Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 157. Augsburg, 5. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

würde. Sollte die Frage verworfen werden, so wird sie im nächsten Jahr und so lange immer wieder auftauchen, bis sie gesiegt hat." Nach Hrn. Thiers hielt noch Hr. Persil eine Rede gegen die Maaßregel. Der Präsident fordert dann die Kammer zur Abstimmung auf, wobei er ihr jedoch bemerklich macht, daß dieses Votum durchaus kein Präjudiz in Betreff des Princips des Gesetzes enthalten dürfe, und daß in jedem Fall das Recht reservirt bleiben müßte. Die Kammer verwarf nun den Entwurf mit 101 schwarzen gegen 46 weiße Kugeln.

Charakteristisch ist die leidenschaftliche Bewegung der französischen Naturen gegen einander, seitdem der Vorschlag der Einholung der Gebeine Napoleons aufs Tapet gebracht worden. Die Gazette de France erschaut das Ideal eines Napoleon im Marquis oder Duc de Bonaparte, Erbmarschall von Frankreich unter Ludwig XVIII. Warum nicht - so wie Karl der Große Erbmarschall von Frankenland unter einem Merovingerfürsten. Solche Narrheiten sollen sublime Principien seyn. Aber so handelt und richtet nicht Gott in der Weltgeschichte. Nun fährt die Gazette in den Thorheiten, und man darf sagen Schamlosigkeiten von 1814 fort. Den Kaiser zu hassen und zu bekämpfen war edler Naturen nur zu große Pflicht, aber den erlegenen zu beschimpfen, nachdem man ihm Jahre lang gehorcht hatte, das konnte nur die Gemeinheit oder die rohe Leidenschaft. Courrier und Siecle dagegen suchen Napoleon zu vergöttern und ihn dem Höchsten, was das Christenthum kennt, gleichzustellen. Wer so etwas schreiben kann, der muß durch gemachten Enthusiasmus vollkommen verschroben seyn. Solche Excentricitäten aber hört man nirgends im Volk, das keineswegs seinen Napoleon in eine Art propagandistischen Mahomed zu verwandeln gesonnen ist. Es ist Schade, daß man in der Deputirtenkammer nicht einen mündigeren Geist gefunden zum Berichterstatter als den Marschall Clauzel, welcher Alles nur als Soldat betrachtet. Wäre Thiers als simpler Deputirter noch in der Kammer gesessen, so wäre er ohne Zweifel der tauglichste dazu gewesen. Es handelte sich nicht um ein Abwägen der Tugenden und der Fehler, der großen Thaten und der kleinen Handlungen Napoleons; es handelte sich weder um seine Vergötterung, noch um seine Zerreißung, sondern um ein gewaltiges Interesse der Nationalehre, des Nationalstolzes. So hätte ein Mann das Wort führen sollen mit positiver Erklärung, daß Napoleon nicht der Bonapartismus sey, sondern die Nationalgröße des französischen demokratischen Heldenthums, die verkörperte Ilias der modernen Franzosen. Es ist nicht wahr, was die republicanischen und besonders die ultrademokratischen Blätter behaupten, daß Napoleon in Europa allein Könige und Aristokraten bekämpfte - er der überall Könige und Aristokraten buck und schuf, und einen ganzen feodalen Teig aus den demokratischen Elementen zusammenkneten wollte. Napoleon wollte das gesammte europäische Ausland vor seiner Macht und Herrlichkeit zu Boden strecken, als Weltkaiser da stehen, zu seiner persönlichen Glorie. Wer das nicht versteht, der versteht nichts von diesem großen heroischen, aber durch und durch italienischen Mathematikus auf dem Throne.

Zum zweitenmal hat die Pairskammer die Rentenconversion verworfen; man war darauf gefaßt, und selbst die Rede des Ministerpräsidenten ließ diese Ueberzeugung durchblicken. Die Pairskammer hat gethan, was sie ihres Amtes glaubte, die öffentliche Meinung wird ihrerseits thun, was sie für Recht hält. Es gibt Wahrheiten, die in dem Maaße augenscheinlicher und unvermeidlicher werden, je mehr sie Widerspruch finden. Nachdem man die Redner in der Pairskammer, unter Andern Hrn. Persil, gegen die Conversion vernommen, ist man von der Ueberzeugung durchdrungen, daß mit diesem verneinenden Beschluß nur eine kurze Frist gewonnen ist. Nächstes Jahr, und, sollte es nothwendig seyn, die folgenden, wird das Gesetz in der Deputirtenkammer von neuem votirt werden; wird die Pairskammer ewig eine parteiische Opposition bilden wollen? Die Sitzung war glänzend und ehrenvoll für Hrn. Thiers, der den Gegenstand, namentlich von seiner interessantesten Seite, der historischen, mit einer Sicherheit und Klarheit beleuchtet hat, die dem erfahrensten Finanzmanne zur Ehre gereicht hätte. Hr. Thiers wußte, was Hr. Roy, selbst da er Minister war, nicht wußte: den Inhalt und den wahren Charakter der berüchtigten Rede von Cambon. Uebrigens haben wir kaum Zeit, uns um so unbedeutende Dinge zu bekümmern, als die Rentenconversion; müssen wir nicht der großen Subscription zu Gunsten der Asche Napoleons folgen, und die widersprechendsten Meinungen über deren Gelingen oder Fehlschlagen anhören? Wer wird uns von all den prächtigen Invocationen und Widmungen befreien! Auch ein angenehmer und ergötzlicher Puff hat sich in die patriotischen Listen eingeschlichen, wie denn überhaupt die Industrie und die Eitelkeit selten die letzten sind in den hiesigen öffentlichen Demonstrationen. Die Besucher der Pariser Concerte werden längst schon ein Original der sonderbarsten Art bemerkt haben, einen Musiker mit ziemlich scharf ausgeprägten Zügen, voll Beweglichkeit, sehr laut, und seinem Enthusiasmus stets in fremden Mundarten, auf italienisch, spanisch etc. Luft gebend. Es ist Mr. Boucher, le violon. Dieser selbige Boucher nun hatte im Capitole seinen Beitrag zum Monument des großen Mannes geliefert und seinen Namen wie die Andern unterzeichnet. Am andern Tage aber brachte er dem Capitole, und dieses druckte wirklich folgende Notiz, unter dem Vorwande eines Erratums; der Ausdruck ist vortrefflich gewählt: Mr. Alexandre Boucher, ancien soldat de la republique, volontaire a Jemappes et a Valmy, est le violon celebre qui fut depuis directeur de musique en plusieurs cours, et celui dont l'Europe n'a pas moins admire les talens que sa fortuite et heureuse ressemblance a Napoleon auquel on sait qu'il fit offeir d'aller a Sainte-Helene a sa place. ... Mich wundert nur, daß der Doppelgänger des Kaisers seine Adresse nicht beigesetzt hat.

Vor einigen Tagen ging das Eigenthum des Journals le Commerce durch Verkauf an eine andere Gesellschaft über, an deren Spitze ein Hr. Mocquart steht. Dieser, im mittäglichen Frankreich geboren, war früher Advocat, dann Unterpräfect, zog sich unter dem Ministerium Mole zurück, und suchte später Präfect zu werden. Seinen politischen Ansichten nach gehört er dem linken Centrum an, und man glaubt, er suche an der Spitze dieses Blattes, nach dem Beispiel des Hrn. Bertin de Vaux vom Journal des Debats und des Hrn. Chambolle vom Siecle, sich den Weg zur Deputirtenkammer zu bahnen. Auch will er in ein paar Monaten als Gerant und Hauptredacteur auftreten. Der National machte gestern den neuen Eigenthümern des Commerce den Vorwurf, für die Folge ein Organ des Bonapartismus zu bilden, was heute von ihnen in schwachen Ausdrücken bestritten wird. Zugleich kündigt das heutige Blatt den Austritt des bisherigen Hauptredacteurs, Hrn. Lesseps, an, der durch einen Wortwechsel mit Hrn. Mocquart über den Inhalt der Antwort auf die Beschuldigung des National veranlaßt wurde. Auf jeden Fall hört die bisherige Verbindung des Deputirten Hrn. Mauguin mit dem Commerce auf, bei welchem er als Actienbesitzer betheiligt war. Die hier abgefaßte auswärtige Correspondenz desselben Blattes wird aber, dem Vernehmen

würde. Sollte die Frage verworfen werden, so wird sie im nächsten Jahr und so lange immer wieder auftauchen, bis sie gesiegt hat.“ Nach Hrn. Thiers hielt noch Hr. Persil eine Rede gegen die Maaßregel. Der Präsident fordert dann die Kammer zur Abstimmung auf, wobei er ihr jedoch bemerklich macht, daß dieses Votum durchaus kein Präjudiz in Betreff des Princips des Gesetzes enthalten dürfe, und daß in jedem Fall das Recht reservirt bleiben müßte. Die Kammer verwarf nun den Entwurf mit 101 schwarzen gegen 46 weiße Kugeln.

Charakteristisch ist die leidenschaftliche Bewegung der französischen Naturen gegen einander, seitdem der Vorschlag der Einholung der Gebeine Napoleons aufs Tapet gebracht worden. Die Gazette de France erschaut das Ideal eines Napoleon im Marquis oder Duc de Bonaparte, Erbmarschall von Frankreich unter Ludwig XVIII. Warum nicht – so wie Karl der Große Erbmarschall von Frankenland unter einem Merovingerfürsten. Solche Narrheiten sollen sublime Principien seyn. Aber so handelt und richtet nicht Gott in der Weltgeschichte. Nun fährt die Gazette in den Thorheiten, und man darf sagen Schamlosigkeiten von 1814 fort. Den Kaiser zu hassen und zu bekämpfen war edler Naturen nur zu große Pflicht, aber den erlegenen zu beschimpfen, nachdem man ihm Jahre lang gehorcht hatte, das konnte nur die Gemeinheit oder die rohe Leidenschaft. Courrier und Siècle dagegen suchen Napoleon zu vergöttern und ihn dem Höchsten, was das Christenthum kennt, gleichzustellen. Wer so etwas schreiben kann, der muß durch gemachten Enthusiasmus vollkommen verschroben seyn. Solche Excentricitäten aber hört man nirgends im Volk, das keineswegs seinen Napoleon in eine Art propagandistischen Mahomed zu verwandeln gesonnen ist. Es ist Schade, daß man in der Deputirtenkammer nicht einen mündigeren Geist gefunden zum Berichterstatter als den Marschall Clauzel, welcher Alles nur als Soldat betrachtet. Wäre Thiers als simpler Deputirter noch in der Kammer gesessen, so wäre er ohne Zweifel der tauglichste dazu gewesen. Es handelte sich nicht um ein Abwägen der Tugenden und der Fehler, der großen Thaten und der kleinen Handlungen Napoleons; es handelte sich weder um seine Vergötterung, noch um seine Zerreißung, sondern um ein gewaltiges Interesse der Nationalehre, des Nationalstolzes. So hätte ein Mann das Wort führen sollen mit positiver Erklärung, daß Napoleon nicht der Bonapartismus sey, sondern die Nationalgröße des französischen demokratischen Heldenthums, die verkörperte Ilias der modernen Franzosen. Es ist nicht wahr, was die republicanischen und besonders die ultrademokratischen Blätter behaupten, daß Napoleon in Europa allein Könige und Aristokraten bekämpfte – er der überall Könige und Aristokraten buck und schuf, und einen ganzen feodalen Teig aus den demokratischen Elementen zusammenkneten wollte. Napoleon wollte das gesammte europäische Ausland vor seiner Macht und Herrlichkeit zu Boden strecken, als Weltkaiser da stehen, zu seiner persönlichen Glorie. Wer das nicht versteht, der versteht nichts von diesem großen heroischen, aber durch und durch italienischen Mathematikus auf dem Throne.

Zum zweitenmal hat die Pairskammer die Rentenconversion verworfen; man war darauf gefaßt, und selbst die Rede des Ministerpräsidenten ließ diese Ueberzeugung durchblicken. Die Pairskammer hat gethan, was sie ihres Amtes glaubte, die öffentliche Meinung wird ihrerseits thun, was sie für Recht hält. Es gibt Wahrheiten, die in dem Maaße augenscheinlicher und unvermeidlicher werden, je mehr sie Widerspruch finden. Nachdem man die Redner in der Pairskammer, unter Andern Hrn. Persil, gegen die Conversion vernommen, ist man von der Ueberzeugung durchdrungen, daß mit diesem verneinenden Beschluß nur eine kurze Frist gewonnen ist. Nächstes Jahr, und, sollte es nothwendig seyn, die folgenden, wird das Gesetz in der Deputirtenkammer von neuem votirt werden; wird die Pairskammer ewig eine parteiische Opposition bilden wollen? Die Sitzung war glänzend und ehrenvoll für Hrn. Thiers, der den Gegenstand, namentlich von seiner interessantesten Seite, der historischen, mit einer Sicherheit und Klarheit beleuchtet hat, die dem erfahrensten Finanzmanne zur Ehre gereicht hätte. Hr. Thiers wußte, was Hr. Roy, selbst da er Minister war, nicht wußte: den Inhalt und den wahren Charakter der berüchtigten Rede von Cambon. Uebrigens haben wir kaum Zeit, uns um so unbedeutende Dinge zu bekümmern, als die Rentenconversion; müssen wir nicht der großen Subscription zu Gunsten der Asche Napoleons folgen, und die widersprechendsten Meinungen über deren Gelingen oder Fehlschlagen anhören? Wer wird uns von all den prächtigen Invocationen und Widmungen befreien! Auch ein angenehmer und ergötzlicher Puff hat sich in die patriotischen Listen eingeschlichen, wie denn überhaupt die Industrie und die Eitelkeit selten die letzten sind in den hiesigen öffentlichen Demonstrationen. Die Besucher der Pariser Concerte werden längst schon ein Original der sonderbarsten Art bemerkt haben, einen Musiker mit ziemlich scharf ausgeprägten Zügen, voll Beweglichkeit, sehr laut, und seinem Enthusiasmus stets in fremden Mundarten, auf italienisch, spanisch etc. Luft gebend. Es ist Mr. Boucher, le violon. Dieser selbige Boucher nun hatte im Capitole seinen Beitrag zum Monument des großen Mannes geliefert und seinen Namen wie die Andern unterzeichnet. Am andern Tage aber brachte er dem Capitole, und dieses druckte wirklich folgende Notiz, unter dem Vorwande eines Erratums; der Ausdruck ist vortrefflich gewählt: Mr. Alexandre Boucher, ancien soldat de la république, volontaire à Jemappes et à Valmy, est le violon célèbre qui fut depuis directeur de musique en plusieurs cours, et celui dont l'Europe n'a pas moins admiré les talens que sa fortuite et heureuse ressemblance à Napoléon auquel on sait qu'il fit offeir d'aller à Sainte-Hélène à sa place. ... Mich wundert nur, daß der Doppelgänger des Kaisers seine Adresse nicht beigesetzt hat.

Vor einigen Tagen ging das Eigenthum des Journals le Commerce durch Verkauf an eine andere Gesellschaft über, an deren Spitze ein Hr. Mocquart steht. Dieser, im mittäglichen Frankreich geboren, war früher Advocat, dann Unterpräfect, zog sich unter dem Ministerium Molé zurück, und suchte später Präfect zu werden. Seinen politischen Ansichten nach gehört er dem linken Centrum an, und man glaubt, er suche an der Spitze dieses Blattes, nach dem Beispiel des Hrn. Bertin de Vaux vom Journal des Débats und des Hrn. Chambolle vom Siècle, sich den Weg zur Deputirtenkammer zu bahnen. Auch will er in ein paar Monaten als Gérant und Hauptredacteur auftreten. Der National machte gestern den neuen Eigenthümern des Commerce den Vorwurf, für die Folge ein Organ des Bonapartismus zu bilden, was heute von ihnen in schwachen Ausdrücken bestritten wird. Zugleich kündigt das heutige Blatt den Austritt des bisherigen Hauptredacteurs, Hrn. Lesseps, an, der durch einen Wortwechsel mit Hrn. Mocquart über den Inhalt der Antwort auf die Beschuldigung des National veranlaßt wurde. Auf jeden Fall hört die bisherige Verbindung des Deputirten Hrn. Mauguin mit dem Commerce auf, bei welchem er als Actienbesitzer betheiligt war. Die hier abgefaßte auswärtige Correspondenz desselben Blattes wird aber, dem Vernehmen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0004" n="1252"/>
würde. Sollte die Frage verworfen werden, so wird sie im nächsten Jahr und so lange immer wieder auftauchen, bis sie gesiegt hat.&#x201C; Nach Hrn. Thiers hielt noch Hr. <hi rendition="#g">Persil</hi> eine Rede gegen die Maaßregel. Der <hi rendition="#g">Präsident</hi> fordert dann die Kammer zur Abstimmung auf, wobei er ihr jedoch bemerklich macht, daß dieses Votum durchaus kein Präjudiz in Betreff des Princips des Gesetzes enthalten dürfe, und daß in jedem Fall das Recht reservirt bleiben müßte. Die Kammer <hi rendition="#g">verwarf</hi> nun den Entwurf mit 101 schwarzen gegen 46 weiße Kugeln.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 29 Mai.</dateline>
          <p> Charakteristisch ist die leidenschaftliche Bewegung der französischen Naturen gegen einander, seitdem der Vorschlag der Einholung der Gebeine Napoleons aufs Tapet gebracht worden. Die Gazette de France erschaut das Ideal eines Napoleon im Marquis oder Duc de Bonaparte, Erbmarschall von Frankreich unter Ludwig XVIII. Warum nicht &#x2013; so wie Karl der Große Erbmarschall von Frankenland unter einem Merovingerfürsten. Solche Narrheiten sollen sublime Principien seyn. Aber so handelt und richtet nicht Gott in der Weltgeschichte. Nun fährt die Gazette in den Thorheiten, und man darf sagen Schamlosigkeiten von 1814 fort. Den Kaiser zu hassen und zu bekämpfen war edler Naturen nur zu große Pflicht, aber den erlegenen zu beschimpfen, nachdem man ihm Jahre lang gehorcht hatte, das konnte nur die Gemeinheit oder die rohe Leidenschaft. Courrier und Siècle dagegen suchen Napoleon zu vergöttern und ihn dem Höchsten, was das Christenthum kennt, gleichzustellen. Wer so etwas schreiben kann, der muß durch gemachten Enthusiasmus vollkommen verschroben seyn. Solche Excentricitäten aber hört man nirgends im Volk, das keineswegs seinen Napoleon in eine Art propagandistischen Mahomed zu verwandeln gesonnen ist. Es ist Schade, daß man in der Deputirtenkammer nicht einen mündigeren Geist gefunden zum Berichterstatter als den Marschall Clauzel, welcher Alles nur als Soldat betrachtet. Wäre Thiers als simpler Deputirter noch in der Kammer gesessen, so wäre er ohne Zweifel der tauglichste dazu gewesen. Es handelte sich nicht um ein Abwägen der Tugenden und der Fehler, der großen Thaten und der kleinen Handlungen Napoleons; es handelte sich weder um seine Vergötterung, noch um seine Zerreißung, sondern um ein gewaltiges Interesse der Nationalehre, des Nationalstolzes. So hätte ein Mann das Wort führen sollen mit positiver Erklärung, daß Napoleon nicht der Bonapartismus sey, sondern die Nationalgröße des französischen demokratischen Heldenthums, die verkörperte Ilias der modernen Franzosen. Es ist nicht wahr, was die republicanischen und besonders die ultrademokratischen Blätter behaupten, daß Napoleon in Europa allein Könige und Aristokraten bekämpfte &#x2013; er der überall Könige und Aristokraten buck und schuf, und einen ganzen feodalen Teig aus den demokratischen Elementen zusammenkneten wollte. Napoleon wollte das gesammte europäische Ausland vor seiner Macht und Herrlichkeit zu Boden strecken, als <hi rendition="#g">Weltkaiser</hi> da stehen, zu seiner <hi rendition="#g">persönlichen Glorie</hi>. Wer das nicht versteht, der versteht nichts von diesem großen heroischen, aber durch und durch italienischen Mathematikus auf dem Throne.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 31 Mai.</dateline>
          <p> Zum zweitenmal hat die Pairskammer die Rentenconversion verworfen; man war darauf gefaßt, und selbst die Rede des Ministerpräsidenten ließ diese Ueberzeugung durchblicken. Die Pairskammer hat gethan, was sie ihres Amtes glaubte, die öffentliche Meinung wird ihrerseits thun, was sie für Recht hält. Es gibt Wahrheiten, die in dem Maaße augenscheinlicher und unvermeidlicher werden, je mehr sie Widerspruch finden. Nachdem man die Redner in der Pairskammer, unter Andern Hrn. Persil, gegen die Conversion vernommen, ist man von der Ueberzeugung durchdrungen, daß mit diesem verneinenden Beschluß nur eine kurze Frist gewonnen ist. Nächstes Jahr, und, sollte es nothwendig seyn, die folgenden, wird das Gesetz in der Deputirtenkammer von neuem votirt werden; wird die Pairskammer ewig eine parteiische Opposition bilden wollen? Die Sitzung war glänzend und ehrenvoll für Hrn. Thiers, der den Gegenstand, namentlich von seiner interessantesten Seite, der historischen, mit einer Sicherheit und Klarheit beleuchtet hat, die dem erfahrensten Finanzmanne zur Ehre gereicht hätte. Hr. Thiers wußte, was Hr. Roy, selbst da er Minister war, nicht wußte: den Inhalt und den wahren Charakter der berüchtigten Rede von Cambon. Uebrigens haben wir kaum Zeit, uns um so unbedeutende Dinge zu bekümmern, als die Rentenconversion; müssen wir nicht der großen Subscription zu Gunsten der Asche Napoleons folgen, und die widersprechendsten Meinungen über deren Gelingen oder Fehlschlagen anhören? Wer wird uns von all den prächtigen Invocationen und Widmungen befreien! Auch ein angenehmer und ergötzlicher Puff hat sich in die patriotischen Listen eingeschlichen, wie denn überhaupt die Industrie und die Eitelkeit selten die letzten sind in den hiesigen öffentlichen Demonstrationen. Die Besucher der Pariser Concerte werden längst schon ein Original der sonderbarsten Art bemerkt haben, einen Musiker mit ziemlich scharf ausgeprägten Zügen, voll Beweglichkeit, sehr laut, und seinem Enthusiasmus stets in fremden Mundarten, auf italienisch, spanisch etc. Luft gebend. Es ist Mr. Boucher, le violon. Dieser selbige Boucher nun hatte im Capitole seinen Beitrag zum Monument des großen Mannes geliefert und seinen Namen wie die Andern unterzeichnet. Am andern Tage aber brachte er dem Capitole, und dieses druckte wirklich folgende Notiz, unter dem Vorwande eines <hi rendition="#i">Erratums</hi>; der Ausdruck ist vortrefflich gewählt: Mr. Alexandre Boucher, ancien soldat de la république, volontaire à Jemappes et à Valmy, est le violon célèbre qui fut depuis directeur de musique en plusieurs cours, et celui dont l'Europe n'a pas moins admiré les talens que sa fortuite et heureuse ressemblance à Napoléon auquel on sait qu'il fit offeir d'aller à Sainte-Hélène à sa place. ... Mich wundert nur, daß der Doppelgänger des Kaisers seine Adresse nicht beigesetzt hat.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 30 Mai.</dateline>
          <p> Vor einigen Tagen ging das Eigenthum des Journals <hi rendition="#g">le Commerce</hi> durch Verkauf an eine andere Gesellschaft über, an deren Spitze ein Hr. Mocquart steht. Dieser, im mittäglichen Frankreich geboren, war früher Advocat, dann Unterpräfect, zog sich unter dem Ministerium Molé zurück, und suchte später Präfect zu werden. Seinen politischen Ansichten nach gehört er dem linken Centrum an, und man glaubt, er suche an der Spitze dieses Blattes, nach dem Beispiel des Hrn. Bertin de Vaux vom Journal des Débats und des Hrn. Chambolle vom Siècle, sich den Weg zur Deputirtenkammer zu bahnen. Auch will er in ein paar Monaten als Gérant und Hauptredacteur auftreten. Der <hi rendition="#g">National</hi> machte gestern den neuen Eigenthümern des <hi rendition="#g">Commerce</hi> den Vorwurf, für die Folge ein Organ des Bonapartismus zu bilden, was heute von ihnen in schwachen Ausdrücken bestritten wird. Zugleich kündigt das heutige Blatt den Austritt des bisherigen Hauptredacteurs, Hrn. Lesseps, an, der durch einen Wortwechsel mit Hrn. Mocquart über den Inhalt der Antwort auf die Beschuldigung des National veranlaßt wurde. Auf jeden Fall hört die bisherige Verbindung des Deputirten Hrn. Mauguin mit dem Commerce auf, bei welchem er als Actienbesitzer betheiligt war. Die hier abgefaßte auswärtige Correspondenz desselben Blattes wird aber, dem Vernehmen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1252/0004] würde. Sollte die Frage verworfen werden, so wird sie im nächsten Jahr und so lange immer wieder auftauchen, bis sie gesiegt hat.“ Nach Hrn. Thiers hielt noch Hr. Persil eine Rede gegen die Maaßregel. Der Präsident fordert dann die Kammer zur Abstimmung auf, wobei er ihr jedoch bemerklich macht, daß dieses Votum durchaus kein Präjudiz in Betreff des Princips des Gesetzes enthalten dürfe, und daß in jedem Fall das Recht reservirt bleiben müßte. Die Kammer verwarf nun den Entwurf mit 101 schwarzen gegen 46 weiße Kugeln. _ Paris, 29 Mai. Charakteristisch ist die leidenschaftliche Bewegung der französischen Naturen gegen einander, seitdem der Vorschlag der Einholung der Gebeine Napoleons aufs Tapet gebracht worden. Die Gazette de France erschaut das Ideal eines Napoleon im Marquis oder Duc de Bonaparte, Erbmarschall von Frankreich unter Ludwig XVIII. Warum nicht – so wie Karl der Große Erbmarschall von Frankenland unter einem Merovingerfürsten. Solche Narrheiten sollen sublime Principien seyn. Aber so handelt und richtet nicht Gott in der Weltgeschichte. Nun fährt die Gazette in den Thorheiten, und man darf sagen Schamlosigkeiten von 1814 fort. Den Kaiser zu hassen und zu bekämpfen war edler Naturen nur zu große Pflicht, aber den erlegenen zu beschimpfen, nachdem man ihm Jahre lang gehorcht hatte, das konnte nur die Gemeinheit oder die rohe Leidenschaft. Courrier und Siècle dagegen suchen Napoleon zu vergöttern und ihn dem Höchsten, was das Christenthum kennt, gleichzustellen. Wer so etwas schreiben kann, der muß durch gemachten Enthusiasmus vollkommen verschroben seyn. Solche Excentricitäten aber hört man nirgends im Volk, das keineswegs seinen Napoleon in eine Art propagandistischen Mahomed zu verwandeln gesonnen ist. Es ist Schade, daß man in der Deputirtenkammer nicht einen mündigeren Geist gefunden zum Berichterstatter als den Marschall Clauzel, welcher Alles nur als Soldat betrachtet. Wäre Thiers als simpler Deputirter noch in der Kammer gesessen, so wäre er ohne Zweifel der tauglichste dazu gewesen. Es handelte sich nicht um ein Abwägen der Tugenden und der Fehler, der großen Thaten und der kleinen Handlungen Napoleons; es handelte sich weder um seine Vergötterung, noch um seine Zerreißung, sondern um ein gewaltiges Interesse der Nationalehre, des Nationalstolzes. So hätte ein Mann das Wort führen sollen mit positiver Erklärung, daß Napoleon nicht der Bonapartismus sey, sondern die Nationalgröße des französischen demokratischen Heldenthums, die verkörperte Ilias der modernen Franzosen. Es ist nicht wahr, was die republicanischen und besonders die ultrademokratischen Blätter behaupten, daß Napoleon in Europa allein Könige und Aristokraten bekämpfte – er der überall Könige und Aristokraten buck und schuf, und einen ganzen feodalen Teig aus den demokratischen Elementen zusammenkneten wollte. Napoleon wollte das gesammte europäische Ausland vor seiner Macht und Herrlichkeit zu Boden strecken, als Weltkaiser da stehen, zu seiner persönlichen Glorie. Wer das nicht versteht, der versteht nichts von diesem großen heroischen, aber durch und durch italienischen Mathematikus auf dem Throne. _ Paris, 31 Mai. Zum zweitenmal hat die Pairskammer die Rentenconversion verworfen; man war darauf gefaßt, und selbst die Rede des Ministerpräsidenten ließ diese Ueberzeugung durchblicken. Die Pairskammer hat gethan, was sie ihres Amtes glaubte, die öffentliche Meinung wird ihrerseits thun, was sie für Recht hält. Es gibt Wahrheiten, die in dem Maaße augenscheinlicher und unvermeidlicher werden, je mehr sie Widerspruch finden. Nachdem man die Redner in der Pairskammer, unter Andern Hrn. Persil, gegen die Conversion vernommen, ist man von der Ueberzeugung durchdrungen, daß mit diesem verneinenden Beschluß nur eine kurze Frist gewonnen ist. Nächstes Jahr, und, sollte es nothwendig seyn, die folgenden, wird das Gesetz in der Deputirtenkammer von neuem votirt werden; wird die Pairskammer ewig eine parteiische Opposition bilden wollen? Die Sitzung war glänzend und ehrenvoll für Hrn. Thiers, der den Gegenstand, namentlich von seiner interessantesten Seite, der historischen, mit einer Sicherheit und Klarheit beleuchtet hat, die dem erfahrensten Finanzmanne zur Ehre gereicht hätte. Hr. Thiers wußte, was Hr. Roy, selbst da er Minister war, nicht wußte: den Inhalt und den wahren Charakter der berüchtigten Rede von Cambon. Uebrigens haben wir kaum Zeit, uns um so unbedeutende Dinge zu bekümmern, als die Rentenconversion; müssen wir nicht der großen Subscription zu Gunsten der Asche Napoleons folgen, und die widersprechendsten Meinungen über deren Gelingen oder Fehlschlagen anhören? Wer wird uns von all den prächtigen Invocationen und Widmungen befreien! Auch ein angenehmer und ergötzlicher Puff hat sich in die patriotischen Listen eingeschlichen, wie denn überhaupt die Industrie und die Eitelkeit selten die letzten sind in den hiesigen öffentlichen Demonstrationen. Die Besucher der Pariser Concerte werden längst schon ein Original der sonderbarsten Art bemerkt haben, einen Musiker mit ziemlich scharf ausgeprägten Zügen, voll Beweglichkeit, sehr laut, und seinem Enthusiasmus stets in fremden Mundarten, auf italienisch, spanisch etc. Luft gebend. Es ist Mr. Boucher, le violon. Dieser selbige Boucher nun hatte im Capitole seinen Beitrag zum Monument des großen Mannes geliefert und seinen Namen wie die Andern unterzeichnet. Am andern Tage aber brachte er dem Capitole, und dieses druckte wirklich folgende Notiz, unter dem Vorwande eines Erratums; der Ausdruck ist vortrefflich gewählt: Mr. Alexandre Boucher, ancien soldat de la république, volontaire à Jemappes et à Valmy, est le violon célèbre qui fut depuis directeur de musique en plusieurs cours, et celui dont l'Europe n'a pas moins admiré les talens que sa fortuite et heureuse ressemblance à Napoléon auquel on sait qu'il fit offeir d'aller à Sainte-Hélène à sa place. ... Mich wundert nur, daß der Doppelgänger des Kaisers seine Adresse nicht beigesetzt hat. _ Paris, 30 Mai. Vor einigen Tagen ging das Eigenthum des Journals le Commerce durch Verkauf an eine andere Gesellschaft über, an deren Spitze ein Hr. Mocquart steht. Dieser, im mittäglichen Frankreich geboren, war früher Advocat, dann Unterpräfect, zog sich unter dem Ministerium Molé zurück, und suchte später Präfect zu werden. Seinen politischen Ansichten nach gehört er dem linken Centrum an, und man glaubt, er suche an der Spitze dieses Blattes, nach dem Beispiel des Hrn. Bertin de Vaux vom Journal des Débats und des Hrn. Chambolle vom Siècle, sich den Weg zur Deputirtenkammer zu bahnen. Auch will er in ein paar Monaten als Gérant und Hauptredacteur auftreten. Der National machte gestern den neuen Eigenthümern des Commerce den Vorwurf, für die Folge ein Organ des Bonapartismus zu bilden, was heute von ihnen in schwachen Ausdrücken bestritten wird. Zugleich kündigt das heutige Blatt den Austritt des bisherigen Hauptredacteurs, Hrn. Lesseps, an, der durch einen Wortwechsel mit Hrn. Mocquart über den Inhalt der Antwort auf die Beschuldigung des National veranlaßt wurde. Auf jeden Fall hört die bisherige Verbindung des Deputirten Hrn. Mauguin mit dem Commerce auf, bei welchem er als Actienbesitzer betheiligt war. Die hier abgefaßte auswärtige Correspondenz desselben Blattes wird aber, dem Vernehmen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_157_18400605
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_157_18400605/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 157. Augsburg, 5. Juni 1840, S. 1252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_157_18400605/4>, abgerufen am 23.11.2024.