Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 162. Augsburg, 10. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Deputirtenkammer kam in der Sitzung am 4 Jun. mit Erörterung des Budgets des Innern zu Ende, und begann noch die Erörterung des Budgets des Ackerbaues und des Handels, mit der sie am 5 Jun. fortfuhr.

(Temps.) Das englische Gericht von Sierra Leone hat wirklich die französische Goelette (die in unsern gestrigen Auszügen aus den Deputirtenverhandlungen berührt wurde), trotz des officiellen Charakters ihrer Mission als gute Prise erklärt. Die französische Regierung ist sonach angeklagt und verurtheilt, Negerhandel getrieben zu haben, denn sie ist es, die in der Person des Capitäns der Goelette vor Gericht stand *), und dieser hat das Recht, an sie als seine Bürgschaft zu appelliren, denn er hat unter ihrem Patronat und auf ihren Befehl seine Expedition in Begleitung eines Staatsschiffs gemacht. Der Mißbrauch und die Beleidigung liegen auf der Hand. Man kann also nicht schnell und energisch genug reclamiren, da die Schiffsmannschaft in diesem Augenblick noch einer besondern Procedur für das ihr aufgebürdete imaginäre Verbrechen unterworfen ist. Hoffentlich wird bei der Wachsamkeit des Conseilpräsidenten die Genugthuung nicht lang auf sich warten lassen.

General Espeletta, der letzte Gouverneur der Havannah, befindet sich seit einigen Tagen in Havre.

Hr. Thiers hat in Bezug auf die Motion des Hrn. v. Remilly seinen Zweck erreicht. Einer seiner Freunde, Hr. Ganneron, der anfänglich mit vier andern Mitgliedern der Commission sich für die Nothwendigkeit ausgesprochen hatte, eine Anzahl Aemter als unverträglich mit der Stelle eines Deputirten zu erklären, hat sich nunmehr den vier andern angeschlossen, und so die Mehrheit gebildet, welche sich gegen jede Reform des Wahlsystems ausspricht. In diesem Sinne fällt nun der Bericht aus, und die Motion ist zu Grabe getragen. Obschon der Commission nicht die schließliche Entscheidung zusteht, lassen doch alle Umstände glauben, daß deren Anträge in der Kammer durchgehen, vermittelst einer Mehrheit, bestehend aus den Anhängern des Hrn. Thiers, und aus dem Rest der 221, auf deren Allianz (nach ihren frühern Aeußerungen) der Conseilpräsident jetzt definitiv zählen kann. - Hr. Thiers erklärt allgemein, er sende dieser Tage den Admiral Baudin, der früher vor Veracruz commandirte und den Frieden mit Mexico abschloß, nach Buenos-Ayres, um dort entweder einen Tractat unter günstigern Bedingungen für Frankreich abzuschließen, als die von Rosas dem Admiral Dupotet vorgeschlagenen, oder aber den Krieg mit mehr Ernst fortzuführen. Mit dem Admiral Baudin werden 500 Mann Landungstruppen abgehen, die Hr. Thiers für hinreichend erachtet; die Minister des Kriegs und der Marine sind aber damit nicht einverstanden, besonders in Betracht des Hauptalliirten von Rosas, des gelben Fiebers. - Die Concurrenz der verschiedenen Generale, die den Marschall Valee ersetzen wollen, dauert fort. Letzterer findet Schutz bei manchen hochgestellten Personen, weil er den Ruf genießt, nicht an der Geldgier zu leiden, der gewöhnlichen Krankheit der französischen Oberbefehlshaber.

Man hat hier, seit den ersten Tagen der Restauration, ganz insbesondere aber seit der Juliusrevolution eine Partei einen hohen Ton nehmen lassen, die sich das Privilegium der ausschließlichsten Nationalität zueignet. Diese Partei erkennt im älteren Frankreich nur zwei große Männer an: Richelieu und Ludwig XIV, als Vorbahner der absoluten Nationaldemokratie und Volkssouveränetät durch die absolute Nationalmonarchie und Souveränetät eines Einzigen, so wie als Bekämpfer der deutschen Kaisermacht, und als bestrebt, ein Protectorat über Spanien und Italien zu gewinnen und eine Seemacht zu gründen. Diese Partei trotziger kühner Männer erblickt factisch nur zwei Staatsrechte in Frankreich: das ältere System von Richelieu-Ludwig XIV, welches abstarb, als die Saat der Demokratie heranreifte; das jüngere System des Convents und des Bonapartischen Consulats, welches Napoleon der Kaiser verfälscht und untauglich gemacht habe. Auch sieht diese Partei den Kaiser als einen Staatsverräther und Staatsverbrecher an, nicht weil er am 18 Brumaire eine elende Versammlung aus den Fenstern springen ließ, sondern weil er sich nicht mit einem permanenten Convent umgeben und von ihm die höchste Dictatur angenommen habe, gewissermaßen ein Mittelding zwischen Robespierre und Carnot, nur a la Bonaparte. In dieser Partei kocht das allerhochmüthigste Nationalgefühl; ihre Sprache allein imponirt der Jugend und dem Volk; aber von der Opposition der Linken an bis zur äußersten Rechten wird sie gehaßt und gefürchtet, denn man sieht in ihr den Untergang des Mittelstandes sowohl als der adeligen Classen, an deren Stelle eine militärische Republik träte mit dem unumschränktesten Propagandensystem fürs centrale Europa, übrigens bereit, nach Bekämpfung der englischen aristokratischen Republik und überwiegenden Seemacht, sich mit Rußland über die Angelegenheiten des Ostens zu verständigen, unter Vorbeding einer Oberherrschaft in Aegypten und der erweiterten Besitznahme aller afrikanischen Küsten, die alsdann ein Erbtheil italienischer, spanischer und griechischer Emigranten unter französischer Oberherrschaft werden könnten. Diese Partei allein fühlt sich seit dem Sturze Napoleons keinen Augenblick entmuthigt, wird niemals kleinlaut, setzt ihre mathematische Civilisation fort, bearbeitet das Volk durch und durch, aber trennt sich entschieden von der gemeinen Demagogie, dem salbaderischen Fourrierismus und Sanct Simonianismus, und verachtet die rohen, plumpen Clubsbetriebe niederer Sorte. Carrel war gewissermaßen der adelige Repräsentant dieser Partei, die allen andern schneidend gegenüber steht. Außerhalb derselben, aber nahe verwandt, steht Arago und als Schriftsteller Lamennais. Sie hat also wissenschaftliche und philosophische Autorität, so wie sie politisches Gewicht durch den National besitzt. Mit der bittersten Verachtung spricht sie von der Opposition Barrot; über die Bonapartisten spottet sie. Im Heere besonders und unter der Marine sucht sie Anhang. Sie hofft stets auf den ersten Funken, welcher einen Krieg allgemeinerer Art anzünden könnte, nimmt sich übrigens zusammen, um alle Gelegenheiten zu benutzen sich national und politisch zu vergrößern so gut sie kann. Da diese Partei, obwohl in ihren Häuptern keineswegs unvermögend, doch weder Capitalien besitzt, noch Credit unter den Gutsbesitzern, dem Mittelstande, der ruhig gesinnten Masse, so scheint man sie öfter zu ignoriren; im Grunde aber ist es immer das Gespenst des Convents und Napoleons, in seinen demokratisch-demagogischen Elementen, welches aus ihren Augen wetterleuchtet, auf ihrer Stirne droht. Was heute nichts ist, kann morgen etwas werden, denkt diese Partei, welche höchst gescheidte, jüngere und ältere Männer in ihren Gliedern besitzt, tüchtige, determinirte Menschen, denen aber alle tiefere Religiösität vollkommen abgeht, die aus der Nation und dem Staate einen kaltblütig fanatischen Moloch zu machen bereit sind, und die höchste Verachtung ausdrücken gegen alles, was widerstrebt und außerhalb ihres Kreises sich bewegt.

Niederlande.

Vorgestern fand die erste Berathung über die Entwürfe zur Veränderung des Grundgesetzes

*) Das weggenommene Schiff war, wie Hr. Thiers in der Kammer hervorhob, ein Kauffahrteischiff.

Die Deputirtenkammer kam in der Sitzung am 4 Jun. mit Erörterung des Budgets des Innern zu Ende, und begann noch die Erörterung des Budgets des Ackerbaues und des Handels, mit der sie am 5 Jun. fortfuhr.

(Temps.) Das englische Gericht von Sierra Leone hat wirklich die französische Goelette (die in unsern gestrigen Auszügen aus den Deputirtenverhandlungen berührt wurde), trotz des officiellen Charakters ihrer Mission als gute Prise erklärt. Die französische Regierung ist sonach angeklagt und verurtheilt, Negerhandel getrieben zu haben, denn sie ist es, die in der Person des Capitäns der Goelette vor Gericht stand *), und dieser hat das Recht, an sie als seine Bürgschaft zu appelliren, denn er hat unter ihrem Patronat und auf ihren Befehl seine Expedition in Begleitung eines Staatsschiffs gemacht. Der Mißbrauch und die Beleidigung liegen auf der Hand. Man kann also nicht schnell und energisch genug reclamiren, da die Schiffsmannschaft in diesem Augenblick noch einer besondern Procedur für das ihr aufgebürdete imaginäre Verbrechen unterworfen ist. Hoffentlich wird bei der Wachsamkeit des Conseilpräsidenten die Genugthuung nicht lang auf sich warten lassen.

General Espeletta, der letzte Gouverneur der Havannah, befindet sich seit einigen Tagen in Havre.

Hr. Thiers hat in Bezug auf die Motion des Hrn. v. Rémilly seinen Zweck erreicht. Einer seiner Freunde, Hr. Ganneron, der anfänglich mit vier andern Mitgliedern der Commission sich für die Nothwendigkeit ausgesprochen hatte, eine Anzahl Aemter als unverträglich mit der Stelle eines Deputirten zu erklären, hat sich nunmehr den vier andern angeschlossen, und so die Mehrheit gebildet, welche sich gegen jede Reform des Wahlsystems ausspricht. In diesem Sinne fällt nun der Bericht aus, und die Motion ist zu Grabe getragen. Obschon der Commission nicht die schließliche Entscheidung zusteht, lassen doch alle Umstände glauben, daß deren Anträge in der Kammer durchgehen, vermittelst einer Mehrheit, bestehend aus den Anhängern des Hrn. Thiers, und aus dem Rest der 221, auf deren Allianz (nach ihren frühern Aeußerungen) der Conseilpräsident jetzt definitiv zählen kann. – Hr. Thiers erklärt allgemein, er sende dieser Tage den Admiral Baudin, der früher vor Veracruz commandirte und den Frieden mit Mexico abschloß, nach Buenos-Ayres, um dort entweder einen Tractat unter günstigern Bedingungen für Frankreich abzuschließen, als die von Rosas dem Admiral Dupotet vorgeschlagenen, oder aber den Krieg mit mehr Ernst fortzuführen. Mit dem Admiral Baudin werden 500 Mann Landungstruppen abgehen, die Hr. Thiers für hinreichend erachtet; die Minister des Kriegs und der Marine sind aber damit nicht einverstanden, besonders in Betracht des Hauptalliirten von Rosas, des gelben Fiebers. – Die Concurrenz der verschiedenen Generale, die den Marschall Valée ersetzen wollen, dauert fort. Letzterer findet Schutz bei manchen hochgestellten Personen, weil er den Ruf genießt, nicht an der Geldgier zu leiden, der gewöhnlichen Krankheit der französischen Oberbefehlshaber.

Man hat hier, seit den ersten Tagen der Restauration, ganz insbesondere aber seit der Juliusrevolution eine Partei einen hohen Ton nehmen lassen, die sich das Privilegium der ausschließlichsten Nationalität zueignet. Diese Partei erkennt im älteren Frankreich nur zwei große Männer an: Richelieu und Ludwig XIV, als Vorbahner der absoluten Nationaldemokratie und Volkssouveränetät durch die absolute Nationalmonarchie und Souveränetät eines Einzigen, so wie als Bekämpfer der deutschen Kaisermacht, und als bestrebt, ein Protectorat über Spanien und Italien zu gewinnen und eine Seemacht zu gründen. Diese Partei trotziger kühner Männer erblickt factisch nur zwei Staatsrechte in Frankreich: das ältere System von Richelieu-Ludwig XIV, welches abstarb, als die Saat der Demokratie heranreifte; das jüngere System des Convents und des Bonapartischen Consulats, welches Napoleon der Kaiser verfälscht und untauglich gemacht habe. Auch sieht diese Partei den Kaiser als einen Staatsverräther und Staatsverbrecher an, nicht weil er am 18 Brumaire eine elende Versammlung aus den Fenstern springen ließ, sondern weil er sich nicht mit einem permanenten Convent umgeben und von ihm die höchste Dictatur angenommen habe, gewissermaßen ein Mittelding zwischen Robespierre und Carnot, nur à la Bonaparte. In dieser Partei kocht das allerhochmüthigste Nationalgefühl; ihre Sprache allein imponirt der Jugend und dem Volk; aber von der Opposition der Linken an bis zur äußersten Rechten wird sie gehaßt und gefürchtet, denn man sieht in ihr den Untergang des Mittelstandes sowohl als der adeligen Classen, an deren Stelle eine militärische Republik träte mit dem unumschränktesten Propagandensystem fürs centrale Europa, übrigens bereit, nach Bekämpfung der englischen aristokratischen Republik und überwiegenden Seemacht, sich mit Rußland über die Angelegenheiten des Ostens zu verständigen, unter Vorbeding einer Oberherrschaft in Aegypten und der erweiterten Besitznahme aller afrikanischen Küsten, die alsdann ein Erbtheil italienischer, spanischer und griechischer Emigranten unter französischer Oberherrschaft werden könnten. Diese Partei allein fühlt sich seit dem Sturze Napoleons keinen Augenblick entmuthigt, wird niemals kleinlaut, setzt ihre mathematische Civilisation fort, bearbeitet das Volk durch und durch, aber trennt sich entschieden von der gemeinen Demagogie, dem salbaderischen Fourrierismus und Sanct Simonianismus, und verachtet die rohen, plumpen Clubsbetriebe niederer Sorte. Carrel war gewissermaßen der adelige Repräsentant dieser Partei, die allen andern schneidend gegenüber steht. Außerhalb derselben, aber nahe verwandt, steht Arago und als Schriftsteller Lamennais. Sie hat also wissenschaftliche und philosophische Autorität, so wie sie politisches Gewicht durch den National besitzt. Mit der bittersten Verachtung spricht sie von der Opposition Barrot; über die Bonapartisten spottet sie. Im Heere besonders und unter der Marine sucht sie Anhang. Sie hofft stets auf den ersten Funken, welcher einen Krieg allgemeinerer Art anzünden könnte, nimmt sich übrigens zusammen, um alle Gelegenheiten zu benutzen sich national und politisch zu vergrößern so gut sie kann. Da diese Partei, obwohl in ihren Häuptern keineswegs unvermögend, doch weder Capitalien besitzt, noch Credit unter den Gutsbesitzern, dem Mittelstande, der ruhig gesinnten Masse, so scheint man sie öfter zu ignoriren; im Grunde aber ist es immer das Gespenst des Convents und Napoleons, in seinen demokratisch-demagogischen Elementen, welches aus ihren Augen wetterleuchtet, auf ihrer Stirne droht. Was heute nichts ist, kann morgen etwas werden, denkt diese Partei, welche höchst gescheidte, jüngere und ältere Männer in ihren Gliedern besitzt, tüchtige, determinirte Menschen, denen aber alle tiefere Religiösität vollkommen abgeht, die aus der Nation und dem Staate einen kaltblütig fanatischen Moloch zu machen bereit sind, und die höchste Verachtung ausdrücken gegen alles, was widerstrebt und außerhalb ihres Kreises sich bewegt.

Niederlande.

Vorgestern fand die erste Berathung über die Entwürfe zur Veränderung des Grundgesetzes

*) Das weggenommene Schiff war, wie Hr. Thiers in der Kammer hervorhob, ein Kauffahrteischiff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0005" n="1293"/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Deputirtenkammer</hi> kam in der Sitzung am 4 Jun. mit Erörterung des Budgets des Innern zu Ende, und begann noch die Erörterung des Budgets des Ackerbaues und des Handels, mit der sie am 5 Jun. fortfuhr.</p><lb/>
          <p>(<hi rendition="#g">Temps</hi>.) Das englische Gericht von Sierra Leone hat wirklich die französische Goelette (die in unsern gestrigen Auszügen aus den Deputirtenverhandlungen berührt wurde), trotz des officiellen Charakters ihrer Mission als gute Prise erklärt. Die französische Regierung ist sonach angeklagt und verurtheilt, Negerhandel getrieben zu haben, denn sie ist es, die in der Person des Capitäns der Goelette vor Gericht stand <note place="foot" n="*)"><p>Das weggenommene Schiff war, wie Hr. Thiers in der Kammer hervorhob, ein Kauffahrteischiff.</p></note>, und dieser hat das Recht, an sie als seine Bürgschaft zu appelliren, denn er hat unter ihrem Patronat und auf ihren Befehl seine Expedition in Begleitung eines Staatsschiffs gemacht. Der Mißbrauch und die Beleidigung liegen auf der Hand. Man kann also nicht schnell und energisch genug reclamiren, da die Schiffsmannschaft in diesem Augenblick noch einer besondern Procedur für das ihr aufgebürdete imaginäre Verbrechen unterworfen ist. Hoffentlich wird bei der Wachsamkeit des Conseilpräsidenten die Genugthuung nicht lang auf sich warten lassen.</p><lb/>
          <p>General Espeletta, der letzte Gouverneur der Havannah, befindet sich seit einigen Tagen in Havre.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>&#x2238;</docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 5 Jun.</dateline>
          <p> Hr. Thiers hat in Bezug auf die Motion des Hrn. v. Rémilly seinen Zweck erreicht. Einer seiner Freunde, Hr. Ganneron, der anfänglich mit vier andern Mitgliedern der Commission sich für die Nothwendigkeit ausgesprochen hatte, eine Anzahl Aemter als unverträglich mit der Stelle eines Deputirten zu erklären, hat sich nunmehr den vier andern angeschlossen, und so die Mehrheit gebildet, welche sich gegen jede Reform des Wahlsystems ausspricht. In diesem Sinne fällt nun der Bericht aus, und die Motion ist zu Grabe getragen. Obschon der Commission nicht die schließliche Entscheidung zusteht, lassen doch alle Umstände glauben, daß deren Anträge in der Kammer durchgehen, vermittelst einer Mehrheit, bestehend aus den Anhängern des Hrn. Thiers, und aus dem Rest der 221, auf deren Allianz (nach ihren frühern Aeußerungen) der Conseilpräsident jetzt definitiv zählen kann. &#x2013; Hr. Thiers erklärt allgemein, er sende dieser Tage den Admiral Baudin, der früher vor Veracruz commandirte und den Frieden mit Mexico abschloß, nach Buenos-Ayres, um dort entweder einen Tractat unter günstigern Bedingungen für Frankreich abzuschließen, als die von Rosas dem Admiral Dupotet vorgeschlagenen, oder aber den Krieg mit mehr Ernst fortzuführen. Mit dem Admiral Baudin werden 500 Mann Landungstruppen abgehen, die Hr. Thiers für hinreichend erachtet; die Minister des Kriegs und der Marine sind aber damit nicht einverstanden, besonders in Betracht des Hauptalliirten von Rosas, des gelben Fiebers. &#x2013; Die Concurrenz der verschiedenen Generale, die den Marschall Valée ersetzen wollen, dauert fort. Letzterer findet Schutz bei manchen hochgestellten Personen, weil er den Ruf genießt, nicht an der Geldgier zu leiden, der gewöhnlichen Krankheit der französischen Oberbefehlshaber.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>&#x2640;</docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 5 Jun.</dateline>
          <p> Man hat hier, seit den ersten Tagen der Restauration, ganz insbesondere aber seit der Juliusrevolution eine Partei einen hohen Ton nehmen lassen, die sich das Privilegium der ausschließlichsten Nationalität zueignet. Diese Partei erkennt im älteren Frankreich nur zwei große Männer an: Richelieu und Ludwig XIV, als Vorbahner der absoluten Nationaldemokratie und Volkssouveränetät durch die absolute Nationalmonarchie und Souveränetät eines Einzigen, so wie als Bekämpfer der deutschen Kaisermacht, und als bestrebt, ein Protectorat über Spanien und Italien zu gewinnen und eine Seemacht zu gründen. Diese Partei trotziger kühner Männer erblickt factisch nur zwei Staatsrechte in Frankreich: das ältere System von Richelieu-Ludwig XIV, welches abstarb, als die Saat der Demokratie heranreifte; das jüngere System des Convents und des Bonapartischen Consulats, welches Napoleon der Kaiser verfälscht und untauglich gemacht habe. Auch sieht diese Partei den Kaiser als einen Staatsverräther und Staatsverbrecher an, nicht weil er am 18 Brumaire eine elende Versammlung aus den Fenstern springen ließ, sondern weil er sich nicht mit einem permanenten Convent umgeben und von ihm die höchste Dictatur angenommen habe, gewissermaßen ein Mittelding zwischen Robespierre und Carnot, nur à la Bonaparte. In dieser Partei kocht das allerhochmüthigste Nationalgefühl; ihre Sprache allein imponirt der Jugend und dem Volk; aber von der Opposition der Linken an bis zur äußersten Rechten wird sie gehaßt und gefürchtet, denn man sieht in ihr den Untergang des Mittelstandes sowohl als der adeligen Classen, an deren Stelle eine militärische Republik träte mit dem unumschränktesten Propagandensystem fürs centrale Europa, übrigens bereit, nach Bekämpfung der englischen aristokratischen Republik und überwiegenden Seemacht, sich mit Rußland über die Angelegenheiten des Ostens zu verständigen, unter Vorbeding einer Oberherrschaft in Aegypten und der erweiterten Besitznahme aller afrikanischen Küsten, die alsdann ein Erbtheil italienischer, spanischer und griechischer Emigranten unter französischer Oberherrschaft werden könnten. Diese Partei <hi rendition="#g">allein</hi> fühlt sich seit dem Sturze Napoleons keinen Augenblick entmuthigt, wird niemals kleinlaut, setzt ihre mathematische Civilisation fort, bearbeitet das Volk durch und durch, aber trennt sich entschieden von der gemeinen Demagogie, dem salbaderischen Fourrierismus und Sanct Simonianismus, und verachtet die rohen, plumpen Clubsbetriebe niederer Sorte. Carrel war gewissermaßen der adelige Repräsentant dieser Partei, die allen andern schneidend gegenüber steht. Außerhalb derselben, aber nahe verwandt, steht Arago und als Schriftsteller Lamennais. Sie hat also wissenschaftliche und philosophische Autorität, so wie sie politisches Gewicht durch den National besitzt. Mit der bittersten Verachtung spricht sie von der Opposition Barrot; über die Bonapartisten spottet sie. Im Heere besonders und unter der Marine sucht sie Anhang. Sie hofft stets auf den ersten Funken, welcher einen Krieg allgemeinerer Art anzünden könnte, nimmt sich übrigens zusammen, um alle Gelegenheiten zu benutzen sich national und politisch zu vergrößern so gut sie kann. Da diese Partei, obwohl in ihren Häuptern keineswegs unvermögend, doch weder Capitalien besitzt, noch Credit unter den Gutsbesitzern, dem Mittelstande, der ruhig gesinnten Masse, so scheint man sie öfter zu ignoriren; im Grunde aber ist es immer das Gespenst des Convents und Napoleons, in seinen demokratisch-demagogischen Elementen, welches aus ihren Augen wetterleuchtet, auf ihrer Stirne droht. Was heute nichts ist, kann morgen etwas werden, denkt diese Partei, welche höchst gescheidte, jüngere und ältere Männer in ihren Gliedern besitzt, tüchtige, determinirte Menschen, denen aber alle tiefere Religiösität vollkommen abgeht, die aus der Nation und dem Staate einen kaltblütig fanatischen Moloch zu machen bereit sind, und die höchste Verachtung ausdrücken gegen alles, was widerstrebt und außerhalb ihres Kreises sich bewegt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Niederlande.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <dateline><hi rendition="#b">Vom Niederrhein,</hi> 4 Jun.</dateline>
          <p> Vorgestern fand die erste Berathung über die Entwürfe zur Veränderung des Grundgesetzes<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1293/0005] Die Deputirtenkammer kam in der Sitzung am 4 Jun. mit Erörterung des Budgets des Innern zu Ende, und begann noch die Erörterung des Budgets des Ackerbaues und des Handels, mit der sie am 5 Jun. fortfuhr. (Temps.) Das englische Gericht von Sierra Leone hat wirklich die französische Goelette (die in unsern gestrigen Auszügen aus den Deputirtenverhandlungen berührt wurde), trotz des officiellen Charakters ihrer Mission als gute Prise erklärt. Die französische Regierung ist sonach angeklagt und verurtheilt, Negerhandel getrieben zu haben, denn sie ist es, die in der Person des Capitäns der Goelette vor Gericht stand *), und dieser hat das Recht, an sie als seine Bürgschaft zu appelliren, denn er hat unter ihrem Patronat und auf ihren Befehl seine Expedition in Begleitung eines Staatsschiffs gemacht. Der Mißbrauch und die Beleidigung liegen auf der Hand. Man kann also nicht schnell und energisch genug reclamiren, da die Schiffsmannschaft in diesem Augenblick noch einer besondern Procedur für das ihr aufgebürdete imaginäre Verbrechen unterworfen ist. Hoffentlich wird bei der Wachsamkeit des Conseilpräsidenten die Genugthuung nicht lang auf sich warten lassen. General Espeletta, der letzte Gouverneur der Havannah, befindet sich seit einigen Tagen in Havre. ∸ Paris, 5 Jun. Hr. Thiers hat in Bezug auf die Motion des Hrn. v. Rémilly seinen Zweck erreicht. Einer seiner Freunde, Hr. Ganneron, der anfänglich mit vier andern Mitgliedern der Commission sich für die Nothwendigkeit ausgesprochen hatte, eine Anzahl Aemter als unverträglich mit der Stelle eines Deputirten zu erklären, hat sich nunmehr den vier andern angeschlossen, und so die Mehrheit gebildet, welche sich gegen jede Reform des Wahlsystems ausspricht. In diesem Sinne fällt nun der Bericht aus, und die Motion ist zu Grabe getragen. Obschon der Commission nicht die schließliche Entscheidung zusteht, lassen doch alle Umstände glauben, daß deren Anträge in der Kammer durchgehen, vermittelst einer Mehrheit, bestehend aus den Anhängern des Hrn. Thiers, und aus dem Rest der 221, auf deren Allianz (nach ihren frühern Aeußerungen) der Conseilpräsident jetzt definitiv zählen kann. – Hr. Thiers erklärt allgemein, er sende dieser Tage den Admiral Baudin, der früher vor Veracruz commandirte und den Frieden mit Mexico abschloß, nach Buenos-Ayres, um dort entweder einen Tractat unter günstigern Bedingungen für Frankreich abzuschließen, als die von Rosas dem Admiral Dupotet vorgeschlagenen, oder aber den Krieg mit mehr Ernst fortzuführen. Mit dem Admiral Baudin werden 500 Mann Landungstruppen abgehen, die Hr. Thiers für hinreichend erachtet; die Minister des Kriegs und der Marine sind aber damit nicht einverstanden, besonders in Betracht des Hauptalliirten von Rosas, des gelben Fiebers. – Die Concurrenz der verschiedenen Generale, die den Marschall Valée ersetzen wollen, dauert fort. Letzterer findet Schutz bei manchen hochgestellten Personen, weil er den Ruf genießt, nicht an der Geldgier zu leiden, der gewöhnlichen Krankheit der französischen Oberbefehlshaber. ♀ Paris, 5 Jun. Man hat hier, seit den ersten Tagen der Restauration, ganz insbesondere aber seit der Juliusrevolution eine Partei einen hohen Ton nehmen lassen, die sich das Privilegium der ausschließlichsten Nationalität zueignet. Diese Partei erkennt im älteren Frankreich nur zwei große Männer an: Richelieu und Ludwig XIV, als Vorbahner der absoluten Nationaldemokratie und Volkssouveränetät durch die absolute Nationalmonarchie und Souveränetät eines Einzigen, so wie als Bekämpfer der deutschen Kaisermacht, und als bestrebt, ein Protectorat über Spanien und Italien zu gewinnen und eine Seemacht zu gründen. Diese Partei trotziger kühner Männer erblickt factisch nur zwei Staatsrechte in Frankreich: das ältere System von Richelieu-Ludwig XIV, welches abstarb, als die Saat der Demokratie heranreifte; das jüngere System des Convents und des Bonapartischen Consulats, welches Napoleon der Kaiser verfälscht und untauglich gemacht habe. Auch sieht diese Partei den Kaiser als einen Staatsverräther und Staatsverbrecher an, nicht weil er am 18 Brumaire eine elende Versammlung aus den Fenstern springen ließ, sondern weil er sich nicht mit einem permanenten Convent umgeben und von ihm die höchste Dictatur angenommen habe, gewissermaßen ein Mittelding zwischen Robespierre und Carnot, nur à la Bonaparte. In dieser Partei kocht das allerhochmüthigste Nationalgefühl; ihre Sprache allein imponirt der Jugend und dem Volk; aber von der Opposition der Linken an bis zur äußersten Rechten wird sie gehaßt und gefürchtet, denn man sieht in ihr den Untergang des Mittelstandes sowohl als der adeligen Classen, an deren Stelle eine militärische Republik träte mit dem unumschränktesten Propagandensystem fürs centrale Europa, übrigens bereit, nach Bekämpfung der englischen aristokratischen Republik und überwiegenden Seemacht, sich mit Rußland über die Angelegenheiten des Ostens zu verständigen, unter Vorbeding einer Oberherrschaft in Aegypten und der erweiterten Besitznahme aller afrikanischen Küsten, die alsdann ein Erbtheil italienischer, spanischer und griechischer Emigranten unter französischer Oberherrschaft werden könnten. Diese Partei allein fühlt sich seit dem Sturze Napoleons keinen Augenblick entmuthigt, wird niemals kleinlaut, setzt ihre mathematische Civilisation fort, bearbeitet das Volk durch und durch, aber trennt sich entschieden von der gemeinen Demagogie, dem salbaderischen Fourrierismus und Sanct Simonianismus, und verachtet die rohen, plumpen Clubsbetriebe niederer Sorte. Carrel war gewissermaßen der adelige Repräsentant dieser Partei, die allen andern schneidend gegenüber steht. Außerhalb derselben, aber nahe verwandt, steht Arago und als Schriftsteller Lamennais. Sie hat also wissenschaftliche und philosophische Autorität, so wie sie politisches Gewicht durch den National besitzt. Mit der bittersten Verachtung spricht sie von der Opposition Barrot; über die Bonapartisten spottet sie. Im Heere besonders und unter der Marine sucht sie Anhang. Sie hofft stets auf den ersten Funken, welcher einen Krieg allgemeinerer Art anzünden könnte, nimmt sich übrigens zusammen, um alle Gelegenheiten zu benutzen sich national und politisch zu vergrößern so gut sie kann. Da diese Partei, obwohl in ihren Häuptern keineswegs unvermögend, doch weder Capitalien besitzt, noch Credit unter den Gutsbesitzern, dem Mittelstande, der ruhig gesinnten Masse, so scheint man sie öfter zu ignoriren; im Grunde aber ist es immer das Gespenst des Convents und Napoleons, in seinen demokratisch-demagogischen Elementen, welches aus ihren Augen wetterleuchtet, auf ihrer Stirne droht. Was heute nichts ist, kann morgen etwas werden, denkt diese Partei, welche höchst gescheidte, jüngere und ältere Männer in ihren Gliedern besitzt, tüchtige, determinirte Menschen, denen aber alle tiefere Religiösität vollkommen abgeht, die aus der Nation und dem Staate einen kaltblütig fanatischen Moloch zu machen bereit sind, und die höchste Verachtung ausdrücken gegen alles, was widerstrebt und außerhalb ihres Kreises sich bewegt. Niederlande. Vom Niederrhein, 4 Jun. Vorgestern fand die erste Berathung über die Entwürfe zur Veränderung des Grundgesetzes *) Das weggenommene Schiff war, wie Hr. Thiers in der Kammer hervorhob, ein Kauffahrteischiff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_162_18400610
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_162_18400610/5
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 162. Augsburg, 10. Juni 1840, S. 1293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_162_18400610/5>, abgerufen am 28.04.2024.