflügeltes Urtheil; wir haben aber bis jetzt dieses Urtheil noch nicht bei den Flügeln erhaschen können. Man begreift nicht, warum ein Staat, wenn seine Geschichte auch wirklich vor vierzigtausend Jahren begonnen hätte, nicht das Recht haben sollte, Aenderungen in seinen Institutionen vorzunehmen, wenn er gestern oder vorgestern, wenn er vor zwanzig oder vierzig Jahren gefunden hat, dieser oder jener Gegenstand, diese oder jene Sitte gereiche seinen Unterthanen zum Nachtheil. Wie ward nicht England in den letzten zehn Jahren nach innen wie nach außen umgestaltet! Niemals hat aber ein chinesischer Geschichtschreiber, der im Lande selbst als solcher geachtet wird, die Historie des Mittelreichs nur auf dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückgeführt. Wohl wissen die abergläubischen Anhänger der Religion der Vernunft (Tao) von zehn Perioden zu erzählen, in welchen Himmel und Erde regierten, die mehrere Hunderttausende von Jahren gedauert hätten; es sind dieß aber keine geschichtlichen, sondern kosmische Zeiträume, deren nach ihrer Ansicht das All bedurfte zu seinem Uebergang von dem Chaos in einen geregelten ruhigen Zustand. Sse ma tsien, der Vater der chinesischen Geschichte, beginnt mit Hoang ti, ohne aber es zu wagen, eine Jahrzahl hinzuzufügen, bestimmend, wann er regiert habe. Erst die spätern systematischen Historiographen des Mittelreichs wollen wissen, daß die Regierung des gelben Herrschers, das heißt Hoang ti zu deutsch, mit dem Jahr 2698 vor unserer Zeitrechnung begonnen habe. Viele Chronisten fangen aber erst mit Jao (2357) an, und erklären geradezu, daß man von den Zeiten vor diesem Herrscher auch nicht eine einzige Thatsache mit Sicherheit angeben könne; mit ihm beginne ja das Annalenbuch (Schu king), wie aus dem nachfolgenden ersten Abschnitt desselben erhellt: "Es wird erzählt, gemäß den Forschungen über den alten Herrscher Jao wird es erzählt, daß er Tugenden ausbreitete, Ehrfurcht, Einsicht, Tüchtigkeit, Gedankentiefe, Ordnung und Ruhe. Seiner Treuherzigkeit, seines freundlichen Ernstes, seiner Selbstbeherrschung und Artigkeit Licht erleuchtete die vier Erden, drang hin gen Oben und Unten. Er verherrlichte die erhabene Tugend in der Befreundung der neunfachen Familie; erglänzte nun die neunfache Familie, so strahlten in Frieden die hundert Geschlechter; leuchteten die hundert Geschlechter, so lebten in Harmonie die zehntausend Lehensträger, und alles Volk erneuerte sich und verharrte in Eintracht." Wie mochte nun der erste Lord der Schatzkammer sich so sehr vergessen, den Chinesen die Albernheit einer vierzigtausendjährigen Geschichte anzudichten!

Vorläufige Nachricht, Moriz Rugendas betreffend. Es wird ohne Zweifel Vielen - sowohl Freunden der Kunst, als des Künstlers - erfreulich seyn zu erfahren, daß mir so eben von Moriz Rugendas eine Auswahl trefflicher Skizzen in Oel zugekommen sind, denen nächstens noch fernere Sendungen folgen sollen. Nach Rugendas' Absicht sollen diese vorläufigen Früchte seiner interessanten Reisen im spanischen Amerika als Material zu einem Seitenstück seines bekannten Prachtwerks über Brasilien dienen, und es ist wohl nicht zu zweifeln, daß er die nöthige Mitwirkung von Verleger, Künstler und Publicum finden werde. Mit den darauf bezüglichen Unterhandlungen beauftragt, hoffe ich bald, nebst der Nachricht von dem glücklichen Resultat derselben, auch ausführlichere Nachrichten über die ganze Sache veröffentlichen zu können. Der diese Sendung begleitende Brief ist leider sehr alt (St. Yago 9 Mai 1839) und sehr kurz. Aus neuern mittelbaren Nachrichten geht nur hervor, daß Rugendas seit einiger Zeit (wahrscheinlich nach einer Expedition ins Innere) wieder in Valparaiso ist - wohl und vielbeschäftigt.

Kassel, 18 Mai 1840.

V. A. Huber.

sämmtlich um die „Vergiftung der Chinesen“, und wundervoll, so abnorm ist das Gewissen dieser Herren gestaltet – es verdiente dieß wohl bei einer neuen Geschichte der Seele bemerkt zu werden – daß es, so lange ihre Freunde das Staatsschiff lenkten, regungslos dalag; kaum hatten aber ihre Gegner das Ruder ergriffen, so geriethen dieselben Gewissen, wie präparirte Froschschenkel zwischen einer galvanischen Säule, in wunderliche Zuckungen.

King. Have you heard the argument? Is there no offence
in't?
Hamlet. No, no, they do but jest, poison in jest; no offence
i'the world.

Der edle Herzog scheint aber freilich nicht bedacht zu haben, daß er selbst durch diese denkwürdigen Worte, welche zwar dem Kundigen nichts Neues sagten, die chinesische Regierung wegen all der Unbill, wegen all der herben Reden in den officiellen Erlassen, worüber er sich so bitter beklagt, rechtfertigt; denn welche Worte wären derb genug, um das Betragen einer Nation zu schildern, die darüber zu Rathe sitzt, wie der Schmuggelhandel erweitert werden könnte, und dieß nicht mit einem gleichgültigen Stoffe, den die Laune eines orientalischen Despoten seinen Unterthanen vorenthält, sondern mit einem, der gleich verderblich ist für den Körper wie für den Geist! Wäre es nicht eine gerechte Nemesis, wenn die dadurch beleidigte und gefährdete Regierung eines großen Volks „Schmach und Schande in Fülle über solch eine Nation gehäuft hätte, wie niemals zuvor geschehen ist in der Weltgeschichte?“ Aber, sagt man, einige der Beamten des Kreises Kuang tong wußten doch um den Schmuggelhandel; sie duldeten ihn, bestochen von den fremden Kaufleuten; man kann also nicht behaupten, daß die Regierung des Mittelreichs nicht darum gewußt hätte; diese Regierung hatte also kein Recht, die armen Kaufleute, welche im Vertrauen auf die herkömmliche Bestechlichkeit Contrebande in das Land brachten, der Güter und auf kurze Zeit selbst der Freiheit zu berauben. Diesen Ansichten zufolge wäre es jetzt in England selbst nicht mehr erlaubt, einem Schmuggler das geringste Leid zuzufügen; denn niemals – Earl Stanhope sagte es bei vollem Haus und Niemand hat widersprochen – niemals ward das Schmuggelgeschäft in den vereinigten Reichen in größerer Ausdehnung betrieben, als in diesem Augenblick, und dieß zwar von Personen, welche die höchste Stellung einnehmen in der bürgerlichen Gesellschaft (by persons of the highest rank).

Doch der edle Herzog erkennt sicherlich selbst das Ungegründete der ganzen, zur Rechtfertigung des Kriegs gegen China aufgewendeten blinkenden Rednerei. Unvermeidliche Umstände, hervorgegangen aus der Herrschaft der Engländer in Asien, entsprungen aus dem nothwendigen Entwicklungsgang der Menschheit, haben den Kampf zwischen Großbritannien und China hervorgerufen – das Opiumgeschäft ist bloß die zufällige, freilich aber für England höchst ärgerliche Veranlassung zum Ausbruch des seit längerer Zeit angehäuften Krankheitsstoffes.

Wir können hier nicht umhin, im Namen der chinesischen Historiographie gegen einen Scherz zu protestiren, den sich Lord Melbourne in Betreff der Annalen des Mittelreichs erlaubte. „Das Verbot der Einfuhr des Opiums“, bemerkt der edle Lord, „ward erst im Jahr 1796 erlassen, und man wird damit einverstanden seyn, daß für ein Reich, welches seine Geschichte auf vierzigtausend Jahre zurückführt, ein Zeitraum von vierzig Jahren kaum der Erwähnung werth ist.“ Wir gestehen, daß wir die Logik dieses Satzes auf sich beruhen lassen müssen. Ein wahrer Witz ist, wie ein geistreicher Schriftsteller treffend bemerkt, nichts Anderes als ein geflügeltes Urtheil; wir haben aber bis jetzt dieses Urtheil noch nicht bei den Flügeln erhaschen können. Man begreift nicht, warum ein Staat, wenn seine Geschichte auch wirklich vor vierzigtausend Jahren begonnen hätte, nicht das Recht haben sollte, Aenderungen in seinen Institutionen vorzunehmen, wenn er gestern oder vorgestern, wenn er vor zwanzig oder vierzig Jahren gefunden hat, dieser oder jener Gegenstand, diese oder jene Sitte gereiche seinen Unterthanen zum Nachtheil. Wie ward nicht England in den letzten zehn Jahren nach innen wie nach außen umgestaltet! Niemals hat aber ein chinesischer Geschichtschreiber, der im Lande selbst als solcher geachtet wird, die Historie des Mittelreichs nur auf dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückgeführt. Wohl wissen die abergläubischen Anhänger der Religion der Vernunft (Tao) von zehn Perioden zu erzählen, in welchen Himmel und Erde regierten, die mehrere Hunderttausende von Jahren gedauert hätten; es sind dieß aber keine geschichtlichen, sondern kosmische Zeiträume, deren nach ihrer Ansicht das All bedurfte zu seinem Uebergang von dem Chaos in einen geregelten ruhigen Zustand. Sse ma tsien, der Vater der chinesischen Geschichte, beginnt mit Hoang ti, ohne aber es zu wagen, eine Jahrzahl hinzuzufügen, bestimmend, wann er regiert habe. Erst die spätern systematischen Historiographen des Mittelreichs wollen wissen, daß die Regierung des gelben Herrschers, das heißt Hoang ti zu deutsch, mit dem Jahr 2698 vor unserer Zeitrechnung begonnen habe. Viele Chronisten fangen aber erst mit Jao (2357) an, und erklären geradezu, daß man von den Zeiten vor diesem Herrscher auch nicht eine einzige Thatsache mit Sicherheit angeben könne; mit ihm beginne ja das Annalenbuch (Schu king), wie aus dem nachfolgenden ersten Abschnitt desselben erhellt: „Es wird erzählt, gemäß den Forschungen über den alten Herrscher Jao wird es erzählt, daß er Tugenden ausbreitete, Ehrfurcht, Einsicht, Tüchtigkeit, Gedankentiefe, Ordnung und Ruhe. Seiner Treuherzigkeit, seines freundlichen Ernstes, seiner Selbstbeherrschung und Artigkeit Licht erleuchtete die vier Erden, drang hin gen Oben und Unten. Er verherrlichte die erhabene Tugend in der Befreundung der neunfachen Familie; erglänzte nun die neunfache Familie, so strahlten in Frieden die hundert Geschlechter; leuchteten die hundert Geschlechter, so lebten in Harmonie die zehntausend Lehensträger, und alles Volk erneuerte sich und verharrte in Eintracht.“ Wie mochte nun der erste Lord der Schatzkammer sich so sehr vergessen, den Chinesen die Albernheit einer vierzigtausendjährigen Geschichte anzudichten!

Vorläufige Nachricht, Moriz Rugendas betreffend. Es wird ohne Zweifel Vielen – sowohl Freunden der Kunst, als des Künstlers – erfreulich seyn zu erfahren, daß mir so eben von Moriz Rugendas eine Auswahl trefflicher Skizzen in Oel zugekommen sind, denen nächstens noch fernere Sendungen folgen sollen. Nach Rugendas' Absicht sollen diese vorläufigen Früchte seiner interessanten Reisen im spanischen Amerika als Material zu einem Seitenstück seines bekannten Prachtwerks über Brasilien dienen, und es ist wohl nicht zu zweifeln, daß er die nöthige Mitwirkung von Verleger, Künstler und Publicum finden werde. Mit den darauf bezüglichen Unterhandlungen beauftragt, hoffe ich bald, nebst der Nachricht von dem glücklichen Resultat derselben, auch ausführlichere Nachrichten über die ganze Sache veröffentlichen zu können. Der diese Sendung begleitende Brief ist leider sehr alt (St. Yago 9 Mai 1839) und sehr kurz. Aus neuern mittelbaren Nachrichten geht nur hervor, daß Rugendas seit einiger Zeit (wahrscheinlich nach einer Expedition ins Innere) wieder in Valparaiso ist – wohl und vielbeschäftigt.

Kassel, 18 Mai 1840.

V. A. Huber.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="1181"/>
sämmtlich um die &#x201E;Vergiftung der Chinesen&#x201C;, und wundervoll, so abnorm ist das Gewissen dieser Herren gestaltet &#x2013; es verdiente dieß wohl bei einer neuen Geschichte der Seele bemerkt zu werden &#x2013; daß es, so lange ihre Freunde das Staatsschiff lenkten, regungslos dalag; kaum hatten aber ihre Gegner das Ruder ergriffen, so geriethen dieselben Gewissen, wie präparirte Froschschenkel zwischen einer galvanischen Säule, in wunderliche Zuckungen.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>King. Have you heard the argument? Is there no offence</l><lb/>
          <l>in't?</l><lb/>
          <l>Hamlet. No, no, they do but jest, poison in jest; no offence</l><lb/>
          <l>i'the world.</l>
        </lg><lb/>
        <p>Der edle Herzog scheint aber freilich nicht bedacht zu haben, daß er selbst durch diese denkwürdigen Worte, welche zwar dem Kundigen nichts Neues sagten, die chinesische Regierung wegen all der Unbill, wegen all der herben Reden in den officiellen Erlassen, worüber er sich so bitter beklagt, rechtfertigt; denn welche Worte wären derb genug, um das Betragen einer Nation zu schildern, die darüber zu Rathe sitzt, wie der Schmuggelhandel erweitert werden könnte, und dieß nicht mit einem gleichgültigen Stoffe, den die Laune eines orientalischen Despoten seinen Unterthanen vorenthält, sondern mit einem, der gleich verderblich ist für den Körper wie für den Geist! Wäre es nicht eine gerechte Nemesis, wenn die dadurch beleidigte und gefährdete Regierung eines großen Volks &#x201E;Schmach und Schande in Fülle über solch eine Nation gehäuft hätte, wie niemals zuvor geschehen ist in der Weltgeschichte?&#x201C; Aber, sagt man, einige der Beamten des Kreises Kuang tong wußten doch um den Schmuggelhandel; sie duldeten ihn, bestochen von den fremden Kaufleuten; man kann also nicht behaupten, daß die Regierung des Mittelreichs nicht darum gewußt hätte; diese Regierung hatte also kein Recht, die armen Kaufleute, welche im Vertrauen auf die herkömmliche Bestechlichkeit Contrebande in das Land brachten, der Güter und auf kurze Zeit selbst der Freiheit zu berauben. Diesen Ansichten zufolge wäre es jetzt in England selbst nicht mehr erlaubt, einem Schmuggler das geringste Leid zuzufügen; denn niemals &#x2013; Earl Stanhope sagte es bei vollem Haus und Niemand hat widersprochen &#x2013; niemals ward das Schmuggelgeschäft in den vereinigten Reichen in größerer Ausdehnung betrieben, als in diesem Augenblick, und dieß zwar von Personen, welche die höchste Stellung einnehmen in der bürgerlichen Gesellschaft (by persons of the highest rank).</p><lb/>
        <p>Doch der edle Herzog erkennt sicherlich selbst das Ungegründete der ganzen, zur Rechtfertigung des Kriegs gegen China aufgewendeten blinkenden Rednerei. Unvermeidliche Umstände, hervorgegangen aus der Herrschaft der Engländer in Asien, entsprungen aus dem nothwendigen Entwicklungsgang der Menschheit, haben den Kampf zwischen Großbritannien und China hervorgerufen &#x2013; das Opiumgeschäft ist bloß die zufällige, freilich aber für England höchst ärgerliche Veranlassung zum Ausbruch des seit längerer Zeit angehäuften Krankheitsstoffes.</p><lb/>
        <p>Wir können hier nicht umhin, im Namen der chinesischen Historiographie gegen einen Scherz zu protestiren, den sich Lord Melbourne in Betreff der Annalen des Mittelreichs erlaubte. &#x201E;Das Verbot der Einfuhr des Opiums&#x201C;, bemerkt der edle Lord, &#x201E;ward erst im Jahr 1796 erlassen, und man wird damit einverstanden seyn, daß für ein Reich, welches seine Geschichte auf <hi rendition="#g">vierzigtausend</hi> Jahre zurückführt, ein Zeitraum von vierzig Jahren kaum der Erwähnung werth ist.&#x201C; Wir gestehen, daß wir die Logik dieses Satzes auf sich beruhen lassen müssen. Ein wahrer Witz ist, wie ein geistreicher Schriftsteller treffend bemerkt, nichts Anderes als ein <hi rendition="#g">geflügeltes</hi> Urtheil; wir haben aber bis jetzt dieses Urtheil noch nicht bei den Flügeln erhaschen können. Man begreift nicht, warum ein Staat, wenn seine Geschichte auch wirklich vor vierzigtausend Jahren begonnen hätte, nicht das Recht haben sollte, Aenderungen in seinen Institutionen vorzunehmen, wenn er gestern oder vorgestern, wenn er vor zwanzig oder vierzig Jahren gefunden hat, dieser oder jener Gegenstand, diese oder jene Sitte gereiche seinen Unterthanen zum Nachtheil. Wie ward nicht England in den letzten zehn Jahren nach innen wie nach außen umgestaltet! Niemals hat aber ein chinesischer Geschichtschreiber, der im Lande selbst als solcher geachtet wird, die Historie des Mittelreichs nur auf dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückgeführt. Wohl wissen die abergläubischen Anhänger der Religion der Vernunft (Tao) von zehn Perioden zu erzählen, in welchen Himmel und Erde regierten, die mehrere Hunderttausende von Jahren gedauert hätten; es sind dieß aber keine geschichtlichen, sondern kosmische Zeiträume, deren nach ihrer Ansicht das All bedurfte zu seinem Uebergang von dem Chaos in einen geregelten ruhigen Zustand. Sse ma tsien, der Vater der chinesischen Geschichte, beginnt mit Hoang ti, ohne aber es zu wagen, eine Jahrzahl hinzuzufügen, bestimmend, wann er regiert habe. Erst die spätern systematischen Historiographen des Mittelreichs wollen wissen, daß die Regierung des <hi rendition="#g">gelben Herrschers</hi>, das heißt <hi rendition="#g">Hoang ti</hi> zu deutsch, mit dem Jahr 2698 vor unserer Zeitrechnung begonnen habe. Viele Chronisten fangen aber erst mit Jao (2357) an, und erklären geradezu, daß man von den Zeiten vor diesem Herrscher auch nicht eine einzige Thatsache mit Sicherheit angeben könne; mit ihm beginne ja das Annalenbuch (Schu king), wie aus dem nachfolgenden ersten Abschnitt desselben erhellt: &#x201E;Es wird erzählt, gemäß den Forschungen über den alten Herrscher <hi rendition="#g">Jao</hi> wird es erzählt, daß er Tugenden ausbreitete, Ehrfurcht, Einsicht, Tüchtigkeit, Gedankentiefe, Ordnung und Ruhe. Seiner Treuherzigkeit, seines freundlichen Ernstes, seiner Selbstbeherrschung und Artigkeit Licht erleuchtete die vier Erden, drang hin gen Oben und Unten. Er verherrlichte die erhabene Tugend in der Befreundung der neunfachen Familie; erglänzte nun die neunfache Familie, so strahlten in Frieden die hundert Geschlechter; leuchteten die hundert Geschlechter, so lebten in Harmonie die zehntausend Lehensträger, und alles Volk erneuerte sich und verharrte in Eintracht.&#x201C; Wie mochte nun der erste Lord der Schatzkammer sich so sehr vergessen, den Chinesen die Albernheit einer vierzigtausendjährigen Geschichte anzudichten!</p><lb/>
        <p>Vorläufige Nachricht, <hi rendition="#b">Moriz Rugendas</hi> betreffend. Es wird ohne Zweifel Vielen &#x2013; sowohl Freunden der Kunst, als des Künstlers &#x2013; erfreulich seyn zu erfahren, daß mir so eben von <hi rendition="#b">Moriz Rugendas</hi> eine Auswahl trefflicher Skizzen in Oel zugekommen sind, denen nächstens noch fernere Sendungen folgen sollen. Nach Rugendas' Absicht sollen diese vorläufigen Früchte seiner interessanten Reisen im spanischen Amerika als Material zu einem Seitenstück seines bekannten Prachtwerks über Brasilien dienen, und es ist wohl nicht zu zweifeln, daß er die nöthige Mitwirkung von Verleger, Künstler und Publicum finden werde. Mit den darauf bezüglichen Unterhandlungen beauftragt, hoffe ich bald, nebst der Nachricht von dem glücklichen Resultat derselben, auch ausführlichere Nachrichten über die ganze Sache veröffentlichen zu können. Der diese Sendung begleitende Brief ist leider sehr alt (St. Yago 9 Mai 1839) und sehr kurz. Aus neuern <hi rendition="#g">mittelbaren</hi> Nachrichten geht nur hervor, daß Rugendas seit einiger Zeit (wahrscheinlich nach einer Expedition ins Innere) wieder in Valparaiso ist &#x2013; wohl und vielbeschäftigt.</p><lb/>
        <p>Kassel, 18 Mai 1840.</p><lb/>
        <p>V. A. Huber.</p>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1181/0013] sämmtlich um die „Vergiftung der Chinesen“, und wundervoll, so abnorm ist das Gewissen dieser Herren gestaltet – es verdiente dieß wohl bei einer neuen Geschichte der Seele bemerkt zu werden – daß es, so lange ihre Freunde das Staatsschiff lenkten, regungslos dalag; kaum hatten aber ihre Gegner das Ruder ergriffen, so geriethen dieselben Gewissen, wie präparirte Froschschenkel zwischen einer galvanischen Säule, in wunderliche Zuckungen. King. Have you heard the argument? Is there no offence in't? Hamlet. No, no, they do but jest, poison in jest; no offence i'the world. Der edle Herzog scheint aber freilich nicht bedacht zu haben, daß er selbst durch diese denkwürdigen Worte, welche zwar dem Kundigen nichts Neues sagten, die chinesische Regierung wegen all der Unbill, wegen all der herben Reden in den officiellen Erlassen, worüber er sich so bitter beklagt, rechtfertigt; denn welche Worte wären derb genug, um das Betragen einer Nation zu schildern, die darüber zu Rathe sitzt, wie der Schmuggelhandel erweitert werden könnte, und dieß nicht mit einem gleichgültigen Stoffe, den die Laune eines orientalischen Despoten seinen Unterthanen vorenthält, sondern mit einem, der gleich verderblich ist für den Körper wie für den Geist! Wäre es nicht eine gerechte Nemesis, wenn die dadurch beleidigte und gefährdete Regierung eines großen Volks „Schmach und Schande in Fülle über solch eine Nation gehäuft hätte, wie niemals zuvor geschehen ist in der Weltgeschichte?“ Aber, sagt man, einige der Beamten des Kreises Kuang tong wußten doch um den Schmuggelhandel; sie duldeten ihn, bestochen von den fremden Kaufleuten; man kann also nicht behaupten, daß die Regierung des Mittelreichs nicht darum gewußt hätte; diese Regierung hatte also kein Recht, die armen Kaufleute, welche im Vertrauen auf die herkömmliche Bestechlichkeit Contrebande in das Land brachten, der Güter und auf kurze Zeit selbst der Freiheit zu berauben. Diesen Ansichten zufolge wäre es jetzt in England selbst nicht mehr erlaubt, einem Schmuggler das geringste Leid zuzufügen; denn niemals – Earl Stanhope sagte es bei vollem Haus und Niemand hat widersprochen – niemals ward das Schmuggelgeschäft in den vereinigten Reichen in größerer Ausdehnung betrieben, als in diesem Augenblick, und dieß zwar von Personen, welche die höchste Stellung einnehmen in der bürgerlichen Gesellschaft (by persons of the highest rank). Doch der edle Herzog erkennt sicherlich selbst das Ungegründete der ganzen, zur Rechtfertigung des Kriegs gegen China aufgewendeten blinkenden Rednerei. Unvermeidliche Umstände, hervorgegangen aus der Herrschaft der Engländer in Asien, entsprungen aus dem nothwendigen Entwicklungsgang der Menschheit, haben den Kampf zwischen Großbritannien und China hervorgerufen – das Opiumgeschäft ist bloß die zufällige, freilich aber für England höchst ärgerliche Veranlassung zum Ausbruch des seit längerer Zeit angehäuften Krankheitsstoffes. Wir können hier nicht umhin, im Namen der chinesischen Historiographie gegen einen Scherz zu protestiren, den sich Lord Melbourne in Betreff der Annalen des Mittelreichs erlaubte. „Das Verbot der Einfuhr des Opiums“, bemerkt der edle Lord, „ward erst im Jahr 1796 erlassen, und man wird damit einverstanden seyn, daß für ein Reich, welches seine Geschichte auf vierzigtausend Jahre zurückführt, ein Zeitraum von vierzig Jahren kaum der Erwähnung werth ist.“ Wir gestehen, daß wir die Logik dieses Satzes auf sich beruhen lassen müssen. Ein wahrer Witz ist, wie ein geistreicher Schriftsteller treffend bemerkt, nichts Anderes als ein geflügeltes Urtheil; wir haben aber bis jetzt dieses Urtheil noch nicht bei den Flügeln erhaschen können. Man begreift nicht, warum ein Staat, wenn seine Geschichte auch wirklich vor vierzigtausend Jahren begonnen hätte, nicht das Recht haben sollte, Aenderungen in seinen Institutionen vorzunehmen, wenn er gestern oder vorgestern, wenn er vor zwanzig oder vierzig Jahren gefunden hat, dieser oder jener Gegenstand, diese oder jene Sitte gereiche seinen Unterthanen zum Nachtheil. Wie ward nicht England in den letzten zehn Jahren nach innen wie nach außen umgestaltet! Niemals hat aber ein chinesischer Geschichtschreiber, der im Lande selbst als solcher geachtet wird, die Historie des Mittelreichs nur auf dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückgeführt. Wohl wissen die abergläubischen Anhänger der Religion der Vernunft (Tao) von zehn Perioden zu erzählen, in welchen Himmel und Erde regierten, die mehrere Hunderttausende von Jahren gedauert hätten; es sind dieß aber keine geschichtlichen, sondern kosmische Zeiträume, deren nach ihrer Ansicht das All bedurfte zu seinem Uebergang von dem Chaos in einen geregelten ruhigen Zustand. Sse ma tsien, der Vater der chinesischen Geschichte, beginnt mit Hoang ti, ohne aber es zu wagen, eine Jahrzahl hinzuzufügen, bestimmend, wann er regiert habe. Erst die spätern systematischen Historiographen des Mittelreichs wollen wissen, daß die Regierung des gelben Herrschers, das heißt Hoang ti zu deutsch, mit dem Jahr 2698 vor unserer Zeitrechnung begonnen habe. Viele Chronisten fangen aber erst mit Jao (2357) an, und erklären geradezu, daß man von den Zeiten vor diesem Herrscher auch nicht eine einzige Thatsache mit Sicherheit angeben könne; mit ihm beginne ja das Annalenbuch (Schu king), wie aus dem nachfolgenden ersten Abschnitt desselben erhellt: „Es wird erzählt, gemäß den Forschungen über den alten Herrscher Jao wird es erzählt, daß er Tugenden ausbreitete, Ehrfurcht, Einsicht, Tüchtigkeit, Gedankentiefe, Ordnung und Ruhe. Seiner Treuherzigkeit, seines freundlichen Ernstes, seiner Selbstbeherrschung und Artigkeit Licht erleuchtete die vier Erden, drang hin gen Oben und Unten. Er verherrlichte die erhabene Tugend in der Befreundung der neunfachen Familie; erglänzte nun die neunfache Familie, so strahlten in Frieden die hundert Geschlechter; leuchteten die hundert Geschlechter, so lebten in Harmonie die zehntausend Lehensträger, und alles Volk erneuerte sich und verharrte in Eintracht.“ Wie mochte nun der erste Lord der Schatzkammer sich so sehr vergessen, den Chinesen die Albernheit einer vierzigtausendjährigen Geschichte anzudichten! Vorläufige Nachricht, Moriz Rugendas betreffend. Es wird ohne Zweifel Vielen – sowohl Freunden der Kunst, als des Künstlers – erfreulich seyn zu erfahren, daß mir so eben von Moriz Rugendas eine Auswahl trefflicher Skizzen in Oel zugekommen sind, denen nächstens noch fernere Sendungen folgen sollen. Nach Rugendas' Absicht sollen diese vorläufigen Früchte seiner interessanten Reisen im spanischen Amerika als Material zu einem Seitenstück seines bekannten Prachtwerks über Brasilien dienen, und es ist wohl nicht zu zweifeln, daß er die nöthige Mitwirkung von Verleger, Künstler und Publicum finden werde. Mit den darauf bezüglichen Unterhandlungen beauftragt, hoffe ich bald, nebst der Nachricht von dem glücklichen Resultat derselben, auch ausführlichere Nachrichten über die ganze Sache veröffentlichen zu können. Der diese Sendung begleitende Brief ist leider sehr alt (St. Yago 9 Mai 1839) und sehr kurz. Aus neuern mittelbaren Nachrichten geht nur hervor, daß Rugendas seit einiger Zeit (wahrscheinlich nach einer Expedition ins Innere) wieder in Valparaiso ist – wohl und vielbeschäftigt. Kassel, 18 Mai 1840. V. A. Huber.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_148_18400527
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_148_18400527/13
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 148. Augsburg, 27. Mai 1840, S. 1181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_148_18400527/13>, abgerufen am 21.11.2024.