Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 158. Augsburg, 6. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

ernannt. Dem Vernehmen nach wird der Fürst Milosch im Verlauf dieses Sommers sich nach Karlsbad begeben, wo er die Bäder zu gebrauchen gedenkt, worauf er seine Reise bis nach Paris ausdehnen dürfte.

Türkei.

Der politische Horizont verfinstert sich mehr und mehr. Was man besorgt hat, verwirklicht sich nun. Halil Pascha, der abgesetzte Seraskier, hat sich zur Partei des Vicekönigs von Aegypten geschlagen. Sein großer Einfluß, seine mächtigen Verbindungen bedrohen zunächst den Großwessier; allein sie dienen zugleich, die ägyptische Partei zu fördern, indem die Hauptidee, die er erfaßt, um Chosrew Pascha zu stürzen, nämlich die Schließung des Friedens um den Preis der ausgedehntesten Concessionen, nothwendig Mehemed Ali zu Statten kommt. Sein Anhang scheint sich mit jenem der Sultanin Mutter verbunden zu haben, und beide zusammen beherrschen die Hauptstadt. Man würde irren, wenn man diese Partei die des Alten und Herkömmlichen nennen wollte. Denn jeder auch nur einigermaßen gebildete Türke sieht ein, daß die Reformen nothwendig sind, wenn man sich aus dem Zustande halber Barbarei herausreißen will, in dem man zu verkommen Gefahr läuft. Diese Ansicht theilt auch die Valide, welche insbesondere gegen die Religion und deren Diener eine ausgezeichnete Verachtung hegt. Als Beweis davon könnte folgender Vorfall gelten. Sultan Abdulmedschid war eines Tages am Grabe seines Vaters Mahmud und verrichtete sein Gebet. Er vernahm plötzlich aus dem Innern der Gruft eine Stimme, die ihn anrief: "Abdulmedschid, stehe ab von dem verderblichen Wege der Neuerungen; ich, dein Vater Mahmud, hatte auch diese Bahn betreten. Ich fluche jetzt meinem eitlen, gottlosen Beginnen." Der junge Monarch säumte nicht, den Vorfall seiner Mutter mitzutheilen, welche die Sache untersuchen und den frommen Derwisch, der den Sultan auf einen bessern Weg bringen wollte, und sich zu diesem Zweck im Innern des Mausoleums versteckt hielt, ohne weiteres erdrosseln ließ. Indeß unterläßt diese Partei, die "ägyptische", nicht, die Anhänger des Alten zu benützen und ihre wichtigsten Plane auf sie zu bauen. Die Agitation der orthodoxen Muselmänner geht daher rein von dieser Partei aus. Mehemed Ali fühlt sich jetzt so sicher, rechnet mit einer solchen Zuverlässigkeit auf das Gelingen seiner Projecte, daß er auch gegen Niemand mehr Rücksichten beobachtet. Seltsamerweise wird er von Allen in seiner Zuversicht bestärkt. Ich zweifle nicht, daß Sie direct von Alexandrien Bericht über die sonderbare Unterredung erhalten haben, die der Vicekönig mit Lord Keane, der auf seiner Rückreise von Ostindien sich während seines Aufenthalts in Aegypten Mehemed Ali vorstellen ließ, gehabt hat. Lord Keane gab dem Pascha wiederholt die Versicherung, daß das englische Ministerium sowohl als das Parlament seinen, des Vicekönigs, Rechten die Anerkennung nicht versagen werden, die sie in jedem Betracht verdienen. Und dann wundert man sich, daß Mehemed Ali hartnäckig auf seinen vermeintlichen Rechten beharrt! - Se. kaiserl. Hoh. der Erzherzog Friedrich machte heute ein Fahrt nach Brussa, wo er sich acht Tage aufzuhalten und den Olymp zu besteigen gedenkt. Der Prinz wird von Baron Stürmer und einem zahlreichen Gefolge begleitet.

ernannt. Dem Vernehmen nach wird der Fürst Milosch im Verlauf dieses Sommers sich nach Karlsbad begeben, wo er die Bäder zu gebrauchen gedenkt, worauf er seine Reise bis nach Paris ausdehnen dürfte.

Türkei.

Der politische Horizont verfinstert sich mehr und mehr. Was man besorgt hat, verwirklicht sich nun. Halil Pascha, der abgesetzte Seraskier, hat sich zur Partei des Vicekönigs von Aegypten geschlagen. Sein großer Einfluß, seine mächtigen Verbindungen bedrohen zunächst den Großwessier; allein sie dienen zugleich, die ägyptische Partei zu fördern, indem die Hauptidee, die er erfaßt, um Chosrew Pascha zu stürzen, nämlich die Schließung des Friedens um den Preis der ausgedehntesten Concessionen, nothwendig Mehemed Ali zu Statten kommt. Sein Anhang scheint sich mit jenem der Sultanin Mutter verbunden zu haben, und beide zusammen beherrschen die Hauptstadt. Man würde irren, wenn man diese Partei die des Alten und Herkömmlichen nennen wollte. Denn jeder auch nur einigermaßen gebildete Türke sieht ein, daß die Reformen nothwendig sind, wenn man sich aus dem Zustande halber Barbarei herausreißen will, in dem man zu verkommen Gefahr läuft. Diese Ansicht theilt auch die Valide, welche insbesondere gegen die Religion und deren Diener eine ausgezeichnete Verachtung hegt. Als Beweis davon könnte folgender Vorfall gelten. Sultan Abdulmedschid war eines Tages am Grabe seines Vaters Mahmud und verrichtete sein Gebet. Er vernahm plötzlich aus dem Innern der Gruft eine Stimme, die ihn anrief: „Abdulmedschid, stehe ab von dem verderblichen Wege der Neuerungen; ich, dein Vater Mahmud, hatte auch diese Bahn betreten. Ich fluche jetzt meinem eitlen, gottlosen Beginnen.“ Der junge Monarch säumte nicht, den Vorfall seiner Mutter mitzutheilen, welche die Sache untersuchen und den frommen Derwisch, der den Sultan auf einen bessern Weg bringen wollte, und sich zu diesem Zweck im Innern des Mausoleums versteckt hielt, ohne weiteres erdrosseln ließ. Indeß unterläßt diese Partei, die „ägyptische“, nicht, die Anhänger des Alten zu benützen und ihre wichtigsten Plane auf sie zu bauen. Die Agitation der orthodoxen Muselmänner geht daher rein von dieser Partei aus. Mehemed Ali fühlt sich jetzt so sicher, rechnet mit einer solchen Zuverlässigkeit auf das Gelingen seiner Projecte, daß er auch gegen Niemand mehr Rücksichten beobachtet. Seltsamerweise wird er von Allen in seiner Zuversicht bestärkt. Ich zweifle nicht, daß Sie direct von Alexandrien Bericht über die sonderbare Unterredung erhalten haben, die der Vicekönig mit Lord Keane, der auf seiner Rückreise von Ostindien sich während seines Aufenthalts in Aegypten Mehemed Ali vorstellen ließ, gehabt hat. Lord Keane gab dem Pascha wiederholt die Versicherung, daß das englische Ministerium sowohl als das Parlament seinen, des Vicekönigs, Rechten die Anerkennung nicht versagen werden, die sie in jedem Betracht verdienen. Und dann wundert man sich, daß Mehemed Ali hartnäckig auf seinen vermeintlichen Rechten beharrt! – Se. kaiserl. Hoh. der Erzherzog Friedrich machte heute ein Fahrt nach Brussa, wo er sich acht Tage aufzuhalten und den Olymp zu besteigen gedenkt. Der Prinz wird von Baron Stürmer und einem zahlreichen Gefolge begleitet.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0008" n="1264"/>
ernannt. Dem Vernehmen nach wird der Fürst Milosch im Verlauf dieses Sommers sich nach Karlsbad begeben, wo er die Bäder zu gebrauchen gedenkt, worauf er seine Reise bis nach Paris ausdehnen dürfte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Türkei.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 20 Mai.</dateline>
          <p> Der politische Horizont verfinstert sich mehr und mehr. Was man besorgt hat, verwirklicht sich nun. Halil Pascha, der abgesetzte Seraskier, hat sich zur Partei des Vicekönigs von Aegypten geschlagen. Sein großer Einfluß, seine mächtigen Verbindungen bedrohen zunächst den Großwessier; allein sie dienen zugleich, die ägyptische Partei zu fördern, indem die Hauptidee, die er erfaßt, um Chosrew Pascha zu stürzen, nämlich die Schließung des Friedens um den Preis der ausgedehntesten Concessionen, nothwendig Mehemed Ali zu Statten kommt. Sein Anhang scheint sich mit jenem der Sultanin Mutter verbunden zu haben, und beide zusammen beherrschen die Hauptstadt. Man würde irren, wenn man diese Partei die des Alten und Herkömmlichen nennen wollte. Denn jeder auch nur einigermaßen gebildete Türke sieht ein, daß die Reformen nothwendig sind, wenn man sich aus dem Zustande halber Barbarei herausreißen will, in dem man zu verkommen Gefahr läuft. Diese Ansicht theilt auch die Valide, welche insbesondere gegen die Religion und deren Diener eine ausgezeichnete Verachtung hegt. Als Beweis davon könnte folgender Vorfall gelten. Sultan Abdulmedschid war eines Tages am Grabe seines Vaters Mahmud und verrichtete sein Gebet. Er vernahm plötzlich aus dem Innern der Gruft eine Stimme, die ihn anrief: &#x201E;Abdulmedschid, stehe ab von dem verderblichen Wege der Neuerungen; ich, dein Vater Mahmud, hatte auch diese Bahn betreten. Ich fluche jetzt meinem eitlen, gottlosen Beginnen.&#x201C; Der junge Monarch säumte nicht, den Vorfall seiner Mutter mitzutheilen, welche die Sache untersuchen und den frommen Derwisch, der den Sultan auf einen bessern Weg bringen wollte, und sich zu diesem Zweck im Innern des Mausoleums versteckt hielt, ohne weiteres erdrosseln ließ. Indeß unterläßt diese Partei, die &#x201E;ägyptische&#x201C;, nicht, die Anhänger des Alten zu benützen und ihre wichtigsten Plane auf sie zu bauen. Die Agitation der orthodoxen Muselmänner geht daher rein von dieser Partei aus. Mehemed Ali fühlt sich jetzt so sicher, rechnet mit einer solchen Zuverlässigkeit auf das Gelingen seiner Projecte, daß er auch gegen Niemand mehr Rücksichten beobachtet. Seltsamerweise wird er von Allen in seiner Zuversicht bestärkt. Ich zweifle nicht, daß Sie direct von Alexandrien Bericht über die sonderbare Unterredung erhalten haben, die der Vicekönig mit Lord Keane, der auf seiner Rückreise von Ostindien sich während seines Aufenthalts in Aegypten Mehemed Ali vorstellen ließ, gehabt hat. Lord Keane gab dem Pascha wiederholt die Versicherung, daß das englische Ministerium sowohl als das Parlament seinen, des Vicekönigs, Rechten die Anerkennung nicht versagen werden, die sie in jedem Betracht verdienen. Und dann wundert man sich, daß Mehemed Ali hartnäckig auf seinen vermeintlichen Rechten beharrt! &#x2013; Se. kaiserl. Hoh. der Erzherzog Friedrich machte heute ein Fahrt nach Brussa, wo er sich acht Tage aufzuhalten und den Olymp zu besteigen gedenkt. Der Prinz wird von Baron Stürmer und einem zahlreichen Gefolge begleitet.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1264/0008] ernannt. Dem Vernehmen nach wird der Fürst Milosch im Verlauf dieses Sommers sich nach Karlsbad begeben, wo er die Bäder zu gebrauchen gedenkt, worauf er seine Reise bis nach Paris ausdehnen dürfte. Türkei. _ Konstantinopel, 20 Mai. Der politische Horizont verfinstert sich mehr und mehr. Was man besorgt hat, verwirklicht sich nun. Halil Pascha, der abgesetzte Seraskier, hat sich zur Partei des Vicekönigs von Aegypten geschlagen. Sein großer Einfluß, seine mächtigen Verbindungen bedrohen zunächst den Großwessier; allein sie dienen zugleich, die ägyptische Partei zu fördern, indem die Hauptidee, die er erfaßt, um Chosrew Pascha zu stürzen, nämlich die Schließung des Friedens um den Preis der ausgedehntesten Concessionen, nothwendig Mehemed Ali zu Statten kommt. Sein Anhang scheint sich mit jenem der Sultanin Mutter verbunden zu haben, und beide zusammen beherrschen die Hauptstadt. Man würde irren, wenn man diese Partei die des Alten und Herkömmlichen nennen wollte. Denn jeder auch nur einigermaßen gebildete Türke sieht ein, daß die Reformen nothwendig sind, wenn man sich aus dem Zustande halber Barbarei herausreißen will, in dem man zu verkommen Gefahr läuft. Diese Ansicht theilt auch die Valide, welche insbesondere gegen die Religion und deren Diener eine ausgezeichnete Verachtung hegt. Als Beweis davon könnte folgender Vorfall gelten. Sultan Abdulmedschid war eines Tages am Grabe seines Vaters Mahmud und verrichtete sein Gebet. Er vernahm plötzlich aus dem Innern der Gruft eine Stimme, die ihn anrief: „Abdulmedschid, stehe ab von dem verderblichen Wege der Neuerungen; ich, dein Vater Mahmud, hatte auch diese Bahn betreten. Ich fluche jetzt meinem eitlen, gottlosen Beginnen.“ Der junge Monarch säumte nicht, den Vorfall seiner Mutter mitzutheilen, welche die Sache untersuchen und den frommen Derwisch, der den Sultan auf einen bessern Weg bringen wollte, und sich zu diesem Zweck im Innern des Mausoleums versteckt hielt, ohne weiteres erdrosseln ließ. Indeß unterläßt diese Partei, die „ägyptische“, nicht, die Anhänger des Alten zu benützen und ihre wichtigsten Plane auf sie zu bauen. Die Agitation der orthodoxen Muselmänner geht daher rein von dieser Partei aus. Mehemed Ali fühlt sich jetzt so sicher, rechnet mit einer solchen Zuverlässigkeit auf das Gelingen seiner Projecte, daß er auch gegen Niemand mehr Rücksichten beobachtet. Seltsamerweise wird er von Allen in seiner Zuversicht bestärkt. Ich zweifle nicht, daß Sie direct von Alexandrien Bericht über die sonderbare Unterredung erhalten haben, die der Vicekönig mit Lord Keane, der auf seiner Rückreise von Ostindien sich während seines Aufenthalts in Aegypten Mehemed Ali vorstellen ließ, gehabt hat. Lord Keane gab dem Pascha wiederholt die Versicherung, daß das englische Ministerium sowohl als das Parlament seinen, des Vicekönigs, Rechten die Anerkennung nicht versagen werden, die sie in jedem Betracht verdienen. Und dann wundert man sich, daß Mehemed Ali hartnäckig auf seinen vermeintlichen Rechten beharrt! – Se. kaiserl. Hoh. der Erzherzog Friedrich machte heute ein Fahrt nach Brussa, wo er sich acht Tage aufzuhalten und den Olymp zu besteigen gedenkt. Der Prinz wird von Baron Stürmer und einem zahlreichen Gefolge begleitet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_158_18400606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_158_18400606/8
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 158. Augsburg, 6. Juni 1840, S. 1264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_158_18400606/8>, abgerufen am 21.11.2024.